"Ist ein Arzt an Bord?" - Wenn es in einem Verkehrsflugzeug zu einem ersten medizinischen Notfall kommt, ist das Kabinenpersonal bemüht, möglichst optimale Hilfe zum Patienten zu bringen. Demzufolge sind Flugbegleiter umfassend in Erste-Hilfe-Maßnahmen geschult, und da sich in sehr vielen Fällen auch Ärzte und medizinisches Assistenzpersonal unter den Reisenden befinden, wird bei renommierten Airlines auch Material für die professionelle Hilfe vorgehalten. Dazu gehört beispielsweise ein "Doctor's Kit", also eine Arzttasche mit Medikamenten, Infusionen, Material zur Sicherung der Atemwege und sogar für chirurgische Eingriffe. Denn im Fall des Falles kann die Zeitspanne, bis das Flugzeug selbst nach erklärter Notlage am Boden und der Patient rettungsdienstlicher Hilfe zugeführt ist, sehr lange werden.
Eine besonders kritische Situation stellt ein Kreislaufstillstand an Bord dar. Hört das Herz eines Fluggastes plötzlich auf zu schlagen, ist es nicht allein auf Grund der beengten Verhältnisse in der Kabine eine gewisse Herausforderung, suffiziente Wiederbelebungsmaßnahmen einzuleiten und über längere Zeit aufrecht zu erhalten. Es braucht auch das nötige Equipment.
In 55 Prozent der Vorfälle ereilt der sogenannte "plötzliche Herztod" einen Patienten, bei dem zuvor keine Herzkrankheit bekannt war. Zumeist entwickelt sich der Kreislaufstillstand dann aus einer Herzrhythmusstörung, bei welcher das Herz viel zu schnell schlägt, die Herzkammern nicht ausreichend mit Blut gefüllt werden und damit zu wenig Blut in den Kreislauf gelangt.
Während der "typische Patient" eines solchen Zwischenfalls über 60 Jahre alt ist, kommt es auch immer wieder bei jungen Menschen zu derartigen Ereignissen, etwa im Zuge von Herzmuskelentzündungen, die beispielsweise aus einer nicht sorgsam auskurierten Grippe resultieren können. Ebenso kann Stress (Mit-)Auslöser sein.
Im Falle eines eingetretenen Kreislaufstillstandes setzt binnen kürzester Zeit auch die Atmung aus. Für das Überleben und die weitere Prognose des Betroffenen sind dann schnelle und richtig durchgeführte Wiederbelebungsmaßnahmen entscheidend. Hier kommt, neben der wichtigen Herzdruckmassage und Beatmung, auch der sogenannte Defibrillator ins Spiel - ein Gerät, das durch die Abgabe von Stromstößen die ungeordneten Herzaktionen wieder in einen regulären Rhythmus bringen soll. Da in 80 Prozent der Fälle des "plötzlichen Herztodes" beim Patienten zunächst ein unnatürlich schneller Herzrhythmus vorliegt (sogenannte Kammertachykardie, Kammerflattern oder Kammerflimmern), ist der "Defi" dann Mittel der Wahl. Seine Bedienung ist selbst für Laien einfach und intuitiv - kein Wunder also, dass diese Geräte mittlerweile auch Bestandteil von Erste-Hilfe-Kursen geworden sind. Viele Unternehmen und öffentliche Einrichtungen halten Defibrillatoren vor - mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie auch einen Feuerlöscher. Im Gegensatz zu Letzterem ist der "Defi" jedoch gesetzlich nicht vorgeschrieben.
"Defi" im Flugzeug
Auch zahlreiche Fluglinien rund um den Globus haben reagiert und ihre Maschinen mit Defibrillatoren ausgestattet. Austrian Wings hat sich im Lufthansa-Konzern und auch bei anderen Airlines umgehört. Lufthansa-Sprecher Michael Lamberty bestätigte etwa gegenüber unserer Redaktion, dass bereits seit geraumer Zeit sämtliche Lufthansa-Maschinen mit "Defis" ausgerüstet sind. Nicht anders bei SWISS: Sprecherin Myriam Ziesack wies darauf hin, dass auf allen Maschinen der Flotte nicht nur Defibrillatoren, sondern auch Ersatzbatterien vorgehalten werden. In allen Fällen natürlich auch inklusive zugehörigem Training der Besatzung.
