Punktlandung

Die Konsequenzen von Eis in der Fliegerei

Eis hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu schweren Flugunfällen geführt. Als die erste Dash 8-400 bei winterlichem Wetter in Buffalo abstürzte, spekulierten die Medien über eine mögliche Vereisung als Unfallursache. Doch warum genau ist Eis in der Fliegerei so gefährlich? Welche Maßnahmen werden seitens der Hersteller und Fluglinien gesetzt, um diese Gefahr weitgehend auszuschalten? Eine Austrian Wings Punktlandung zu diesem Thema vom Fachmann.

Um die Auswirkungen der Bildung von Eis in der Fliegerei am besten darstellen zu können, ist es zweckmäßig, diese anhand von zwei Phasen aufzuzeigen.

In diesem Artikel wird daher zwischen den Auswirkungen der Eisbildung am Boden und denen in der Luft unterschieden.

Eis am Boden

Viele, die in den kalten Monaten mit einem Linienflugzeug geflogen sind, haben es schon erlebt: Das Flugzeug muss vor dem Start von Schnee und Eis befreit werden. Es liegt die Vermutung nahe, dass der Grund hierfür das zusätzliche Gewicht von Schnee und Eis ist.

Vielmehr jedoch ist es die nachteilige Auswirkung auf die Aerodynamik des Flugzeuges, die dieses Vorgehen notwendig macht. Windtunnel und Flugtests haben gezeigt dass eine dünne Frostschicht, etwa wie groberes Schleifpapier, den Auftrieb eines Flügels bis zu 30 % reduzieren kann und den Widerstand bis zu 40 % erhöht.

Man kann sich daher die Wirkung einer wesentlich dickeren Eisschicht vor Augen führen, so dass es beim Start von enormer Wichtigkeit ist, dass die Tragflächen und das Leitwerk so frei wie möglich von Schnee und Eis sind, um eine bestmögliche Leistung in dieser kritischen Flugphase zu gewährleisten.

Um Schnee und Eis zu entfernen wird normalerweise eine Enteisungsflüssigkeit benutzt, die aus einer Mischung von Glykol und Wasser besteht. Nachdem Eis und Schnee entfernt sind wird abhängig von den Wetterbedingungen noch eine Schutzschicht mit einer dickeren Enteissungsflüssigkeit aufgetragen um eine erneute Eisbildung zu verhindern. Da diese Wirkung nur eine gewisse Zeit anhält, werden sogenannte "Hold over Time" - Tabellen benutzt, anhand derer man abhängig von der Temperatur und Art des Niederschlages die Zeit berechnen kann, in der die Schutzwirkung anhält.

Sollte man auf Grund etwaiger Verzögerungen mehr Zeit am Boden beanspruchen als geplant, zum Beispiel aufgrund des Verkehrs oder kleiner technischer Probleme, muss das Enteisungsverfahren erneut durchgeführt werden. Bei gewissen Flugmuster wie MD-80 oder Fokker 70/100 besteht auf Grund der Auslegung der Triebwerke die Gefahr, dass sich Eis von den Tragflächen lösen kann und so die Triebwerke beschädigen.

Dies war tatsächlich bei einem Unglück 1991 der Fall:
Einer MD-81 der SAS fielen kurz nach dem Start beide Triebwerke aus. Der Grund hierfür war im sogenannten Klareis zu finden, das sich von den Tragflächen gelöst hat. Zum Glück verlief die darauf eingeleitete Notlandung ohne Verluste von Menschenleben.

Um solche Unglücke zu vermeiden, wird bei Maschinen, deren Triebwerke am Heck angeordnet sind, wie zB der MD 80 und der Fokker 70/100 Reihe, ein sogenannter "hands on check" durchgeführt. Bei diesem wird mit der Hand geprüft ob die Tragflächen frei von Eis sind.

Frost, Schnee und Eis sind aber nicht nur für den Take - off problematisch, sondern bereits beim Rollvorgang ist vermehrte Vorsicht geboten.

