Reportagen

Das Drama von Flug Aloha 243

Eine der spektakulärsten Notlandungen der jüngeren Luftfahrtgeschichte ereignete sich am 28. April 1988. An jenem Donnerstag vor exakt 25 Jahren gelang es den Piloten Robert Schornstheimer und Madeline "Mimi" Tompkins, ihre Boeing 737-297 sicher zu landen, nachdem der Jet während des Fluges in 24.000 Höhe einen sechs Meter langen Teil des Daches verloren hatte. Eine Flugbegleiterin kam dabei ums Leben, die übrigen 94 Insassen überleben mit zum Teil schweren Verletzungen. Austrian Wings blickt zurück.

Um 5 Uhr und 10 Minuten Lokalzeit checkte Flugkapitän Robert Schornstheimer (seit 1977 bei Aloha Airlines, 8.500 Flugstunden Gesamterfahrung, davon 6.700 auf der Boeing 737) an diesem Tag für seinen bevorstehenden Dienst ein. Er überprüfte gemeinsam mit dem Kopiloten sämtliche Unterlagen und stellte fest, dass die Technik die 19 Jahre alte Boeing 737-297 mit der Registrierung N73111 freigegeben hatte. Zwar hatte der 1969 gebaute Jet mit der Line Number 152  schon  rund 35.500 Flugstunden und annähernd 89.700 Starts und Landungen auf dem Buckel, doch die von zwei Pratt & Whitney JT8D-9A Turbinen angetriebene Maschine war augenscheinlich gut in Schuss für ihr Alter. Für die Piloten bestand daher kein Grund zur Beunruhigung.

Auf dem Dienstplan standen zunächst 6 kurze Legs, anschließend sollte Kapitän Schornstheimer mit einem anderen Ersten Offizier noch weitere Flüge durchführen. Es schien ein ganz normaler Arbeitstag zu werden.

Der erste Flug führte die 737 von Honolulu nach Hilo und retour, danach folgte die Rotation Honolulu - Maui - Honolulu, ehe es von Honolulu aus nach Kaual und zurück ging.

Wieder zurück in Honolulu beendete der Erste Offizier seinen Dienst und wurde durch Madeline "Mimi" Tompkins, die erste Pilotin bei Aloha Airlines überhaupt, abgelöst. Sie flog seit 1979 für die Airline und hatte zu diesem Zeitpunkt rund 8.000 Flugstunden Gesamterfahrung akkumuliert, davon 3.700 auf der B737. In Kürze sollte sie zum Kapitän befördert werden. Gemeinsam mit Kapitän Schornstheimer startet sie kurz nach 11 Uhr mit Ziel Maui. Von dort ging es weiter nach Hilo. Alle bisherigen Flüge waren problemlos verlaufen.

Die Katastrophe

Um 13:25 Uhr verließ die Boeing 737 Hilo wieder und nahm als Flug 243 Kurs auf Honolulu, das nach 45 Minuten Flugzeit erreicht werden sollte

Im Cockpit befanden sich die beiden Piloten sowie ein FAA-Flugverkehrslotse (auf dem Jumpseat), in der Kabine arbeiteten drei Flugbegleiterinnen unter der Leitung von Clarabelle "C.B." Lansing, die diese Tätigkeit bereits seit 37 Jahren ausübte. Mit 89 Passagieren war Flug 243 gut ausgelastet. Michelle Honda war damals 35 Jahre alt, flog seit 14 Jahren für Aloha und hatte eine 11-jährige Tochter. Jane Sato-Tomita war die dritte im Bunde und mit 19 Jahren Dienstzeit ebenfalls äußerst erfahren.

Der Abflug erfolgte ohne Probleme, als Ausweichflughafen im Falle von Problemen hatten die Piloten Maui definiert. Pilot Flying war First Officer Tompkins. DIe 36-Jährige steuerte die Maschine manuell unter Sichtflugbedingungen, nicht ungewöhnlich auf diesen kürzen Flügen zwischen den hawaiianischen Inseln. Kapitän Schornstheimer assistierte als Pilot Non Flying (PNF) seiner Kollegen und war für die Abwicklung des Funkverkehrs verantwortlich.

