Reportagen

Swissair 551: Rauch im Cockpit

Feuer und Rauch zählen trotz modernster Technik zu den gefährlichsten, weil mitunter extrem schwierig zu beherrschenden, Notfällen an Bord von Verkehrsflugzeugen. Bereits fünf Jahre vor dem tragischenAbsturz von Swissair 111vor der Küste von Halifax geriet eine MD-81 der gleichen Fluglinie aufgrund von Rauch im Cockpit kurz nach dem Start in München in eine gefährliche Notlage. Der Meisterleistung der Piloten, gepaart mit einer großen Portion Glück, ist es zu verdanken, dass am 15. Oktober 1993 ein Unfall gerade noch verhindert werden konnte. Austrian Wings beleuchtet die Ereignisse an Bord von Flug SR 551, die der breiten Öffentlichkeit bis heute weitgehend unbekannt sind.

Am 16. Oktober 1993 startete eine MD-81 der Swissair in München für den kurzen Flug nach Zürich. Kapitän Alexander Thal, ein Fluglehrer für diesen Typ, war mit mehr als 11.000 Stunden, davon über 6.000 auf DC-9/MD-80, sehr erfahren. Auf dem rechten Sitz saß der Erste Offizier, Martin Hörler, der von rund 2.800 Stunden im Cockpit knapp 1.200 auf der MD-81 geflogen war.

Der Start um 08:35 UTC auf der Piste 26L erfolgte problemlos und Flug SR 551 erhielt die Freigabe, auf 14.000 Fuß zu steigen. Die 88 Passagiere stellten sich auf einen ruhigen Flug ein, während die 5 Flugbegleiter in Gedanken bereits den stressigen Serviceablauf durchgingen.

Wenige Minuten nach dem Takeoff jedoch bemerkte Kapitän Thal einen ungewöhnlichen Geruch und diskutierte dessen mögliche Herkunft mit seinem Ersten Offizier. Die Piloten entdeckten schließlich Rauchspuren oberhalb der Schalter für die Landescheinwerfer, hielten aber anfänglich auch eine Geruchs- und Rauchentwicklung aus dem Bereich der vorderen Galley für möglich.

Da der Rauch an Intensität zunahm, entschieden sich die Piloten nach kurzer Evaluierung ihrer Optionen für die Rückkehr nach München. Der zu diesem Zeitpunkt zufällig in der offenen Cockpittüre stehende Flugbegleiter René Lüssi zeigte auf den Emergency Power Switch uns sagte: "Hier kommt der Rauch raus ...". Seit dem Start in München waren zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 10 Minuten vergangen.

"We have some electrical smoke developing in the cockpit. Request clearance back to Munich immediately", funkte Kapitän Thal an die Bodenkontrollstelle und leitete nach entsprechender Freigabe eine Linkskurve auf Steuerkurs 060 Grad ein. Die Frage des Lotsen, ob SR 551 eine Luftnotlage erklären wolle, wurde verneint.

Beide Piloten legten jetzt ihre Sauerstoffmasken sowie die Rauchschutzbrillen an und Kapitän Thal informierte die Passagiere auf Englisch darüber, dass die MD-81 aufgrund "kleinerer technischer Probleme" nach München zurückkehren würde. Es bestünde aber kein Grund zur Sorge.

Rauch im Cockpit: Das Anlegen der Sauerstoffmasken ist obligatorisch, wie hier im Simulator, Symbolbild - Foto: PA / Austrian Wings Media Crew
Rauch im Cockpit: Das Anlegen der Sauerstoffmasken ist obligatorisch, wie hier im Simulator, Symbolbild - Foto: PA / Austrian Wings Media Crew

Währenddessen bereitete Copilot Hörler die Checkliste für "Electrical Smoke" vor. Vier Minuten nach der Entscheidung, zum Startflughafen zurückzukehren, begannen die Piloten damit, diese Checkliste Punkt für Punkt abzuarbeiten. Parallel dazu wurden der Anflug auf München vorbereitet sowie mit den Fluglotsen kommuniziert. Als Piste wurde von der ATC die 08R angeboten und von der Besatzung akzeptiert.

