Reportagen

25. Juli 2000: Absturz bei Gonesse - das Ende der Concorde

Letzte Aktualisierung: 07. Dezember 2010

 

Die Concorde im Flug - Foto: Aerospatiale

Heute auf den Tag genau vor 10 Jahren stürzte eine Concorde auf den Pariser Vorort Gonesse, wobei 113 Menschen ums Leben kamen. Mit der Concorde stürzte der Mythos des einzigen regelmäßig eingesetzten Überschallflugzeuges der Welt ab. Die Concorde wurde gegroundet und erst nach umfangreichen technischen Modifikationen wieder in Dienst gestellt. Doch von den Folgen des Absturzes sollte sie sich nie wieder erholten. Im Jahr 2003 wurde sie endgültig außer Dienst gestellt. Austrian Wings blickt für Sie auf die tragischen Ereignisse jenes Sommertages zurück.

Flug Air France 4590

Dienstag, 25. Juli 2000, Flughafen Paris Charles de Gaulle: 100 Passagiere, darunter 96 Deutsche und ein Österreicher, warten darauf, an Bord einer Concorde der Air France zu gehen, die sie nach New York befördern soll.

Flug AF 4590 ist dabei kein regulärer Linienflug, sondern ein Sondercharter der Reederei Peter Deichmann. In New York werden die Reisenden dann eine Kreuzfahrt mit der MS Deutschland antreten. So der Plan. Da noch eine Reparatur an einer der Schubumkehranlagen durchgeführt wird, vertreiben sich die Passagiere dieses Fluges die Zeit in der First Class Lounge der Air France.

Schließlich ist es soweit - das Boarding beginnt, die Passagiere nehmen in der engen Kabine des weltweit einzigen bis dahin ununterbrochen im Linieneinsatz stehenden Überschallverkehrsflugzeuges Platz.

Die Concorde bot 100 Passagieren in edlen, aber nicht unbedingt bequemen Sitzen Platz - Foto: Yu Ming

Noch nie war eine Concorde abgestürzt. In der Kabine kümmern sich sechs ausgewählte Flugbegleiter um das die hohen Ansprüche der betuchten Klientel. Während des Fluges werden sie Reisenden mit dem Service eines Haubenlokals verwöhnen.

Das Flugzeug

Nichts deutet zu diesem Zeitpunkt darauf hin, welchen dramatischen Verlauf Flug AF 4590 in Kürze nehmen wird. Die Concorde mit der Registrierung F-BTSC war die dritte gebaute Maschine und wurde im Jahr 1979 von Air France in Dienst gestellt.

Bis zu diesem Tag hatte sie 4.873 Starts und Landungen sowie 11.989 Flugstunden absolviert. Nicht viel für ein 21 Jahre altes Verkehrsflugzeug, doch die Concorde war besonders wartungsintensiv und hatte deshalb im Vergleich zu anderen Langstreckenflugzeugen verhältnismäßig wenige „Cycles“ und Flugstunden.

Die Crew

Im Cockpit versehen an diesem Tag Kapitän Christian Marty, Copilot Jean Marcot und Flugingenieur Jilles Jardinot ihren Dienst.

Alle drei sind erfahrene Air France Veteranen. Marty, 54 Jahre alt, verfügt über eine Gesamtflugerfahrung von 13.477 Flugstunden, davon 5.595 als Kapitän und 317 auf der Concorde, wovon er wiederum 284 selbst als Kapitän geflogen ist. Er blickt auf eine lange Karriere bei Air France zurück und hat bereits die Boeing 727, die Boeing 737, den Airbus A 300, den Airbus A 320 und den Airbus A 340 als Pilot geflogen. Darüber hinaus war er als Ausbilder tätig. Er erhielt sein „Rating“, also die Typenberechtigung für die Concorde am 16. August 1999, rund 1 Jahr vor dem Unfall.

Der 50jährige Copilot Marcot hat 10.035 Flugstunden in seinem Flugbuch stehen. Knapp 2.700 Stunden ist er seit dem Jahr 1989 im Cockpit der Concorde gesessen und verfügt damit auf dem Muster über deutlich mehr Erfahrung als der Kapitän.

