Vorwort
Als mich im Frühjahr 2013 ein guter Bekannte und Aviatikjournalist anfragte, ob ich als Schweizer Kollege zum 50. Jahrestag des Absturzes von Dürrenäsch einen Nachruf und Artikel schreiben möchte, war ich mir zuerst überhaupt nicht sicher ob ich das zu Stande bekommen würde. Nach einer längeren Bedenkzeit sagte ich schlussendlich zu, wohl auch mit dem Gedanken, den Opfern und Hinterbliebenen meinen Respekt zollen zu wollen.
Wie ich schon selbst vermutete, gestalteten sich die Recherchen, das Sammeln von Informationen und Zeitdokumenten sowie das Lesen der nur spärlich vorhandenen Literatur als äußerst schwierig, jedoch machbar.
Das Auffinden und Zusammentragen von zahlreichen Fotos und Dias war allerdings der schwierigste Teil der Recherchen und oft von Rückschlägen und Frust begleitet.
Schon vorab: Leider wurden wir, trotz aller Bemühungen, nur einmal fündig ein Originalbild der verunglückten Swissair Caravelle, HB-ICV, zu bekommen, weil es vermutlich kaum noch Original-Bilddokumente der Unglücksmaschine gibt. Einfach weitere Bilder/Fotos aus dem Internet herunter zu laden und zu publizieren, kam für mich zu keiner Zeit in Frage. Jedoch haben wir in unseren, so wie den Archiven unserer Aviatik-Kollegen, nach intensivem suchen, einiges an Bildmaterial der verschiedenen Schwestermaschinen der HB-ICV aus dieser Epoche vor fünfzig Jahren gefunden. Dieses Bildmaterial möchten wir Ihnen natürlich nicht vorenthalten und steht stellvertretend für die Swissair Caravelle, HB-ICV.
Während meiner Recherchen gehörte auch ein persönlicher Besuch am Denkmal an der Absturzstelle in Dürrenäsch (Kanton Aargau) dazu, der mich doch tief berührte.
Das schlicht gehaltene und mit allen Namen versehene Denkmal liegt nur wenige Meter neben der Absturzstelle, die heute kaum noch Spuren dieser Katastrophe vom 4. September 1963 zeigt.
Eine Tragödie nimmt ihren Lauf - ein Tag wieder jeder andere
Am Morgen des 4. September 1963 herrschte, wie in dieser Jahreszeit üblich, dichter Morgennebel im Schweizer Mittelland, der sich jedoch im Laufe des Tages auflösen sollte. Der Tag erwachte langsam zum Leben und die Menschen machten sich auf den Weg zu ihrer gewohnten Arbeit.
So traf auch die sechsköpfige Besatzung des Swissair Flug SR306 von Zürich via Genf nach Rom gegen 05:30 Uhr Lokalzeit (04:30 Uhr UTC) zur Flugbesprechung in der Crew-Einsatzzentrale am Flughafen Zürich-Kloten ein. Planmäßiger Abflug war 07:00 Uhr (06:00 UTC).
Nach kurzer Begrüßung der ganzen Besatzung holte sich die Cockpit Crew unter Flugkapitän Eugen Bohli und seinem Co-Piloten Rudolf Widmer die erforderlichen Unterlagen für den bevorstehenden Flug ein. Dazu gehörten die neusten Wetterdaten, Informationen über die Flugroute, sowie allfällige Änderungen oder Besonderheiten die zu beachten sind.
Unterdessen bereitete sich auch die Kabinenbesatzung, bestehend aus Purser Alfred Schlüchter und den drei Air-Hostessen Irene Ruschmann, Gertrud Streuli und Binia Martin, im Crew-Raum auf den Flug nach Rom vor. Für diesen Flug waren 74 Passagiere gemeldet, darunter die 43-köpfige Delegation aus der Gemeinde Humlikon, Kanton Zürich, die an einer Landwirtschaftsausstellung nahe Genf teilnehmen wollte, sowie 25 weitere Passagiere mit Wohnsitz in der Schweiz und sechs ausländische Passagiere aus Israel, England, den USA, dem Iran und Belgien.
Wenig später traf die gesamte Besatzung mit dem Crew-Bus an der Parkposition des Flugzeuges ein. Ihr heutiger Arbeitsplatz war die SWISSAIR Sud-Aviation SE-210 Caravelle III mit der Immatrikulation HB-ICV und dem Namen "Schaffhausen".