Gemäß der Checkliste wurde zunächst der recht Generator abgeschaltet, woraufhin die gesamte Instrumentierung auf der Seite des Kapitäns ausfiel, während der Rauch weiter an Intensität gewann.

"We declare emergency now"

Angesichts dieser Situation entschlossen sich die Piloten, nun doch eine Luftnotlage zu erklären. Um 08:51 Uhr funkte sie "The smoke is becoming heavier. We are declaring emergency now" an die Bodenkontrollstelle.

Nur 90 Sekunden später ordnete Kapitän Thal an, den rechten Generator wieder einzuschalten. Daraufhin erschien die Warnung "Master Warnung AC-Emergency Bus" Um 08:53 Uhr - 18 Minuten nach dem Start in München - war der Rauch so dicht geworden, dass Thal mit den Worten: "Ich kann nicht mehr fliegen, habe keine Instrumente mehr. Your Controls" die Steuerung der MD-81 an seinen Ersten Offizier übergeben musste. Dank der geschlossenen Cockpittüre bemerkten die Menschen in der Passagierkabine nicht, wie ernst die Situation im Cockpit bereits war.

Um 08:54 Uhr fragte die Anflugkontrolle die Piloten, ob sie den Platz bereits in Sicht hätten, was diese verneinten. Der Fluglotse übermittelte laufend Positionsangaben an die Crew von SR 551, die nun nicht einmal mehr die ILS-Frequenz von ihren Karten ablesen konnte, weil der Rauch die Sicht derart einschränkte. Mittels Radarführung wurde die MD-81 an den Flughafen herangeführt.

Eine Minute später meldeten die Piloten zunächst Sichtkontakt mit der Piste, verloren ihn aber unmittelbar darauf wieder. Kurz vor Erreichen des Outer Markers übernahm Kapitän Thal die Steuerung und ordnete das Abarbeiten der "Final Checklist" an. Wenige Sekunden später sah sich der Kapitän jedoch gezwungen, die Kontrolle des Jets wieder an Hörler zu übergeben, da er seine Geschwindigkeitsanzeige nicht mehr ablesen konnte. Hörler versuchte vergeblich, sein Fenster zu öffnen, damit der Rauch aus dem Cockpit abziehen konnte. Im Nachhinein, so stellten es die Ermittler fest, war es ein Glücksfall, dass es Hörler nicht gelang, das Fenster zu öffnen, denn durch die Frischluftzufuhr hätte sich der bis dahin lediglich Rauch produzierende Schwelbrand in ein offenes Feuer verwandeln und in weiterer Folge zum Absturz der Maschine führen können.

Copilot Hörler rief seinem Kapitän die Geschwindigkeit zu, woraufhin dieser wieder die Steuerung der MD-81 übernahm. Gleichzeitig versucht er, durch Wedeln mit der Checkliste den Rauch etwas zu lichten und so bessere Sichtverhältnisse für seinen Kommandanten zu schaffen.

Vor dem Überflug des Middle Markers meldete Hörler: "Final Check ist gut, Gear ist unten, Klappen 40." Unmittelbar vor dem Aufsetzen bat Kapitän Thaler den Ersten Offizier ausdrücklich darum, ihm durch erneutes Wedeln mit der Checkliste etwas mehr Sicht zu verschaffen.

Um 08:58 Uhr - 23 Minuten nach dem Start - setzte die MD-81 schließlich auf der Piste 08R des Münchner Flughafens auf. Da mittlerweile keinerlei Sicht nach außen mehr bestand, wurde ein scharfes Bremsmanöver eingeleitet und die Maschine auf der Piste zum Stillstand gebracht. Unmittelbar darauf lösten die Piloten das Evakuierungssignal aus.

