Vor mehr als zehn Jahren hatte ich die Möglichkeit an einem besonderen Flug teilzunehmen - an Bord eines Regierungsflugzeuges, einer TU-154M, der Slowakischen Regierung. Ein Flug an Bord eines Regierungsflugzeuges ist im Normalfall hohen Beamten oder Regierungsvertretern vorbehalten. Bis zu diesen Zeitpunkt dachte ich immer, dass ein Flug an Bord eines Regierungsflugzeuges wohl die sicherste Art zu Reisen sei. Die Erlebnisse von damals haben meine Meinung jedoch nachhaltig geändert, auch dort wird nur mit Wasser gekocht und Europäische Standards waren noch weit entfernt.
Einfach rustikal - die TU 154
Eines soll jedoch gleich zu Anfang festhalten werden, ein Mitflug an Bord einer alten TU-154 ist nicht mit dem an Bord eines modernen Jets, wie eines A 320 beispielsweise vergleichbar. Trotz der „entspannten“ Art zu fliegen, galt und gilt auch noch heute mein volles Vertrauen den erfahrenen Crews aus dem (ehemaligen) Osteuropa. Die Art des Fliegens und das Herz das dabei an den Tag gelegt wird, vermisst man heutzutage leider viel zu oft bei Piloten moderner „Computerflieger“.
Die slowakische Regierung betreibt unter anderem zwei TU 154M für Regierungs- und VIP-Flüge
Am Donnerstag des 18. Mai 2000 war es so weit, nachdem bei Air Slovakia eine Boeing 737-200 zum großen C-Check musste, wurde für einen Linienflug der Gesellschaft nach Tel Aviv die Slovak Government TU-154M angemietet. Bis Anfang des neuen Jahrtausends bestand für Slowakische Airlines die Möglichkeit, Regierungsflugzeuge auch für kommerzielle kurzfristig anzumieten.
Ein Angebot zum Mitflug an Bord dieses Fluges konnte ich mir einfach nicht entgehen lassen. Auch Papst Johannes Paul II flog schon bei seinem Slowakei Aufenthalt, Ende der 1990er Jahre, mit dieser Maschine. Ein göttlicher Segen begleitete also diesen Regierungsjet. Ein Segen den ich später gerne noch in Anspruch nahm.
Flug GM 390 sollte um 07.40 Uhr mit ca. achtzig Passagieren in Bratislava starten, musste jedoch gleich um eine knappe Stunde verschoben werden, da ein Pilot der Crew erst verspätet mit einer anderen Maschine aus Kosice ankam. Im vergangenen Jahrzehnt wurde in der Slowakei das pilotieren eines Flugzeuges noch etwas gemütlicher und unkomplizierter gehandhabt als bei uns. Nach einer kurzen Begrüßung und Einweisung im Cockpit ging es dann auch schon los.
Zweimann Cockpit? Mitnichten!
Kurz vor Antritt des Fluges, las ich damals in einer Luftfahrtzeitschrift einen Artikel betreffend der Überlegung Zwei- oder Dreimann Cockpit? Bei der Slovak Government Flying Service wurde ständig mit vier Mann geflogen! Pilot, Co-Pilot, Ingenieur und Navigator stellten die Standartcrew auf allen Regierungsflügen dar, wobei der Navigator, nach Installation der ersten GPS Geräte nur noch den Funkverkehr regelte.
Der Arbeitsplatz der TU 154M Piloten ist technisch auf dem Stand der 1970er Jahre; typisch für Flugzeuge sowjetischer und russischer Bauart ist die grün-türkise Farbe der Instrumentenbretter
Bei unseren Start in Bratislava ging es vorbei an den im Jahr zuvor zerstörten Southern Aviation Boeing 707 Frachter, der immer noch neben der Piste auf die Verschrottung wartete. Sollte dieser Anblick vielleicht ein böses Omen für unseren bevorstehenden Flug sein? Aber alles "easy" unser Pilot brachte uns sicher auf unsere Flughöhe von 21.000 Fuß für den kurzen Flug nach Kosice.
Anschnallpflicht? Nur für Passagiere
Eines sei noch erwähnt, dass "Fasten Seat Bealt" Zeichen galt natürlich nur für unsere Fluggäste an Bord, "wahre Könige " der Lüfte verzichteten anscheinend auf diese und so war ich der einzige im Cockpit, der sich während des Startes anschnallte.
Der Arbeitsplatz des Flugingenieurs, rechts hinter den Piloten - er überwacht unter anderem das Trebistoffsystem, die elektrischen, hydraulischen und pneutmatischen Einrichtungen des Flugzeuges und unterstützt die Piloten in der Start und Landephase bei der Beobachtung des Luftraums; er verfügt auch über eigene Schubhebel zur Leistungssteuerung der Triebwerke, hier links im Bild - bei westlichen Flugzeugmustern begann die Wegrationalisierung des 3. Mannes im Cockpit schon in den 1960er Jahren mit der Einführung der Muster 737 und DC 9!
