Die wegen heftigem Schneefall in Köln mit drei Stunden Verspätung aus Wien ankommende Maschine vom Typ Airbus A319 befand sich demnach nach einem bisher ereignislosen Flug im Anflug auf die Piste 14L des Flughafen Köln-Bonn, als die Besatzung plötzlich einen starken Geruch im Cockpit bemerkte und "eine deutliche Beeinträchtigung ihres körperlichen und kognitiven Leistungsvermögens", wie es im BFU-Bericht heißt. An Bord befanden sich 144 Passagiere, 3 Flugbegleiter sowie die beiden Piloten.
Der Geruch wurde als "eine seltsame, stark ausgeprägte, unangenehme Mischung aus verbrannt und elektrisch Riechendem" beschrieben.
Anschließend hätten beide Piloten umgehend ihre Sauerstoffmasken aufgesetzt und mittels "Mayday"-Funkspruch eine Luftnotlage erklärt.
Im BFU-Bericht heißt es dazu:
"Während des nachfolgenden Eindrehens auf die Landekurssender (localizer) sagte der Copilot, dass ihm 'kotzübel' sei und er beabsichtige die Sauerstoffmaske aufzusetzen. Er hatte den intensiven Geruch als 'elektrisch-süßlich' wahrgenommen, der sich beim Einatmen 'dicht' anfühlte. Als sich seine Arme und Beine taub anzufühlen begannen und er den Eindruck hatte, nicht mehr klar denken zu können, griff er zur Sauerstoffmaske, die er beim zweiten Versuch erfolgreich überstülpte."
Und weiter:
"Dadurch alarmiert und sich selbst beobachtend verspürte der Kapitän urplötzlich ein starkes Kribbeln in Händen und Füßen. Gleichzeitig bemerkte er, wie ihm 'im wahrsten Sinne des Wortes die Sinne schwanden.' Sein Gesichtsfeld schränkte sich nahezu schlagartig ein (Tunnelblick) und er verspürte ein starkes Schwindelgefühl. Auch er griff nach seiner Sauerstoffmaske - ein Verfahren, das von den Cockpitbesatzungen regelmäßig im Simulator geübt wird. Nachdem Copilot und Kapitän ihre Atemhilfen aufgesetzt hatten, konnten beide schnell die Kommunikation über die Masken herstellen. Danach ging es dem Kapitän etwas besser, während es dem Ersten Offizier weiterhin schlecht ging. Sein Zustand verschlechterte sich im weiteren Verlauf eher noch."
Mittlerweile befand sich die Maschine mit 220 Knoten ungefähr 12 nautische Meilen auf dem Endanflug. Der Kapitän (35 Jahre alt, 7.864 Gesamtflugerfahrung, davon mehr als 3.000 Stunden auf dem A319) wies seinen Ersten Offizier (26 Jahre alt, 720 Stunden Gesamtflugerfahrung, davon 472 auf dem A319) an, den Anfluglotsen darüber zu informieren, dass sie auf die Turmfrequenz wechseln wollen und er solle beim Turmlotsen dann Luftnotlage erklären, was der Copilot auch tat.
In der Zwischenzeit, so stellt es der BFU-Bericht fest, hatte der Kapitän die manuelle Kontrolle über das Flugzeug übernommen, das noch immer deutlich zu schnell flog, weshalb das Fahrwerk ausgefahren und in weiterer Folge die Landeklappen entsprechend gesetzt wurden um die überschüssige Geschwindigkeit abzubauen.
Laut BFU spitzte sich die Situation weiter dramatisch zu:
"Der Copilot hatte zu diesem Zeitpunkt Schwierigkeiten, den Ablauf in einem Gesamtbild zu erfassen. Er konnte sich nur noch mit Mühe auf einzelne Aspekte des ablaufenden Geschehens konzentrieren und spürte, dass er die anfallenden Informationen nicht mehr verarbeiten konnte. Auch der Kapitän war am Ende seiner Leistungsfähigkeit angekommen. Er fühlte sich von dem Lärm der eigenen Atemgeräusche in der Sauerstoffmaske abgelenkt und empfand dieses als störend für die Kommunikation zwischen ihm und seinem Copiloten. Während des gesamten Anfluges fühlte er sich körperlich sehr schlecht. Mit dem manuellen Fliegen mit Flugkommandoanlage (flight director) arbeitete er an der Obergrenze dessen, was ihm überhaupt noch möglich schien."
Aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes der beiden Piloten war für diese klar, dass der erste Landeversuch klappen musste. Ein Durchstartmanöver wäre nicht mehr in Frage gekommen, wie die BFU schreibt:
"Nachdem beide Piloten das Flugzeug in die Landekonfiguration gebracht hatten, musste die noch zu hohe Geschwindigkeit bis zum Aufsetzen weiter reduziert werden. Da sich der Flugkapitän weder physisch noch psychisch in der Lage fühlte, ein Durchstartmanöver zu fliegen, teilte er dem Copiloten mit, dass er das so genannte 1.000 Fuß-Tor (safety gate), bei dem zum Fortsetzen des Anfluges alle notwendigen Parameter für die Landung erreicht sein müssen, außer Kraft setze – für ihn käme nur noch eine sofortige Landung in Frage."
Die "letzten zwei Minuten zwischen 1.000 Fuß und dem Aufsetzen" seien dem Copiloten "wie eine Ewigkeit" vorgekommen.
"Er fühlte sich nicht mehr in der Lage, einen aktiven Einfluss auf den weiteren Ablauf nehmen zu können und hoffte nur noch, dass es eine erfolgreiche Landung werden würde. Allerdings bemerkte er, dass die Anfluggeschwindigkeit jetzt stimmte, die Klarliste aber noch nicht durchgeführt war, worauf er diese abarbeitete. Auch er verspürte, wie anstrengend diese Aktivitäten für ihn waren, wie schwer es ihm fiel, nachzudenken, sich zu konzentrieren. Beide Flugzeugführer beschrieben ihre Verfassung kurz vor der Landung als surrealistisch und wie in einem Traum."
Die Maschine setzte schließlich um 21:34 Uhr "deutlich spürbar" auf der Piste auf und begann dank des Autobrake-Systems mit dem Abbremsmanöver.
Nach dem Abrollen von der Piste übergab der Kapitän die Steuerung der Maschine an den Copiloten um mit der das Flugzeug begleitenden Flughafenfeuerwehr zu kommunizieren.
Im BFU-Bericht heißt es dazu wörtlich:
"Die durchzuführenden Schaltungen sowie das Einfahren der Klappen (after landings items) nach der Landung hatten beide Piloten vergessen. Der Copilot konzentrierte sich nun so sehr auf das Steuern des Flugzeuges, dass er das Gespräch zwischen Kapitän und Feuerwehr nicht mitverfolgte. Nach Beendigung des Gesprächs übernahm der Kapitän wieder die Steuerung und folgte dem 'Follow Me'-Fahrzeug zur Parkposition."
Nach dem Setzen der Parkbremse wollte der Erste Offizier das Cockpitfenster öffnen, wofür er aufgrund seines geschwächten Zustandes drei Versuche benötigte.
"Erst nach dem Öffnen nahm er die Sauerstoffmaske ab und registrierte wieder den beißenden Geruch, worauf er die Maske sofort wieder aufsetzte. Das Geschehen wurde in der Flugzeugkabine nicht registriert", so die BFU weiter.
Ursachenforschung, Feststellungen und Maßnahmen
In seinem Bericht schreibt die BFU: "Nach der Landung wurde das Flugzeug von der Technik des Luftfahrtunternehmens überprüft. Nach Angaben der Techniker war der außergewöhnliche Geruch noch 15 Minuten nach dem Abstellen des Flugzeuges und bei geöffneten Cockpit-Fenstern deutlich wahrnehmbar. Er wurde als mit hoher Wahrscheinlichkeit von Enteisungsflüssigkeit stammend befunden, Öl-, Treibstoff- oder elektrischer Geruch wurde von den Technikern definitiv ausgeschlossen."
