Manchmal frage ich mich, warum ich mir all das hier eigentlich Tag für Tag antue. Diese Dienstzeiten, diese vielen unterschiedlichen und zum Teil sehr anstrengenden Menschen, diesen Stress. Ja, es ist etwas ganz Eigenartiges wenn man am Flughafen arbeitet. Es ist eine Art Hass-Liebe. Man kann nicht mit und man kann nicht ohne. Man fühlt sich sauwohl hier, und im nächsten Moment will man einfach nur alles hinschmeißen. Es ist ein regelmäßiges Wechselbad der Gefühle. Eines ist klar, man braucht hier verdammt starke Nerven. Den „ganz normalen Wahnsinn“, der sich am Check-in abspielt, kennen Sie sicher schon. Doch was passiert eigentlich danach? Was geschieht mit den Urlaubern, Geschäftsleuten, jungen Welteroberern und frustrierten Müttern, wenn sie den Check-In Schalter verlassen haben? Und wie geht es den immer lächelnden und freundlichen Passenger Service Agents, wenn sie den Wahnsinn überlebt haben? Machen sie erst einmal Pause? Nein, denn ...
... der ganz normale Wahnsinn geht weiter!
Es ist ein verdammt kalter Tag gegen Ende des Jahres. Morgen ist Weihnachten. Weihnachten!!! Das bedeutet keinesfalls Besinnlichkeit, Harmonie, Vorfreude oder „Liebe deinen Nächsten“. Nein. Wer das denkt, ist am Holzweg. Zumindest was den Flughafen betrifft. Hier bedeutet Weihnachten nur: Noch mehr Stress! Völlig überbuchte Flüge, Heulkrämpfe, Verzweiflung, Bitten und Betteln, und „Bekämpfe deinen Nächsten“.
Es ist 3 Uhr Morgens, als mein Wecker läutet. Widerwillig stehe ich auf, springe in meine frisch gebügelte und gestärkte Uniform, versuche mir den Schlaf aus dem Gesicht zu waschen und mir meine Augenringe weg zu schminken.
Als ich hinausgehe, stehe ich bis über die Knöchel im Schnee. Ich bin ohnehin schon knapp dran, und mein Auto ist irgendwo unter den Schneemassen vergraben. Und da faseln irgendwelche Wissenschaftler etwas von „Erderwärmung ...“
Nachdem ich meinen Wagen also unter Tonnen von Schnee endlich gefunden habe, kehre ich ihn erst einmal ab, bis ich einen Muskelkater im Arm habe.
Und dann ist Eiskratzen angesagt. Nach einer gefühlten halben (oder ganzen?) Ewigkeit, setzte ich mich endlich in mein Auto, kämpfe mit der immer wieder anlaufenden Windschutzscheibe und stelle mein Autoradio auf volle Lautstärke, damit ich auf dem Weg zum Flughafen nicht einschlafe.
Frühdienste sind eine Qual, aber nun mal „part of the game“. Doch Flughäfen und Passagiere nehmen darauf keine Rücksicht.
Schon gar nicht einen Tag vor Weihnachten. Im Radio faseln sie irgendwas von Tipps für erholsame Feiertage, Weihnachtsbäckereien, Festschmaus und Last Minute Geschenken. Dann spielen sie 'Kling Glöckchen Kling' und 'Alle Jahre wieder' auf und ab.
„Alle Jahre wieder“. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Alle Jahre wieder ist es der gleiche Zirkus am Airport.
Ich schleppe mich ins Flughafengebäude, flöße mir zunächst einmal jede Menge starken Kaffee in die Venen und atme tief durch. Als ich im Abflugterminal ankomme, trifft mich der Schlag. Menschen wohin man schaut. Lärm so weit man hören kann. Und dazwischen alle 5 Meter ein kleiner Christbaum mit goldenen und roten Schleifen, Kugeln und Lametta, um - krampfhaft - etwas Weihnachtsstimmung zu schaffen. Welchen hochbezahlten Beratern so etwas nur wieder eingefallen ist ...
Ich kämpfe mich durch die Menge, was gar nicht so einfach ist. Denn sobald man sich in Uniform unter die Leute mischt, ist man automatisch ein wandelnder Informationsschalter, eine Anlaufstelle für Wünsche, Anregungen und Beschwerden. Einfach ein Mädchen für alles.
Schon spüre ich einen Finger zwischen meinen Schulterblättern. Tupf, tupf, tupf. Genervt drehe ich mich um. „Wo muss ich hin, wenn ich nach Gran Canaria fliege?“ Ein höfliches „Entschuldigen Sie bitte“ oder „Kann ich Sie etwas fragen“ wäre natürlich zu viel verlangt.
