Dem Funkverkehr zufolge ereignete sich auf dem betreffenden Flug Folgendes: Um 16:37:32 Uhr Zulu-Time meldet die Besatzung offenbar beim Erkennen der ersten Anzeichen des Problems in einer Höhe von Flugfläche 370 (37.000 Fuß) "Requesting descend" an die Bodenkontrollstelle. Kurz darauf erbittet sie die Freigabe um "immediately" (sofort) auf Flugfläche 290 zu sinken - ein deutliches Indiz dafür, dass dringender Handlungsbedarf besteht.
Der Lotse gibt die Maschine zunächst zum Sinkflug auf Flugfläche 360 frei, was von den Piloten mit "Roger" (verstanden) bestätigt und um den Zusatz "We need to descend immediately" ergänzt wird. Bei der nun folgenden Freigabe, auf Flugfläche 330 zu sinken, fragt der Fluglotse "Could you say the reason?".
"Pan Pan, Pan Pan, Pan Pan, Emergency Descent", kommt es aus dem Cockpit der OE-LEE um 16:38:05 Uhr Zulu zurück. Zur Erklärung: Durch Verwendung der Phrasologie "Pan Pan" erklärt die Besatzung eine Dringlichkeitslage und "Emergency Descent" bedeutet nichts anderes als Notsinkflug, sprich, dass die Besatzung aufgrund eines aufgetretenen Problemes die Notwendigkeit sieht, so rasch als möglich auf eine niedrigere Flughöhe abzusinken. Der Fluglotse bestätigt den Erhalt dieser Meldung mit "Roger", die Piloten informieren die Bodenstelle über ein Problem mit einem der Cockpitfenster (Risse sind offenbar aufgetreten, was auch zum Absinken des Kabinendrucks geführt hat).
Piloten trugen Sauerstoffmasken
Auf der Aufnahme ist deutlich zu hören, dass die Piloten - völlig korrekt bei Problemen mit dem Kabinendruck - ihre Sauerstoffmasken tragen. Etwas, das von der Air Berlin Pressestelle ebenfalls dementiert und vom Autor des Kommentars "Weder Druckverlust noch Notabstieg", der sich hier scheinbar zu nichts anderem als zum verlängerten Arm einer Konzernpressestelle machen hat lassen, völlig unkritisch 1:1 übernommen wurde.
"Cabin pressure stable by now!"
Die Piloten des A320 teilen dem Fluglotsen mit, dass sie auf Flugfläche 100 (10.000 Fuß Höhe) sinken wollen, das Standardverfahren bei einem Notabstieg wegen Kabinendruckproblemen. Gleichzeitig melden sie "The cabin pressure is stable by now" (Wörtlich überetzt: "Der Kabinendruck ist nun stabil") und teilen dem Lotsen mit, dass sie darüber beraten werden, ob sie nach Wien zurückkehren.
Air Berlin korrigiert erste Stellungnahme
In einer E-Mail an die Austrian Wings Redaktion korrigierte Air Berlin ihre erste Stellungnahme und erklärte, dass man im Rahmen einer guten Zusammenarbeit Wert darauf lege, "eine transparente und faktisch korrekte Auskunft auf Anfragen" zu erteilen.
"Wir möchten uns daher in aller Form entschuldigen, dass es in diesem Einzelfall zu einer Fehlinformation gekommen ist. Wir haben leider Informationen erhalten, die nicht vollständig korrekt waren", schreibt die Sprecherin.
Und weiter: "Die Cockpitbesatzung hat die Sauerstoffmasken nur kurzzeitig als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme aufgesetzt. Die Landung wurde regulär und ohne Sauerstoffmasken durchgeführt."
Das Auftreten eines Verlustes des Kabinendrucks wird allerdings nach wie vor dementiert.
Air Berlin hüllt sich auf kritische Anfrage in Schweigen
Obwohl Austrian Wings der NIKI-Konzernmutter wiederholt die Möglichkeit zur ausführlichen Stellungnahme eingeräumt hat, erhielt unsere Redaktion entweder wenig aussagekräftige 08/15-Antworten oder aber überhaupt keine Antwort.
