Der Vorfall ereignete sich an Bord des A330-200, Reg.: D-ALPI, der sich mit 254 Passagieren und 10 Besatzungsmitgliedern auf dem Weg von New York JFK nach Berlin Tegel befand. Kurz nach dem Start trat in einer Höhe von rund 2.500 Fuß starker Geruch von "verschwitzten Pullovern" im vorderen Kabinenbereich sowie im Cockpit auf - ein klares Indiz für kontaminierte Kabinenluft. Seitens der Crew wurde der Geruch als Folge von über das Klimasystem in die Kabine eingedrungenem Öl identifiziert.
Der Steigflug wurde auf 38.000 Fuß fortgesetzt. Mehrere Mitglieder der Kabinenbesatzung klagten über Kopfschmerzen, die Piloten über Taubheitsgefühl in den Fingern, auch, wenn die Intensität des Geruchs abnahm.
Dennoch kehrte der Airbus nicht um, sondern flog weiter Richtung Berlin. Nachdem die Besatzung den Ölverbrauch der Turbinen genau kontrollierte, stellte sie nach 4 Stunden Ölverlust an Triebwerk Nummer 1 fest.
Während des Anfluges auf Berlin Tegel trat erneut starker Geruch in der Kabine auf. Die Landung in Berlin erfolgte schließlich nach insgesamt 7 Stunden Flugzeit.
Allen Mitgliedern der Flugcrew wurde Blut abgenommen, der Purser wurde stationär im Krankenhaus aufgenommen, konnte zwischenzeitlich jedoch bereits wieder "mit normalen Werten" entlassen werden, so Air Berlin.
Wartungstechniker meldeten dem "Aviation Herald" zufolge deutlich sichtbaren Ölverlust an den Dichtungen am Spinner des linken Triebwerks. Air Berlin stellte jedoch fest, dass der prinzipielle Ölverbrauch des Triebwerks laut Aufzeichnungen im "Technical Logbook" im Normalbereich gelegen sein soll.
Expertenkritik an Air Berlin
Ein von Austrian Wings konsultierter Experte für Toxikologie bezeichnete die Vorgehensweise, den Flug bis nach Deutschland fortzusetzen anstatt wieder in den USA zu landen, aus seiner Sicht als "unverantwortlich und unverständlich". Es wäre wünschenswert gewesen, bei Anhaltspunkten zu kontaminierter Kabinenluft die Flugzeit nicht auf einen Langstreckenflug auszudehnen, sondern eher zu landen, um das Problem genau zu evaluieren.
Tim van Beveren, Luftfahrtexperte und selbst Pilot, der seit vielen Jahren mit dem Thema "Aerotoxisches Syndrom" befasst ist: "Grob fahrlässig!" Und er wird noch deutlicher: "Hier sollte sich ein Staatsanwalt damit beschäftigen. Die Checkliste ist eindeutig."
Air Berlin-Sprecherin Alexandra Bakir wies darauf hin, dass offizielle Untersuchungen seitens der zuständigen Behörden für eine endgültige Einschätzung zu diesem Sachverhalt abgewartet werden müssten.
Air Berlin: "Keine schwere Störung"
Die Airline erklärte in einer Stellungnahme gegenüber Austrian Wings, dass eine "schwere Störung im Sinne der EU Verordnung 996/10" im konkreten Fall nicht vorgelegen habe.
"Die Crewmitglieder wurden von Air Berlin umgehend versorgt und sind direkt nach der Landung in Berlin vom Berufsgenossenschaftlichen und Arbeitsmedizinischen Dienst (BAD) untersucht worden", so Bakir.
Es konnte, so die Pressesprecherin, allerdings "bei keinem der Crewmitglieder ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Zwischenfall an Bord und den aufgetretenen Symptomen festgestellt werden".
Das betreffende Triebwerk sei dennoch "vorsichtshalber" ausgetauscht worden, obwohl "keine technische Notwendigkeit" vorgelegen habe.
Passagiere über mögliche Gesundheitsrisiken informiert?
Unbeantwortet ließ Air Berlin jedoch die Frage, ob die Passagiere des Fluges über die möglichen gesundheitsschädlichen Folgen eventuell eingeatmeter Öldämpfe informiert wurden. Selbst auf mehrfache Nachfrage reagierte das Unternehmen ausweichend - es hätten sich die Passagiere "nicht an die Crew gewandt", um gesundheitliche Beschwerden zu äußern. Ansonsten wäre eine entsprechende Versorgung eingeleitet worden - "Eine Selbstverständlichkeit", wie man bei Air Berlin betont.
Fraglich bleibt, ob Fluggäste allfällige Symptome wie Kopfschmerzen oder Übelkeit nicht auch auf einfache Reisekrankheit schieben könnten, ohne überhaupt an eine konkrete Gefährdung im Sinne verunreinigter Kabinenluft zu denken.
Ähnlicher Vorfall im Frühjahr 2011
Bereits im April dieses Jahres war Air Berlin durch einen ähnlichen Zwischenfall in die Kritik geraten. Hierzu erklärte die Airline heute, damals "korrekt" gehandelt zu haben. Dies hätten LBA und BFU bestätigt.
Austrian Wings TV-Tipp zum Thema
ARD "Monitor", 6. Oktober 2011, 22:00 Uhr: "Ahnungslose Flugpassagiere - Nervengift in der Kabinenluft"
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Sämtliche Austrian Wings Meldungen zum Thema
Links:
"Der Gestank alter Socken" (Artikel im "Spiegel", PDF)
Tim van Beveren (der international anerkannte Luftfahrtexperte und Pilot hat sich ausführlich mit dem Problem des "Aerotoxischen Syndroms" befasst und nimmt Meldungen von Verdachtsfällen betroffener Passagiere und Besatzungsmitglieder entgegen)
Welcome Aboard Toxic Airlines (DVD des ehemaligen Piloten Tristan Loraine)
Wissenschaftliche Studien zum Thema "Kontaminierte Kabinenluft"
Global Cabin Air Quality Executive
Auflistung bekannter Vorfälle seit 1983
Blog des ehemaligen Flugkapitäns Andreas Tittelbacher
Bericht auf "Umweltrundschau.de" zum Thema
(red)