Punktlandung

Die neuen EU "Flight Time Limitations" aus Pilotensicht

Anfang Oktober 2013 beschloss die EU - europaweiten Pilotenprotesten zum Trotz - die neuen Flugdienstzeitenregelung, die von vielen Flugzeugführern als Gefahr für die Sicherheit angesehen werden. Eine Austrian Wings Punktlandung zum Thema aus aktuellem Anlass.

Jetzt ist sie vorbei, die Abstimmung im Europaparlament, neue Flugdienstzeit-Bestimmungen kommen auf uns zu.

Gute 15 Jahre wird in Europa schon intensiv über sinnvolle Inhalte einer Dienstzeiten-Regel für Pilotinnen/Piloten und Flugbegleiterinnen/Flugbegleiter teils emotionell, teils sachlich diskutiert. Diese Berufsgruppen unterliegen in Österreich nicht dem Arbeitszeitgesetz oder den für "bodengebundene" Arbeitnehmer üblichen Regeln der Sozialpartnerschaft.

Linienflugzeuge fliegen rund um die Uhr und an 365 Tagen im Jahr. Damit ergeben sich für Besatzungen kurze oder lange, Tag- oder Nachtdienste. Garniert wird diese Auswahl durch Wechsel der Zeitzone(n), eine Kombination von Diensten, Wartezeiten zwischen Flügen sowie langen Bereitschaftsdiensten (bei denen man von der ersten Minute an, bis 12 Stunden später, ausgeschlafen und fit für einen langen Flug sein muss). Dazwischen eingestreut sind periodische Schulungen, Theorietests und (für Cockpitpersonal) Simulator-Übungen sowie Checks.

"Dienst" umfasst wesentlich mehr als "Flugstunden", die aber als Kenngröße für spezielle Arbeitsbelastungen sinnvoll sind. Besatzungsmitglieder kommen auf Dienstzeiten, die eine 40-Stunden Woche leicht überschreiten (ohne Zulage für Nacht/Sonntag/Feiertag). Dafür gibt es – meist – auch etwas mehr Geld als bei Berufen am Boden. Außerdem lieben Piloten das Fliegen.

Die neuen "Flight Time Limitations" bedeuten übrigens nicht, dass insgesamt weniger gearbeitet wird, sondern beziehen sich nur auf die Verteilung der Einsatzzeiten. Soziale Aspekte – z.B. Sonntage mit der Familie - bleiben weiterhin ausgespart.

Dutzende Flugunfallberichte die "Ermüdung/Fatigue" als (mit-) unfallkausal nennen, liegen vor. Ein besonders bekannter Fall aus der jüngeren Vergangenheit ist der Absturz von Colgan Air Flug 3407 im Februar 2009.

Leistungsfähigkeit, Ermüdung und Schlafbedürfnis sind für uns Menschen erstaunlich gut erforscht. Es liegt daher nahe, auf diese Erkenntnisse auch zurückzugreifen.

So geschah es bei der EASA, die eine Studie in Auftrag gab, die 2008 (!) präsentiert wurde (Möbus Studie von 10 europäischen Wissenschaftlern). Der Auftraggeber war aber offenbar vom Ergebnis schockiert, da die Studie wesentliche Sicherheitsbedenken im Bereich Nachtdienste und Kombinationsdienste bei den gültigen Richtlinien aufdeckte. Die Studie wurde nie offiziell anerkannt.

Die Pilotinnen/Piloten machten bei einem "European Action Day" am 5. Oktober 2009 auf die unbefriedigende Situation aufmerksam (auch in Wien-Schwechat).

Der Prozess der europäischen Gesetzwerdung zog sich jedoch in die Länge. Viele Eingaben von Pilotenseite, aber auch von Seite der Airlines, waren zu prüfen. Die europäischen Pilotinnen/Piloten machten dann im Jänner 2013 bei einem "Walkout for Safety" Passagiere und Politiker wieder auf die Situation aufmerksam (auch in Wien-Schwechat).