Am Flugzeug seien am 20.12.2010 die Ventilatoren zur Kühlung der Cockpit-Armaturen ersetzt sowie der Einlassbereich von Triebwerk Nummer 1 ohne Befund überprüft worden. Außerdem sei das das Kerntriebwerk innen gewaschen worden und ein Triebwerksstandlauf gemäß Wartungshandbuch absolviert worden.
Anschließend sei die Maschine zu einem 45-minütigen Werkstattflug gestartet, bevor es wieder für den Passagierverkehr freigegeben worden sei.
Die BFU abschließend:
"Im Zeitraum vom 29.01. bis 02.02.2012, also mehr als 13 Monate nach dem Ereignis, wurde das Flugzeug im Rahmen des Instandhaltungsprogramms einem C-Check unterzogen, bei dem eine detaillierte Inspektion der Flugzeugstruktur und Tests der Systeme durchgeführt werden. Die durchgeführten technischen Kontrollen des Druck-Klima-Sauerstoffsystems (environmental control systems) mit seinen Leitungen und Austrittsdüsen sowie verschiedene Triebwerksstandläufe führten zu keinen Anzeichen von Ursachen für ein Auftreten von außergewöhnlichen Gerüchen."
Ungereimtheiten
Auffällig ist, dass obwohl keine eindeutige Ursache für den Geruch gefunden werden, trotzdem für Germanwings sofort klar war, dass dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit von Enteisungsflüssigkeit und keinesfalls etwa von Triebwerksöl stammen müsse. Doch die Symptome der Cockpitbesatzung lassen durchaus mitunter den Schluss zu, dass - woher auch immer - potentiell toxische Öldämpfe in das Cockpit eingedrungen sein könnten, wenngleich dies mangels einer eindeutig identifizierten Ursache nicht nachgewiesen werden konnte.
Dramatisch niedrige Blutsauerstoffwerte bei den Piloten
Nach der Landung hätten medizinische Untersuchungen ergeben, dass der Blutsauerstoffgehalt des Ersten Offiziers bei weniger als 80 Prozent lag, beim Kapitän seien es etwa 70 Prozent gewesen. Ein gesunder Mensch hat einen Blutsauerstoffgehalt von etwa 100 Prozent, darunter drohen Einschränkung der Handlungsfähigkeit und ab etwa 70 Prozent Ohnmacht.
Kritik an Germanwings
Der "Norddeutsche Rundfunkt" und die "Welt", die den Vorfall nun aufgedeckt haben, üben scharfe Kritik an der Lufthansa-Tochter Germanwings. Sie beziehen sich dabei auf "vertrauliche Berichte der Piloten". Demnach hätte der Kapitän ein "eingeschränktes Gesichtsfeld und Todesangst" gehabt. Zudem würden Verkehrspiloten davon ausgehen, dass es sich "bei dem offenbar vertuschten Vorfall um eine der schwersten Störungen im deutschen Luftverkehr seit Jahren handelt und die Piloten viel Glück hatten" schreibt etwa der Nachrichtendienst "http://de.nachrichten.yahoo.com".
Laut dem Internetdienst "sieht Germanwings bis heute kein Problem" in dem Vorfall: "Der Leiter der Unternehmenskommunikation bestreitet sogar, dass Kapitän und Co-Pilot handlungsunfähig oder schwer beeinträchtigt waren. Dies treffe 'nicht zu', teilte er den Redaktionen auf eine entsprechende Anfrage hin mit. Auch habe es 'keine Einschränkungen der Flugtauglichkeit' der beiden Piloten gegeben."
Dem widerspricht auch das renommierte Portal "Aviation Herald". Laut dessen Bericht sei der Erste Offizier nach diesem Vorfall sechs Monate lang flugunfähig gewesen.
Eine Stellungnahme von Germanwings zu diesem Vorfall wurde durch die Austrian Wings Redaktion bereits angefragt.
(red)