Punktlandung

Russischer Bestseller im ehemaligen Ostblock - Tupolev TU 154

Letzte Aktualisierung: 12. April 2010 / 20:00 Uhr

 

Imposante Erscheinung und Objekt der Begierde vieler Planespotter: Tupolev TU 154 - Foto: Roland Bergmann - http://www.spotterteam-graz.at

Wenn ein Flugzeug abstürzt, ist das Medienecho entsprechend groß. Noch viel größer ist es jedoch, wenn das abgestürzte Muster eine russische Maschine war. Zumeist wird dann in den Medien von den vermeintlich "unsicheren, alten russischen Flugzeugen" gesprochen, eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema, eine differenzierte Betrachtung findet kaum statt. Der internationale Luftfahrtjournalist und Austrian Wings Mitarbeiter Franz Zussner setzt sich in einer Austrian Wings Punklandung aus gegebenem Anlass mit der Tupolev TU 154 auseinander und geht der Frage nach, ob sie wirklich ein "unsicheres" Flugzeug ist.

Eigentlich war bzw. ist sie besser, als ihr legendärer Ruf.  Seit dem Produktionsbeginn im Jahre 1968, der Indienststellung bei der damaligen (sowjetischen) Aeroflot im Jahre 1972 und heute, gab es zahlreiche Unfälle und Abstürze mit vielen Verletzten und Toten.

Aeroflot war einer Hauptnutzer der TU 154 und stellte die letzte Maschine erst Ende 2009 außer Dienst - Foto: Thomas Posch (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)

Trotzdem wurden bis Mitte 2006, dem offiziellen Produktionsende der Tu-154, rund eintausend Exemplare ausgeliefert. Vor allem die befreundeten, ehemaligen kommunistischen Oststaaten sowie einige andere, dem sowjetischen Einflußbereich zuzuordnende Staaten, flogen den großen „Dreistrahler“ aus russischer
Produktion.

Auch die inzwischen untergegangene Balkan Bulgarian zählte zu den Betreibern der TU 154 und setzte sie auf Flügen nach Westeuropa ein; hier eine TU 154B, aufgenommen 1976 in London Heathrow - Foto: Kevin Rowett (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)

TU 154 ein weitverbreitetes sicheres "Arbeitstier"

Noch heute ist sie bei einigen Airlines aus dem ehemaligen Ostblock, in den GUS-Staaten, sowie im Iran und bei einigen, nicht näher definierten afrikanischen Airlines, und im Charterverkehr im Einsatz.

Diese Maschine wurde 2008 in Antalya fotografiert - Foto: Thomas Posch (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)

Diese farbenfrohe TU 154M wird von Dagestan Airlines betrieben - Foto: Thomas Posch (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)


Kish Air betreibt, neben MD 80 und Fokker 100 auch zwei Tupolev TU 154 (Stand Februar 2008) - Foto: Alireza (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)

Bei bester Wartung und hervorragend geschultem Personal, ist die Tu-154 M – das modernste Muster aus der Tu 154 Serie – nach wie vor ein wohl auch sicheres Flugzeug, das nicht alle Tage vom Himmel fällt.

Diese TU 154M der Rossiya besuchte Berlin Schönefeld am 25. Mai 2009 - Foto: Jessica Hambsch (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)

Wenn sich natürlich die Cockpit-Crew, mehr oder weniger, fahrlässig verhält und bei schlechtester Sicht mehrmals auf einem Flughafen zu landen versucht, der technisch nicht gut ausgestattet ist, und beispielsweise nicht einmal über ein Instrumentenlandesystem (ILS) verfügt, dann trifft auch das bestgewartette Flugzeug keine Schuld am Absturz.

Häufig ist die TU 154 auch im Iran anzutreffen, wobei die Maschinen oftmals von russischen Besatzungen geflogen werden - Foto: Tiyam (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)

Eisener Vorhang

Die russische (sowjetische) zivile Flugzeugproduktion mit ihren „Iljuschin`s, Tupolew`s“ Antonow`s usw. , hatte im Osten einen mindestens ebenso legendären Ruf, wie die Luftfahrtproduzenten „Boeing, McDonnel-Douglas, Lockheed“ und später „Airbus“ im Westen.

Start einer Tupolev TU 154 in Berlin Schönefeld - Quelle: Youtube

In diesem Sinne bildete, abgesehen von militärischen Produkten, auch die zivile Luftfahrzeugproduktion, einen „Eisernen Vorhang“!

Der „Westen“ bestellte seine Flugzeuge in den USA und Westeuropa, der „Osten“ in der Sowjetunion. Dies blieb, bis auf wenige Ausnahmen, bis zum Fall des „Eisernen Vorhanges“ im Jahre 1989, im Wesentlichen so.

