Punktlandung

Fragwürdiger Umgang der Tagespresse mit Luftfahrtthemen

Am 21. September 2012 kam es auf dem Air Berlin Flug 2242 von München nach Heraklion (Kreta) nach einem Fehlanflugverfahren mit anschließendem Einflug in eine Warteschleife, zu einer Verknappung der Treibstoffreserven an Bord der Boeing 737-800 (Reg.: D-ABKJ). Vor dem Hintergrund einer angespannten Verkehrssituation landete das Flugzeug nach einigem Hin und Her auf dem vorgesehenen Ausweichflughafen Chania.

Bis zum 16. Dezember 2012 blieb dieser Zwischenfall in der Öffentlichkeit unbekannt. Mit Referenz auf den ersten Zwischenbericht der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) veröffentlichte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" dann einen Artikel "Zwischenfall über Kreta: Boeing von Air Berlin ging der Sprit aus", dessen Hauptaussage, dass die finanziell angeschlagene Air Berlin auf Kosten der Sicherheit spare, sich in Minutenschnelle im Internet verbreitete.

Inhaltlich wichen die Aussagen des Artikels im "Spiegel" "im Anflug ging (…) der Sprit aus", ein "bedrohlich niedrigen Treibstoffstand", "großer finanzieller Druck“ der Air Berlin sowie einem Unternehmensverlust "im fünften Jahr in Folge“ doch deutlich von der Stellungnahme der Air Berlin, der Treibstoff habe stets und auch nach der Landung in Chania "über dem gesetzlich vorgeschrieben Minimum" gelegen, ab.

Verlauf des Zwischenfalls

An Bord der Boeing 737-800 befanden sich auf dem Flug nach Heraklion 177 Passagiere und 6 Crewmitglieder. Der zuständige Lotse wies die Crew an, einen "VOR Alpha Letdown" Anflug auf Landebahn 09 zu fliegen. Dieser Approach ist als Verfahren zu verstehen, bei dem der letzte Teil des Anflugs auf Heraklion ab dem Navigationspunkt "VOR A" auf Sicht fortgeführt wird. Nachdem die Besatzung jedoch in einer Flughöhe von 2000 Fuß noch keinen eindeutigen Sichtkontakt mit der Landebahn 09 hatte, wurde ein Fehlanflugverfahren eingeleitet, was das vorgesehene Verfahren für solche Fälle darstellt um eine sichere Flugdurchführung zu gewährleisten.

Die Flugsicherung leitete die Boeing 737-800 darauf hin zum sogenannten Initial Approach Fix (IAF) "ADORI". Zu dem Zeitpunkt lag die Treibstoffmenge in den Tanks der 737 bei 2.200 Kilogramm.

Um weitere Probleme zu vermeiden und vor dem Hintergrund einer angespannten Verkehrssituation in Heraklion sowie der abnehmenden Treibstoffmenge, entschloss sich die Crew zum vorgesehenen Ausweichflughafen Chania zu fliegen, was sie auch umgehend der Flugsicherung mitteilte.

Der zuständige Lotse verstand das Anliegen der Crew jedoch nicht und wollte die Air Berlin Maschine erneut für die Landung auf Landebahn 09 in Heraklion freigeben. Daraufhin brachte die Besatzung die Dringlichkeit ihres Anliegens per "Pan-Call“ zum Ausdruck und wiederholte ihr Begehr, einen Direktanflug auf Landebahn 29 in Chania fliegen zu wollen.

Dieses wurde jedoch vom Fluglotsen abgelehnt (!) und die Boeing 737 wurde stattdessen zum Navigationspunkt "VOR SUD" geschickt. Nunmehr war für die beiden Piloten absehbar, dass die Treibstoffreserven die minimal vorgeschriebene Menge (Final Reserve Fuel, siehe unten) in Kürze unterschreiten würde. Deshalb deklarierte die Crew per "Mayday-Call“ einen Notfall.