Nach einen 30minütigen Flug begann der Landeanflug auf Kosice. Nach einer perfekten Landung und einen kurzen Aufenthalt samt der Aufnahme weiterer Passagiere, ging es weiter in Richtung Tel Aviv. Nachdem uns nun ein dreistündiger Flug bevorstand, hatte ich genügend Zeit um mir in Ruhe das Cockpit anzusehen. Etwas verblüfft musste ich feststellen das der Pilot, Co-Pilot und der Navigator verschiedene Uniformen trugen.
Auf Anfrage bekam auch schon die Antwort serviert, der Pilot war von der Government Flying Service, der Co-Pilot von der damaligen Slovak Airlines und unser Navigator war von der in Poprad beheimateten Air Transport Europe. Unsere Route nach Tel Aviv sollte unser über Ungarn, Rumänien, Bulgarien und deren Schwarzmeerküste in die Türkei und weiter über Zypern, nach Tel Aviv führen.
Im Reiseflug ist Zeit für ein Mütze Schlaf
Inzwischen hatte ich mich auch schon mit unseren Navigator angefreundet und wir kamen ins Gespräch über die noch junge Slowakische Luftfahrtgeschichte. Nachdem wir unsere Reiseflughöhe von 37.000 Fuß erreicht hatten und der Autopilot die Arbeit übernommen hatte, konnte ich feststellen, das der Pilot der vor mir sass ,den Kopf zur Seite neigte.
Was war geschehen? Ich fragte den Navigator scherzhaft, ob der Pilot wohl eingeschlafen sei? Mein Navigator beruhigte mich darauf hin mit den Worten "Ja das ist normal nach den Start, wenn der Autopilot den Flug übernimmt …“
Also gut "be cool", schließlich waren wir ja zu fünft im Cockpit, wäre da nicht noch der etwas unsicher wirkende Co-Pilot an Bord gewesen. Inzwischen übernahm ich die Tätigkeit des Stewards und versorgte die Crew mit Getränken. Schon nach kurzer Zeit hatte ich mich mit der Crew angefreundet und wurde voll integriert, was auch mir sichtlich Spaß machte. Zwar war ich inzwischen schon öfters im Cockpit mitgeflogen, eine so lockere Atmosphäre wie an Bord dieser Tupolev hatte ich jedoch noch nie erlebt.
Obwohl sich unser Pilot für einen kurzen Schlaf verabschiedete, waren noch drei weitere Crewmitglieder an Bord, die unseren Flugverlauf überwachten. Unser Navigator hatte zwar keinen Pilotenschein, man hätte ihm aber ohne Probleme den Pilotensitz anvertrauen können, hatte er doch schon 25 Dienstjahre Erfahrung auf der TU- 154 sammeln können und flog, so wie die meisten Crewmitglieder, früher bei der CSA. Die Zeit verging wie im Flüge und nach fast exakt drei Stunden landeten wir in Tel Aviv.
Das Fahrwerk der TU 154 erlaubt auch Starts- und Landungen von unbefestigten Pisten, wie sie vor allen Dingen im Osten Russlands häufig anzutreffen sind
Massive Sicherheitsvorkehrungen in Tel Aviv
Dieser Flughafen wäre fast ein Spotter Paradies, wären da nicht die vielen Sicherheitsleute. Während unseres Landeanfluges konnte ich an die zehn Boeing 707 sowie mehrere DC-3 des Militärs beobachten. Unmittelbar nach unserer Landung, nachdem die Passagiere die Maschine verlassen hatten, kam auch schon ein Sicherheitsmann an Bord und durchsuchte das Flugzeug. Nach einen einstündigen Aufenthalt in Tel Aviv, starteten wir wieder unsere Turbinen und machten uns auf den Weg nach Bratislava.
Nach dem Start war alles normal, der Pilot machte wieder sein Nickerchen, der Autopilot funktionierte, wäre da nur nicht dieser etwas unsicher wirkende Co-Pilot gewesen. Den Hinflug hatte ja noch der Kapitän übernommen, zurück ging es jedoch mit unseren Copiloten, der das jetzt das Kommando inne hatte.
Inzwischen hatte ich mir eine kurze Pause mit einen Mittagessen in der First Class Lounge, im vorderen Teil der Maschine, gegönnt. Neben den Regierungsflügen kam diese Maschine ja auch wie bereits erwähnt bei den Papst Besuch in der Slowakei zum Einsatz. Meine erste und wohl auch letzte Möglichkeit, um auf einen Papstsessel Platz zu nehmen!
Feuer an Bord?