Über 20 Jahre lang setzte Aeroflot die TU 154 regelmäßig auch nach Wien ein; hier ein Bild aus dem jahr 2005 - Foto: Thierry Deutsch (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)

Erst danach hatten auch Airlines aus dem ehemaligen Ostblock die Möglichkeit, „westliches Gerät“ zu ordern; auch neue Vorschriften in der Zivilluftfahrt erforderten immer öfter diese Vorgangweise.

Die eigentliche Heimat der TU 154 sind heute wieder die unendlichen Weiten Russlands; hier eine Maschine der Vladivostok Air, aufgenommen bei der Landung in Yuzhno Sakhalinsk-Komutovo - Foto: Oleg Chaplin (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)

Deshalb kamen, trotz intensiver Bemühungen neue Flugzeuge in Kooperation mit westeuropäischen und amerikanischen Herstellern zu entwickeln, die russischen Flugzeugbauer, immer mehr in Bedrängnis, da ihre ehemaligen Kunden aus dem Osten, häufiger zu moderneren Produkten aus den USA und Westeuropa tendierten.

Landung einer TU 154, aufgenommen aus dem Cockpit - Quelle: Youtube

Mit der Tu-204, der Tu-214 sowie dem neuen „Suchoi Superjet 100“ gelang den Russen, in Zusammenarbeit mit westlichen Firmen, ein toller Fortschritt, aus dem eventuell, nicht nur im Osten, der eine oder andere Verkaufsschlager dabei sein dürfte. Doch zurück zur Tu-154.

Gebaut auch für unbefestigte Pisten

Der Jungfernflug der großen dreistrahligen Tu-154 fand im Jahre 1968 statt. 1972 stellte die staatliche Aeroflot die ersten Muster diese Mittelstreckenjets in Dienst.

Sie ersetzte die veraltete Tu-104 sowie die Antonov 10. Insgesamt wurden fast 1000 Exemplare - davon über 300 an die Aeroflot - dieses, immer wieder weiterentwickelten Musters, an die diversen Airlines ausgeliefert.

Donavia ist eine Tochter der Aeroflot und trug bis Ende September 2009 den Namen "Aeroflot Don"; sie setzt auch heute noch, neben westlichen Flugzeugtypen, auf die unverwüstliche TU 154

Mit ihren drei Strahltriebwerken vom Typ Kusnezow NK-8-2U mit je 103kN Schubkraft, erreichte sie eine Reisegeschwindigkeit von rund 850 km/h und eine Reichweite von rund 4.000 Kilometer. Der „freitragende Tiefdecker“ mit seinen um 35 Grad gepfeilten Flügeln (kritisches Tragflächenprofil) sowie seinen dreiachsigen Stützen des Hauptfahrwerkes (12 Räder), kann auch von unbefestigten Pisten aus operieren.

Durch stärkere Triebwerke, wiederum aus dem Hause Kuszenzow, konnte das maximale Startgewicht auf über 90 Tonnen erhöht werden und führte in weitere Folge zu den Varianten Tu-154A und Tu-154B, sowie zu einer reinen Frachtversion unter der Bezeichnung Tu-154S.

Trotzdem war der östliche Verkaufsschlager für die westeuropäischen neuen Lärmstandards viel zu laut, sodass der Jet immer mehr von westeuropäischen Airports verbannt wurde.

Die TU 154M

Dies veranlasste den Hersteller, eine neues Derivat herzustellen und mit der Bezeichnung Tu-154M kam diese neue Variante im Jahre 1982 auf den Markt. Neue, leisere und wirtschaftlichere Triebwerke vom Typ „Solowjow D-30KU-Turbofans“ machten den Jet wieder fit für den Anflug auf westeuropäische Airports mit ihren neuen Lärmvorschriften.

Die TU 154M war lange Jahre im Rahmen des "Wintercharterprogramms" auch in Salzburg zu Gast; obwohl sie im Vergleich zu früheren Versionen deutlich weniger Lärm verursacht, darf auch dieser Typ seit letztem Jahr nicht mehr in die Mozartstadt fliegen, aus Lärmschutzgründen - Foto: Thomas Posch (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)


Ein weiterer Chartergast in Salzburg, aufgenommen am 13. Januar 2007 - Foto: Mathias Hening (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)

 

Ferner ermöglichten diese neuen Triebwerke eine neuerliche Erhöhung des Startgewichtes auf knapp über 100 Tonnen sowie eine Erhöhung der maximalen Reisegeschwindigkeit auf rund 950 km/h. Damit ist sie nach dem Rückzug der überschallschnellen „Concorde“ der derzeit schnellste Jet am Luftfahrthimmel.

Vom Aussehen her gleicht die Tu-154(M) der Boeing B727, die ebenfalls, bis auf wenige Ausnahmen (Frachter) vom europäischen Markt verschwunden ist.