Analoges Cockpit einer Boeing 737-200, bereits mit einem Flight Management Computer ausgerüstet - Foto: Wiki Commons

Analoges Cockpit einer Boeing 737-200, bereits mit einem Flight Management Computer ausgerüstet, Symbolbild - Foto: Wiki Commons

In einer Höhe von 24.000 Fuß nahmen die drei Personen im Cockpit plötzlich einen lauten Knall wahr, Tompkins Kopf wurde nach hinten geschleudert, das Flugdeck füllte sich mit einer Art Nebel. Es war zu diesem Zeitpunkt 13:46 Uhr.

Kapitän Schornstheimer sah sich instinktiv um und bemerkte, dass die Cockpittüre fehlte. Viel besorgniserregender war jedoch, dass er dort, wo einst die Kabine der ersten Klasse war, den blauen Himmel sehen konnte.

Die beschädigte Boeing 737-200 der nach Landung in Maui - Foto: NTSB
Die beschädigte Boeing 737-200 der nach Landung in Maui - Foto: NTSB

Umgehend übernahm er selbst die Kontrolle über die havarierte Boeing, die sich nur noch schwer steuern ließ. Die Piloten sowie der Observer auf dem Jumpseat legten ihre Sauerstoffmasken an, und Schornstheimer leitete mit 280 bis 290 Knoten Fluggeschwindigkeit einen Notsinkflug ein, bei dem die Sinkrate rund 4.100 Fuß pro Minute betrug. Das Sauerstoffsystem für die Passagiere war zerstört - würden sie länger in dieser Flughöhe bleiben, könnte dies schwere Hirnschäden und sogar den Tod für sie bedeuten.

Was die Besatzung im Cockpit zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, war, dass Chefstewardess C.B. Lansing beim Abreißen des Daches durch den Druckunterschied sofort aus der Kabine geschleudert worden war. Jane Sato-Tomita war von Trümmerstücken getroffen worden und mit schweren Kopfverletzungen in Höhe von Reihe 2 zu Boden geschleudert wurden. Ein Passagier drückte die Hand der Bewusstlosen und hielt sie fest. Die verbliebene Stewardess hatte indes nur leichte Verletzungen erlitten und bereitete die Kabine in Eigenregie auf eine Notlandung vor, da keinerlei Sprechverbindung zum Cockpit mehr bestand.

Die Passagiere waren zum Zeitpunkt des Druckverlustes alle angeschnallt gewesen, wodurch keiner aus dem Flugzeug geschleudert wurde, jedoch hatten insbesondere jene in den vorderen Reihen teils erhebliche Verletzungen erlitten und waren dem eisigen Fahrtwind der mit rund 600 Stundenkilometern in die Kabine blies schutzlos ausgeliefert.

"Mayday, Mayday, Mayday!"

Im Cockpit rastete Erster Offizier Tompkins auf dem Transponder den Notfallcode 7700 und informierte die Flugverkehrskontrollstelle in Honolulu darüber, dass Flug 243 eine Notlandung in Maui machen würde. Aufgrund des hohen Geräuschpegels im Cockpit konnte sie jedoch keinerlei eingehende Funksprüche verstehen und war sich daher auch nicht sicher, ob ihre Notrufe überhaupt von Honolulu gehört würden.

Tatsächlich hatten die Fluglotsen den ersten Anruf von Tompkins nicht erhalten, bemerkten jedoch auf ihren Radarschirmen anhand des Transpondercodes die Notfallsituation.

Um 13:48 versuchte der diensthabende Lotse mehrmals erfolglos Flug 243 zu kontaktieren.

Funkkontakt mit Maui

Als die Maschine im Sinkflug 14.000 Fuß Höhe passiere, wechselte Tompkins auf die Frequenz von Maui Tower und es gelang ihr, den dortigen Lotsen um 13:48:35 über einen rapiden Druckverlust zu informieren und eine Luftnotlage zu erklären.