Über drei seitliche Notrutschen sowie die Overwing-Exits verließen alle 88 Passagiere und die 5 Flugbegleiter den Jet. 14 Reisende zogen sich dabei leichte Verletzungen zu. Der Notausstieg im Heck der MD-81 hatte sich wegen eines - wie sich später herausstellte - bei Wartungsarbeiten vergessenen Sicherungssplints nicht öffnen lassen.

Untersuchung

Nachdem die Flughafenfeuerwehr den Schwelbrand im Bereich des Overheadpanels gelöscht hatte, begannen die Untersuchungen der Unfallermittler.

Dabei stellten die Experten fest, dass der Notstromschalter die Wurzel des Übels war. Im Zuge der Ermittlungen kam heraus, dass es in der Vergangenheit mit diesem Bauteil schon öfter Probleme gegeben hatte.

Schließlich wurde festgestellt, dass das idente Schaltermodell schon bei der Boeing 707 eingesetzt wurde, dort jedoch für eine maximale Lebensdauer von 10.000 Schaltvorgängen zertifiziert war, während es in der MD-81 keine Begrenzung der Schaltvorgänge gab.

Dazu kam noch, dass der Schalter vor jedem Start im Rahmen des Abarbeitens der Checklisten routinemäßig betätigt werden musste.

Durch diese Überbelastung kam es schließlich zur Fehlfunktion des Schalters und damit einhergehend zu einem Schwelbrand. Dass sich dieser nicht zu einem offenen Feuer entwickeln konnte, ist dem Umstand zu verdanken, dass, anders als bei SR 111, im Bereich des Feuers kein brennbares Material vorhanden war.

Die Entscheidung der Piloten, umgehend nach München zurückzukehren, wurde von den Unfallermittlern als korrekt bewertet, ebenso wie ihr vorbildliches Teamwork. Hätte der Flug noch länger gedauert, wäre von einer Beschädigung weiterer Systeme auszugehen gewesen. "Die Folgen hätten durchaus katastrophalen Charakter annehmen können", heißt es dazu im Unfallbericht.

Als Konsequenz aus dem Unfall erließ die deutsche Bundesunfallstelle für Fluguntersuchungen drei Sicherheitsempfehlungen:

  • Eine Lebensdauerbegrenzung von 10.000 Schaltungen für den Notstromschalter
  • Der Hersteller McDonnell Douglas (Boeing) sollte bei neuen Flugzeugen dieser Serie diesen Schalter durch eine Relaischaltung modernerer Bauart ersetzen
  • Der Hersteller McDonnell Douglas (Boeing) sollte die Ursachen für die hohen Stromflüsse im Bereich des Notstromschalters sowie den Ausfall der Instrumente auf der Seite des Kapitäns nach korrekter Anwendung der Checkliste klären
Aktiviertes EVAS im Cockpit einer MD-80, Symbolbild - Foto: ICAO Journal Oktober 1991
Aktiviertes EVAS im Cockpit einer MD-80, Symbolbild - Foto: ICAO Journal Oktober 1991

"EVAS", ein System, das den Piloten in diesem Fall freie Sicht auf die wichtigsten Instrumente sowie durch die Frontscheibe ermöglicht hätte, war in der in den Vorfall involvierten Maschine übrigens nicht installiert, obwohl es zum Zeitpunkt dieses Zwischenfalls bereits seit einigen Jahren verfügbar war und sogar der Flight Safety Manager von Swissair, Cpt. Otto Rentsch, die Sinnhaftigkeit des Systems bestätigt hatte. Swissair selbst hatte zwar bereits Anfang der 1990er Jahre sein Kaufinteresse an "EVAS" bekundet, schließlich fiel es jedoch 1992/93 dem Sparstift zum Opfer ...

(red CvD, ON / Titelbild: MD-81 der Swissair im Flug, Symbolbild - Foto: Archiv Austrian Wings Media Crew)