Reportagen

"Brace for impact!" - Notwasserungs-Training für Passagiere

"Hierher! Schwimmweste aufblasen! Ins Wasser!" Die durchdringenden Kommandos der Flugbegleiter lassen die Ernsthaftigkeit der Situation zweifellos erkennen. Zügig verlassen die Fluggäste die Kabine der Maschine, welche soeben außerplanmäßig notwassern musste. Es bleiben nur Sekunden, und jeder Handgriff muss sitzen. Ein Szenario, das glücklicherweise nur selten in der kommerziellen Luftfahrt vorkommt. Doch wenn es passiert, hängt ein positiver Verlauf nicht zuletzt von einer richtigen und möglichst besonnenen Reaktion aller Insassen ab. Der österreichische Anbieter A-S-N (Aircraft Safety Network) bildet neben Airline-Angehörigen auch interessierte Passagiere in praxisnahen Seminaren fort. Austrian Wings war exklusiv mit Foto- und Kamerateam bei einem sogenannten "Ditching-Workshop" dabei.

Der frühe Abend beginnt unspektakulär. Etwa zwei Dutzend interessierte Passagiere haben im Lehrsaal Platz genommen. Viele sind extra aus der Schweiz und Deutschland angereist, um an dem A-S-N Workshop teilnehmen zu können. Es sind zahlreiche Vielflieger darunter, für die eine Flugreise keine Besonderheit mehr darstellt. Manche von ihnen haben bereits diverse Seminare absolviert, aber das Thema "Ditching" - also eine Notwasserung - wurde noch nie mit solchem Realitätsbezug behandelt. Doch Ereignisse wie die Landung eines Flugzeugs im New Yorker Hudson River oder eine "Bauchlandung" im Meer vor Bali haben viele Reisende sensibilisiert. Hier, bei A-S-N, erhalten sie nun die Gelegenheit, ein solches Ereignis am eigenen Leib zu erfahren, sich mit dem Szenario vertraut zu machen und vor allem: den Umgang mit der Notfallausrüstung ausgiebig zu üben.

Ein erfahrener Flugkapitän begrüßt die Seminarbesucher und veranschaulicht, was passiert, wenn ein Flugzeug im Wasser aufsetzt. Kann die Maschine überhaupt schwimmen? Und wie kann man sich als Cockpit-Crew auf ein solches Ereignis vorbereiten? - Auch viele Fragen von Passagieren werden hier ausführlich thematisiert. Denn, und das muss betont werden: Dass es überhaupt einmal zu einer Notwasserung kommt - die Chancen dafür stehen wohl noch schlechter als für den vielgewünschten Sechser im Lotto. Doch falls es geschieht, muss ein Rädchen ins andere greifen. Und nur, was man bereits einmal (optimalerweise unter ungefährlichen Umständen) probieren und erleben konnte, kann im tatsächlichen Ernstfall für Ruhe, Koordination und gezielte Aktion sorgen.

In Ausbildungszentren wie diesen werden auch Flugbegleiter trainiert
In Ausbildungszentren wie diesen werden auch Flugbegleiter trainiert

Alle Theorie ist grau. Die Praxis wird nass.

Sehen, hören, fühlen. A-S-N verspricht den Workshop-Besuchern ein Erlebnis, das alle Sinne in höchstem Maße anspricht. Und so geht es an einen Ort, der üblicherweise nur Airline-Angestellten zum Training zur Verfügung steht: den Flugsimulator. Die Kabine ist realitätsgetreu nachgebildet, vom Staufach bis zum Bord-WC ist alles vorhanden. Triebwerksgeräusche sind zu hören, die Kabine beginnt sich zu bewegen. "Meine Damen und Herren, wir möchten Sie nun mit den Sicherheitsvorkehrungen an Bord vertraut machen!", ertönt die Stimme einer Flugbegleiterin, während ihre Kollegen - wie gewohnt - anschaulich den Umgang mit Sitzgurten, Sauerstoffmasken und Schwimmwesten demonstrieren. Glatt könnte man vergessen, dass man sich nicht wirklich auf dem Weg in den Urlaub oder zum Geschäftstermin befindet.

Wie im richtigen Flugzeug müssen die Passagiere das Gepäck verstauen und anschließend Platz nehmen
Wie im richtigen Flugzeug müssen die Passagiere das Gepäck verstauen und anschließend Platz nehmen
Ausbilderin und Flugsicherheitsexpertin Barbara Pencik macht die Reisenden mit den Sicherheitseinrichtungen an Bord vertraut
Ausbilderin und Flugsicherheitsexpertin Barbara Pencik macht die Reisenden mit den Sicherheitseinrichtungen an Bord vertraut

Unspektakulär verläuft schließlich auch der Start, und das Flugzeug hebt - zumindest gefühlt - ab. Alles ganz nach Plan. Vorerst. Denn seltsamerweise sind plötzlich die gewohnten Turbinengeräusche nicht mehr zu hören.

Völlig unvermittelt ertönt die Stimme des Flugkapitäns über die Lautsprecher: "Brace for impact!" Keine Sekunde später brüllen alle Flugbegleiter durch die Kabine: "Vorbeugen! Kopf runter! Bend forward! Head down!"

Es geht in Richtung Wasser. Ein Element, das als Landemöglichkeit für ein konventionelles Verkehrsflugzeug nicht vorgesehen ist. Die Piloten tun ihr Möglichstes, um die Maschine in einem optimalen Winkel aufzusetzen. Und dann muss alles ganz schnell gehen.