Jilles Jardinot, der Flugingeneur, fliegt seit dem Jahr 1968 für Air France und war bereits auf den Mustern Caravelle, Boeing 727 und Boeing 747 eingesetzt. Darüber hinaus verfügt er auch über ein Typerating als Pilot für Boeing 737, Falcon 20 und Boeing 747-400. Seine Gesamtflugerfahrung beträgt 12.532 Stunden, davon 937 als Flugingenieur auf der Concorde, auf der er seit 1997 eingesetzt ist.

In der Kabine arbeitet eine sechsköpfige Mannschaft unter der Leitung 36jährigen Service Managerin. Sie fliegt seit 1986 für Air France, seit 1992 auf der Concorde. Die übrigen Flugbegleiter, darunter zwei Herren, sind zwischen 27 und 49 Jahre alt.

Flugvorbereitungen

Die Concorde ist an diesem Tag mit 186,9 Tonnen Startgewicht, davon 95 Tonnen Kraftstoff, absolut an ihrem Limit, eigentlich schon knapp darüber.

Die Crew errechnet als V1, das ist jene Geschwindigkeit, bei der ein Start noch sicher abgebrochen werden kann, 150 Knoten. Vr („Rotate“, hier hebt das Flugzeug vom Boden ab) liegt bei 198 Knoten und V2 bei 220 Knoten, was bedeutet, dass die Concorde im Falle eines Triebwerksausfalles eine minimale Fluggeschwindigkeit von 220 Knoten haben muss, um sicher in der Luft gehalten werden zu können.

Um 13:58 Uhr und 27 Sekunden nimmt der Copilot Kontakt mit der Flugsicherung auf und erbittet für den Start um 14:30 die gesamte Länge der Piste 26R.

Rund eine halbe Stunde später, das Boarding ist abgeschlossen und die Kabine gesichert, erteilt der Fluglotse Flug 4590 die Genehmigung über den Rollweg Romeo zum Haltepunkt der Piste 26R zu rollen. Es ist 14:34 Uhr und 38 Sekunden.

Etwa 8 Minuten später, um 14:42 Uhr und 17 Sekunden erhält die Concorde die Startfreigabe; der leichte Rückenwind von 8 Knoten aus 090 Grad ist angesichts des maximal ausgeschöpften Startgewichtes nicht optimal.

Die Tragödie beginnt

Paris, Charles de Gaulle Flughafen, 14:42 Uhr und 31 Sekunden: der Kapitän leitet den Startvorgang ein, die vier Schubhebel werden nach vorne geschoben.

Volle Leistung. Die Nachbrenner zünden. 23,6 Sekunden später ruft Copilot Marcot „100 Knoten“ aus, neun Sekunden später „V1“.

Nun gibt es kein Zurück mehr. Die Concorde muss in die Luft. Wenige Sekunden später überrollt die Concorde einen etwa 30cm langen Metallstreifen, der von einer zuvor gestarteten DC 10 der Continental stammt.

Dieser kleine Metallstreifen penetrierte die Reifen der Concorde ...
... deren Gummiteile anschließend die Treibstofftanks durchschlugen - Fotos: BEA
Rekonstruktion - Foto: BEA

Dieser zerstört Reifen Nummer 2 des linken Hauptfahrwerks. Teile des Reifens lösen sich und durchschlagen die Unterseite der linken Tragfläche. Wie Granatsplitter. Aus Treibstofftank Nummer 5 tritt Treibstoff aus, der sich sofort entzündet.

Ein Stück aus Tank Nr. 5 - Foto: BEA

Der Pilot Sid Hare, der das Unglück von seinem Hotelfenster aus mitverfolgte, sagte gegenüber dem amerikanischen Nachrichtensender CNN am Telefon:

„Die Maschine hat sichtlich Mühe gehabt, Höhe zu gewinnen. Sie zog eine fast hundert Meter lange Flamme hinter sich her. Dann riss offenbar die Luftströmung ab, die Maschine richtete sich senkrecht auf und kippte kurz darauf über die linke Seite ab.“

Die Triebwerke 1 und 2 verlieren Leistung, Nummer 2 relativ stark, Nummer 1 verhältnismäßig wenig.

