Security-Wahn gefährdet Menschenleben - Wie der Frankfurter Flughafen ein Transplantationsorgan verspätete
Transplantationsorgane gehören wohl zu der eiligsten und wertvollsten Fracht, die per Flugzeug transportiert wird. Pilot und Flugzeug berichtete in einer Reportage in Ausgabe 2012/12 über den Alltag bei Organ- und Patiententransporten mittels GA-Flugzeug. Gemeinhin kosten in der Fliegerei Verspätungen vor allem Geld. Viel Geld. Im Organ- und Patiententransport geht es jedoch um etwas sehr viel Wichtigeres: Menschenleben.
Die beteiligten Ärzte, Piloten, Organisatoren, Flugplaner, Ground- und ATC-Mitarbeiter wissen das in aller Regel und machen alles, wirklich alles möglich, um die unersetzliche Fracht schnellstens vom Spender zum Empfänger zu bringen. Denn jede Verspätung schmälert die Chancen, dass das Organ beim Empfänger noch verwendbar ist. Ein „actual hospital flight“ wird an allen Flughäfen in Europa vorgelassen. Linienflieger müssen warten. Directs vom Takeoff bis zum Final-Approach-Fix sind die Regel, es wird selbstverständlich die schnellste und am günstigsten gelegene Runway gegeben, und ein erfahrenes Organisationsteam in den darauf spezialisierten gewerblichen Flugbetrieben und bei der Deutschen Stiftung Organ (DSO) sorgt dafür, dass am Boden alle informiert sind, Krankenwagen aufs Vorfeld dürfen, Flughäfen mitten in der Nacht geöffnet werden und die unscheinbare Kühltruhe mit dem lebensrettenden Inhalt niemals stillsteht.
Was der Autor als Pilot eines Organtransports jedoch in den frühen Morgenstunden des 18. Februar am Frankfurter Flughafen erleben musste, war der Zusammenbruch der Airport-Security. Der Flughafen Frankfurt betont in seiner Außendarstellung gern die „konzernweite Wertekultur“ und die „Verhaltenskodizes“, welche „die Aspekte Compliance, Arbeitsbedingungen und Menschenrechte“ berücksichtigen.
Doch tatsächlich wird die eiligste und wichtigste Fracht, die diesen Airport passiert, durch das Security-Team des Airports blockiert, obwohl der Transport und die Modalitäten lange angekündigt und bekannt waren. Aber der Reihe nach:
Das Flugzeug mit der Kennung D-ISHF eines auf Ambulanzflüge spezialisierten gewerblichen Flugbetriebs war am 18. Februar 2014 beauftragt, ein Transplantationsorgan von Frankfurt/EDDF nach Hamburg/EDDH zu transportieren. Das Flugzeug landete mit zwei Besatzungsmitgliedern an Bord gegen 03:20 Uhr Ortszeit in Frankfurt und wurde auf der Vorfeldposition J4 abgestellt. Nach ca. fünf Minuten erschien ein Crew-Bus begleitet durch ein Follow-me-Fahrzeug.
Der Fahrer des Crew-Busses erklärte mir als verantwortlichem Luftfahrzeugführer des Transports, dass das Organ schon angeliefert worden sei, er es jedoch nicht vom GAT-Gebäude zum Flugzeug bringen könne. Ich solle mit ihm mitfahren und das Organ im GAT-Gebäude entgegennehmen.
Allein dies ist schon ungewöhnlich. Auf den allermeisten Flughäfen in Europa werden Organe und Patienten mit dem Krankenwagen direkt zum Flugzeug gebracht. Hier war dies nicht der Fall. Dass das Organ dann irgendwo „rumliegt“ und nicht unverzüglich (also ohne schuldhaftes Zögern!) zum gelandeten Flugzeug gebracht wird, wäre für sich schon ein ziemlicher Lapsus des Flughafens gewesen. Dass erst mal jemand mit dem Crew-Bus rausfährt, um zu besprechen, was denn los sei, ist eine noch schwächere Leistung.
Ob ich der Arzt sei, fragte der Fahrer. „Nein, ich bin der Pilot.“ Ob ich denn das Organ entgegennehmen dürfte, war seine nächste Frage: „Ja klar – jetzt aber bitte zügig!“, lautete meine Antwort.
Wir erleben im Organtransport immer wieder, dass Menschen größte Hemmungen haben, die Transportbox mit der Fracht überhaupt anzufassen. Denn nicht jedes Organ wird von einem Ärzteteam begleitet. Manche Organe reisen auch allein. Diese sind dann in einer Einweg-Kühlbox sicher verpackt und versiegelt. Man braucht für die Handhabung dieser Box wirklich nicht mehr Kraft und nicht mehr Kenntnisse als für das Tragen einer Camping-Kühltasche mit sechs Flaschen Bier darin. Das kriegt eigentlich jeder hin. Speed = Life!
