"Meiner Meinung nach gab es zweifellos zwei Brände an Bord der 'Helderberg', eröffnet Klatzow das Gespräch. Zumindest das erste Feuer sei durch Ammoniumperchlorat entstanden, einen hochentzündlichen und kaum zu löschenden Stoff, der als Raketentreibstoff eingesetzt wird.
Südafrika befand sich damals mit Angola im Krieg und nutzte, so die Theorie des Wissenschaftlers, zivile Flugzeuge wie die "Helderberg" zum illegalen Transport von Rüstungsgütern und diversen Chemikalien, die aus Sicherheitsgründen niemals an Bord von Passagierflugzeugen hätten transportiert werden dürfen.
"Ammoniumperchlorat ist ein äußerst instabiles Material. Wenn man es aus einem halbem Meter Höhe zu Boden fallen lässt, entzündet es sich sofort, auch statische Elektrizität kann eine Reaktion hervorrufen, die unweigerlich zum Ausbruch eines Brandes führt."
Ein solcher sei extrem gefährlich, meint Klatzow. "Denn dabei produziert das Feuer seinen eigenen Sauerstoff, dem ist mit herkömmlichen Halon- oder Wasser-Feuerlöschern wie sie an Bord von Verkehrsflugzeugen vorhanden sind, kaum beizukommen." Das bestätigte auch ein HTL-Professor für Chemie auf Anfrage gegenüber unserer Redaktion.
Klatzow geht davon aus, dass der erste Brand innerhalb von ein bis drei Stunden nach dem Start in Taipeh ausgebrochen sein muss. Darauf würden auch die Aufzeichnungen auf dem Cockpit Voice Recorder hindeuten. "Über dem chinesischen Meer traten zu dieser Jahreszeit schwere Turbulenzen auf, die zur Entzündung geführt haben." Er habe mehrere voneinander unabhängige Zeugenaussagen vorliegen, die seine Annahme bestätigen, führte der Wissenschaftler aus.
Möglicherweise sei es der Crew sogar gelungen, dieses erste Feuer zu löschen, unter Umständen sei es von selbst weitgehend erloschen, so dass die Besatzung dachte, es bestehe keine Gefahr mehr. Allerdings sei eher wahrscheinlich, dass der Brand weiterhin geschwelt habe und kurz vor der Landung in Mauritius dann erneut ausbrach. Diese "Zwei-Feuer-Theorie" stützte seinerzeit auch die Vereinigung der südafrikanischen Flugingenieure in ihrem eigenen Bericht zu dem Unfall.
Weshalb der Kommandant des Fluges, Dawid Jacobus Uys, nach dem mutmaßlichen ersten Brand kein Entscheidung zur sofortigen Landung getroffen habe, wollte Austrian Wings von Dr. Klatzow wissen.
"Sie müssen sich die politische Situation unseres Landes im Jahr 1987 vorstellen. Südafrika war isoliert durch die Apartheid. Wäre die 'Helderberg' irgendwo in Asien notgelandet, möglicherweise sogar mit Verletzten oder Toten an Bord, denn die durch das Feuer entstandenen Rauchgase waren hochgifig, wäre die illegale Fracht ja entdeckt worden. Die Besatzung wäre ins Gefängnis gewandert, ein politischer Skandal unvermeidlich gewesen", antwortete Klatzow. Zudem liege ihm eine eidesstattliche Erklärung vor, wonach Kapitän Uys wegen der gefährlichen Fracht äußerst besorgt gewesen sei. Er habe deshalb den Flug zunächst verweigert, sei aber unter Androhung der Kündigung und des Verlustes seiner Pension von 'höchster Stelle' zur Durchführung gezwungen worden.
Deshalb habe der Kommandant dann in seiner Verzweiflung auch versucht, den Flug bis zur geplanten Zwischenlandung in Mauritius fortzusetzen, was ihm ja auch beinahe gelungen wäre. Möglicherweise sei er auch von Vorgesetzten über Funk dazu genötigt worden, wird von vielen Hinterbliebenen und Brancheninsidern gemutmaßt.
So behauptete etwa Jesper Otzen, dessen Bruder Peter an Bord der "Helderberg" starb und dessen Sohn (der nach seinem toten Vater ebenfalls Peter genannt wurde) wiederum für eine Neuaufnahme der Ermittlungen kämpft, dass Kapitän Uys nach Ausbruch des (ersten) Feuers sehr wohl nach Taipeh zurückkehren wollte. Dies sei ihm jedoch von der vorgesetzten Dienststelle in Johannesburg über die Operations Control "ZUR" untersagt worden. Auch Klatzow vertritt diese Theorie und will Zeugenaussagen sowie Indizien haben, die das belegen.
Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht mehr, denn die Aufzeichnungen der Funksprüche zwischen der South African Operations Control in Johannesburg und der "Helderberg" verschwanden kurz nach dem Absturz auf mysteriöse Weise.
Laut Klatzow war die "Helderberg" nach dem ersten Feuer nur noch "ein fliegender Sarg". Die meisten, wenn nicht sogar alle Passagiere, seien kurz nach Ausbruch des Brandes an den Rauchgasen erstickt, vermutet er.
Den Kapitän will er aber für sein Handeln dennoch nicht verurteilen, man müsse das Verhalten des Kommandanten im Kontext der damaligen Zeit sehen und begreifen: "Uys hatte einen militärischen Hintergrund und stand extrem unter Druck. Er wollte oder musste unbedingt das mit Südafrika befreundete Mauritius erreichen, dadurch einen Skandal für sein Land vermeiden. Und so setzte er den Flug ins Verderben fort."
(red CvD / Titelbild: Die "Helderberg" im Flug kurz vor ihrer Auslieferung an SAA - Foto: Boeing)