Letzte Aktualisierung: 05. März 2009 / 21:41 Uhr
Die Boeing 737 ist das meistverkaufte Passagierflugzeug der Welt und gilt als zuverlässiges Arbeitstier; hier eine Schwestermaschine des verunglückten Flugzeugs in Wien - Foto: P. Radosta / Austrian Wings
Technisches Problem & menschliches Versagen wahrscheinlich
Im Fall der beim Anflug auf den Flughafen Schiphol verunglückten türkischen Boeing 737-800 (W), TC-JGE, gibt es erste vorläufe Erkenntnisse über die Absturzursache. Es handle sich um eine Mischung aus technischen Problemen und menschlichem Versagen, wie der Vorsitzende der unabhängigen niederländischen Untersuchungskommission, Pieter van Vollenhoven, am Mittwoch mittteilte.
Laut Boeing gebe es klare Vorschriften, wie sich eine Flugbesatzung zu verhalten habe, sollten die Instrumente im Cockpit unterschiedliche Werte liefern. Diese seien - nach bisherigem Ermittlungsstand - von den Turkish Airlines Piloten nicht beachtet worden.
ILS Anflug bei schlechter Sicht
Demzufolge befand sich die Maschine bei schlechten Sichtbedingungen im Landeanflug auf die Piste 18R des Amsterdamer Flughafens. Geführt wurde die 737 dabei durch den Autopilot „B“, welcher von der Crew überwacht wurde. Pilot Flying war der Copilot gewesen.
In einer Höhe von 1.950 Fuß (etwa 595 Meter) habe der linke Radarhöhenmesser plötzlich eine fehlerhafte Flughöhe von - 8 Fuß (minus 2,4 Meter) angezeigt, wodurch die Schubregler vom automatischen System (Autothrottle) auf Leerlauf gebracht wurden.
Unmittelbar darauf ertönte im Cockpit eine Warnung für das Fahrwerk. Obwohl dies ein deutliches Indiz auf Probleme mit dem Radarhöhenmesser war, wurde dieser Warnung von der Crew offenbar keine Bedeutung beigemessen.
Maschine sank 1,5 Minuten ohne Schubkraft
Mehr als eineinhalb Minuten (100 Sekunden) sank die Maschine, deren Triebwerke nun im Leerlauf liefen, und verlor dabei rund 40 Knoten (etwa 74 km/h) Geschwindigkeit und rund 1.400 Fuß (etwa 427 Meter) an Höhe.
In einer Höhe von etwa 500 Fuß (rund 150 Meter) aktivierte sich aufgrund des unmittelbar bevorstehenden Strömungsabrisses der „Stick Shaker“. Erst zu diesem Zeitpunkt reagierte die Besatzung und gab vollen Schub, konnte jedoch den Absturz nicht mehr verhindern.
Mit einer Geschwindigkeit von nur noch 92 Knoten ( etwa 170 km/h) anstelle der für den Landeanflug üblichen 140 Knoten (rund 260 km/h), schlug die 737 mit dem Heck zuerst auf dem Feld auf und schlitterte noch rund 150 Meter weit, wobei das Fahrwerk und die Triebwerke abgerissen wurden.
Die Auswertung des Flugschreibers ergab, dass das gleiche Problem auf 8 vorangegangenen Flügen 2x aufgetreten war, jedoch jedes Mal von der Crew problemlos beherrscht werden konnte.
Bei dem Absturz am 25. Februar 2009 starben 9 Menschen, unter ihnen die 3köpfige Cockpitcrew und 1 Flugbegleiter, 86 wurden zum Teil schwer verletzt.
Im Zusammenhang mit diesem Unfall wurde immer wieder auch Kritik an Turkish Airlines und den Zuständen in der türkischen Luftfahrt laut. So hatte das türkische Verkehrsministerium kurz nach Absturz, als bereits die ersten Leichen geborgen wurden, davon gesprochen, dass alle Menschen überlebt hätten. Turkish Airlines Chef Candan Karlitekin rügte Journalisten, die von einem "Absturz" sprachen und betonte, die Maschine sei "auf einem Feld vor der Landebahn gelandet". Und noch vor Bekanntwerden der vorläufigen Untersuchungsergebnisse attackierte Savas Sen von der türkischen Pilotenvereinigung TAPA die niederländischen Flugtlotsen. Dies hätten die Maschine nicht vor schweren Turbulenzen, verursacht durch eine vorausfliegende Boeing 757, gewarnt.
Turkish Airlines bei Sicherheitsstatistik weit hinten
Bei Abstürzen von Maschinen der Turkish Airlines starben seit 1959 nach Angaben des Hamburger Unfalluntersuchungsbüros JACDEC, 885 Menschen. In einer von JACDEC erstellten und in der Märzausgabe der Fachzeitschrift AERO Interantional veröffentlichten Studie, bei der die Sicherheit von 60 Fluggesellschaften untersucht wurde, belegte Turkish Airlines den letzten Platz.
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red AW