Neue wissenschaftliche Studien bestätigten die ursprünglichen Bedenken.

Etliche Umfragen unter Cockpitbesatzungen zeigten sicherheitskritische Belastungsszenarien im derzeitigen Flugbetrieb auf. In Österreich wurde eine von der "Austrian Cockpit Association" in Auftrag gegebene Studie im Juni 2012 veröffentlicht. Die Rücklaufquote war dabei mit 37,88 Prozent ungewöhnlich hoch. 85 Prozent der teilnehmenden österreichischen Pilotinnen/Piloten gaben dabei an, sie waren in den letzten zwei Jahren in Dienst so müde, dass es besser gewesen wäre, wenn sie nicht im aktiven Dienst gewesen wären.

Glücklicherweise funktionierte in unserem Land die Bewusstseinsbildung. Offenbar wird das Sicherheitsbewusstsein der österreichischen Flugzeugbesatzungen honoriert. Menschlich gesehen haben sehr lange Dienstzeiten im Block und dann lange Freizeitperioden für Arbeitnehmer auch Verlockungen. Österreichs Pilotinnen/Piloten haben sich aber eindeutig zu den Sicherheitsaspekten bekannt, auch wenn es private Planungen weiter erschwert.

Die österreichische Luftfahrtbehörde sah die Schwächen der kommenden Regelung und stimmte in Brüssel im Transportausschuss gegen den Gesetzesentwurf.

Österreichische EU Parlamentsangehörige entwickelten sich zu Fachleuten im Gebiet Flugdienstzeiten. Die Mehrheit unserer EU Abgeordneten stimmte gegen den Entwurf!

Im gesamten EU Parlament erfolgte aber die Beschlussfassung für den von Pilotenseite stark kritisierten Text.

Wo stehen wir jetzt?

Es wird etwa zwei Jahre dauern, bis die Bestimmungen in Österreich in Kraft treten. Vieles in den Bestimmungen ist "soft law", das den nationalen Behörden Interpretationsspielraum lässt.

Pilotinnen/Piloten können, anders als Kolleginnen/Kollegen in anderen europäischen Ländern durchaus mit einem offenen Ohr bei der Luftfahrtbehörde rechnen.

Es ist bei den neuen Bestimmungen auch nicht alles schlecht und eine Bedrohung der Flugsicherheit. Etliche Bestimmungen sind Verbesserungen zu bestehenden Regelungen. Einige bisher gar nicht geregelte Aspekte wurden aufgenommen. Es bleiben aber Eckpunkte wie lange Nachtflüge und extrem lange Wachzeiten/Kombinationszeiten die bedenklich sind.

Schwer verständlich ist auch, warum Besatzungen in den USA offenbar schneller ermüden als ihre europäischen Kollegen und daher von ihrer Behörde FAA deutlich kürzere Flugzeiten verordnet bekommen.

Die Durchführungsbestimmungen, Interpretationen und Anwendungs-Richtlinien lassen (für Österreich) noch Hoffnung.

Fluggesellschaften in Österreich können natürlich sicherheitsbewusste Regelungen intern einführen. Da derzeit keine österreichische Linienfluggesellschaft mit einem Kollektivvertrag unterwegs ist und der internationale Konkurrenzdruck enorm ist, sollte von den Besatzungen die gesetzliche Regelung sehr genau im Fokus behalten werden.

Wie geht es weiter?

Die neuen Regelungen sollen wissenschaftlich begleitet werden und nachdem sie drei Jahre in Kraft waren ist eine Anpassung möglich. Der Zeithorizont rückt damit aber nach 2019.

Das letzte Wort zum Thema "Flight Time Limitations" ist meiner Meinung nach daher noch lange nicht gesprochen ...

Happy landings!

Text: Peter Beer
Titelbild: Piloten im Cockpit einer Boeing 737-800 bei der Arbeit, Symbolbild - Foto: Austrian Wings Media Crew

Der Autor ist Kapitän in einem österreichischen Linienflugunternehmen und Präsident der Austrian Cockpit Association.

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.