Lettland wurde in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder von Völkern erobert und besetzt. Skandinavier, Deutsche, Polen und Russen um nur einige zu nennen, herrschten über "Livland" das einstige Hansegebiet, das im Wesentlichen Estland und Lettland umfasste. Die wichtigste livländische Stadt "Riga" wurde Hansestadt und ist bis heute mehr als stolz darauf.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Lettland von den Russen besetzt und erkämpfte erst im Jahre 1991 seine endgültige Unabhängigkeit. Russisch ist deshalb noch immer die wichtigste Fremdsprache in Lettland und Russland der wichtigste Herkunftsmarkt für den Tourismus.
Riga, ist nicht nur die größte Stadt im gesamten Baltikum (ca. 700.000 Einwohnern), sondern auch die "Hauptstadt des Jugendstils". Hier gibt es rund 800 Gebäude im Jugendstil wovon sich die meisten im Stadtzentrum befinden. Die UNESCO erklärte daher die Altstadt Rigas zum Weltkulturerbe. Lettland ist seit 01. Mai 2004 Mitglied der EU und der NATO. 2014 wird Riga, zusammen mit Umea in Schweden, auch Kulturhauptstadt Europas.
Aus Latvian wurde airBaltic
Ziviler Luftverkehr spielte sich vor der Unabhängigkeit Lettlands eher im bescheidenen Rahmen ab. Riga wurde hauptsächlich von russischen Airlines mit ihren Tupolevs und Antonovs angeflogen, später gesellte sich "Lithuanian Air" aus Vilnius dazu.
Doch das Land entwickelte sich wirtschaftlich recht gut und als unabhängiger Staat wollte man auch eine eigene, nationale Fluglinie aufbauen. Zwar existierten seit 1992 mit "Baltic International" und "Latavio-Latvian Airlines" zwei mehr oder weniger private Airlines in Lettland, doch so richtig identifizieren konnte sich der lettische Staat damit nicht. So kamen seit der Anerkennung der Unabhängigkeit viele Unternehmensberater ins Land und mit Bertolt Flick war seit 1992 auch ein deutscher Manager vor Ort, dem man zutraute, eine lettische Airline auf die Beine zu stellen und diese nachhaltig gewinnbringend zu führen.
Unter seiner Federführung wurde im September 1995 durch den Zusammenschluss von "Latavio-Latvian Airlines“ und "Baltic-International“ "airBaltic“ aus der Taufe gehoben. Lettland behielt sich die Kapitalmehrheit von 51 Prozent, die restlichen 49 Prozent teilten sich SAS (war großer Förderer einer eigenen lettischen Airline) Baltic International USA und zwei weitere Investment Firmen. Als erstes Flugzeug der neuen Airline diente eine Saab 340, ein halbes Jahr später gesellten sich drei Avro RJ70 zur Flotte. Als sehr schwierig erwies sich die fast nahtlose Übernahme der "Latvian“ Routen durch airBaltic (Abwicklung, Liquidation usw.), sodass erst im Jahre 1998 die strategische Ausrichtung von airBaltic in Angriff genommen werden konnte.
Zum Jahresende 1998 zog sich Baltic International USA zurück und SAS übernahm deren Anteile. SAS transferierte danach einige Fokker 50 nach Riga als Ersatz für die Saab 340.
Mit den Fokker 50 wurden neue Routen nach Kopenhagen und Stockholm eröffnet. So blieb es aber nicht lange und die Eigentumsverhältnisse an airBaltic änderten sich 1999 wesentlich. Der lettische Staat sicherte sich 52,6 Prozent, Baltic Aviation Systems-Investmentgroup (BAS) 47,2 Prozent und Transaero die restlichen 0,2 Prozent. BAS repräsentiert eine Gruppe von Unternehmen in der Luftfahrtindustrie, der Tansport- und Dienstleistungsbranche an der ganz maßgeblich auch airBaltic CEO Bertolt Flick beteiligt ist. Diese Beteiligung sollte sich Jahre später noch als der Negativposten für Flick herausstellen.
Erfolgreiche Jahre
Bis Mitte 2009 entwickelte sich die Airline zu einem der besten, bekanntesten und auch profitabelsten Unternehmen in Lettland. Boeing B737-300 und 500 sowie Fokker 50 „Turbos“ und die etwas später dazugekommenen Dash 8-Q400 NG bildeten und bilden nach wie vor das Rückgrat der airBaltic Flotte. Abgesehen von zwei B757-200, die im Jahre 2008 zur Flotte stießen und 2011/2012 wieder abgegeben wurden, blieb es bis heute bei der vorhin genannten Flotte.
