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AUA-Hagelflug: Stimmenrekorder gelöscht? Zum technischen Hintergrund des CVR

Piloten im Cockpit eines A320, Symbolbild - Foto: Austrian Wings Media Crew

Laut einem Bericht der Tageszeitung "Kurier" sollen die Aufnahmen des Stimmenrekorders des "Hagelfluges" OS434 vom 9. Juni überschrieben worden sein. Derartige Gerüchte, die sich nicht verifizieren ließen, waren zuvor auch schon an Austrian Wings herangetragen worden. Aus aktuellem Anlass beleuchtet Luftfahrtjournalist und Fachbuchautor Patrick Huber auf Austrian Wings das Thema Cockpit Voice Recorder und zeigt auf, warum zumindest ein versehentliches Überschreiben der Aufnahmen von Flug OS434 unwahrscheinlich erscheint. Die AUA hüllt sich zu der Causa weiter in Schweigen.

Unter Berufung auf nicht näher genannte "Insider" schrieb der "Kurier" am 17. Juni, dass möglicherweise wichtige Beweismittel auf dem Cockpit Voice Recorder und dem Flight Data Recorder überschrieben worden seien: "Laut Kapitel 11 der AUA-Vorschriften muss der Kapitän nach einem derartigen Vorfall die Sicherungen des Stimmrekorders (CVR) und des Flugdatenschreibers (FDR) ziehen, um die Aufnahmen zu sichern. Das dürfte aber nicht passiert sein, weshalb nun wichtige Beweismittel fehlen." Da die Daten des Flugschreibers wahrscheinlich auch auf dem Qick Access Recorder, dessen Daten routinemäßig für Wartungsarbeiten ausgelesen werden, zu finden sein dürften, befasst sich dieser Beitrag ausschließlich mit dem Thema Cockpit Voice Recorder.

Grundsätzliches
Neben einem Flugdatenschreiber, in der Fachsprache Flight Data Recorder, kurz FDR genannt, müssen alle Verkehrsflugzeug ab einer bestimmten Größe seit vielen Jahrzehnten außerdem mit einem Stimmenrekorder ausgestattet sein, der alle Gespräche im Cockpit aufzeichnet. In der englischen Fachterminologie (Englisch ist die internationale Sprache der Luftfahrt) wird ein solches Gerät als Cockpit Voice Recorder, kurz CVR, bezeichnet. Diese beiden Geräte, auch Black Box (obwohl sie leuchtend Orange sind) genannt, dienen primär dazu, nach einem Absturz den Unfallhergang besser rekonstruieren zu können. Sie sind deshalb besonders stabil gefertigt und müssen beispielsweise einer Hitzeeinwirkung von 1.100 Grad Celsius mindestens 60 Minuten standhalten und außerdem bis zu einer Tiefe von 6.000 Meter auch dem Wasserdruck standhalten.

Aufzeichnungsdauer
Das alles war und ist im Fall von Flug OS434 nicht erforderlich, da die Maschine trotz erheblicher Schäden glücklicherweise sicher landen konnte und die intakten Geräte von der AUA an die Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes (SUB) übergeben wurden. Cockpit Voice Recorder zeichnen grundsätzlich in einer Dauerschleife auf. Üblicherweise beginnt der CVR (ebenso wie der FDR) mit dem Anlassen der Triebwerke zu arbeiten, doch auch ein manueller Start der Aufnahme ist möglich. Wie das gehandhabt wird, ist von Flugbetrieb (Airline) zu Flugbetrieb unterschiedlich. Der CVR beendet die Aufzeichnung üblicherweise mit dem Abschalten der Triebwerke nach der Landung am Boden. Ältere Geräte speichern nur die letzten 30 Minuten des Fluges, was mitunter bei Unfallermittlungen zum Problem werden kann, wie etwa im Fall des Absturzes von Flug South African 295 im Jahr 1987, wie ich in meinem Buch "Tödliche Flammen im Frachtraum - der mysteriöse Absturz der ,Helderberg'" ausführlich dargelegt habe. Neuere Geräte zeichnen dagegen die letzten 120 Minuten auf, eine Lehre aus Unfällen der Vergangenheit.