Die zum Thomas Cook Konzern gehörende deutsche Condor hat ebenfalls überall "Defis" an Bord, wie uns Konzernsprecher Johannes Winter versicherte.
Ein besonders positives Beispiel liefert Deutschlands zweitgrößte Fluggesellschaft, Air Berlin. Dort wurden bereits 2002 alle Kurz- und Mittelstreckenmaschinen mit "Defis" ausgestattet, wie Pressereferentin Kathrin Zirkel gegenüber Austrian Wings betonte. Auf Langstreckenflügen sind sogar zwei Defibrillatoren mit an Bord. Dasselbe gilt für die österreichische Tochter NIKI. Besonders hervorzuheben: Die Geräte können nicht nur im "worst case", also beim bereits eingetretenen Kreislaufstillstand, wirksam zum Einsatz kommen, denn die mitgeführten "Defis" erlauben als zusätzliche Option auch die Überwachung der Herztätigkeit im Rahmen eines klassischen EKG-Monitorings sowie weiterer Vitalwerte. Der Einsatz ist damit für medizinisches Fachpersonal auch außerhalb einer Reanimationssituation zur Diagnosestellung und Patientenüberwachung optimal möglich.
Verein Puls: "Defi an Bord ist sinnvoll"
"Einen Defibrillator an Bord eines Verkehrsflugzeuges zu haben, halten wir vom Verein 'Puls' für absolut sinnvoll", erläutert der geschäftsführende "Puls"-Präsident Dr. Mario Krammel. Das sei auch ganz einfach nachzuvollziehen. "Bei einem leblosen Patienten nimmt die Überlebenswahrscheinlichkeit ohne Erste Hilfe Maßnahmen pro Minute um etwa zehn Prozent ab. Daher ist es unumgänglich, dass bereits der Ersthelfer mit der Wiederbelebung beginnt. Durch kräftigen Druck in der Mitte des Brustkorbes und den raschen Einsatz eines Laien-Defibrillators innerhalb der ersten 2-3 Minuten - noch vor der Übergabe des Patienten an Rettungskräfte also - können Zeugen effizient Erste Hilfe leisten und so die Überlebenswahrscheinlichkeit von durchschnittlich fünf Prozent auf bis zu über 70 Prozent erhöhen. Außerdem bietet ein Defibrillator an Bord auch für die Mannschaft ein zusätzliches Sicherheitsgefühl, um schnell und kompetent handeln zu können", weiß der Fachmann und Notfallmediziner.
Auch der europäische Rat für Wiederbelebung spricht sich laut Krammel in den aktuell veröffentlichten Guidelines eindeutig für die Vorhaltung von AED-Geräten, also halbautomatischen Defibrillatoren, in Verkehrsflugzeugen aus. Er zitiert: "Programme für AED sollen vorrangig im außerklinischen Bereich etabliert werden. Gemeint sind hier öffentliche Plätze wie Flughäfen, Sportanlagen, Büros, Kasinos und Flugzeuge. An diesen Orten werden vorkommende Kreislaufstillstände üblicherweise beobachtet, und ausgebildete Ersthelfer sind schnell zur Stelle. In Laienhelfer-AED-Programmen mit sehr schnellen Reaktionszeiten und in unkontrollierten Studien mit Polizeibeamten als Ersthelfer wurden Überlebensraten in Höhe von 49 bis 74 Prozent erreicht."
AUA: "Unsere Experten halten den 'Defi'-Einsatz in kleinen Maschinen für problematisch!"
Lufthansa-Tochter AUA misst einer "Defi"-Vorhaltung für Regionalverbindungen wenig Bedeutung zu. Zwar sind alle Mittel- und Langstreckenmaschinen (37 Flugzeuge der Typen Boeing 767-300ER, Boeing 777-200ER und Airbus A319/320/321) von Austrian Airlines mit Defibrillatoren ausgestattet, im Kurzstreckenbereich (38 Flugzeuge der Muster Bombardier Q400, Fokker 70 sowie Fokker 100) hält das Unternehmen die Geräte jedoch offensichtlich für verzichtbar.