Über 60 Ziele, die meisten davon ein Europa, bedient airBaltic ab ihrer Homebase Riga, wobei nicht nur aus geografischen Gründen vor allem der nord-, ost- und südosteuropäische Raum (GUS-, Naher Osten-, Zentralasien-, Skandinavien und Russland) besonders häufig angeflogen wird.
Im Mittelmeerraum ist die junge israelische Metropole Tel Aviv ein Ganzjahresziel. Von der Gründung bis zum Jahr 2001 wurden insgesamt eine Million Passagiere befördert, 2005 schaffte man dies in genau einem Jahr, ein beeindruckendes Zeugnis vom Wachstum und der Entwicklung der jungen Airline.
Jede Menge an Innovationen wurde implementiert, wie zum Beispiel neue Tarifstrukturen, der Nachfrage entsprechende Ticketpreise, der Ticketverkauf via Internet und in Supermärkten, Web-Check-in, prepaid sowie Mobiltelefonkarten an Bord, um nur einige Beispiele zu nennen.
Auch einige Awards heimste die Airline ein, allen voran den Titel "Airline of the year 2009/2010" von der ERA. 2010 wurde airBaltic als führendes Exportunternehmen Lettlands anerkannt sowie für die beste Öffentlichkeitsarbeit in der baltischen Region ausgezeichnet.
Von 2001 bis 2009 verzeichnete airBaltic stetig steigende Passagierzahlen und bilanzierte von Jahr zu Jahr positiv. So erzielte die Airline im Jahre 2006 einen Nettogewinn von umgerechnet mehr als 6 Millionen Euro.
Minihubs in Vilnius (Litauen) und Tallinn (Estland) wurden eingerichtet. Büros und Repräsentanzen wurden u.a. in St. Petersburg, Berlin sowie Tiflis eröffnet, und auch die Flotte wuchs von Jahr zu Jahr. 2005 verfügte man bereits über sieben B737 und neun Fokker 50, Mitte 2008 waren es schon 26 Jets.
2010 beförderte airBaltic über drei Millionen Passagiere und orderte acht Bombardier Q400NG, die 2011 und 2012 die älteren Fokker 50 ersetzen sollten.
Ein neues Kundenbindungsprogramm „BalticMiles“ wurde implementiert sowie ein von der IATA-zertifiziertes Trainingszentrum, das so genannte "airBaltic-Training“, unmittelbar am Flughafen Riga errichtet.
Cockpit- und Cabin-crew-Training für wirklich alle nur erdenklichen Vorfälle ist hier perfekt möglich.
Nach und nach wurde airBaltic einer der begehrtesten Arbeitgeber des Landes, und die Beschäftigten waren mehr als stolz darauf, beim lettischen "Vorzeigeunternehmen" tätig zu sein zu können. Doch schon ein altes böhmisches Sprichwort sagt, dass dort, wo Licht ist, auch Schatten ist. Und diese Schatten wurden durch die Finanzkrise des Jahres 2009 deutlich sichtbar.
Finanzkrise ab 2009
Ab 2009 verschlechterte sich die Finanzsituation der Airline zusehends rasch und der Erfolgslauf von airBaltic schien irgendwie abzureißen und sogar ein unrühmliches Ende der Airline wurde nicht mehr ausgeschlossen. Der hohe Treibstoffpreis, die nicht mehr ganz ganz taufrische Flotte, zu viele Strecken, hohe Verwaltungskosten waren nur einige der Faktoren, welche die Airline in arge Liquiditätsprobleme brachten, sodass viele Millionen Euro erforderlich wären um den Fortbestand des Unternehmens zu gewährleisten.
Die lettische Regierung war vorerst aber nicht bereit, die Verluste mit Steuergeld abzudecken, außer man bekomme die vollständige Mehrheit an airBaltic. So wurde CEO Bertolt Flick für die Finanzmisere bei airBaltic verantwortlich gemacht. Anschuldigungen, wie eine undurchsichtige Arbeitsweise, fehlende Informationen, falscher Umgang mit dem Geld des Unternehmens usw. wurden in Umlauf gebracht und in der lettischen Tagespresse auch veröffentlicht. Ferner tauchten Gerüchte auf, Bertolt Flick wolle die Airline zur Gänze übernehmen. Dieser hat alle Anschuldigungen strikt zurückgewiesen und als Verleumdungskampagne gegen seine Person abgetan. So kam es zu einem für das Land unrühmlichen Streit zwischen Bertolt Flick und der lettischen Regierung, die noch dazu Wahlen zu schlagen hatte.
