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[U] Germanwings-Vorfall: Interner Bericht des Kapitäns widerspricht Darstellung der Airline

Im Fall des erst jetzt bekannt gewordenen Beinahe-Absturzes von Germanwings Flug 753 vom 19. Dezember 2010 widerspricht ein interner Bericht des Kapitäns der Darstellung von Germanwings, wonach lediglich "verbrannte Enteisungsflüssigkeit" für die Geruchsentwicklung verantwortlich gewesen sei. Zudem scheinen angesichts dieses Berichts, dessen Inhalt der Austrian Wings Redaktion teilweise bekannt ist, zumindest Zweifel daran erlaubt, dass - wie von Germanwings gegenüber Medien bisher behauptet - "jederzeit alles unter Kontrolle" gewesen sei.

Der von Austrian Wings konsultierte Luftfahrt-Fachmann Tim van Beveren erklärte auf Anfrage, dass "vieles dafür spricht, dass es sich um Triebwerksöl oder andere Stoffe gehandelt hat, aber keinesfalls um Enteisungsflüssigkeit", welche die Geruchsentwicklung und die anschließende Beeinträchtigung der Cockpitcrew auslöste.

Diese Aussage wird auch durch einen internen Bericht des betroffenen Flugkapitäns selbst gestützt, der Tim van Beveren nach dessen Angaben vorliegt, und in dem es heißt:

"Wie ich erfuhr, ist das Flugzeug am nächsten Tag wieder in Dienst gestellt worden und als Ursache für den Geruch für das Problem soll von der Technik Enteisungsflüssigkeit in der Klimaanlage angegeben worden sein. Mir ist vollkommen bewusst, dass ich als Pilot im Vergleich zur Technik lediglich über ein eingeschränktes technisches Wissen über das Flugzeug verfüge, jedoch verfüge ich über 12 Jahre fliegerische Erfahrung. Ich habe selbst bereits Erfahrung mit Dämpfen verbrannter Enteisungsflüssigkeit in der Klimaanlage auch in hoher Konzentration mit starker Rauchentwicklung in der Kabine gemacht. Da fällt es mir in diesem Fall schwer, die Diagnose nachzuvollziehen. Mir ist auch bewusst, dass die Erfahrungen aus anderen Vorfällen mit kontaminierter Kabinenluft gezeigt haben, dass die Ursache in einigen Fällen aufgrund der hohen Flüchtigkeit der Bestandteile im Nachhinein nicht mehr festzustellen ist. Doch der intensive Geruch, den ich wahrgenommen und dessen körperliche Auswirkungen ich gespürt habe, hatte definitiv keinerlei Ähnlichkeiten mit dem von verbrannter Enteisungsflüssigkeit."

Triebwerksöl enthält jedoch Trikresylphosphat, kurz TCP, ein gefährliches Nervengift. Atmen Menschen diesen Stoff ein, können die Symptome mannigfaltig sein – sie reichen von Übelkeit, über Schwindelgefühl, schwammige Aussprache (wie bei einem Schlaganfall), Müdigkeit bis hin zum Erbrechen und zu Krämpfen. Sind Menschen über einen längeren Zeitraum und/oder immer wieder, wie dies bei Flugzeugbesatzungen der Fall sein kann, einer solchen Kontamination ausgesetzt, drohen nach Ansicht einiger Experten dauerhafte Schäden des Nervensystems, und auch Krebserkrankungen von Piloten wurden bereits mit der Kontamination durch verunreinigte Kabinenluft in Verbindung gebracht.

Dennoch meldete Germanwings den Vorfall lediglich in einer Art und Weise an die BFU, der diese veranlasste, zunächst keine weiteren Untersuchungen durchzuführen.

Vor einem Jahr etwa sei der Zwischenfall dann nach Austrian Wings Informationen in einer nicht öffentlichen Anhörung des deutschen Bundestages angesprochen worden. Erst danach habe die BFU weitere Ermittlungen eingeleitet, die schließlich zu dem nun veröffentlichten Zwischenbericht führten.

Ein Brancheninsider äußerte seine Meinung zu dem Vorfall auf Austrian Wings Anfrage wie folgt: "Ich finde es merkwürdig, dass der Bericht der BFU keinerlei Sicherheitsempfehlungen beinhaltet. Schließlich sind hier fast 150 Menschen haarscharf an einer Katastrophe vorbeigegangen. Wären die Piloten bewusstlos geworden und der Jet abgestürzt, wäre dies der schlimmste Unfall in der Geschichte der deutschen Zivilluftfahrt gewesen."

Ein österreichischer Flugkapitän erklärte auf Anfrage unserer Redaktion: "Wenn mein erster Offizier derart handlungsunfähig ist und ich selbst sogar das 1.000 Fuß Safety Gate außer Kraft setze, weil es mir selbst auch so schlecht geht, dass ich die Maschine nur noch irgendwie heil auf die Piste bekommen möchte, würde ich persönlich mich nicht mehr trauen, davon zu sprechen, dass 'jederzeit alles unter Kontrolle' war."

Aus dem internen Bericht des Germanwings-Kapitäns gehe laut van Beveren übrigens auch hervor, dass der Kapitän noch im Rettungswagen mit vorgesetzten Stellen telefoniert habe, die sich danach erkundigt hätten, was die "Gäste von dem Vorfall mitbekommen haben", wie es heißt.

Weil der Erste Offizier zu geschwächt war, musste er von den Einsatzkräften aus dem Flugzeug getragen werden, so van Beveren, dem der interne Bericht und weitere Dokumente zu dem Vorfall vorliegen, im Austrian Wings Telefoninterview.

Bis zur Stunde haben weder die Pressestelle von Germanwings noch die der Muttergesellschaft Lufthansa, die auch Eigentümerin der österreichischen AUA ist, die Anfrage der Austrian Wings Redaktion zu diesem Vorfall beantwortet.

(red)

[update] 28. September 2012 / 18:26 Uhr [/update]