"Schwimmweste anziehen!" Die Kommandos des Kabinenpersonals sind eindringlich und unmissverständlich. Jetzt zeigt sich, wie weit Theorie und Praxis voneinander entfernt sind. Keine zehn Minuten zuvor hat man ja - hoffentlich! - noch aufmerksam bei der Sicherheitsdemonstration zugesehen. Funktioniert es jetzt, die Schwimmweste in Sekundenschnelle überzustreifen und richtig zu fixieren? Und wie ist es, wenn man auch noch ein mitreisendes Kleinkind zu versorgen hat? Gibt es überhaupt ausreichend Licht, oder muss man - im ungünstigsten Fall - in völliger Dunkelheit richtig agieren?

A-S-N Gründerin Barbara Pencik erklärt das korrekte Anlegen der Schwimmwesten bei Kleinkindern
A-S-N Gründerin Barbara Pencik erklärt das korrekte Anlegen der Schwimmwesten bei Kleinkindern

Doch es bleibt keine Zeit zum Überlegen. "Hinten ist ein guter Ausgang! Gehen Sie nach hinten! Use the rear exit!" Alle müssen raus, und das schnell. Hoffentlich hat niemand in einem voreiligen Reflex schon in der Kabine die Schwimmweste aufgeblasen - denn das könnte eine zügige Flucht massiv behindern. Alle drängen zu den Ausgängen. Auch dort wartet ein Flugbegleiter. Unbehagen steigt auf, als es zur Notrutsche geht. Aber es gibt kein Zögern. "Springen!", tönt es laut von links. Und jeder weiß: es wird der sprichwörtliche Sprung ins kalte Wasser.

Notrutsche in aufgeblasenem Zustand
Notrutsche in aufgeblasenem Zustand

Durchatmen am Trockenen

Sind alle draußen? - Glücklicherweise kann man sich nun wieder darauf besinnen, dass es sich "nur" um eine Übung handelt. Aber die Pulsfrequenz ist wohl bei allen Teilnehmern entsprechend hoch. Kurze Gelegenheit zur Reflexion: Wie wurde der "Zwischenfall" erlebt? Lief alles glatt, wo gab es Schwierigkeiten oder Stolpersteine? Was hat man tatsächlich alles von der Sicherheits-Demo vor dem Start behalten? Und vor allem - konnten wirklich alle ihre Schwimmweste richtig anlegen und aktivieren?

Ein erster Erfahrungsaustausch findet gleich vor dem Simulator statt, wo alle Eindrücke noch frisch sind. Ein kurzes Durchatmen nach spannungsgeladenen Minuten, die wohl nicht weit von der Realität entfernt waren.

Lernen durch unmittelbare Erfahrung

Trotz aller Überraschung und Hektik war das namensgebende Element des Seminars bis hierhin aber noch gar kein unmittelbares Thema. Das soll sich rasch ändern, denn der nächste Schauplatz ist das Schwimmbecken. Doch die Teilnehmer haben nicht etwa Badehose und Sauna-Kilt im Gepäck, sondern sind so angetreten, wie sie auch zu jeder gewöhnlichen Flugreise aufbrechen würden: in Alltagskleidung.

Schritt für Schritt geht es nun an praktische Übungen rund um die Schwimmwesten. Wie klappt es jetzt mit dem Anlegen? Funktioniert das mittlerweile auch blind? Wie fühlt es sich an, mit einer solchen Weste im Wasser zu sein, und das noch dazu in voller Bekleidung? Wie kann man anderen Passagieren, die vielleicht verletzt oder gar bewusstlos sind, helfen? - Auch die umfangreichen Verwendungsmöglichkeiten der in Flugzeugen mitgeführten Notfallausrüstung rund um Rettungsfloße, Boote und der richtige Umgang mit diesen lebensrettenden Hilfsmitteln wird in den Mittelpunkt gestellt. Wie einfach ist es, sich völlig durchnässt in ein Rettungsboot zu ziehen? Und wie kann man sich dann dort vor Wind und Witterung schützen? Hier gibt es keine bloße Theorie mehr, sondern alles ist gelebte Praxis. Eine unmittelbare Erfahrung, direkt im Element Wasser.

Eine Erfahrung fürs Leben

Ein paar Stunden sind vergangen, seit das Seminar gemütlich im Lehrsaal begonnen hatte. Und für die meisten Teilnehmer hat diese Zeit vieles verändert. Prägende Erlebnisse liegen hinter den Passagieren - die sie vermutlich hoffentlich niemals in der Realität erleben werden. Doch sollte der Ernstfall eintreten, ist das bei A-S-N erworbene Wissen nicht nur wertvoll, sondern unter Umständen sogar lebensrettend.

Der deutsche Luftfahrtjournalist Andreas Spaeth etwa resümiert: "Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, so etwas real zu erleben, extrem minimal ist, finde ich ein solches Notwasserungs-Training wichtig und spannend. Je mehr Leute sich damit schon befasst haben, umso besser im Ernstfall. Man lernt bei dem Kurs auch einiges über sich selbst, ich kann diese Erfahrung nur empfehlen."

(red CvD, Aig, MK / Alle Fotos, sofern nicht anders angegeben: PA / Austrian Wings Media Crew / Alle Inhalte dieses Beitrages sind urheberrechtlich geschützt.)