Erst jetzt wurde dem Wunsch der Air Berlin Maschine stattgegeben und der Luftraum entsprechend freigemacht. Ohne weitere Verzögerungen konnte das Flugzeug sicher auf Landebahn 29 in Chania landen.

Theoretischer Hintergrund der Treibstoffberechnung

Die Berechnung der erforderlichen Treibstoffmenge eines Fluges läuft immer nach demselben Schema ab und ist entsprechend gesetzlich verankert. Die zu tankende Bruttotreibstoffmenge (das so genannte Blockfuel) setzt sich aus der Addition folgender Einzelkomponenten zusammen: Der erforderlichen Menge für die Strecke vom Startflughafen bis zum Zielflughafen (Trip Fuel), einem 5 prozentigem Zuschlag auf die trip fuel – Menge (Contingency Fuel), der erforderlichen Treibstoffmenge für den Flug vom Zielflughafen bis zum Ausweichflughafen (Alternate Fuel), der erforderlichen Menge für 30 Minuten Flugzeit in einer Warteschleife am Ausweichflughafen (Final Reserve Fuel), der erforderlichen Menge für die erwartete Rollzeit am Boden am Startflughafen (Taxi Fuel) sowie einer variablen Menge, über die der Pilot entscheidet (Extra Fuel). Die ersten vier Komponenten stellen dabei die sogenannte "Minimum Take-off Fuel"-Menge dar.

Im Fall von Air Berlin Flug 2242 betrug die Blockfuelmenge 8.400 Kilogramm, bestehend aus 7.900 Kilogramm Minimum Take-off Fuel, 200 Kilogramm Taxi Fuel und 300 Kilogramm Extra Fuel. Die Resttreibstoffmenge betrug beim Aufsetzen in Chania etwa 1.200 Kilogramm (was rechtlich gesehen relevant ist), an der Parkposition 1100 Kilo. Die Berechnete Final Reserve Fuel Menge lag bei 1187 Kilo. Auf Basis dieser Angaben wurde auf dem Flug die Final Reserve Fuel Menge also nie unterschritten.

Medialer Umgang

Die Untersuchungen der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen dauern bis heute an, womit auch die Frage nach der Ursache für diesen Zwischenfall nicht abschließend geklärt ist. Für die breite Medienlandschaft, inklusive der Medien, die sich in ihrer Eigeneinschätzung als "Qualitätsmedium" betrachten, und die sich höchstwahrscheinlich in dieser Tiefe gar nicht mit dem Zwischenfall auseinandergesetzt haben, stellt sich diese Frage scheinbar nicht: Eine unter "großem finanziellen Druck" stehende Airline wie es beispielsweise Air Berlin gegenwärtig ist, spart natürlich so stark an der Treibstoffmenge, dass die Flugsicherheit regelmäßig beeinträchtigt ist – keine Frage… Ich persönliche sehe den Fehler als nicht von der Airline verschuldet an, jedoch möge sich jeder Leser aufgrund der von mir bereit gestellten Fakten seine eigene Meinung zu diesem Vorfall und den Umgang der Medien damit bilden.

Leider ist dieser Zwischenfall bei weitem nicht das einzige Beispiel dafür, dass es Tages- und Wochenzeitungen immer wieder schaffen, luftfahrtbezogene Themen komplett zu verfehlen oder in großen Teilen unvollständig wiederzugeben. Natürlich verlangt keiner Berichte in diesem Umfang und auch darf der generelle Nutzen medialer Berichterstattung über Zwischenfälle in der Luftfahrt nicht unterschätzt werden. Dennoch wäre es wünschenswert Aussagen wie "Kopiloten können nicht fliegen" (D-AIQP, 2008) oder "Airbus ist kurz davor, ein Flugverbot für den A321 auszusprechen" (D-AISL, 2013) etwas differenzierter betrachtet zu haben.

Ich wage übrigens zu prognostizieren, dass der Abschluss der Untersuchung von Flug AB2242 in keinem Medium erwähnt werden wird.

Text: Nicolas Eschenbach

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.