Das Schicksal der Concorde ist besiegelt

14:43 Uhr und 13 Sekunden - Kapitän Marty versucht das Unmögliche: die Concorde driftet aufgrund des asymmetrischen Schubs nach links und droht mit einer Boeing 747 zu kollidieren, weshalb Marty am Steuerhorn zieht und versucht, die Concorde zu rotieren.

Deutlich ist links der Piste (in Startrichtung gesehen) verbranntes Gras zu erkennen - Foto: BEA

Gleichzeitig informiert der Kontrollturm die Besatzung über „Flammen“ hinter der Concorde.

Der Flugingenieur meldet den Schubkraftverlust auf Triebwerk Nummer 2. Neun Sekunden später ertönt im Cockpit die Feuerwarnung, er schaltet Triebwerk Nummer 2 ab. Gleichzeitig gibt Kommandant Christian Marty den Befehl, das „Engine Fire Procedure“ abzuarbeiten. Die Feuerlöscheinheit für Triebwerk Nr 2. wird ausgelöst, die Feuerwarnung verstummt, um nach wenigen Sekunden wieder aufzuheulen. Sie wird erst mit dem Absturz enden.

Die weidwunde Concorde fliegt nur noch mit drei Triebwerken, wovon eines ebenfalls an Leistung verliert und kann sich mit 200 Knoten (20 Knoten unter der Mindestgeschwindigkeit für einen sicheren Steigflug bei Triebwerksausfall!) gerade noch so in der Luft halten.

Der Copilot weist seinen Kommandanten mehrfach mit den Worten „watch the speed“ auf die zu niedrige Geschwindigkeit hin.

Dieser gibt, im Bewusstsein der prekären Situation, Anweisung, das Fahrwerk einzufahren, um den Luftwiderstand zu verringern und damit die Geschwindigkeit zu erhöhen. Doch aufgrund der schweren Schäden, die die Concorde erlitten hat, funktioniert auch die Hydraulik nur noch mangelhaft. Das Fahrwerk lässt sich nicht einfahren, was der Erste Offizier um 14:43 Uhr und 56 Sekunden dem Kapitän meldet. Drei Sekunden später ertönt das Bodenannäherungswarngerät mehrfach.

Amateurfilmer nahmen die letzten Sekunden der Unglücksconcorde auf Video auf - Quelle: Youtube

Der Copilot setzt einen Funkspruch ab, dass man versuchen werde, den Militärflughafen Le Bourget zu erreichen. Der Flugingenieur stellt nun auch Triebwerk Nummer 1 ab, ein von Experten später kritisiertes Fehlverhalten. Die Concorde hätte in diesem Moment jedes Quentchen Schub gebraucht, auch von einem brennenden Triebwerk. Hauptsache Schub!

Um 14:44 Uhr und 31,6 Sekunden, nur 2 Minuten nachdem Kapitän Marty die Schubhebel nach vorne geschoben hat, ist Flug 4590 zu Ende - die Concorde stürzt auf ein Hotel bei Gonesse, wobei alle 109 Menschen an Bord und 4 Personen am Boden sterben. Sechs weitere erleiden Verletzungen.

Die Absturzstelle aus der Luft betrachtet - Foto: BEA
Nur kleinste Trümmerteile blieben übrig - Foto: BEA
Diese Aufnahme verdeutlicht, wie knapp Paris an einer größeren Katastrophe vorbeigeschrammt ist; nur wenige hundert Meter weiter, und die Concorde wäre in dicht verbautes Gebiet gestürzt - Foto: BEA

Amateure filmen die brennende Concorde, die verzweifelt versucht an Höhe zu gewinnen. Die Bilder gehen um die Welt. Die Welt ist fassungslos.

Rechts das Instrumentenbrett des Kopiloten, in der Mitte die zentralen Triebwerksüberwachungsinstrumente - Foto: BEA

Frankreich ist fassungslos, der Stolz der zivilen Luftfahrt, das Meisterwerk, französisch-britischer Ingenieurskunst - abgestürzt, 109 Menschen tot.