Während die Kabinenbesatzung sogleich damit begann, die Passagierkabine für den Flug vorzubereiten, waren Flugkapitän Bohli und Co-Pilot Widmer im Cockpit und mit dem Außen-Check des Flugzeuges beschäftigt.
ETD 07:03 Uhr (06:03h UTC), Boarding complete
Mittlerweile waren alle Passagiere an Bord, die Türen sowie die Hecktreppe geschlossen und verriegelt. Flugkapitän Eugen Bohli und sein heute als Copilot fungierender Kapitänskollege Rudolf Widmer, beide 37, gingen die erforderlichen Checklisten durch, während die Kabinenbesatzung den Passagieren die Sicherheitsvorschriften erklärten. Zwischenzeitlich hatte sich der Nebel noch verstärkt und die Sichtweite lag mit nur noch rund 180 Metern deutlich unter der Mindestsichtweite von 400 Meter, welche die Caravelle für den Start benötigte.
07:04h (06:04h UTC)
Ground Control to Flight SR306: “Ready for taxi and departure runway 34. You are cleared to Geneva via Rhine direct Willisau and climb to maintain flight level 150”
Um 07:04 Uhr Lokalzeit rollte die HB-ICV hinter einem Follow-me Fahrzeug nach, das wegen der schlechten Bodensicht den Auftrag hatte, die Maschine via Taxiway 5 zur Startbahn 34 zu geleiten. Dabei verfuhr sich jedoch das Begleitfahrzeug und nahm Taxiway 4 der gut 400 Meter nach der Startbahnschwelle in die Piste mündete.
07:05h (06:05h UTC)
Flight SR306 to Ground Control: “Taxi onto the runway… to have a look around …?”
So rollte die Besatzung ihre Caravelle HB-ICV die Piste 34/16 rund 1.400 Meter nach unten, drehte am Ende der Startbahn um 180 Grad und rollte die Piste wieder zurück um einen Eindruck der Sichtverhältnisse zu bekommen, aber auch gleichzeitig mit stark erhöhter Schubleistung den Nebel über der Startbahn wegzublasen. Damit das Flugzeug durch den höheren Schub der Triebwerke nicht zu schnell unterwegs war, wurden auch die Bremsen des Hauptfahrwerks eingesetzt um die Geschwindigkeit so minimal wie möglich zu halten.
Dadurch entstand tatsächlich ein sogenannter "Tunneleffekt" der die vorgeschriebene Mindestsicht für den Start ermöglichte, allerdings nur für wenige Minuten. Dieses Verfahren war zu dieser Zeit allgemein üblich und gab keinen Anlass zur Besorgnis, obwohl man wusste, dass sich die Radbremsen durch solche Manöver deutlich stärker erhitzten, ging man davon aus, dass die Belastung und Hitze wohl nicht höher waren als bei einer üblichen Landung.
Ein tödlicher Irrtum. der nur wenige Minuten später achtzig Menschen das Leben kosten wird!
07:09 Uhr (06:09 Uhr UTC)
Nun rollte die Maschine wieder zurück an den Anfang der Piste und die Cockpit-Crew meldete dem Tower: "Wir stellen fest, dass der Nebel in unterschiedlicher Dichte vorhanden ist. Stellenweise haben wir sehr wenig Nebel auf der Startbahn. Wir haben den Eindruck, dass der 'Blast' etwas bewirkt hat beim Rollen und erbitten Startfreigabe auf Runway 34." 07:13 Uhr (06:13h UTC), "Flight SR306 …Clear for take-off ..."
Unverzüglich erhielt die HB-ICV die Startfreigabe. Die Piloten setzten die beiden Leistungshebel auf Startschub und die Caravelle beschleunigte ohne Probleme, hob sanft ab und entschwand in der tiefhängenden Nebeldecke über dem Flughafen Zürich-Kloten.
Kurz darauf meldete die Crew dem Tower, dass sie die Nebelbank durchstoßen habe und sich nun bei klarer Sicht auf 1.700 Fuß Höhe befinde. Sie erbat den Frequenzwechsel auf Zürich-Departure. Dem wurde stattgegeben.
07:20 Uhr (06:20h UTC)
Nur sieben Minuten später erreichte Flug SR306 eine Flughöhe von 2.700 Meter (8.858 Fuß) und folgte dem vorgeschriebenen Kurs in Richtung Willisau und dann nach Genf. Schon zu dieser Zeit kämpfte die Cockpitbesatzung vermutlich mit den Problemen, welche die HB-ICV an Höhe verlieren ließen.