Im Winter und im rauhen skandinavischen Klima ein alltäglicher Anblick für Flugzeugbesatzungen, die frühmorgens zu ihren Maschinen kommen

Ein Flugzeug hat keine Winterreifen wie etwa ein Auto, daher versucht man mit Hilfe vom Chemikalien die Start- und Landebahnen und Rollwege soweit wie möglich frei zu halten.

Schnee auf der Startbahn, verlängert aufgrund von höherem Rollwiederstand, die Startstrecke. Bei einem eventuellen Startabbruch, verlängert Eis wiederum den Bremsweg.

Auch bei der Landung spielen diese Überlegungen eine Rolle, da eine eisige und rutschige Landebahn den Bremsweg verlängert. Weiters wirkt sich eine rutschige Piste einschränkend auf den maximal erlaubten Seitenwind aus. Geht man beispielsweise von einem erlaubten Seitenwind von 30 Knoten bei trockener Piste aus, so verringert sich dieser auf nur 5 knoten bei vereister Landebahn.

Eis im Flug

Hat man erst den Boden verlassen, verwendet das Flugzeug eigene Systeme, die an gefährdeten Stellen wie Tragflächen, Leitwerk und Triebwerke eine Vereisung verhindern (anti-icing) und angesetztes Eis entfernen (de-icing). Typische Bedingungen für Eisbildung im Flug sind Stratuswolken oder Regen bei Temperaturen knapp unter 0 Celsius und in Cumulusbewölkung.

Bei einem typischen Turboprop werden unter anderem die Staurohre, die den Instrumenten wichtige Daten liefern, und die Luftschrauben elektrisch geheizt um einen Eisansatz zu verhindern und bei den Propellern ggf. Eis zu entfernen. Eis, das sich vom Propeller löst wird weggeschleudert und ein Teil davon trifft so auch den Flugzeugrumpf was den Rumpf beschädigen kann Aus diesem Grund kann man bei den meisten Propellermaschinen, die für Vereisungsbedingungen zugelassen sind, Verstärkungen am Rumpf entdecken, so gennante "Ice protection shields".

Flügelvorderkanten, Leitwerk und Lufteinlässe der Triebwerke werden bei Propellermaschinen meist mit Gummimatten, bestehend aus meheren Tuben, sogennanten Boots, geschützt die pneumatisch aufgeblasen werden und somit Eisansätze absprengen können. Bei diesem System lässt sich die Bildung einer Eisschicht leider trotzdem nicht vermeiden. Dies beeinflusst die Aerodynamik des Flugzeugs negativ. Diese Wirkung soll anhand eines kurzen Beispiels besser veranschaulicht werden:

Deutliche aber noch nicht gefährliche Eisbildung an der Flügelvorderkante

 

Bei eisfreien Tragflächen kommt es bei 110 Knoten zu einem Strömungsabriss, bei Eisansatz hingegen kann es schon bei 130 Knoten oder mehr zu einen Strömungsabriss kommen. Reisst die Strömung an der Tragfläche ab, in der Fachsprache auch „Stall“ genannt, ist das Flugzeug nicht mehr in der Lage, sich in der Luft zu halten. Daher auch der alte Fliegerspruch - „Fahrt ist das halbe Leben.“

Aus diesem Grund wird bei Wetterbedingungen, bei denen das Risiko einer Eisbildung gegeben ist, die Mindesgeschwindigkeit erhöht. Diese Erhöhung der Mindestgeschwindigkeit ist meist sehr großzügig bemessen und somit ein unverzichtbarer Sicherheitsfaktor.

Früher waren Boots langsamer und hatten dickere Tuben was eine Möglichkeit für "Ice Bridging", die Bildung von Luftblasen zwischen Boot und angesetzten Eis ermöglichte. Um dies zu vermeiden wurde gewartet, bis eine gewisse Menge Eis an der Flügelvorderkante vorhanden war, in etwas 1,5-2,5 cm , bevor die Boots aktiviert wurden um das Eis wirklich wegzusprengen.

Heutige Systeme haben dieses Problem beseitigt und sollen laut Hersteller normalerweise bei Vereisungsbedingungen sofort eingeschaltet werden.

