Vor jener Nacht vom 31. Mai 2009 auf den 1. Juni galt der Airbus A330 als eines der sichersten Verkehrsflugzeuge der Welt. Bis dahin gab es lediglich einen Totalverlust im Jahr 1994, welcher im Rahmen des Zulassungsprogramms der Maschine bei einem simulierten Triebwerksausfall geschah. Dennoch forderte der Air France Flug 447 von Rio de Janeiro nach Paris am 1. Juni 2009 unter mysteriösen Umständen 228 Menschenleben. Die französische Untersuchungsbehörde BEA sieht das Unglück nach dreijähriger Untersuchung als geklärt an und veröffentlichte am 5. Juli ihren Abschlussbericht.
Doch die Gerüchteküche brodelte schon unmittelbar nach dem Absturz, unterstützt von halbinformierten Medien samt selbsternannten Experten. Aber selbst zahlreiche Fachleute standen vor einem Rätsel: Wie konnte ein offenbar solides Flugzeug mitten über dem Atlantik im Reiseflug, jener Phase, die als sicherste des ganzen Fluges gilt, einfach abstürzen? Recht schnell wurden in den Anfangsstadien der Untersuchung zwei maßgebliche Fakten bekannt: AF447 flog direkt durch eine starke Gewitterzone, einen Versuch diese zu umfliegen gab es nicht. Ferner vermutete man das Versagen einer Geschwindigkeitssonde. Für die Pressestimmen kamen zum damaligen Zeitpunkt reihum drei Schuldige in Frage: Air France, Airbus und Thales, der Hersteller der so genannte Pitot-Sonden, welche Informationen für die Instrumente im Cockpit liefern.
Die Ursachen
Aufklärung über die Theorien konnten letztendlich nur der Flugdatenschreiber (FDR) und der Stimmenrekorder (CVR) liefern. Diese beiden wichtigen Zeugen des Absturzes konnten nach insgesamt fünf Suchanläufen aus den Tiefen des Atlantiks geborgen werden. Die Untersuchungen der französischen Flugunfalluntersuchungsbehörde BEA konnten durch diesen Fund ein ganzes Stück weiter gebracht werden. Darauf basierend veröffentlichte die BEA 2011 zwei Zwischenberichte, welche wesentliche Fakten über das Fluggeschehen und die Umstände ans Licht brachten.
Der erste Zwischenbericht in Bezug auf die Auswertung von FDR und CVR wurde von der BEA am 11. Mai 2011 veröffentlicht. Die wesentlichen Erkenntnisse waren, dass es während des Fluges offenbar zu einem Widerspruch bei der Geschwindigkeitsmessung zwischen der im linken Primary Flight Display (PFD) und der davon unabhängig gemessenen Geschwindigkeit im Integrated Standby Instrument System (ISIS) kam. Dieser Widerspruch resultierte zum einen im automatischen Abstellen des Autopiloten und zum anderen im Wechsel der Bordcomputer auf die Alternate Law. Im Modus Alternate Law ist auch die sogenannte Angle of Attack (AOA) Protection außer Funktion, welche sich im weiteren Flugverlauf als hilfreich hätte erweisen können.
Die zweite Erkenntnis war, dass nach dem Abschalten des Autopiloten der Pilot Flying durch manuelles steuern per Sidestick den Airbus A330 von der Reiseflughöhe auf 35.000 bis 38.000 Fuß zog, wo das Flugzeug schließlich in den Zustand eines Strömungsabrisses gelangte, aus dem es nicht mehr herausmanövriert wurde. Der Airbus erreichte "Nose-up" Position von über 40 Grad. Dabei konnte auch die für solche Fälle vorgesehene AOA Protection nicht mehr rettend eingreifen, denn sie funktionierte, bedingt durch den Alternatv Law Modus, nicht mehr.
Der zweite Zwischenbericht wurde am 29. Juli 2011 von der BEA veröffentlicht. Darin sind folgende Erkenntnisse enthalten: Zum einen wurde von der Cockpitcrew kein vorgeschriebenes Verfahren bei unzuverlässiger Geschwindigkeitsangabe angewendet. Zum anderen hatte keiner der Piloten erkannt, dass sich der Airbus in einem Strömungsabriss befand. Darin sieht die BEA letztendlich auch in ihrem Abschlussbericht am 5. Juli 2012 zu Flug AF447 die Ursache des Absturzes: Menschliches Versagen.
Keine Gewissheit?
Die BEA gibt in ihrem Abschlussbericht noch 25 neue Sicherheitsempfehlungen. Verbesserungspotential wird dabei sowohl bei Airbus als auch im Bereich des Crew Trainings (u.a. Air France) gesehen.
Die wesentliche Frage bleibt also auch nach allen Untersuchungen bestehen: Was verleitete den Pilot Flying, einen erfahrenen und nach EU-Regeln qualifizierten Flugzeugführer, dazu, das Flugzeug nach oben zu ziehen, und warum erkannte im Cockpit niemand, dass ein Abriss der Strömung vorlag? Eigentlich ist es eine Frage des fliegerischen Hausverstandes, ein Flugzeug auf Reiseflughöhe – egal unter welchen Umständen - nicht in einen Steigflug von + 6000 Fuß pro Minute zu versetzen. Was den Pilot Flying zu diesem Schritt verleitete, der letztendlichen das Unglück mit 228 Todesopfern besiegelte, wird trotz aller Untersuchungen das Rätsel von Flug AF447 bleiben.
Link zum Abschlussbericht; weitere BEA-Berichte zu diesem Unfall finden Sie hier.
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Text: Nicolas Eschenbach
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