Aufbruchstimmung am Schweizer Airline-Himmel
Als ehemaliger SATA-Mitarbeiter kann ich mich an diese turbulente Zeit noch sehr gut erinnern. Der Airlinemarkt wurde damals noch vorwiegend von den großen nationalen Fluggesellschaften beherrscht und kontrolliert; so auch durch die Swissair am Schweizer Airliner-Himmel.
Die Preise für ein Flugticket waren damals, verglichen mit heute, noch sehr teuer und nicht jedermann konnte sich so eine Flugreise leisten.
Doch mit wachsendem Wohlstand der Bevölkerung stieg auch der Wunsch, den wohlverdienten Jahresurlaub am Meer oder in Übersee zu verbringen. In den 1960/70er Jahren bildeten sich in Europa unzählige neue Charter-Airlines um diese Bedürfnisse, auch mit günstigen Flugpreisen, abzudecken - sehr zum Missfallen der staatlichen und nationalen Airlines, die den Konkurrenzkampf fürchteten.
Einer der wohl bekanntesten Pioniere dieser Zeit war die britische Charterfluggesellschaft Laker Airways (1966 – 1982) unter der Führung von Sir Freddie Laker, den man sicherlich als einen der Väter der „Open Sky Abkommen“ und der No frills-Flüge bezeichnen konnte. Mit seinen legendären DC-10 „Skytrain“ Langstreckenflüge konnten Passagiere damals für unschlagbare £ 59 (heute entsprechend umgerechnet etwa £ 125) von London-Gatwick nach Los Angeles fliegen. Mit diesem Konzept der Billigflüge setzte er die traditionellen Fluggesellschaften nicht nur in England sondern auch in Kontinental-Europa und den USA mächtig unter Druck. Nicht verwunderlich, dass diese Geschäftsidee Nachahmung fand und zahlreiche neue Charterfluggesellschaften wie Pilze aus dem Boden schießen ließ.
Diese Entwicklung im internationalen Luftverkehr blieb auch in der Schweiz nicht unbemerkt. Viele kleinere und größere Airlines wurden gegründet, namentlich Globe Air, Phoenix Airways, Air Sea, Transvalair (Cargo), African Safari, Balair und eben das Genfer Unternehmen SATA.
Geschichte der SATA
Am 29. Juni 1966 wurde in Genf von drei namhaften Aktionären die SATA (Société Anonyme de Transport Aerien) als neue Schweizer Chartergesellschaft ins Leben gerufen. Die treibende Kraft hinter der Gesellschaft waren Charles Jacquat, Raymond Lambert und der Aeroklub Genf. Mit einem Aktienkapital von 60.000 Franken wurde eine Cessna 172 erworben. 1968 stießen eine weitere Cessna 206 und eine Cessna 401 zur Flotte. Die SATA führte damals Charterflüge in der West- und Südschweiz sowie in Frankreich durch. Zur illustren Kundschaft gehörten unter anderem Brigitte Bardot und Gunter Sachs.
Nach einer Aufstockung des Aktienkapitals auf 800.000 wird der Ankauf einer Dart Herald aus der Konkursmasse der Globe Air erwogen. Dies wurde jedoch durch Druck der Swissair verhindert.
Erst 1968 konnte die SATA eine Convair CV-640 Metropolitan (HB-IMM) mit 56 Sitzplätzen erwerben, dabei handelt es sich um eine ehemalige Maschine der Swissair. Mit der Metropolitan beginnt ein neues Zeitalter für die SATA. Erste kleinere Reisegruppen hatten nun die Möglichkeit mit der SATA in den Urlaub zu fliegen.
Ein Jahr später konnte die SATA eine Vickers Viscount 803 (HB-ILP) erwerben und beförderte nun rund 45.000 Passagiere. 1970 waren es bereits 85.000 Passagiere die einen Flug mit der aufstrebenden Airline buchten. Im gleichen Jahr wurde von der SATA auch die erste von insgesamt 5 Aerospatiale SE-210 Caravelle erworben. Das Jet-Zeitalter war eingeläutet und das Aktienkapital stieg mittlerweile auf drei Millionen Schweizer Franken.
1974 erwirbt die Fluggesellschaft ihren ersten Langstreckenjet, eine Douglas DC-8-63CF (HB-IDM) mit dem klangvollen Namen „Ville de Carouge“. In den Jahren 1975/1976 kann die SATA zwei weitere Douglas DC-8 erwerben und expandiert ihr Langstreckengeschäft nach Bangkok, Hongkong, New York, Los Angeles, Lima und auf die Französischen Antillen.
