Mittwoch, 11. Juli 1973: Eine lange Reise liegt bereits hinter den 17 Besatzungsmitgliedern und 117 Passagieren an Bord der Boeing 707-345C der brasilianischen Fluggesellschaft Varig. Unter den Reisenden befinden sich auch der bekannte Olympia-Segler Jörg Bruder sowie der Präsident des brasilianischen Senats, Filinto Müller. Die mit 20 Plätzen in der Ersten Klasse und 120 Sitzen in der Economy bestuhlte 707 ist damit gut ausgelastet.
Kommandant des vierstrahligen Jets mit dem Kennzeichen PP-VJZ ist Kapitän Gilberto Araujo de Silva (49), ein erfahrener Pilot mit mehr als 18.000 Flugstunden Erfahrung. Über 4.600 davon hat er auf der 707 gesammelt. Sein Flugbuch weist eine bunte Melange an geflogenen Typen auf: Convair 440, Super Constellation, Lockheed Electra, DC-8 und Boeing 707.
Ihm zur Seite stehen Antonio Fuzimoto (hat am Tag vor dem Unglück seinen 45. Geburtstag gefeiert), der rund 17.800 Flugstunden akkumuliert hat, Alvio Basso (46, 12.600 Flugstunden) sowie Flugingenieur Carlos Diefenthaler (39), mit rund 16.700 Stunden ebenfalls ein routinierter Profi. Komplettiert wird die Besatzung durch einen weiteren Bordmechaniker, Claunor Bello (38, 9.655 Flugstunden), die beiden Navigatoren Salvador Ramos Heleno (45, 15.157 Flugstunden), Zilmar Gomes da Cunaha (43, 14.140 Flugstunden) sowie den jungen Piloten Ronald Untermoehl (23), der 1.540 Stunden Erfahrung in seinem Flugbuch stehen hat.
Die Kabinenbesatzung steht unter der Leitung von Joao Egidio Galetti, einem 33-jährigen Flugbegleiter mit 11 Jahren Berufserfahrung. In dieser Zeit ist er mehr als 9.000 Stunden als Steward geflogen, davon fast 5.000 auf der Boeing 707. Mit ihm versehen an diesem Tag Edemar Goncalvez Mascarenas (31), Carmelino Pires de Oliveira Junior (31), Sergio Carvalho Balbino (28), Luiz Edmundo Coelho Brandao (34), Alain Henri Tersis (26), Andrea Piha (24), die in Deutschland geborene Elvira Strauss (24) und Hanelore Danzberg (34) in der Kabine der Boeing 707 ihren Dienst.
Vor mehr als 10 Stunden ist die Maschine auf dem Galeão Flughafen von Rio de Janeiro gestartet und noch rund 30 Minuten dauert es bis zur planmäßigen Landung auf dem Flughafen Paris Orly. Nach einem kurzen Zwischenstopp soll das Flugzeug von dort seine Reise zur Enddestination London fortsetzen.
Das Wetter ist gut, die Crew erwartet keinerlei Schwierigkeiten und so verlässt die Boeing 707 ihre Reiseflughöhe für den geplanten Sichtanflug auf den Airport Orly. Die Anschnallzeichen sind illuminert, die Passagiere befinden sich auf ihren Sitzplätzen als um 13:58 Uhr unvermittelt Rauch aus einem der hinteren Toilettenräume in die Kabine eindringt.
Besorgte Passagiere alarmieren die Flugbegleiter, die sofort mit der Brandbekämpfung beginnen. Einer der Stewards meldet dem Kommandanten ein "kleines Feuer", etwas das zu jener Zeit als das Rauchen an Bord von Flugzeugen noch erlaubt ist, verhältnismäßig häufig passiert und dessen Gefahr deshalb mitunter auch unterschätzt wird.
Doch Kapitän da Silva erkennt den Ernst der Lage umgehend und erbittet die Freigabe für einen sofortigen Notsinkflug, der vom Fluglotsen genehmigt wird. Außerdem gibt der Mann am Boden die Maschine zum Direktanflug auf die Piste 07 frei. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich die Boeing 707 noch etwa 40 Kilometer vom rettenden Flughafen entfernt. Die Besatzung im Cockpit legt ihre Sauerstoffmasken an und ist zuversichtlich Paris Orly erreichen zu können.
Währenddessen gelingt es den Flugbegleitern nicht, das Feuer einzudämmen, denn die Flammen finden im Inneren der Kabine reichlich brennbares Material, welches das Inferno weiter anfacht. Die Hitze nimmt zu, aber auch die Rauchentwicklung, und das ist für die Menschen an Bord noch viel gefährlicher - denn schon 1 bis 2 Atemzüge der hochtoxischen Gase können die Bewusstlosigkeit sowie in weiterer Folge den Tod eines Menschen verursachen. Anders als für die Besatzung, stehen für die Passagiere im Fall eines Brandes an Bord jedoch keine Sauerstoffmasken zur Verfügung. Die Boeing sinkt weiter in Richtung der Landebahn, während die Passagiere mit akuter Atemnot zu kämpfen haben.
Die Flugbegleiter unter der Leitung von Purser Galetti haben tragbare Sauerstoffgeräte angelegt und versorgen die hustenden und um Atem ringenden Insassen mit nassen Tüchern, die diese sich als Filter vor Mund und Nase halten sollen um so die Zeit bis zur Landung zu überstehen. Sekunden werden zu bangen Minuten und diese zu einer gefühlten Ewigkeit für die im Feuer Eingeschlossenen.
