Österreich

Testpilotenkongress in Salzburg: "Klare Sicht auf Automatisierung gewünscht"

Kongress der internationalen Testpiloten-Vereinigung SETP in Salzburg - "Loss of Control" beschäftigt Profis der Luftfahrt. Ein Gastbeitrag von Dr. Iris Melcher, Geschäftsführerin von Spins and More.

Mit der Flugsicherheit geht es weltweit deutlich voran, doch was das Thema "Kampf dem Kontrollverlust" beim Fliegen betrifft, ist die Branche noch lange nicht "am Ziel". Dieses Fazit lässt sich nach dem Kongress der internationalen Vereinigung von Testpiloten in Salzburg ziehen, der von 19. – 21. November stattfand. 80 Teilnehmer aus 21 Nationen erörterten das Thema "Loss of Control". Dave Carbaugh, Chefpilot für Sicherheit im Flugbetrieb bei Boeing, wurde mit dem diesjährigen Award der "Society of Experimental Testpilots" (SETP) ausgezeichnet.

Die Testpiloten nahmen dabei kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Diskussion und Schilderung von Unfällen und Vorfällen der jüngsten Zeit in der Business Avation und Verkehrsfliegerei (sowie den damit verbunden Testflügen) ging. "Es gab keine normale Checkliste für dieses Problem", sagte Aydin Özkazanc von den Turkish Airlines über den Unfall einer Boeing 737-800 seines Unternehmens, die 2009 mit 127 Passagieren an Bord beim Landeanflug auf den Flughafen Amsterdam/Schiphol abgestürzt war. Dabei starben neun Menschen, darunter die Piloten, es gab außerdem 86 Verletzte.

Das Flugzeug war bei normalem Wetter in einer Höhe von 400 Fuß in einen Stall geraten und die Piloten hatten es nicht mehr rechtzeitig geschafft, den Flieger zu recovern. Als ursprünglichen Auslöser der "upset situation" fand man einen defekte Funkhöhenmesser, der minus 8 Fuß angezeigt hatte, als das Flugzeug noch auf 2000 Fuß Höhe war. Der Autopilot reduzierte aufgrund dieser Angabe die Triebwerksleistung wie knapp vor dem Aufsetzen üblich. Die Piloten wussten über die falsche Anzeige Bescheid, sie erkannten aber nicht ihre Auswirkung auf den Autopiloten. Als sie Vollschub geben wollte, hatte die Crew weder den Autothrottle noch den Autopiloten deaktiviert. Daher stellte die Schubregelung das Gas auf Leerlauf – bei der zweiten Pilotenkorrektur (mit deaktiviertem AP) war es zu spät.

Özkazancs Forderung an Flugzeug-Entwickler: "Wir wollen eine klare Sicht auf die Automatisierung." Automations-Fehler im Flugzeug seien nicht sofort erkenntlich. Die analoge Aera in der Fliegerei sei vorüber, erklärte der Turkish Airlines Safety Recurrent Ground Instructor, der außerdem vorschlug, im Pilotentraining intensiver auf die Internationalität von Airline-Crews und daraus resultierende Verständigungsprobleme in Stresssituationen einzugehen. Noch einen Schritt weiter ging Rogers E. Smith, der noch die SR-71 geflogen ist: "Graceful Degradation of Automation", Automation sanft zurücknehmen, war sein Vorschlag. Wenn Automatisierung ausfällt, dann so, dass die Maschine nicht noch komplexer zu steuern wird. Ob Automatisierung Freund oder Feind des Piloten ist, lässt sich jedenfalls nicht mit einem eindeutigen Ja oder Nein beantworten.

Treffen kann "Loss of Contol" jeden Piloten, egal ob Greenhorn oder erfahrener Testpilot. Dr. Dieter Reisinger vom Institut für Flugsicherheit aus Wien, der den SETP-Kongress in Salzburg organisiert hatte, sieht Kontrollverlust beim Fliegen als "Universalproblem" der Branche, das nicht mit einer einzigen Methode gelöst werden kann. Kontrollverlust ist nach wie vor eine der Hauptursachen tödlicher Flugunfälle.

Das Beherrschen außergewöhnlicher Flugzustände wird in der Ausbildung nach Meinung von Fachleuten zu wenig trainiert - Foto: Austrian Wings Media Crew
Das Beherrschen außergewöhnlicher Flugzustände wird in der Ausbildung nach Meinung von Fachleuten zu wenig trainiert - Foto: Austrian Wings Media Crew

Kritisch bewerteten die Experten die klassischen Pilotenfähigkeiten. "Abhängigkeit von Automation" überschrieb Des Barker seinen Vortrag. Wer im Schnitt als Verkehrspilot nur drei bis vier Minuten pro Strecke selbst steuere und während der restlichen Zeit Autopilot und andere technische Mittel verwende, "unterwerfe" sich der voranschreitenden Automatisierung. Damit verlieren Piloten wichtige manuelle Fertigkeiten – die in einem Notfall von entscheidender Bedeutung sind.

Wie man diese Entwicklung stoppen könnte, dazu äußerten die Kongressteilnehmer kontroverse Ansichten. "Piloten müssen den Überblick über alle Situationen behalten. Das sollten sie trainieren", so Reisinger. Knut Lande, Testpilot und Mitglied der norwegischen Flugunfallkommission, fasste Fehler von Piloten so zusammen: Die Mehrzahl beruhe auf menschlichen Faktoren. "Der Pilot ist das letzte Verteidigungsglied", meinte Lande und bemängelte die Grundausbildung: "Piloten lernen nur das Annähern an einen Stall (Strömungsabriss), nicht das Verhalten im Stall selbst". Sein Fazit: Zurück zu den Wurzeln. "Komplettes Stall-Training plus grundlegende Kenntnisse im Kunstfliegen", schlug der Experte für alle Pilotenausbildungen vor.

Zwar ist das Interesse von Industrie und Behörden weltweit groß. Zu einer Regelung, welche auf Training und verbesserte Automatisation abzielt, hat sich bisher aber noch keiner durchgerungen. Auf Kostendruck reagieren die Fluglinien bisher mit mehr Automation, in der Hoffnung, an Personal und Ausbildung zu sparen. Die Automation solle den Piloten unterstützen, nicht ersetzen, meint Dr. Reisinger: "Wir brauchen gut bezahlte, gut erholte und gut ausgebildete Piloten."

Text & Fotos: Dr. Iris Melcher