Konkret hüllte sich die Airline auf folgende Anfrage in eisernes Schweigen. Wenn es - wie behauptet - keine Probleme mit dem Kabinendruck gehalten hat, weshalb hat dann die Besatzung einen Notsinkflug auf 10.000 Fuß durchgeführt? So etwas ist laut A320-FCOM definitiv nicht vorgesehen, wenn nur ein Riss in der Windschutzscheibe besteht, selbst dann nicht, wenn die innerste der drei Schichten betroffen sein sollte. In so einem Fall ist ein "rapid descent" (der im Gegensatz zum Notsinkflug jedoch eine ausdrückliche Freigabe durch die Flugverkehrskontrolle benötigt) das Mittel der Wahl - und zwar nur auf 23.000 Fuß. Weshalb meldete die Besatzung über Funk dass der Druck "stable by now", also "nun" stabil sei, wenn es davor keinerlei Probleme mit dem Druck gab? Weshalb liegen dem "Aviation Herald" mehrere Zeugenaussagen anderer Piloten vor, die angeben, dass die Besatzung über Funk Probleme mit einem Fenster und dem Kabinendruck gemeldet hat? Fragen, auf die wir gerne eine Antwort gehabt hätten, die uns jedoch von Air Berlin bisher verweigert wurde.
Sollte es nämlich tatsächlich keinen Druckverlust gegeben haben, müsste man sich im Umkehrschluss fragen, ob die Besatzung mit einem Notsinkflug auf 10.000 Fuß (der so im FCOM für eine derartige Situation gar nicht vorgesehen ist) womöglich überreagiert hat.
Abweichende Meinungen zum Thema Kabinendruckverlust
Während also die oben dargelegten Fakten recht eindeutig in Richtung Kabinendruckverlust deuten, wird dieses Szenario - wie berichtet - nach wie vor von Air Berlin dementiert. Aber auch aus NIKI-Kreisen heißt es vehement, dass es keinen Kabinendruckverlust gegeben habe. Und auch so mancher erfahrener Flugkapitän ist der Überzeugung, es habe sich ausschließlich um ein Problem mit einem Cockpitfenster gehandelt. Andere Piloten - darunter ein A320 Trainingskapitän - sehen jedoch aufgrund der Handlungen der Piloten auch ein Problem mit dem Kabinendruck als wahrscheinlich an. Und last but not least darf man auch jene Piloten nicht vergessen, die der Überzeugung sind, am Funk gehört zu haben, wie die Besatzung des betreffenden Fluges Kabinendruckprobleme meldete.
In eigener Sache
An dieser Stelle halten wir fest, dass sämtliche Redakteure und freie Autoren von Austrian Wings nach besten Kräften daran arbeiten, höchste journalistische Standards einzuhalten, wenngleich Fehler natürlich immer dort passieren können, wo Menschen arbeiten, keine Frage. Es liegt uns aber fern, Vorfälle "aufzubauschen", wir haben auch in diesem Fall sachlich und - wie sich nun auch durch den für die Allgemeinheit verfügbaren Funkverkehr für jedermann nachvollziehbar herausgestellt hat - völlig korrekt berichtet, unter Angabe des "Aviation Herald" als Referenz.
Piloten agierten vorbildlich
Zu keinem Zeitpunkt wurde oder wird von uns das Verhalten der Piloten in diesem Fall kritisiert, im Gegenteil: Durch ihre rasche und besonnene Reaktion haben sie (davon ausgehend, dass ein Druckproblem aufgetreten ist) völlig korrekt und verantwortungsbewusst gehandelt, wie in der Ausbildung gelernt und unzählige Male im Simulator trainiert. Etwas, das absolute Wertschätzung verdient.
Was wir allerdings massiv kritisieren müssen, ist der Umgang der Air Berlin Pressestelle mit diesem Vorfall, die, drücken wir es vornehm aus, versucht hat, uns hinters Licht zu führen und auf unsere Berichterstattung Einfluss zu nehmen. Dies noch einmal mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen, ist uns wichtig.
Ein persönlicher Beitrag des CvD, der nicht zwangsläufig die Meinung der gesamten Redaktion widerspiegeln muss / Titelbild: NIKI A320, Symbolbild - Foto: Austrian Wings Media Crew