Leicht genervt antworte ich: „Mit welcher Fluglinie fliegen Sie denn?“ „Nach Gran Canaria. Der Flug geht um 06:45.“ „Und mit welcher Fluglinie?“, wiederhole ich, schon kurz vor dem Nervenzusammenbruch. „Äh, das weiß ich jetzt nicht“, und schon habe ich einen weißen Zettel unter meiner Nase. Noch den Schlaf in den Augen, werfe ich einen Blick auf diese Buchungsbestätigung und deute auf einen Schalter keine zwei Meter neben uns.
Meine Güte, ist es denn wirklich zu viel verlangt, dass man sich als Passagier, als mündiger und wahlberechtigter Bürger, zumindest ein klein wenig mit seiner Buchungsbestätigung befasst und dann einfach auf die Monitore schaut und liest was drauf steht?
Und ein „Danke für Ihre Hilfe“ kann ich mir natürlich aufzeichnen. Ich bin jetzt schon ein halbes Wrack. Schließlich komme ich doch noch irgendwie an meinem Check-in Schalter an - auf dem selbstverständlich dekorativ ein Weihnachtsstern steht.
"Jetzt wird's lustig - der Flug ist überbucht"
Davor wartet schon eine ganze Meute an Menschen. Meine Kollegen arbeiten wie verzweifelte Roboter. Ihre Blicke sagen mehr als tausend Worte. Ich öffne meinen Schalter und los geht es. Hurraaaaaaaa! Die Maschine nach Stockholm ist restlos überbucht. Minus 2 in der Business Class und Minus 12 in der Economy. Na toll. Fleißig checken wir ein. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, lautet die Devise.
"Es gibt doch noch nette Passagiere"
Nach einer Weile werden unsere Kapazitäten knapp. Nur noch 3 freie Sitzplätze in der Eco. Gleich geht's los. Zu mir kommt ein älteres Ehepaar. Bestimmt seit 60 Jahren verheiratet. Zum Glück hab ich noch zwei Sitzplätze für sie. Sie wirken sehr gelassen und als ich ihnen mitteile, dass ich leider keine Plätze mehr nebeneinander habe, erwidern sie freundlich: „Das macht nichts Kindchen, es ist ja nur ein kurzer Flug und die Hauptsache ist, wir haben überhaupt einen Sitzplatz“. Sie wünschen mir noch frohe Weihnachten, schenken mir eine kleine Tafel Schokolade und gehen. Mir wird warm ums Herz. Es gibt doch noch freundliche und bescheidene Menschen. So etwas ist immer ein Höhepunkt, den man nur ganz selten erlebt.
Schon steht der nächste Passagier vor mir. Meine Lieblingssorte. Geschäftsmann im maßgeschneiderten Anzug, wie frisch aus dem Ei gepellt, mit spießiger Krawatte und übermäßig viel Handgepäck. Plätze gibt es jetzt keine mehr. Bereits 2 Passagiere sind auf der Warteliste. Schluck. Statt eines freundlichen Grüß Gotts, knallt er mir seine goldene Vielfliegerkarte hin, begleitet von einem „nach Stockholm, Aisle (Englisch für „Gangplatz“, Anm. d. Red.) vorne“.
Manche müssen krampfhaft ein englisches Wort einbauen, um damit ihr vorgebliches Fachwissen unter Beweis zu stellen. Lächerlich. Ich rufe nochmal den Sitzplan auf, um auf Nummer sicher zu gehen. Nein, da ist kein Sitzplatz mehr. Mir wird heiß. „Es tut mir sehr leid, aber die Maschine ist leider sehr voll und wir haben keine Plätze mehr. Wir können Sie nur auf Warteliste setzen.“ Ich rolle mit meinem Stuhl schon mal 1, 2 cm zurück. „Was? Sind sie wahnsinnig? Wie kann das sein? Ich habe ein fixes Ticket gebucht! Ich fliege 5 mal die Woche. Außerdem habe ich eine Goldkarte. Ich fliege auf jeden Fall mit!!!“ Schluck. Diese Reaktion war klar. Aber um ehrlich zu sein, in diesem Fall verstehe ich den Passagier sogar, denn er hat ja absolut Recht. Dennoch ist es für mich eine blöde Situation, an der ich nichts ändern kann.