Mitte 1975 verfügte das Unternehmen bereits über ein Aktienkapital von 27 Millionen Franken. und beförderte rund 320.000 Passagiere und 7.901 Tonnen Fracht pro Jahr.
Doch das Passagiergeschäft mit den drei DC-8 auf den oft defizitären Langstrecken bringen die SATA immer mehr in finanzielle Schwierigkeiten.
Fehlentscheidungen in der Einsatzplanung und der Auswahl der Destinationen, Übersichtsverlust der Kostenkontrolle sowie zunehmend schwindendes Vertrauen der Reisebüros in die SATA taten ihr Übriges.
Der Absturz der Caravelle, HB-ICK, am 18. Dezember 1977, im Landeanflug auf den Flughafen von Funchal (Madeira) bei dem 36 Personen ums Leben kamen ist wohl mitauschlaggebend für den Untergang des Westschweizer Unternehmens. Das Wrack der Maschine wurde - Austrian Wings berichtete - im Jahr 2011 zufällig von Tauchern entdeckt.
Ein weiterer, völlig unerwarteter Schlag traf die Airline mit dem Konkurs der Genfer-Hausbank und dem späteren Tod des Bankiers Robert Leclerc, eines der Hauptkapitalgeber der SATA, der wohl das Schicksaal des Unternehmens endgültig besiegelte.
Der geplante Ankauf einer Lockheed L-1011Tristar konnte unter diesen finanziellen Umständen nicht mehr realisiert werden. Zwei Zwischenfälle mit Caravelles in Frankreich und der Zurückbehaltung der DC-8, HB-IDS, wegen nicht bezahlter Wartungsrechnungen, verschlimmern die Situation dramatisch. Um die akuten finanziellen Probleme in den Griff zu bekommen, versuchte das Unternehmen die drei DC-8 zu verkaufen, was nur in einem Fall gelang. Dies bedeutete wohl das „Aus“ für den Schweizer Charterpionier und den Verlust von 320 Arbeitsplätzen. Glücklicherweise fanden die meisten ehemaligen Angestellten eine neue Herausforderung bei einer anderen Airline im In- und Ausland.
Das Ende
Im September 1978 entzieht das BAZL (Bundesamt für Zivilluftfahrt) der SATA die Zulassung und führt damit die Gesellschaft in den Konkurs. Mit der CTA wird in Genf, nur wenige Wochen später, eine neue Gesellschaft gegründet die drei Caravelle‘s (HB-ICN, ICO und ICQ) aus der Konkursmasse der ehemaligen SATA übernimmt.
Die SATA war nicht die erste Gesellschaft, die sich durch zu ambitiöse Ziele und schlechtes Management, unter anderem, selbst in den Ruin trieb. Nach nur 12 Jahren ging die SATA Ära zu Ende. Weitere Airlines in der Schweiz, Europa und Übersee folgten ihr und sorgten in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder für Schlagzeilen. Vielleicht hätte ein Verfahren „Chapter 11“ wie in den USA üblich der SATA das Überleben und den Neustart gesichert?
Zauberformel: „Chapter 11 “
Diese Verordnung (Chapter 11) regelt eine geordnete Restrukturierung des Unternehmens, vorwiegend in den USA angewendet. Ferner beinhaltet dieser Code eine vom Gericht überwachte Reorganisierung der Firmenfinanzen und Geschäftsstrukturen.
Wenn ein Unternehmen in Insolvenz verfällt, wenn also die Summe ihrer Verbindlichkeiten die Summe ihrer Werte übersteigt, so hat das Unternehmen nach dem Insolvenzrecht der Vereinigten Staaten dies dem dortigen Bundesinsolvenzgericht (Federal Bankruptcy Court) zu melden. Es stehen ihm dann grundsätzlich zwei Möglichkeiten offen: Das Unternehmen reicht seinen Fall unter „Chapter 7“ (Liquidation) ein oder es beantragt eine Insolvenz nach „Chapter 11“ (Reorganisation) Beide dieser Verfahren unterscheiden sich deutlich voneinander. Während eine Einreichung unter "Chapter 7" zur Folge hat, dass eine vollständige Liquidation des Unternehmens in die Wege geleitet wird, also alle Unternehmenswerte umgehend veräußert werden müssen, um mit dem Erlös die Gläubiger des Unternehmens zu befriedigen, führt ein Verfahren gemäß "Chapter 11" zu einer beaufsichtigten Insolvenz. Während der Dauer der Insolvenz dürfen Gläubiger nicht versuchen, ihre Forderungen geltend zu machen, es sei denn über das Insolvenzgericht. Bei dieser Regelung versucht das Unternehmen, weiterhin geschäftstätig zu bleiben und sich dadurch aus der Insolvenz „zu retten“. Ob dieses Verfahren, (in der Schweizerischen Gesetzgebung nicht vorhanden) den Konkurs der SATA hätte abwenden können, wage ich zu bezweifeln.