07:21h (06:21h UTC) verlor die Maschine immer schneller an Höhe und begann zu schlingern wie Augenzeugen kurz vor dem Einschlag berichteten. Zu dieser Zeit setzte die Cockpit-Crew noch ein letztes Notsignal (Mayday) ab: "Mayday Mayday 306 no more … no more … ", das jedoch mitten im Satz und ohne Vorwarnung unterbrochen wurde.
Stille kehrte ein. Kein Kontakt mehr zur HB-ICV … einfach Stille. Um 07:22 Uhr (06:22 UTC) stürzte die Swissair Caravelle, HB-ICV nur 19 nautische Meilen von Zürich-Kloten entfernt in einem steilen Linkswinkel und mit hoher Geschwindigkeit am Rande der Gemeinde Dürrenäsch, Kanton Aargau, in einen Acker und hinterließ einen gigantischen 10 Meter tiefen und über 20 Meter breiten Krater. Menschen- und Wrackteile waren bis zur Unkenntlichkeit entstellt über mehrere hundert Meter um die Absturzstelle verstreut. Es war zu dieser Zeit das schlimmste Flugzeugunglück das die Schweiz je getroffen hatte. Ein Land hielt den Atem an, wie es das erst fast auf den Tag genau 35 später noch einmal tun würde, als SR111 in den Atlantik stürzte.
Ein Augenzeuge berichtet
(Werner Schmid-Busalt, damals 28 Jahre alt, Landwirt, Dürrenäsch)
"Ich stand da, wie versteinert. Da, wo der Flieger abgestürzt und explodiert war, befand sich in unmittelbarer Nähe mein Haus. Was war mit meiner Familie, den Kindern geschehen? Ich konnte nichts sehen. Ein kleiner Hügel verdeckte mir die Sicht. War vielleicht auch gut so, dachte ich. In diesem Moment näherte sich von hinten ein Auto. Ich drehte mich um. Ein junger Bursche saß darin, öffnete das Fenster an seinem Fahrzeug und rief: 'Werni, was war da eben los?!' Er schaute mich entsetzt an. 'Ich fahr mal los und schau was passiert ist.' Der junge Bursche fuhr sofort los und ich blieb mit meiner Angst und Ungewissheit alleine zurück. Noch immer zog die Kuh am Strick. Minuten später kam der junge Bursche zurück. Mein Herz klopfte zum Zerspringen. 'Die Maschine ist in deinen Acker gestürzt', rief er mir zu. Mir kamen die Tränen. Gott sei Dank, meine Familie lebte noch." (Auszug aus dem Buch „S.O.S. in Dürrenäsch, Autorin, Lotty Wohlwend, ISBN 978-3-7193-1504-7).
Dieser Bericht dieses Augenzeugen steht stellvertretend für alle anderen Augenzeugen-Berichte, Kommentare, Interviews gegenüber den Behörden und Medien und ist keinesfalls das einzige Zeugnis dieser Katastrophe.
Hätte das Unglück verhindert werden können?
Zu der damaligen Zeit vermutlich nicht und daher kann diese Frage klar mit 'Nein' beantwortet werden. Wie meistens bei einem Flugzeugunglück, kommen viele, einzelne Faktoren zusammen, die am Schluss zu einer solchen Tragödie führen. Die erlangten Kenntnisse im Bereich der Flugsicherung (ILS, Bodenradar etc.) waren damals noch in den sprichwörtlichen Kinderschuhen und keineswegs auf dem Stand der heutigen Zeit.
Wenn man sich die Frage heute stellt, kann sie dagegen mit einem klaren "Ja" beantwortet werden. Mit den technischen Errungenschaften der Flugsicherung und den Erkenntnissen/Erfahrungen und dem Wissen der Flugzeugtechnik wäre ein solcher Unfall in der heutigen Zeit vermutlich unmöglich.
Was war mit der Caravelle geschehen?
Aus heutiger Sicht kann man über solch fahrlässige Verfahren von damals nur den Kopf schütteln. Genau solch tragische Unfälle haben das Fliegen heute sehr viel sicherer gemacht. Begeben wir uns nochmals zurück an den besagten Mittwochmorgen des 4. Septembers 1963, 07:05 Uhr Lokalzeit (06:05h UTC).
Die Besatzung meldet dem Tower, dass sie die die Piste 34 einmal herunter- und dann wieder herauf rollen möchte um die Sichtverhältnisse zu begutachten und den Nebel durch den Triebwerkstrahl wegzublasen; oder zumindest zu verteilen.
Den Nebel wegblasen oder verteilen? Was heute absolut lächerlich klingt, war zu dieser Zeit ein übliches Verfahren, das von so gut wie allen Piloten angewandt wurde und sogar von Swissair genehmigt war.