Auch innerrussisch werden die TU 154 immer öfter durch westliches Fluggerät ersetzt und abgestellt wie hier am Flughafen Moskau Domededovo - Foto: Thomas Posch (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)

Zu einer weiteren Modernisierung zur Tu-154.100 mit modernem„Glascockpit“ wie es heute in den Boeings, Airbussen und Embraers etc. zu finden ist, konnte man sich nicht mehr entschließen.

Im Cockpit der TU 154M arbeiten Kapitän, Copilot und Flugingenieur; in früheren Versionen kamen noch der Funker und der Navigator hinzu - Foto: Manuel Marin (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)

Jedoch forciert man in Russland die Weiterentwicklung der Tu-154 als Flugzeug, das mit Flüssigwasserstoff bzw. Erdgas, angetrieben werden kann, und als Tu-155 bzw. als Tu-156 wurden 1988 bzw. 1989 schon Versuchsflüge unternommen.

Viele Unfälle, trotzdem sicher

Eine genaue Unfallstatistik früherer sowjetischer und jetzt russischer Flugzeuge lässt sich nicht gesichert ermitteln.

Informationen darüber drangen vor der Wende kaum und ganz präzise auch jetzt nicht, so unbedingt nach außen.

30 schwere Unfälle soll es in den letzten 30 Jahren mit Flugzeugen vom Typ Tu-154 gegeben haben. Außerdem gab es einen hohen Anteil an Tu-154 Verlusten durch Kollisionen (siehe Überlingen am Bodensee im Juli 2002)!

Die Internetdatenbank „Aviaton Safety Network“ spricht von 66 durch Unfälle verloren gegangenen TU 154.

Wie schon eingangs erwähnt, ist bei regelmäßiger und gründlicher Wartung unter Verwendung von Origninalersatzteilen sowie perfekt ausgebildeter und zusammenarbeitender Cockpit-Crew, die alle Sicherheitsbestimmungen einhält, ein schwerer Unfall mit einer Tu-154M ebenso wenig vorstellbar, wie bei westlichem Fluggerät.

Auch die russische S7, die ein Kaufangebot für die österreichische AUA gelegt hatte, setzte die TU 154 viele Jahre lang ein - Foto: Thomas Posch (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)

Ausnahmen bestätigen die Regel. Aeroflot hat somit, unabhängig davon, ihre letze Tu-154M am 31. Dezember 2009 ausgemustert und fliegt, zumindest nach Westeuropa und Übersee, nur mehr mit Passagierflugzeugen westlicher Provenienz.

Diese TU 154 der Aeroflot in Sonderbemalung wurde im Mai noch auf einem Flug nach Mailand gesichtet - 3 Monate nach der offiziellen Außerdienststellung dieses Musters - Foto: Dimitry Petrov

Ausgemusterte und abgestellte TU 154 der Aeroflot in Moskau - beide Fotos: Dimitry Petrov

Die russische Pulkovo Airlines war der letzte Betreiber, der die TU 154 regelmäßig nach Wien einsetzte; hier ein Bild von der Landung auf der Piste 16 im Sommer 2006 - Foto: P. Radosta / Austrian Wings (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)

Die Unglückstupolev von Smolensk

Die am Samstag, dem 10. April 2010, beim Anflug auf Smolensk, Russland verunglückte Tu-154M mit der Nr. 101 der polnischen Regierung, war 21 Jahre alt und kam erst im Dezember 2009 frisch aus der Grundüberholung aus der Werft in Warschau und war daher, von technischer Seite her betrachtet, zweifelsohne tadellos einsatzfähig.

Vermutlich eines der letzten Bilder der am 10. April 2010 bei Smolensk verunglückten "101", aufgenommen rund 40 Stunden vor dem Absturz bei einem Bsuch der Maschine in Prag - Foto: Timo Breidenstein

Zum Absturz dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit ausschließlich ein Pilotenfehler geführt haben, da der Flugzeugführer laut Medienberichten sämtliche Warnungen der Fluglotsen in Weissrussland und vom Airport in Smolensk, ignoriert haben dürfte.

Eine russische Maschine, die eine halbe Stunde davor ebenfalls in Smolensk landen sollte, ist wegen des schlechten Wetters, zum Ausgangsflughafen zurückgekehrt.

Die in Smolensk abgestürzte "101" bei ihrem Besuch in Wien im Sommer 2006 anlässlich des EU/Lateinamerikagipfels - Foto: P. Radosta / Austrian Wings (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)

Der Flugschreiber als auch der Cockpit-Voice-Recorder wurden angeblich gefunden und deren Auswertung wird dann Licht ins Absturzdunkel bringen.

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Text: Franz Zussner

Wir danken allen Fotografen für das kurzfristige zur Verfügung stellen ihres Fotomaterials! / We express our special thanks to all photographers who provided their pictures for this story!

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.