Streckennetz der SATA
Dank des boomenden Tourismus in Europa konzentrierte sich die SATA in den ersten Jahren auf die wichtigsten Sommer- und Winter-Feriendestinationen rund ums Mittelmeer; denn diese brachten volle Flugzeuge und gutes Geld.
So waren die Balearen, die Kanaren, die griechischen Inseln und Ägypten die bevorzugten Reiseziele von Herr und Frau Schweizer, aber auch von Kunden aus dem benachbarten Ausland.
Auf Wunsch der Reisebüropartner, aber auch aus eigenen Ambitionen, flog die SATA schon anfangs der 1970er Jahre Langstreckenziele an, wie etwa Mombasa in Kenia oder Colombo in Ceylon. Diese saisonal beschränkten Rotationen wurden zu dieser Zeit mit der Caravelle 10B 1R geflogen und beinhalteten mindesten ein bis zwei Zwischenlandungen. Entsprechend lange dauerten diese Reisen. Mit der Einflottung der drei Douglas DC-8 (1974 – 1976) konnten die neuen Langstreckenziele zumeist nonstop angeflogen werden.
Europäische Destinationen
Palma de Mallorca, Ibiza, Menorca, Las Palmas, Teneriffa, Korfu, Heraklion, Athen,Tel Aviv,
Kairo und London-Gatwick/Luton um nur einige Destinationen zu nennen.
Übersee Destinationen
New York, Los Angeles, Bangkok, Hong Kong, Lima, Pointe à Pitre und Fort de France auf den Französischen Antillen, Colombo-Ceylon und Mombasa-Kenya wurden je nach Saison regelmäßig angeflogen.
Lukrative Fracht- und Sonderflüge
Während die fünf Caravelles auch in der Zwischensaison (Frühjahr & Herbst) gut gebucht waren, wurden zwei der drei DC-8 für anderweitige Einsätze eingeplant. Die „Kleine“ DC-8-53, HB-IDB, auch liebevoll „Delta Brösmeli“ genannt (ein Schweizerischer Ausdruck für: Brot/Kuchenbrösel) flog zu dieser Zeit die Langstrecken-Destinationen für die Passagiere.
Die HB-IDM und HB-IDS, beides zwei Douglas DC-8-63CF (CF = Convertible Passenger/Freighter Version) konnten in nur wenigen Stunden von den firmeneigenen Technikern/Mechanikern in einen Vollfrachter umgerüstet werden. Mit ihrem großen Frachttor und einer Zuladung von über 40 Tonnen Cargo war sie ein wahrlicher „Heavylifter“ in der damaligen Zeit.
Neben zahlreichen Charter-Aufträgen als Frachter konnte das SATA-Management diverse lukrative Aufträge mit dem Peugeot-Konzern in Paris aushandeln, die Ersatzteil-Lieferungen in die ehemaligen Kolonien Angola und Kongo garantierten; und dies in einer Zeit, da die SATA die beiden DC-8-63 nicht voll auslasten konnte.
Doch auch ganz spezielle Herausforderungen betreffend Fracht wurden an die SATA gerichtet.
So flogen wir im Jahre 1976 sechs Delphine von Florida nach Deutschland die für einen Zoo bestimmt waren. Ich kann mich noch sehr gut an diesen Flug erinnern, da er eine echte Herausforderung für die gesamte Crew war. Mehrere Tierpfleger und ein Tierarzt waren an Bord und kümmerten sich um die Tiere. Transportiert in speziellen Behältern und permanent mit Meerwasser benetzt, überstanden alle sechs Delphine diesen anstrengenden, 10-stündigen Flug nach Europa.
Haddsch-Flüge nach Djiddah, Saudi Arabien
Jedes Jahr suchten die Organisatoren der Haddsch-Pilgerflüge nach Saudi-Arabien, weltweit, die benötigten Flugzeuge die ihre Glaubensbrüder zumindest einmal in ihrem Leben nach Mekka bringen würden. Keine leichte Aufgabe, doch für die zahlreichen Charter-Unternehmen, aber auch etablierten National-Carriers ein sehr lukrativer Zusatzverdienst!