An der Startposition wurden dazu die Bremsen gesetzt und die Triebwerke für einige Sekunden auf fast Vollleistung gebracht. Ohne Wind brachte dieses Verfahren durch den heissen Abgasstrahl für etwa 5 Minuten einen nebelfreien „Tunnel“ auf einer Länge von ca. 500 – 800 Meter. Die Swissair verfeinerte diese Methode noch, in dem sie die Flugzeuge über die gesamte Piste rollen ließ, einem sogenannten "Backtrack".
Nun "Rollen" ist wohl das falsche Wort, waren die Flugzeuge doch mit erhöhter Geschwindigkeit auf der Piste unterwegs und hielten dazwischen immer wieder an um mit hoher Triebwerkleistung den Nebel zu verblasen. Dies alles geschah in einem kurzen Zeitraum, da sich sonst die "Tunnels" wieder schlossen. So wurden auch die Radbremsen jeweils zum Abbremsen und beim Standschub verwendet.
Das dieses Verfahren eine höhere Belastung der Radbremsen zur Folge hatte, war den Verantwortlichen durchaus bewusst. Man rechnete jedoch nicht damit, dass sich die Felgen und Bremsscheiben dadurch mehr erhitzten als bei einer normalen Landung. Eine Kontrolle durch Handauflegen musste genügen. Weitere Tests wie etwa Temperatur Messungen oder Nachkontrollen wurden nicht vorgenommen. Die Caravelle verfügte damals auch über keine Anzeige zur Kontrolle der Bremstemperatur.
Man war der Auffassung, man bewege sich in den geregelten Toleranzwerten der Betriebsvorschriften. Mit dem Hinweis, die Bremsen "vorsichtig" einzusetzen (Gefahr der Überhitzung), wurde diese Vorschrift an alle Swissair Piloten weitergegeben.
Die entsprechende Aufsichtsbehörde (BAZL = Bundesamt für Zivilluftfahrt) oder die Flugzeughersteller wurden zu diesem Verfahren nicht kontaktiert.
Genau dieses Verfahren wurde an diesem Morgen bei der Caravelle HB-ICV angewendet.
Bei den anschließenden Unfallermittlungen wurden auf der Piste 34 beim Abflugpunkt Fragmente des äusseren Felgenrings von Rad Nummer 4 und ein Erdungskabel samt Halterung gefunden. Ferner war die Piste über eine Länge von mehr als 60 Metern, im Abstand von jeweils circa 140 Zentimetern mit Hydraulikflüssigkeit verschmutz, was auf ein- oder mehrerer Lecks an Hydraulikleitungen hinwies. Gut anderthalb Kilometer nach der Landebahnschwelle fanden die Ermittler auch noch Pneuteile des Rades Nummer 4 auf einem Feld.
Der Unfallbericht
All diese Indizien führten schlussendlich zur Rekonstruktion des folgenden Unfallgeschehens:
Es wird vermutet, dass sich die Felgen und die Radbremsen des Hauptfahrwerks so stark erhitzten, dass beim Wenden auf der Piste für den Start, zumindest eine der Felgen brach was schlussendlich auch bewiesen werden konnte. Vermutlich wurden beim nachfolgenden Start Bruchstücke oder Überreste in Richtung des Fahrwerkschachtes geschleudert, wo sie eine oder mehrere Hydraulikleitungen beschädigten. Bereits zu diesem Zeitpunkt, jedoch spätestens beim Einziehen des Fahrwerks, musste die damals hochentzündliche Hydraulikflüssigkeit in Brand geraten sein.
Man vermutete weiter, dass die Flüssigkeit auf die überhitzten Bremsen tropfte, sich schlagartig entzündete und somit einen fast explosionsartigen Brand im Fahrwerkschacht auslöste.
Durch diese enorme Hitze im Fahrwerkschacht wurden wohl die meisten Hydraulikleitungen und Kabelstränge zur Steuerung des Flugzeuges zerstört. Durch diesen Schaden war die HB-ICV durch ihre Besatzung kaum noch steuerbar, was wohl auch den kurzen Flug von nur neun Minuten erklären würde. Die Piloten hatten somit keine Chance das Flugzeug sicher nach Zürich-Kloten zurück zu fliegen.
Diese Thesen werden auch durch weitere Zeugenaussagen erhärtet, die das Flugzeug, mit starker Feuer- und Rauchfahne unter dem Rumpf, in steiler Linkslage an Höhe verlieren sahen. Der Flugschreiber (Voice & Data-Recorder) konnte gefunden werden, lieferte jedoch keine weiteren Hinweise zur Absturzursache.
