In ersten Meldungen nach dem Unglück war noch von bis zu 132 Menschen an Bord die Rede gewesen. Laut einem Bericht im "AV-Herald" hat die polnische Regierung zwischenzeitlich eine Passagierliste mit 89 Namen veröffentlicht. Eine Person habe den Flug jedoch versäumt, hieß es.
Die Maschine streifte beim Anflug in einer Höhe von 8 Metern mehrere Bäume, bevor sie etwa 1.200 Meter vor der Piste des Flughafens auf dem Boden aufschlug und in Flammen aufging.
Russische Medien berichteten übereinstimmend, dass es keine Überlebenden gebe. Der Gouverneur der Region Smolensk, Sergej Anufrijew sagte in einem Telefoninterview mit dem russischen Fernsehen, dass "keiner der Passagiere den Crash überlebt" habe. Die Sichtverhältnisse in der Region waren sehr schlecht.
1000 Meter Sicht erforderlich - Pilot versuchte Landung bei 400 Meter
So hätten für eine sichere Landung mindestens 1.000 Meter Sicht vorhanden gewesen sein müssen, zum Unglückszeitpunkt betrug die Sichtweite aufgrund von Nebel jedoch nur etwa 400 Meter.
Pilotenfehler als wahrscheinlichste Ursache
Über die Unglücksursache liegen noch keine gesicherten Erkenntnisse vor. Allerdings gilt derzeit ein Pilotenfehler als wahrscheinlich. Wie der ORF berichtet, hätte die russische Flugsicherung der Besatzung aufgrund des dichten Nebels in Smolensk empfohlen, Minsk oder Moskau anzufliegen, was diese jedoch abgelehnt habe. Stattdessen wurde der Flug nach Smolensk fortgesetzt.
"Ein Fehler der Crew beim Landeanflug ist augenscheinlich die Ursache des Unglücks", so die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti unter Berufung auf offizielle Stellen.
Als falsch herausgestellt haben sich mittlerweile Berichte, wonach die Tupolev schon drei Anflüge zuvor abgebrochen hatte. Die TU 154 befand sich im ersten Landeanflug und erhielt vom Flugverkehrslotsen die Empfehlung, einen anderen Flughafen anzufliegen, was der Pilot jedoch ablehnte.
Etwa eine Stunde zuvor, war eine russische Maschine vom Typ IL 76 nach zwei vergeblichen Landeversuchen nach Moskau umgeleitet worden. Eine polnische YAK 40 mit Journalisten an Bord konnte zuvor noch in Smolensk landen.
Die Maschine befand sich auf dem Weg von Warschau nach Katyn, wo der polnische Präsident mit seiner Delegation an einer Gedenkfeier für die Opfer von Katyn teilnehmen wollte.
Möglicherweise sah sich der Pilot deshalb einem besonderen Druck ausgesetzt; der ORF zitierte den Luftfahrtexperten Tomasz Szulc von der Technischen Hochschule in Breslau mit den Worten, dass dem Piloten vermutlich die "nötige Durchsetzungsfähigkeit" gefehlt habe.
Im Jahr 2008 habe sich, so der ORF weiter, ein Pilot über eine Anweisung des Präsidenten hinweggesetzt und einen Ausweichflughafen anstatt Tiflis angeflogen, woraufhin der Präsident 300 Kilometer mit dem Auto zurücklegen musste.
Kaczynski habe dem Piloten damals "Befehlsverweigerung" vorgeworfen, so der ORF weiter.
Flugschreiber geborgen
Die beiden Flugschreiber wurden bereits geborgen und zur Auswertung in ein Labor noch Moskau gebracht. Erste Ergebnisse des Cockpit Voice Recorders ergaben keine Hinweise auf technische Probleme, hieß es.
Das Massaker von Katyn
In Katyn waren im Zweiten Weltkrieg rund 22.000 polnische Offiziere ermordet worden.
Lange Zeit hatte Russland jede Beteiligung abgestritten und das Massaker den Deutschen angelastet. Erst 1990 erkannte der letzte sowjetische Staatschef, Michail Gorbatschow, die sowjetische/russische Verantwortung für den Massenmord offiziell an.
Stichwort "101"
Die "101" war eine von zwei von der polnischen Regierung betriebenen Tupolev TU 154M, ausgestattet mit 3 Soloviev D-30KU-154-II Turbinen.
Sie wurde, wie ihre Schwestermaschine, die "102" im Jahr 1990 ausgeliefert und vom 36. Specjalny Pulk Lotnictwa Transportowego (36th Special Air Transport Regiment) betrieben.
Stichwort Tupolev TU 154
Bei der Tupolev TU 154 handelt es sich um einen dreistrahligen Tiefdecker mit T-Leitwerk, ähnlich der Boeing 727. Der Prototyp flog 1968 zum ersten Mal, ab 1971 folgte die Auslieferung an die Aeroflot und Fluglinien in befreundeten sozialistischen Staaten. Ursprünglich als Mittelstreckenflugzeug konzipiert, wurde die TU 154 mitunter auch im Langstreckensegment eingesetzt. Die TU 154M wurde ab 1984 an die Betreiber ausgeliefert und ist die letzte Version dieses Typs. Sie wird regulär mit einer 3köpfigen Flugcrew operiert. In der reinen Passagierversion bietet die TU 154 maximal 180 Passagieren Platz.
Bis zum Jahr 2009 hatten die meisten Fluggesellschaften die TU 154 aufgrund ihrer hohen Betriebskosten ausgemustert. Sie ist gegenwärtig vorwiegend noch in einigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, im Iran und in der Volksrepublik China im Einsatz. Insgesamt wurden etwa 900 Exemplare aller Versionen produziert, von denen allein die sowjetische / russische Aeroflot rund 300 im Einsatz hatte.
Im (ehemaligen) Ostblock wurde und wird die Maschine auch als VIP- und Regierungsflugzeug sowie als militärisches Transport- und Verbindungsflugzeug eingesetzt.
Bis heute sind insgesamt 66 Tupolev TU 154 durch Unfälle verloren gegangen.
Technische Daten (TU 154M):
- Länge: 60,90 Meter
- Spannweite: 37,55 Meter
- Höhe: 11,40 Meter
- Max. Stargewicht: 100.000 Kilogramm
- Max. Landegewicht: 80.000 Kilogramm
- Maximale Passagierkapazität: 180 (Einklassenbestuhlung 3+3)
- Reichweite: ca. 4.000 Kilometer (abhängig von Beladung und Wetterverhältnissen)
- Flugbesatzung: 1 Kapitän, 1 Kopilot, 1 Flugingenieur (gesetzlich vorgeschriebene Mindestbesatzung) - bei Langstrecken- und VIP/Regierungsflügen kann die Besatzung noch um einen Navigator und/oder Funker erweitert werden
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Links:
Zeit im Bild Sondersendung zum Absturz (ORF)
Video auf ORF IPTV von der Unglücksstelle (2:50 Minuten)
Massaker von Katyn (Wikipedia)
(red)