Selbst hatte ich mehrmals die Gelegenheit auf solchen Flügen mitzufliegen, aber auch tatkräftig Hand anzulegen wenn es nötig war. Vorab wurden beide Flugzeuge (HB-IDM & IDS) speziell für diese Pilgermissionen vorbereitet. Abdecken mit Plastikfolie der ganzen Sitzreihen war wohl der Standard, da die Kabineneinrichtung und die Sitzreihen oft stark verschmutzt wurden.
Die Crew, vorab die weiblichen Mitglieder, erschienen in T-Shirt und Jeans, nicht wie üblich
in ihrer Uniform, da die Hitze und Feuchtigkeit in Afrika und Saudi Arabien schier unerträglich waren.
Viele unsere Passagiere auf diesen Pilgerflügen saßen vermutlich noch nie in ihrem Leben in einem Flugzeug; von Sicherheitsvorschriften die zu beachten sind, hatten sie daher verständlicherweise keine Ahnung.
So kam es vor, dass einzelne Passagiere ihren mitgebrachten Kocher im Flugzeug in Betrieb setzten wollten, um ihre Mahlzeiten zu erwärmen. Auf 10.000 Metern Flughöhe ließen uns solche Vorgänge das Blut in den Adern gefrieren und unverzüglicher Handlungsbedarf unsererseits war angesagt.
Trotz solcher seltenen Vorkommnisse waren diese Pilgerflüge immer eine aufregende Erfahrung. Darum möchte ich diese, ganz speziellen Erlebnisse nie missen.
Back in the Seventies
Ja, das war noch eine tolle und hektische Zeit in den 1970er Jahren für eine Airline arbeiten zu dürfen. Computer, Laptop, iPhone etc. suchte man vergebens. Dafür arbeiteten wir mit Telex, Funk und Telefon.
Endloses tippen der Messages auf dem Telefax waren Standard und brachten einem an den Rand der Verzweiflung, was den Lärm betraf.
Elektronische Tickets oder „Self-Check-In“ kannten wir damals noch nicht. Handgeschriebene Flugtickets waren damals üblich (diese Form der Flugscheinausgabe wurde von manchen Reisebüros noch bis Ende der 1990er, Anfang der 2000er Jahre genutzt, Anmerkung der Redaktion).
Wenn ein Flieger abends wegen Verspätung nicht mehr starten durfte, war die ganze Mannschaft nach kurzem Telefonat wieder vor Ort um die Kunden zu betreuen und in die naheliegenden Hotels unterzubringen -sofern Zimmer verfügbar waren. Ja, es war „Herzblut“ für die Aviatik!
Wenn ich es mit den heutigen Verhältnissen bei Billig-Fluggesellschaften, aber auch bei den großen Airlines vergleiche, hat dies oft wenig gemeinsam mit der „Fliegerei“ die wir damals kannten.
So profitierte auch die SATA vom „Reiseboom“ dieser sich schnell wandelnden Zeit und hätte wohl mit besserem Management, effizienter Einsatzplanung und Kostenkontrolle vermutlich das Überleben bis in die heutige Zeit geschafft.
Epilog
„Ja, damals war alles anders und besser“ Solche Redensarten hört man immer wieder und diese Äusserungen kann ich aus meiner Sicht nur teilweise bejahen. Ja, vieles war anders im Airline-Business, aber deshalb nicht unbedingt einfacher.
Nur dank den Visionen, dem Pioniergeist und dem Mut damaliger Aviatik-Enthusiasten profitieren Reisende in der heutigen Zeit von Niedrigtarifen und einer großen Auswahl von Airlines weltweit. Diese Charter-Airlines in den 60/70er Jahren waren die eigentlichen Vorbereiter der heutigen „Lowcost-Carriers“. Open-Sky sei Dank.
Ob diese Entwicklungen für den weltweiten Luftverkehr förderlich sind und bestehen werden, auch in Anbetracht der Sicherheit, wird sich wohl spätestens in einigen Jahren zeigen!
„Qualität, Sicherheit und Komfort haben nach wie vor ihren Preis!“
Text: Andy Herzog (Stellvertretender Chefredaktor von "Wings Aviation")
Fotos: Christoph Hartmann, Andres Iller und Andy Herzog
Titelbild: Immer zu einem kleinen Spass bereit: Der Autor um 1975 im Triebwerk der DC-8-63CF, HB-IDM -Foto: Sammlung Andy Herzog