Humlikon, Kanton Zürich: Eine Gemeinde wird zum Waisendorf
Das ganze Land stand unter Schock. Achtzig Tote hatte dieser Septembermorgen in der Schweiz zu beklagen. Jedes einzelne Leben war eines zu viel. Am schlimmsten traf es jedoch die kleine Gemeinde Humlikon im Kanton Zürich mit 217 Einwohnern. Auf einen Schlag verlor sie ein Fünftel ihrer Gemeindeeinwohner: 43 Bürgerinnen und Bürger.
Die verheerenden Konsequenzen für das Dorf lassen sich kaum erahnen. Das Unglück hinterließ im Dorf 39 Vollwaisen und 5 Halbwaisen. In den meisten betroffenen Familien kümmerten sich die Großeltern oder Geschwister um die Aufgaben und die Betreuung der Jüngsten in der Familie. Nur sechs Kinder mussten ihr zu Hause verlassen und wurden bei entfernten Verwandten untergebracht. Noch viel schlimmer war es um die Gemeinderegierung bestellt.
Unter den Opfern waren alle Gemeinderäte, der Gemeindepräsident, alle Schulpfleger und der Posthalter. Das Dorf war faktisch ohne Führung. Die Gemeinde hatte nur noch 52 berechtigte, männliche Stimmbürger, (damals hatten die Frauen in der Schweiz noch kein Stimmrecht) die eines der Ämter übernehmen konnten. Bis dieser "Aderlass" wieder ersetzt werden konnte, benötigte die Gemeinde Zeit; sehr viel Zeit!
So übernahm der Kanton Zürich, kommissarisch die interimistische Führung der Gemeinde Humlikon.
Zu dieser Zeit standen dringende Feldarbeiten an, für die nicht genügenden Arbeiterkräfte vorhanden waren. Unter der Leitung eines Ingenieursagronomen aus dem Kanton Zürich wurden diese Aufgaben übernommen und mit vielen freiwilligen Landwirten aus der ganzen Schweiz und dem Ausland neu besetzt. Täglich trafen gegen 40-70 Personen ein um der leidgeprüften Bevölkerung unter die Arme zu greifen. Die Solidarität der Bevölkerung war beispiellos.
Mit über 2.000 geleisteten Arbeitsstunden konnte die Ernte eingefahren werden; darunter 600 Tonnen Kartoffeln. Dennoch war die Weiterführung von 22 Bauernbetrieben gefährdet.
Aus Beiträgen des Kantons und zahlreichen Spenden aus dem In- und Ausland konnte ein Hilfsfond mit CHF 250.000 eröffnet werden. Aus diesen Hilfsmitteln wurden, unter anderem, ein Gemeindehaus erstellt, ein Kindergarten errichtet und ein Landmaschinenpark angeschafft. Durch diese Maßnahmen und das Einstellen der nötigen Fachkräfte konnten die meisten Landwirtschaftsbetriebe weitergeführt werden.
Heute hat sich Humlikon weitgehend erholt. Die Landwirtschaft hat sich, abgesehen von den üblichen Problemen, entwickelt und kann mit Zuversicht in die Zukunft schauen.
Die Maschinengemeinschaft und der Hilfsfond für die Gemeinde bestehen noch heute.
Epilog
Jedes Menschenleben das verloren geht, ist wohl eines zu viel. Doch genau diese Opfer von tragischen Katastrophen haben die Zivilluftfahrt in den vergangenen Jahrzehnten um einiges sicherer gemacht. Seit dieser Tragödie 1963 hat sich der Flugverkehr weltweit mindestens verdreifacht und die Sicherheitsstandards sind massiv gestiegen. Durch die neusten Techniken der Luftüberwachung aber auch durch Bodenradar können heute moderne Jetliner zu jeder Tages- und Nachtzeit starten und landen und dies bei widrigsten Wetterverhältnissen. Solche Verfahren wie beim Swissair Flug SR306 gehören schon lange Zeit der Vergangenheit an.
Doch Vorsicht und stetige Achtsamkeit hat auch in der modernen Luftfahrt seinen Stellenwert nicht verloren, denn es gilt mehr denn je: "Safety first!"
Text: Andy Herzog
Fotos: Archive Paul Bannwarth und Andy Herzog
Titelbild: Gedenkstätte an der Absturzstelle von Flug Swissair SR306 in Dürrenäsch - Foto: Andy Herzog