Dann während des Rückfluges über Bulgarien war plötzlich im Cockpit Brandgeruch wahrnehmbar. Schnell wurde auch wieder unser Kapitän hellwach und irgendwie machte die gesamte Crew einen etwas nervösen Eindruck. Einschließlich mir natürlich, hatte ich doch erst wenige Wochen zuvor das Buch „ Der Absturz der Swissair 111“ gelesen. Die Ursache des Brandgeruches konnte nicht gefunden werden und so stieg ein mitfliegender Techniker hinunter in das Technik-Compartment unter dem Cockpit. Ich zählte bereits die letzten Sekunden meines Lebens und überlegte wie lange wohl der Notabstieg aus 39.000 Fuß dauern würde?
Entwarnung
Der Brandgeruch verzog sich wieder und der Techniker unter dem Cockpit konnte auch keine Ursache für den Geruch feststellen.Kaum war der erste Schreck verflogen, klopfte es einige Minuten später wieder an unserer Tür. Die nächste Schreckensmeldung?
Nein, es war nur der Steward der einen Passagier mitbrachte, einen besonderen Passagier wie sich herausstellte. Eine Nonne auf ihren Rückweg aus dem heiligen Land Israel wollte einmal wissen, wie den das da vorne aussieht? Nach einen langen Gespräch und einigen Fotos inmitten der Piloten war uns klar, dass uns bei diesen Flug , mit soviel göttlichem Beistand, wirklich nichts mehr passieren konnte.
Abschließend stand uns nun nur noch die Landung unseres Co-Piloten bevor. Augen zu und durch hieß es für mich, doch wie man an meinen Bericht erkennen kann, klappte auch diese nahezu perfekt und wir landeten pünktlich in Bratislava.
Glücklich und zufrieden verließ ich das Cockpit mit einem letzten Dank an die Crew. Nach fast sieben Stunden „Jump Seat“ sollte dieser Flug für mich ein unvergessliches Erlebnis sein, an das ich auch heute noch gerne zurück denke.
Nach 7 Stunden war ein erlebnisreicher Flugtag für mich zu Ende
Inzwischen haben sich die Zeiten in der Slowakei und damit auch bei der Slovak Government Flying Service geändert, heute werden dieselben Standards im Cockpit wie bei allen anderen Fluggesellschaften angewendet. Leider ist zu befürchten, dass die TU-154 & Yak 40 der Regierungsflotte auch bald der Geschichte angehören könnten und durch moderneres Gerät abgelöst werden.
Stichwort Tupolev TU 154:
Bei der Tupolev TU 154 handelt es sich um einen dreistrahligen Tiefdecker mit T-Leitwerk, ähnlich der Boeing 727. Der Prototyp flog 1968 zum ersten Mal, ab 1971 folgte die Auslieferung an die Aeroflot und Fluglinien in befreundeten sozialistischen Staaten. Ursprünglich als Mittelstreckenflugzeug konzipiert, wurde die TU 154 mitunter auch im Langstreckensegment eingesetzt. Die TU 154M wurde ab 1984 an die Betreiber ausgeliefert und ist die letzte Version dieses Typs. Sie wird regulär mit einer 3köpfigen Flugcrew operiert. In der reinen Passagierversion bietet die TU 154 maximal 180 Passagieren Platz. Bis zum Jahr 2009 hatten die meisten Fluggesellschaften die TU 154 aufgrund ihrer hohen Betriebskosten ausgemustert. Sie ist gegenwärtig vorwiegend noch in einigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, im Iran und in der Volksrepublik China im Einsatz. Insgesamt wurden etwa 900 Exemplare aller Versionen produziert, von denen allein die sowjetische / russische Aeroflot rund 300 im Einsatz hatte.
Technische Daten (TU 154M):
- Länge: 60,90 Meter
- Spannweite: 37,55 Meter
- Höhe: 11,40 Meter
- Max. Stargewicht: 100.000 Kilogramm
- Max. Landegewicht: 80.000 Kilogramm
- Maximale Passagierkapazität: 180 (Einklassenbestuhlung 3+3)
- Reichweite: ca. 4.000 Kilometer (abhängig von Beladung und Wetterverhältnissen)
- Flugbesatzung: 1 Kapitän, 1 Kopilot, 1 Flugingenieur (gesetzlich vorgeschriebene Mindestbesatzung) - bei Langstrecken- und VIP/Regierungsflügen kann die Besatzung noch um einen Navigator und/oder Funker erweitert werden
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Links:
Tupolev (Hersteller der TU 154)
Fotos von TU 154 in Wien (Airliners.net)
Fotos von TU 154 in Bratislava/Pressburg (Airliners.net)
Tupolev TU 154 Videos (Youtube)
Text & Fotos: Martin Dichler
Der Autor ist ein profunder Kenner der österreichischen und osteuropäischen Luftfahrt sowie Obmann der Flughafenfreunde Wien.