AUA mauert weiter
Ich wollte von der AUA daher wissen, welches CVR-Modell (exakte Typenbezeichnung) in der betroffenen Maschine vom Typ Airbus A320, OE-LBM, verbaut war beziehungsweise ob es sich um ein Gerät mit 30- oder 120-Minuten-Aufzeichnung handelt. Doch die AUA, deren intransparente Krisen-PR in dieser Causa in den Augen vieler Journalisten und selbst etlicher AUA-Mitarbeiter schon eine eigene Krise darstellt, blieb ihrem bisher eingeschlagenen Kurs treu und mauerte weiter. Man "bitte um Verständnis", dass man dazu keine Auskunft erteilen könne.

120-Minuten-Aufzeichnung
Also hieß es an anderen Stellen zu recherchieren. Mein Dank gilt jenen AUA-Piloten und AUA-Technikern, denen die unprofessionelle Informationspolitik ihres eigenen Unternehmens, die nach außen hin mitunter den Eindruck erwecken könnte, als gäbe es etwas zu vertuschen, ebenfalls ein Gräuel ist, und die mich deshalb diesbezüglich großartig unterstützt haben. Laut deren Informationen müssen gemäß EASA-Bestimmungen alle entsprechenden Verkehrsflugzeuge die nach dem 1. April 1998 zugelassen wurden, über einen CVR verfügen, der die letzten 2 Stunden aufzeichnet. Der in den Hagelvorfall verwickelte Airbus A320 mit dem Kennzeichen OE-LBM absolvierte seinen Erstflug am 4. Jänner 2003 in Toulouse und wurde am 20. Februar 2003 mit dem Kennzeichen D-ALTK an den Erstbetreiber, die LTU, übergeben. Der Jungfernflug und die erstmalige Zulassung erfolgten somit nach dem genannten Stichtag, woraus resultiert, dass der CVR der "Bravo Mike" die letzten zwei Stunden der Gespräche im Cockpit aufgezeichnet haben muss.

Überschreiben der Aufnahmen unwahrscheinlich
Unter dieser Grundvoraussetzung ist es - zumindest theoretisch - eigentlich unmöglich, dass die Aufzeichnungen der Gespräche im Cockpit vor, während und nach dem Hagel-Zwischenfall vollständig automatisch überschrieben worden sein könnten. Denn wie ich am 10. Juni in meiner Chronologie der Ereignisse dargelegt habe, erfolgte der Einflug in das Hagelunwetter (die Gründe dafür sind derzeit Gegenstand von zwei unabhängigen Untersuchungen, eine führt die AUA selbst durch, die anderen die SUB, die den Zwischenfall nach gut einer Woche allerdings wundersamerweise von einer "schweren Störung" auf eine "Störung" zurückstufte) etwa gegen 17:30 Uhr. Rund 25 Minuten später landete der schwer beschädigte Zweistrahler sicher auf dem Flughafen Wien Schwechat. Nach dem Abschalten der Triebwerke verließen die Passagiere das Flugzeug regulär die Treppen. Selbst wenn die Besatzung aufgrund des Stresses tatsächlich nicht daran gedacht haben sollte, die Aufnahme unmittelbar nach dem Hagelvorfall explizit zu sichern, so müssten bei einer zweistündigen Endlosschleife dennoch die letzten 80 bis 90 Minuten der Gespräche auf dem Band zu hören sein - und damit auch die Zeitspanne des Vorfalls selbst. Es sei denn, der CVR hatte eine technische Fehlfunktion gehabt oder er wäre manuell, auch das ist rein technisch und theoretisch möglich, nach der Landung durch die Piloten gelöscht worden. Eine solche Vorgehensweise erscheint jedoch sehr unwahrscheinlich, da kein professioneller Verkehrsflugzeugführer so eine Handlungsweise nach einem derartigen Zwischenfall setzen würde.

Auch SUB nicht auskunftsfreudig
Neben der AUA ist auch die Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes in dieser Causa nicht gerade auskunftsfreudig. Selbst die simple Frage, wann denn mit einem ersten Zwischenbericht zu dem Vorfall zu rechnen ist, wurde nicht beantwortet. Man bitte dafür "um Verständnis".

Transparente und professionelle Kommunikation gegenüber der Öffentlichkeit sieht definitiv anders aus.

Text & Foto: Patrick Huber, www.der-rasende-reporter.info

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.