„Ich verstehe Ihren Ärger absolut, aber wie gesagt, es gibt leider keine Plätze mehr, die Maschine ist voll“. „Das ist eine bodenlose Frechheit. Sie geben mir jetzt sofort meinen Boarding Pass!“ „Nein tut mir leid, ich kann hier am Check-in leider nichts für Sie tun, bitte wenden Sie sich an meine Kollegen vom Ticketschalter.“ Mit einem trotzigem Blick und einem „Ich fliege nie wieder mit dieser beschissenen Fluglinie!“, dreht er sich um und geht.
Uff. 1 Stunde und viele verärgerte Passagiere später, ist der Check-in vorüber. Endlich. Doch ich bin auch am Gate der Stockholm Maschine eingeteilt. Mit meinem Kollegen mache ich mich auf den Weg. Uns graut. Die meisten Passagiere, die keinen Sitzplatz bekommen haben, konnten zwar umgebucht werden, aber insgesamt 7 Fluggäste haben darauf bestanden, sich auf Warteliste setzen zu lassen, weil sie unbedingt nach Hause müssen. Immerhin ist morgen Weihnachten. Wir kommen ans Gate und die Passagiere warten schon auf uns. „Sie, ich brauche unbedingt einen Sitzplatz, man hat mir gesagt, dass ich den hier bekomme“. Uff. „Da haben Sie etwas falsch verstanden, Sie bekommen nur dann einen Sitzplatz, wenn ein anderer Passagier nicht erscheint und doch noch etwas frei wird. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings sehr gering.“
Oje, dieses Glitzern in den Augen kenne ich, gleich fängt sie an zu heulen. Tränen schießen aus ihren Augen und verzweifelt bettelt sie mich an: „Haben Sie denn keine Kinder? Verstehen Sie denn nicht, dass ich mit meiner Familie Weihnachten verbringen möchte?“. Schluchz. Heul. Rotz. „Natürlich verstehe ich das, aber wir können jetzt auch nicht ändern, dass die Maschine voll ist, es tut mir persönlich wirklich sehr leid.“
Das Telefon läutet. Ich hebe ab. Schlechte Nachrichten von unserem Ramp Agent. Eine der Enteisungsanlagen ist defekt, wodurch sich alle Abflüge auf unbestimmte Zeit verzögern werden.
Mist. Wie verklickern wir das den Passagieren? Mein Kollege und ich beraten uns kurz und schließlich machen wir eine Ansage, dass sich der Abflug um ca. 1 Stunde verspäten wird.
"Kopfrechnen ist wirklich verdammt schwierig"
„Eine Stunde? Wann kommen wir dann in Stockholm an?“ ertönt es aus der Menge. Diese Frage liebe ich. Schließlich kann man sie sich selbst beantworten indem man auf die geplante Ankunftszeit einfach eine Stunde draufschlägt. Ich antworte: „Ungefähr um 9 Uhr.“ „Aber ich habe um halb 10 einen wichtigen Termin. Das schaffe ich nie, selbst wenn ich mit dem Taxi in die Stadt fahre.“ Ach so, wenn das so ist, dann fliegen wir natürlich pünktlich und verzichten auf das Enteisen, auch auf die Gefahr hin, dass die Maschine dann abstürzt. Was können wir denn dafür, wenn derzeit nur eine Enteisungsanlage in Betrieb ist und dadurch viele Flüge verspätet sind. Bei allem Verständnis, aber Verspätungen gehören nun einmal zum Flugbetrieb dazu wie der tägliche Stau auf der Tangente in Wien.
"Regel 1: Wir sind immer schuld"
Höflich und freundlich erwidere ich: „Vielleicht kann die Maschine ja doch etwas früher fliegen, aber momentan können wir leider nur abwarten.“ „Also unter Kundenservice verstehe ich etwas anderes“, pfaucht er mich an. In Ordnung. Wir armen Gate Agents sind mal wieder die Schuldigen. Eh klar. Wir haben die Enteisungsanlage natürlich selbst manipuliert, weil wir uns so gerne anschreien lassen. Macht schließlich irre Spaß.
Nach etwa 35 Minuten Wartezeit bekommen wir schließlich das Ok zum Boarden. Erleichtert machen wir eine Ansage. Leider sind wir an einem Busgate. Ich öffne die Türe und der eiskalte Dezemberwind weht herein. Die Passagiere haben zum Glück ihre dicken Jacken und Mäntel an, aber wir erfrieren hier in unserer Uniform. Schnell sind meine Hände stocksteif und rot. Ich kann die Bordkarten kaum abreißen. Brrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr. Mein Überlebenssinn aktiviert sich und lässt mich schneller boarden um schnell wieder diese verdammt Türe schließen zu können.
Schließlich fährt der erste Passagierbus los. Weiter gehts. Der zweite Bus muss befüllt werden. Nach wenigen Minuten neigt sich das Boarding dem Ende zu. Es fehlen noch 3 Passagiere.