Eine wochenlange Schmutzkübelkampagne, die in der lettischen Tagespresse ihren Niederschlag fand, wurde angezettelt. Dies führte in weiterer Folge sogar zu absichtlichen Flugausfällen, was wiederum den lettischen Staatpräsidenten in negativer Weise betraf.
Dieser, gerade auf Staatsbesuch in Brüssel, konnte dadurch nämlich nicht wie geplant mit airBaltic nonstop von Brüssel nach Riga zurückfliegen, sondern musste aufgrund der plötzlichen Flugausfälle über Umwege nach Riga heimkehren, was damals fast einen Regierungskonflikt ausgelöst hätte. Probleme ohne Ende. Flick war wohl auch zwischen die Fronten innerlettischer Machtkämpfe geraten, aus denen es leider keinen anderen Ausweg mehr gab, als sich wohl oder übel von seinem Job zu trennen.
Der Abschied Flicks als airBaltic CEO war dann auch Bedingung der lettischen Regierung um Geld für die Abdeckung der Verluste von airBaltic fließen zu lassen.
Um weitere Eskalationen zu vermeiden, verließ Bertolt Flick das Unternehmen, an dessen Aufbau und Entwicklung er maßgeblichen Anteil gehabt hatte, die lettische Regierung kaufte die Anteile der BAS und bekam somit mit 99,8 Prozent die absolute Mehrheit an airBaltic. Die aushaftenden Verluste wurden abgedeckt und mit 01. November 2011 wurde Martin Gauss (wieder ein Deutscher) zum CEO von airBaltic ernannt.
Masterplan 2014/2015 - ReShape
Gauss, ein sehr erfahrener Manager in der Zivilluftfahrt, Inhaber der Pilotenlizenz für die B737, war vor seinem Einstieg bei airBaltic, Pilot und in Führungspositionen bei der Deutschen BA tätig, danach CEO bei Cirrus Airlines und, man staune, auch CEO bei der ungarischen Malev, die er leider nicht mehr sanieren konnte.
2011 schrieb airBaltic den höchsten Verlust seit der Gründung, nämlich mehr als 100 Millionen Euro. Auch noch 2012 und 2013 werden Verluste in Millionenhöhe erwartet. Bis 2014, spätestens aber bis 2015, soll airBaltic wieder auf Kurs sein und Gewinne schreiben, so Gauss. Dazu wird ein kompletter Umstrukturierungsplan (reshape) auf die Beine gestellt, alle Posten werden durchforstet und kein Stein wird auf dem anderen bleiben, so Gauss in einem Interview mit Air Transport World (ATW). Das sogenannte "ReShape-Programm" soll bis 2016 durch Optimierungen usw. Einsparungen im Wert von 330 Millionen LVL (476 Mio. Euro) bringen. Auch die Flotte wird einem Sparkonzept unterworfen und modernisiert. Die Fokker 50 scheiden sukzessive aus und Q400 (sind effizienter) übernehmen diese Strecken. Auch die schon etwas betagten B737 werden in den kommenden Jahren durch Bombardier CS-300 ersetzt. Ein Kauf- bzw. Optionsvertrag über 20 CS-300 unterzeichnete airBaltic CEO Martin Gauss im Juli 2012 auf der Luftfahrtmesse in Farnborough/England und fixierte diesen am 20. Dezember 2012 bei Bombardier in Kanada über einen Auftragswert von 765 Mio. US-Dollar. (1,57 Mrd. US-Dollar für die gesamte Order).
Langfristig wird die airBaltic Flotte daher ausschließlich aus CS-300 und Q400 bestehen. Bis dahin wird die B737 Flotte noch gute Dienste leisten und gelegentlich wird Gauss auch als Pilot im Cockpit anzutreffen sein, um seine Lizenz nicht zu verlieren, aber auch um als CEO nicht den Blick fürs "Wesentliche" zu übersehen.