Pressesprecher Peter Thier führte gegenüber unserer Redaktion unter anderem aus, dass der "Defi"-Einsatz in den Kurzstreckenmaschinen "wegen des fehlenden Platzangebotes nur eingeschränkt möglich" und zudem durch die räumliche Enge "der direkte Kontakt des Helfers mit dem Patienten nicht zu vermeiden" sei, wenn der Stromstoß abgegeben wird.
Der erfahrene Internist, Kardiologe und Notarzt Dr. Joachim Huber kann dieser Argumentation nichts abgewinnen. "Kreislaufstillstand erkennen, Patienten auf den Gang legen, Herzdruckmassage, 'Defi' - und geht schon", benennt der erfahrene Flugmediziner die wichtigen Schritte im Fall des Falles. Zudem hätten, so Huber, bisherige Ergebnisse sämtlicher Studien gezeigt, dass es zu keiner Gefährdung von Umstehenden kommen kann, selbst wenn der Patient unmittelbar während der Stromstoß-Auslösung berührt würde.
Ähnlich sieht das Dr. Mario Krammel: "Das Argument, dass 'beengte Platzverhältnisse' gegen die Vorhaltung und den Einsatz von 'Defis' sprechen – so es ernsthaft vorgebracht wird – wäre für uns nicht nachvollziehbar. Moderne Defibrillatoren haben mittlerweile Abmessungen, die in etwa einer kleinen kompakten Autoapotheke entsprechen. Viele Studien belegen unwidersprochen die lebensrettende Wirksamkeit dieser Geräte. Wenn ein Mensch einen Kreislaufstillstand erleidet, muss er sowieso flach hingelegt und wiederbelebt werden. Der Einsatz eines so kleinen aber lebensrettenden Gerätes, das übrigens kinderleicht zu bedienen ist, kann nicht an einem Platzproblem scheitern. Dies würde nämlich bedeuten, dass auf Maschinen dieses Typs keine effizienten Erste-Hilfe-Maßnahmen bei lebensbedrohlichen Notfällen geleistet werden können."
Dennoch: Bei der AUA sieht man offensichtlich im regionalen Streckennetz die Möglichkeit einer "kurzfristigen Landung", wie die Pressestelle argumentiert, als ausreichend an, wenn es zur Reanimationssituation kommt. Flugmediziner Huber entgegnet: "Die Minimum-Zeit vom Herzstillstand bis zur Landung sind 30 bis 45 Minuten und dann noch bis zu 15 Minuten Rollzeit, bis die Rettung da ist!" Aus seiner eigenen Erfahrung kommt es unter 100.000 Passagieren zu ein bis zwei Fällen von Kreislaufstillstand und Wiederbelebungsmaßnahmen. Der Einsatz des Defibrillators stelle dabei, in Verbindung mit suffizient durchgeführter Herzdruckmassage, "eine sehr gute Chance fürs Überleben dar". Nicht anders sieht "Puls"-Präsident Krammel diesen Sachverhalt: "Bis zu einer Landung des Flugzeuges vergeht jedenfalls mehr Zeit, als in einem Notfall am Boden, wo ein Rettungsmittel alarmiert und der Patient auch erreicht werden kann."
Defibrillatoren sind wartungsarm und benötigen nur minimalen Stauraum. Zudem belaufen sich die einmaligen Fixkosten eines Geräts bei dessen Anschaffung auf etwa 1.000 Euro. Eine Einmalinvestition, die nach einhelliger Auffassung von Experten nicht dem Rotstift von Einsparungsbemühungen zum Opfer fallen sollte. Und vor allem: Ein "Doctor's Kit" für zufällig mitfliegende Ärzte ist bei Austrian Airlines, wie die Pressestelle bestätigte, auf jedem einzelnen Flieger an Bord. Im Gegensatz zu dieser (selbstverständlich im Ernstfall enorm hilfreichen!) Ausrüstung, die nur von entsprechend erfahrenen Medizinern verwendet werden kann, ist die Anwendung eines Defibrillators jedem medizinischen Laien möglich. Denn diese sind - anders als Ärzte - schließlich bei jedem Flug mit an Bord, und in Person der Flugbegleiter sogar zusätzlich im souveränen Umgang mit diesen Geräten geschult.
(red Aig / Titelbild: Ein halbautomatischer Defibrillator - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew)
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