Sofort wurde auf dem Flughafen Crashalarm ausgelöst, sämtliche verfügbaren Einsatzkräfte der Feuerwehr nahmen entlang der Piste Aufstellung und bereiteten sich auf die Ankunft von Flug 243 vor. Allerdings alarmierte man zunächst keine medizinischen Rettungskräfte, weil der Controller dafür keine Notwendigkeit sah.

Um 13:53:44 funkte Tompkins: "We're going to need assistance. We cannot communicate with the flight attendants. We'll need assistance for the passengers when we land." Außerdem gab sie die Anzahl der an Bord befindlichen Passagiere durch, forderte jedoch nicht explizit medizinische Unterstützung für die Insassen nach der Landung an.

Vorbereitungen zur Landung

Als die Maschine 10.000 Fuß Höhe erreichte, nahm der Kapitän seine Sauerstoffmaske ab und begann damit, die 737 für die bevorstehende Landung zu konfigurieren. Ab einer Geschwindigkeit von 210 Knoten war der Geräuschpegel im Cockpit auf einen Level abgesunken, auf dem die Personen im Cockpit wieder verbal miteinander kommunizieren konnten.

Der Flugkapitän wies einen Ersten Offizier an, die Landeklappen auf 5 Grad auszufahren, was jedoch eine Verschlechterung der Flugeigenschaften bewirkte und die Steuerung der Maschine weiter erschwerte, weshalb Schornstheimer sich entschloss, die Klappen wieder einzufahren. Nach einigen vorsichtigen Experimenten legte er die Anflug- und Landegeschwindigkeit mit 170 Knoten fest.

Etwa zur gleichen Zeit versuchte "Mimi" Tompkins vergeblich über Intercom Kontakt mit den Flugbegleitern in der Kabine aufzunehmen.

"Gear down!"

Auf Anweisung von Schornstheimer fuhr sie das Fahrwerk aus, und schon stand die Crew vor einem neuen Problem. Laut Anzeigen war das Bugfahrwerk nämlich nicht ausgefahren oder zumindest nicht verriegelt. Auch das Betätigen der manuellen Notentriegelung brachte keinen Erfolg. Normalerweise würde eine Besatzung in so einem Fall einen tiefen Überflug am Tower vorbei durchführen, damit ein Fluglotse eine visuelle Überprüfung des Status des Fahrwerks vornehmen kann, doch diese Variante schied angesichts der schweren Beschädigungen der 737 aus. Es war ja noch nicht einmal klar, ob der Jet überhaupt die Piste erreichen oder zuvor in der Luft auseinander brechen würde.

Endanflug

Um 13:55:05 funkte Tompkins an den Lotsen im Tower von Maui: "We won't have a nose gear." und ergänzte diese Meldung um 13:56:14 noch: "We'll need all the equipment you've got."

Und als ob die Besatzung nicht schon genug Schwierigkeiten gehabt hätte, traten in dieser Phase des Fluges auch noch Vibrationen an Triebwerk Nummer 1 auf, das unmittelbar daraufhin komplett den Dienst versagte. Schornstheimer versuchte, die ausgefallene Turbine zu starten, was ihm jedoch nicht gelang. Vermutlich hatten umherfliegende Trümmerstücke das Triebwerk zu schwer beschädigt.

Der Kapitän beschrieb das Flugverhalten seiner 737 in diesem Moment später mit "It was shaking a little, rocking slightly and felt springy."

Landung und Evakuierung

Um 13:58:45 setzte Flug 243 auf der Piste 02 des Flughafen Kahului auf Maui auf. Mit Hilfe der Radbremsen und der Schubumkehr von Triebwerk Nummer 2 brachte die Besatzung den Havaristen sicher zum Stillstand. Anschließend fuhr sie die Klappen auf 40 Grad aus, damit diesen von den Passagieren beim Verlassen der Kabine über die Overwing-Exits als Notrutschen genutzt werden konnten.

Die nur leicht verletzte Flugbegleiterin Michelle Honda leitete eigenständig eine Evakuierung der Kabine in die Wege und wurde dabei von Schornstheimer und Tompkins unterstützt. Von den 89 Passagieren waren 65 verletzt, 8 davon schwer. Sie wurden teils mit Mietwagen in das Krankenhaus der Insel gebracht, da der Flughafen zu diesem Zeitpunkt nicht auf einen derartigen Massenanfall von Verletzten vorbereitet war.