Das "Reshape-Programm“ trug schon einige Früchte und entgegen allen Erwartungen, konnte im dritten Quartal 2012 ein Nettogewinn von 4,8 Millionen. LVL (6,9 Mio.Euro) erzielt werden. Mit Michael Grimme (wieder ein Deutscher) davor unter anderem tätig bei dba, LTU und TraviAustria (ein IT-Dienstleister für die Reisebranche) wurde Ende Oktober 2012 ein neuer CCO installiert, der bereits ordentlich am airBaltic Streckennetz feilt und sägt. So ergänzen ab Sommer 2013 die neuen Destinationen, Heviz-Balaton (Ungarn), Olbia (Sardinien), Rijeka (Kroatien) und Malta, das Streckennetz ab Riga. Der Beitritt zu einer Luftfahrtallianz ist derzeit nicht vorgesehen, doch bestehen Partnerschaftsverträge mit mehr als 35 Airlines weltweit und besonders stolz ist man auf die Partnerschaft mit Air Berlin, die im September 2012 unterzeichnet wurde.
Als low-cost carrier, aber auch als reine "Systemairline“ versteht sich airBaltic nicht, sondern sie vereint das low-cost Konzept mit dem einer "traditionellen“ Airline. In der Businessclass ist das komplette Service inkludiert, während in der Economy für sämtliche Annehmlichkeiten (Gepäck, Essen, Getränke) extra bezahlt werden muss. In den kommenden vier Jahren will airBaltic den Turnaround schaffen und - nomen est omen - seinen Namen gerecht und in allen drei baltischen Staaten aktiver werden. Emotional ist man auf Grund des Namens die Airline aller drei baltischen Staaten und wer weiß, wie schnell aus einer Emotion Wirklichkeit werden kann. Die Zusammenarbeit mit dem Heimatflughafen und baltic Hub Riga (RIX) funktioniert hervorragend und wird auch ausgebaut.
Riga International Airport (RIX)
Als ehemaliger Flughafen der UdSSR und später der russischen Föderation, spielte der Flughafen von Riga, IATA: RIX , ICAO: EVRA bis zur Erlangung der Unabhängigkeit Lettlands im Jahre 1991, eine eher bescheidene Rolle. 1974 wurde das Terminalgebäude errichtet und der Flughafen unter Federführung der Aeroflot verwaltet und betrieben. Seit 1993, also schon unter lettischer Hoheit, wurde der Flughafen ständig umgebaut, ausgebaut, renoviert, erweitert, modernisiert um den heutigen internationalen Standard zu entsprechen und das ist auch sehr gut gelungen. Nicht nur Terminals, Shops, Parkflächen, Gastronomie, kurzum viele Annehmlichkeiten für Passagiere und Besucher, sondern auch "airsidemässig“ wurde viel erneuert und errichtet. Ein Terminal mit fünf Andockpositionen, die Verlängerung der Start- und Landebahn (18/36) auf 3.200 x 45 Meter samt erforderlicher Befeuerung, wie VASIS, PAPI, verstärkter Aufsetzzonenbefeuerung, neue Taxiways und mehr Flächen auf dem Vorfeld für die Abfertigung von Fokker 50 und Q400 Props.
Ebenso wurde ein Airport-Trainings-Centre errichtet, um alle Mitarbeiter für alle Tätigkeiten am Airport aus- und weiterzubilden und nicht zuletzt ist RIX einer der wenigen Flughäfen Europas, der low-cost und full-service-Airlines abfertigt und rund um die Uhr in Betrieb ist. Er ist auch der größte Flughafen des Baltikums. So wurde im Jahre 2004 die Millionengrenze übersprungen, exakt 1.060.426 Passagiere wurden in RIX gezählt und für 2011 gab es dann wieder einen Rekord zu vermelden: 5.106.926 Passagiere frequentierten den "Baltic-Hub" bei rund 73.000 Movements, Tendenz steigend und in gewisser Weise auch abhängig von der Entwicklung des Home-Carriers airBaltic.
Ein Ende der Fahnenstange sollte für RIX noch lange nicht erreicht sein. Experten schätzen, dass RIX in etwa zwanzig Jahren, dann als "Nord-Hub“ mehr als 25 Millionen Passagiere jährlich abfertigen wird.
Text & Fotos (sofern nicht anders angegeben): Franz Zussner
Titelbild: Air Baltic Bombardier Q400 in Wien - Foto: PR / Austrian Wings Media Crew