Einer davon ist sicher noch in der Business Lounge weil auf ihn wartet ja der ganze Flieger. Glaubt zumindest er.
In zwei Minuten müssen wir das Gate schließen, dann geht nichts mehr. Rien ne va plus, wie es im Casino so schön heißt.
Wer dann nicht da ist, kommt definitiv nicht mehr mit. „Können Sie mir jetzt endlich einen Sitzplatz geben“, fragt mich die Frau wieder, die immer noch verheulte Augen hat.
Schließlich kommen zwei junge Damen - die ob ihres Auftretens auch die Hauptdarsteller in der ATV-Serie Saturday Night Fever sein könnten - mit 4 Dutyfree Sackerln daher. Mein Kollege schaut auf die Uhr und schreit genervt: „Bitte beeilen Sie sich etwas, das Gate wird gleich geschlossen, Sie sind in letzter Minute gekommen!“ So, ein Passagier fehlt noch. Wir lassen ihn ausrufen. Sein Gepäck wurde schon rausgesucht und auf die Seite gestellt, für den Fall, dass er nicht mitfliegt. Stress am Gate. Die Zeit ist um. Der Passagier ist nicht in Sicht. Wir laden ihn im System aus und haben nun einen freien Sitzplatz frei für unsere 7 Wartelisten Passagiere, die plötzlich zu streiten anfangen, denn jeder von ihnen möchte natürlich mitfliegen um rechtzeitig zu Weihnachten wieder zu Hause zu sein.
Sie fangen an sich gegenseitig zu erklären, wer warum dringender fliegen muss und beginnen sich zu beschimpfen. „Ich habe einen wichtigen Geschäftstermin!“. „Meine kleinen Kinder warten zu Hause auf mich! Ihr Termin ist mir völlig egal!“ „Hey du, geb isch dir 10 Euro wenn du mir gibst Sitzplatz.“
Schnell machen wir dem ganzen Spektakel ein Ende, und Entscheiden nach internen Kriterien wer mitkommt. In diesem Fall ist es leicht, ein Passagier hat eine silberne Vielfliegerkarte und somit oberste Priorität.
Wir geben ihm im System schnell den Sitzplatz, drucken die Bordkarte aus, boarden und schicken den Bus los. Die Türe geht endlich zu und wir erklären den restlichen Passagieren, dass sie sich jetzt wieder an den Ticketschalter wenden müssen.
Bis auf die hysterische Frau, reagieren alle erstaunlich gelassen, da sie ja wussten, dass sie nur auf Warteliste sind. Da rennt plötzlich jemand den Gang entlang und kommt völlig außer Atem ans Gate. „Herr Swoboda?“ „Ja!“ „Sie sind leider zu spät, wir mussten sie ausladen.“
"Freundlicher Umgang mit dem Personal? Fehlanzeige"
„Verdammte Scheiße, das gibt es doch nicht. Es sind doch noch ein paar Minuten bis zum Abflug.“ „Ja, aber wir müssen 10 Minuten vor Abflug das Gate schließen und wir haben sie mehrfach ausrufen lassen.“ „Mensch, dann rufen Sie mir doch schnell nen Bus!“ „Nein das geht leider nicht, Sie sind zu spät. Bitte wenden Sie sich an den Ticketschalter, sie werden dann auf einen anderen Flug umgebucht.“ „Scheiße, unglaublich ist das!“ Er schlägt mit der Faust auf unsere Pult und schreit uns massiv an: „Was sind Sie eigentlich für unfähige Mitarbeiter? Sie können doch nicht einfach so einen zahlenden Passagier stehen lassen. Und das einen Tag vor Weihnachten. Scheiß Flughafen. Scheiß Fluglinie.“
Ja, benimm dich nur weiter so daneben du Idiot. Wenn Du zu spät ans Gate kommst, bist nur Du selbst schuld und sonst niemand. So nicht. Mit strengem Ton sage ich: „So brauchen Sie nicht weiter mit uns reden. Sie gehen jetzt bitte!“ „Ich will Ihren Namen!“ „Nein, unsere Namen müssen wir Ihnen nicht geben und das Gespräch ist jetzt beendet, da Sie kein Recht haben uns so anzuschreien!“ Schließlich verlässt er mit einem Furcht einflößendem Blick und weiter schimpfend das Gate. Mein Kollege und ich sind mal wieder mit den Nerven am Ende. Und das war erst der Beginn eines 12 Stunden langen Dienstes. Frohe Weihnachten!
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Text: Uschi Blumenstrauss
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