Der Kompressor von Triebwerk Nummer 1 - Foto: BEA

Ursache und Konsequenzen

Nach dem Absturz von Paris legten British Airways und Air France, die beiden einzigen Betreiber, ihre Concorde-Flotten still. Im Rahmen der Untersuchungen gelangten nun auch ähnliche Vorfälle aus der Vergangenheit, die jedoch glimpflich ausgegangen waren und andere technische Probleme der Concorde, beispielsweise der Verlust eines Teils des Seitenleitwerks während des Fluges, ans Licht und ließen Zweifel an der Sicherheit dieses Flugzeugs aufkommen.

Erst nach umfangreichen Modifikationen, unter anderem wurden die Tanks mit Kevlar, einem Material, das im militärischen Bereich für Splitterschutzwesten und Panzerungen verwendet wird, verstärkt und neue Reifen entwickelt, durfte die Concorde wieder fliegen. Man schrieb den November des Jahres 2002.

Doch das Vertrauen der Passagiere in das einstige europäische Prestigeobjekt war verloren - der ohnedies nie gewinnbringende Betrieb konnte nicht länger aufrecht erhalten werden; zu groß die finanziellen Verluste. Darüber hinaus ereigneten sich nach Wiederindienststellung der Concorde mehrere bedenkliche Zwischenfälle, wie der internationale Fachjournalist, Pilot und Luftfahrtexperte Tim van Beveren auf seiner Homepage detailliert auflistet:

„So verzeichnete beispielsweise die British Airways in der Zeit vom 15. März bis zum 3. November 2002 allein 5 Triebwerksprobleme mit ihren Concordes. Nur 3 Tage nach dem letzten Vorfall musste auch eine Air France Concorde wegen eines ausgefallenen Triebwerkes ihre Reiseflughöhe von 56.000 Fuß verlassen und auch auf einem Flug von Paris nach New York versagte am 19. Februar 2003 das Triebwerk Nummer Drei. Gravierender Probleme zeichneten sich ebenfalls bereits im November 2002 ab: am 27. November verlor eine britische Concorde auf dem Flug von London nach New York ein Teil ihres Seitenruders. Das Gleiche wiederholte sich am 27. Februar 2003, diesmal wieder bei einer französischen Concorde auch mitten auf dem Flug nach New York.“

Auch namhafte Experten hatten ihre Zweifel an der Concorde und wagen nun auch, diese öffentlich zu äußern:

„Es ist höchst fragwürdig, ob die Concorde heute überhaupt zugelassen würde. Ich wage das zu bezweifeln.“

Prof. Dr. jur. Ronald Schmid

Dies alles führte schlussendlich dazu, dass British Airways und Air France den Betrieb der Concorde einstellten. Den Anfang machten die Franzosen im Mai 2003, British Airways folgte Ende September 2003.

Der allerletzte Flug einer Concorde fand am 26. 11. 2003 statt und führte sie über den Golf von Biscaya und endete schließlich am Ort ihrer Entstehung in Filton, im Museum.

Juristisches Nachspiel des Absturzes

Die Hinterbliebenen der Opfer einigten sich relativ rasch nach dem Unglück mit Air France und deren Versicherung auf Entschädigungszahlungen, die deutlich über den in den regulären Haftungsbedingungen enthaltenen Beträgen lagen, nämlich bei rund 1,5 Millionen Euro pro Opfer.

Seit 01. Februar 2010 müssen sich vor einem französischen Gericht fünf Angestellte von Continental Airlines und zwei hochrangige Angestellte der französischen Luftaufsichtsbehörde bzw. des Concorde Herstellers Aerospatiale wegen des Vorwurfs der „Fahrlässigen Tötung“ verantworten. Ein Urteil wird für Herbst dieses Jahres erwartet. Erst dann, mehr als 10 Jahre nach dem tragischen Absturz der Concorde, wird diese Akte wohl endgültig geschlossen werden können.

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Links:

Auto & Technikmuseum Sinsheim (Concorde & TU 144 ausgestellt)

Concorde SST

Tim van Beveren (Fachjournalist und Luftfahrtexperte)

Text: R. P.