Galetti arbeitet sich in der durch den Qualm mittlerweile stockdunklen Kabine zum Cockpit vor und brüllt den Kapitän an, dass die Passagiere bereits sterben und man sofort landen müsse. Seit den ersten Anzeichen für einen Brand an Bord sind gerade einmal drei Minuten vergangen, als Kapitän da Silva um 14:01 Uhr "Total fire" an die Bodenkontrolle funkt. Auch im Cockpit wird der Rauch jetzt immer dichter und raubt den Piloten die Sicht nach außen, die Instrumente sind mit einer dicken Rußschicht überzogen und nur noch schwer abzulesen.
Um das Cockpit von den dichten Rauchschwaden zu befreien, lässt der Flugingenieuer jetzt den Kabinendruck ab, was es dem Kapitän ermöglicht, eines der Fenster zu öffnen, während der Erste Offizier Antonio Fuzimoto die Maschine steuert. Was vor wenigen Minuten als "kleines Feuer" begonnen hat, ist zum unerbittlichen Kampf ums Überleben geworden.
In dem Wissen, den Flughafen nicht mehr erreichen zu können, entscheiden sich die Männer zu einer Notlandung, nachdem sie ein offenes Feld entdeckt haben. Fahrwerk und Landeklappen werden ausgefahren, der Endanflug eingeleitet. Sechs der Flugbegleiter flüchten ins Cockpit, der größte Teil der Passagiere ist zu diesem Zeitpunkt bereits tot, erstickt an den Rauchgasen.
Unmittelbar vor der Landung weicht die 707 noch einer Hochspannungsleitung aus und setzt anschließend 5 Kilometer südlich des Flughafens bei Saulx les Chartreux auf einem Feld auf. Nach wenigen Meter brechen die Fahrwerke weg, gefolgt von den Triebwerken, der schwere Jet schlittert noch einige hundert Meter und kommt zum Stillstand. Der Rumpf ist intakt, die Tanks ebenfalls. Es gibt keinen Aufschlagsbrand.
10 Besatzungsmitgliedern gelingt in den folgenden Minuten die Flucht aus der Maschine, um die Passagiere kümmern sie sich nicht mehr. 9 von ihnen bleiben unverletzt, eines erleidet leichte Blessuren.
Doch nur ein Fluggast, Ricardo Trajano (19), überlebt das Inferno und wird von den Rettungskräften mit einer Rauchgasvergiftung und Verbrennungen ins Krankenhaus eingeliefert. Er verdankt sein Überleben wahrscheinlich dem Umstand, dass er seinen Sitzplatz im hinteren Teil der Kabine entgegen den Anweisungen der Besatzung verlassen hat und in den vorderen Teil des Flugzeugs geflüchtet ist als der Qualm immer dichter und giftiger wurde.
Die übrigen 116 Passagiere und 7 Besatzungsmitglieder, darunter auch der junge Nachwuchs-Pilot Ronald Utermoehl, Flugingenieur Carlos Diefenthaler Neto (war beim Aufprall nicht angeschnallt) und Navigator Salvador Ramos Heleno, sterben hingegen in dem brennenden Wrack, obwohl herbeigeeilte Bauern versuchen, so viele Insassen wie möglich zu befreien - vergeblich.
Die Untersuchung
Die auf den Unfall folgende Ermittlung ergab, dass das Feuer vermutlich im Mülleimer einer der hinteren Toiletten ausgebrochen war. Ursache dafür war nach Einschätzung der Experten eine weggeworfene Zigarette.
Das Feuer breitete sich aufgrund der feuchten Papierhandtücher zunächst aber nur sehr langsam, später dafür umso intensiver und rascher aus. Weil es keinen Rauchmelder gab, wurde der Brand erst (zu) spät entdeckt. Zusätzlich negativ wirkte sich aus, dass es die Materialien in der Kabine nicht flammhemmend waren und dem Feuer so reichlich Nahrung boten.
Die Konsequenz aus diesem Unfall war unter anderem der Erlass eines generellen Rauchverbotes für die Waschräume an Bord von Verkehrsflugzeugen sowie die regelmäßige Kontrolle der Toiletten durch die Flugbegleiter während des Fluges. Dennoch sollte es auch in den Folgejahren noch wiederholt zu Bränden und Rauchentwicklung in Flugzeugtoiletten kommen. Heute sind die Waschräume moderner Verkehrsflugzeuge mit Rauchmeldern ausgestattet, die im Falle des Falles ein rechtzeitiges Erkennen dieser Gefahrensituationen ermöglichen.
Kapitän da Silva
Durch seine fliegerische Meisterleistung hatte Kapitän da Silva einen Absturz der Maschine auf bewohntes Gebiet vermieden und zusätzlich immerhin 11 Menschenleben an Bord seines Flugzeuges gerettet. Er wurde in Brasilien als Nationalheld gefeiert und von Frankreich sowie der Fluglinie Varig geehrt.
Doch dieser erfahrene Pilot sollte sein Husarenstück von Paris nur um 6 Jahre überleben: Am 30. Jänner 1979 war er Kommandant der Varig Boeing 707-323C, PP-VLU, die sich als Frachtflug auf dem Weg von Tokio Narita via Los Angeles nach Rio de Janeiro Galeao befand. Die Ladung bestand aus 153 Gemälden im Wert von 1,24 Millionen US-Dollar. Rund 30 Minuten nach dem Start in Tokio verschwand die Maschine aus ungeklärter Ursache spurlos - sowohl das Wrack als auch die Leichen der 6 Crewmitglieder wurden bis heute nicht gefunden. Doch das wird zu gegebener Zeit Thema einer anderen Austrian Wings Reportage sein.
Text: O. Neubauer
Titelbild: Die Unglücksmaschine, Varig Boeing 707-345C mit der Registrierung PP-VJZ, aufgenommen im September 1970 auf dem Flughafen London Heathrow - Foto: Werner Fischdick