Die Enteisungssysteme von Jets funktionieren anders

Meist wird Zapfluft von den Triebwerken benutzt um gefährdete Stellen von Eis freizuhalten. Die heiße Zapfluft wird durch Hohlräume hinter den Flügelvorderkanten geleitet um so einen Eisansatz zu verhindern.

Da das Eis sich in diesem Fall kaum ansetzen kann, haben Jets meist auch viel geringere Zuschläge auf den Mindestgeschwindigkeiten bei Eisungsbedingungen da die Aerodynamik nicht im gleichen Ausmaß beinflusst wird wie bei einem Flugzeig mit Boots.

Da es den Triebwerken viel Leistung kostet, wenn Zapfluft für die Eisverhinderung benutzt wird, versucht man dies zu vermeiden, wenn nicht unbedingt notwendig

Bei einigen Typen, die nicht so leistungsstark sind, können die Fluglotsen angeblich sehen , wenn diese Systeme eingeschaltet sind, da sich diese stark auf die Kraft in Bezug auf die Steigleistung auswirken.

Dass die Flügelvorderkanten eine ausreichend hohe Temperatur erreichen, ist enorm wichtig damit das Eis sofort verdampft oder sublimiert bevor ein Festsetzen am Flügel möglich ist. Sollte trotzdem Eis ansetzen und erst dann schmelzen, so läuft man Gefahr, dass dieses nach hinten zum ungeschützten Teil des Flügels fliesst und dort auf der kalten Oberfläche wieder anfriert. Dieses sogenannte "runback icing" hat einen äusserst negativen Einfluss auf die Strömungsverhältnisse des Flügels.

Einige Maschinen benutzten auch Enteisungsflüssigkeiten in der Luft, zum Beispiel hatten einige ältere Propellermaschinen ein System, welches Flüssigkeit beim Propeller herausauspressen konnte um somit Eis zu lösen, das sodann von der Rotationskraft des Propellers weggeschleudert werden konnte.

Es wird auch bei einigen kleineren Maschinen benützt um die Flügel und das Leitwerk von Eis zu befreien. Die Firma TKS hat für einige Flugzeuge ein System zugelassen, das durch winzige Löcher in den Vorderkanten der Flügel Enteisungsflüssigkeit ausströmen lässt, ein "weeping wing" System. Das System soll gut funktionieren, jedoch braucht man einen Tank für die Flüsssigkeit und dies führt zu eine eingeschränkte Einsatzdauer im Vergleich zu anderen Systemen.

Beim Absturz der Bombardier Q400 in Buffalo, New York State war in den Medien schnell die Rede davon, dass Eis die Unfallsursache sei. Insbesondere wurde in Foren spekuliert, dass man in einen sogenannten "tail plane stall" geraten war. In diesem Fall führt Eisansatz am Höhenleitwerk hier zu einen Ströhmungsabriss. Die NASA hat mit Versuchen gezeigt, dass es möglich ist einen tail plane stall zu produzieren. Die Versuche wurden mit Blöcke am Höhenleitwerk durchgeführt, die Eis simulieren sollten und die Landeklappen wurden voll ausgefahren.

Die Q400, wie auch alle andere Dash 8, sind mit Boots am Leitwerk ausgestattet um Eisansatz dort, wie auch an den Tragflächen zu verhindern. Zusätzlich war die Landung in Buffalo mit einer Landeklappenstellung von 15 Grad geplant, was weit entfernt von den maximalen 35 Grad ist. Bombardier selbst sagt, dass ein tail plane stall mit einer Dash 8 sehr unwahrscheinlich ist, weshalb es bis jetzt auch keine geänderte Maßnahmen von Bombardier bezüglich Betrieb in Vereisungsbedingungen gibt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Eisbildung in der Fliegerei einen hohen Risikofaktor darstellen kann, der jedoch dank hochkomplexer technischer Systeme sowie durch den Einsatz gut ausgebildeter, verantwortungsbewusster Piloten, weitgehend minimiert werden kann.

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Text & Fotos: C.M.

Der Autor absolvierte seine Flugausbildung im rauhen skandinavischen Klima, war unter anderem als Fluglehrer tätig und ist gegenwärtig Verkehrspilot auf der Bombardier Q 400.

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.