Die Maschine unmittelbar nach der Notlandung; links im Bild ist Kapitän Robert Schornstheimer zu erkennen - Foto: NTSB
Die Maschine unmittelbar nach der Notlandung; links im Bild ist Kapitän Robert Schornstheimer zu erkennen, an der Eingangstüre hilft Erster Offizier Mimi Tompkins den Passagieren bei der Evakuierung - Foto: NTSB

Zwei der Mietwagenfahrer waren ehemalige Sanitäter und richteten noch auf dem Flugfeld eine Triage-Stelle ein. Hier erfuhren auch Robert Schornstheimer und "Mimi" Tompkins, dass C.B. Lansing aus der Maschine geschleudert worden war, als das Dach abriss.

Schäden an der Maschine

Die Schäden an der Maschine erwiesen sich als irreparabel. Ein mehr als 6 Meter großes Stück des Daches inklusive der Seitenwände war herausgerissen worden. Trümmerteile hatten zudem Rumpf und Triebwerke erheblich beschädigt. Die N73111 wurde verschrottet.

Ursachenforschung und Suchaktion

Das National Transportation Safety Board (NTSB) leitete eine umfassende Untersuchung des Unfalles ein, bei der schließlich Materialermüdung, begünstigt durch Korrosion als Ursache festgestellt wurde.  Die Korrosion wiederum war durch die salzhaltige Luft begünstigt worden. Dazu kam noch, so die Ermittler, eine unzureichende Verklebung der Blechstöße des Flugzeugrumpfes, wodurch Salzwasser in die Spalten eindringen und die Korrosion beschleunigen konnte, was in weiterer Folge zu einer erheblichen Zusatzbelastung der Nietverbindungen der 19 Jahre alten Maschine führte, die zudem durch die hohe Anzahl an Cycles strukturell erheblich vorbelastet war. Der entsprechende Bericht wurde am 14. Juni 1989 veröffentlicht.

Als Konsequenz aus dem Unfall wurden die Wartungsvorschriften geändert und strengere Kontrollen eingeführt. Dennoch gab es 2009 und 2010 Löcher in der Kabinenstruktur von Boeing-Jets. In allen Fällen konnten die Piloten jedoch sicher landen, bevor der Schaden Ausmaße wie bei Flug 243 annahm.

Trotz einer intensiven Suchaktion mit zahlreichen Schiffen wurde die Leiche von C.B. Lansing nie gefunden. Ihr zu Ehren wurde auf dem Flughafen Honolulu ein so genannter "Memorial Garden" errichtet.

C.B. Lansing, aufgenommen im Jahr 1962 - Foto: Heritagestudios / Wiki Commons
C.B. Lansing, aufgenommen im Jahr 1962 - Foto: Heritagestudios / Wiki Commons

Die drei unverletzt gebliebenen Besatzungsmitglieder flogen nur vier Stunden nach der Notlandung als Passagiere mit einer anderen Maschine der Gesellschaft nach Honolulu.

Flugbegleiterin Michelle Honda übersiedelte auf das Festland und flog noch einige Jahre weiter für Aloha Airlines. Jane Sato-Tomita dagegen arbeitete nach dem Autor vorliegenden Informationen nie wieder als Flugbegleiterin.

Robert Schornstheimer flog bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2005 weiter als Kapitän für Aloha Airlines. Madeline "Mimi" Tompkins wurde kurz nach der erfolgreichen Notlandung von Flug 243 der erste weibliche Flugkapitän der Airline und blieb Aloha Airlines bis zur Pleite des Unternehmens im Jahr 2008 treu. Danach wechselte sie zu Hawaiian Airlines, wo sie noch heute tätig ist.

Kennen Sie schon unseren Newsletter? Hier können Sie sich rasch und unverbindlich dafür anmelden.

Text: O. Neubauer
Titelbild: Boeing 737-200 von Aloha Airlines, Symbolbild - Foto: Richard Silagi / Wiki Commons