Auf der Fahrt erklärte mir der Crew-Bus-Fahrer, die Durchgänge zwischen GAT-Gebäude und Vorfeld seien um diese Uhrzeit verschlossen und wir könnten das GAT-Gebäude nur durch den straßenseitigen Eingang außerhalb des Sicherheitsbereiches betreten. Ich hatte dagegen keine Einwände, da ich davon ausging, nach der Aufnahme des Organs von eben diesem Fahrer auch wieder zum Flugzeug begleitet zu werden. Dieses Vorgehen ist aber gelinde gesagt äußerst ungewöhnlich. Doch auch als Pilot muss man in der Ambulanzfliegerei flexibel sein. Nur Tage zuvor war ich bei einer Organlieferung in Wien auf Bitten des nahenden Krankenwagens quer durch das Terminal gestürmt, um dem im Verkehr steckenden Transport-Team wenigstens die paar Minuten Fußweg zu ersparen.
Wenn sich am GAT also niemand traut, die Box zu berühren oder gar zum Flugzeug zu bringen, nehme ich diese selbstverständlich an, denn für lange Diskussionen ist nun wirklich keine Zeit.
Nachdem wir also den Sicherheitsbereich verlassen und das GAT durch den Straßeneingang betreten hatten, nahm ich das Organ an mich und der Fahrer brachte mich zum „Tor 112“. Offenbar ging er davon aus, dass wir durch dieses Tor wieder zum Flugzeug gelangen könnten. Jetzt allerdings lief der Frankfurter Flughafen zur Hochform auf.
Kein Durchgang für Pilot und Organ!
Die Mitarbeiter am Tor 112 verweigerten den Durchgang, da ich keinen Flughafenausweis hatte. EDDF ist nicht unsere Homebase und es ist vollkommen illusorisch, anzunehmen, dass Besatzungen von europaweit tätigen Organtransporten von jedem angeflogenen Flughafen einen Flughafenausweis besitzen.
Allein an der recht gemütlichen und GA-freundlichen Homebase der „HF“ in Karlsruhe-Baden/EDSB bedurfte die Beantragung eines Flughafenausweises für den ja bereits als Pilot restlos sicherheitsüberprüften (ZUP) Autor nicht weniger als sechs Wochen Zeit sowie einer Theorie- und Praxisschulung. Und wie schwer bzw. unmöglich dies an anderen Flughäfen sein kann, können Sie in Pilot und Flugzeug Ausgabe 2014/03 in einem Leserbericht auf Seite 15 nachlesen.
Meine Versuche, durch Vorlage des Crew-Ausweises und meiner Pilotenlizenz das Tor zu passieren, wurden durch die wortführende Mitarbeiterin (die sich auch weigerte, mir ihren Namen zu nennen) strikt abgelehnt: „Ohne Flughafenausweis kommt hier keiner durch“, erklärte einer ihrer Kollegen.
Dass dies keine ganz einfache Erfahrung werden würde, stellte sich schnell heraus. Die Mitarbeiterin begann, zunächst sämtliche Angaben aus meiner ihr ausgehändigten Pilotenlizenz in ein Formular zu übertragen. Langsam und gewissenhaft. Dann fuhr sie mit der Abschrift der DSO-Frachtpapiere für das Organ fort. Das Ganze nahm durchaus Zeit in Anspruch, auch weil die modisch sehr langen und kunstvoll verzierten Fingernägel der Dame sicher nicht optimal geeignet waren, um in der morgendlichen nassen Kälte des Frankfurter Flughafens einen Kugelschreiber zu handhaben. Ein Kopierer hätte hier bestimmt viel Zeit gespart.
Weitere wertvolle Zeit verplemperten wir mit einem Kopf-oder-Zahl-Spiel, das die Mitarbeiterin nun begann. Auf die Frage nach unserer Flugnummer antwortete ich mit „D-ISHF“. Wie viele Ambulanzflugbetriebe in Deutschland fliegt nämlich auch die Heli-Flight unter Kennzeichen und nicht als „Heart-Runner 076“ oder „Liver-Express 441“ – und dies schon seit Jahrzehnten. Die Security-Mitarbeiterin wusste es jedoch besser: „Zu einer Flugnummer gehören auch Zahlen“, erläuterte sie mir. Ich erklärte ihr – freundlich und geduldig – dass wir unter Kennzeichen flögen und in diesen Fällen gemeinhin das Kennzeichen als Flugnummer einzutragen sei.
Diese Erklärung beeindruckte sie jedoch nur geringfügig und erst nach minutenlangem Hin und Her konnte ich erreichen, dass endlich das Kennzeichen ins Formular eingetragen wurde, nicht ohne jedoch noch eine weitere nun recht ungeduldige Rückfrage zu beantworten: „Fox, fox ... ist das ein F oder ein V?“ „Ein F“, erklärte ich. Antwort: „Ja, da muss ich doch fragen, da gibt‘s ja schließlich mehrere Möglichkeiten!“
Spätestens jetzt war mir klar, dass die Dame offenbar nicht die geringste Schulung für ihre Aufgabe heute Nacht erhalten hatte.
Der Crew-Bus-Fahrer, der mich hier überhaupt erst abgesetzt hatte, machte sich dann mit einer inzwischen aufgetauchten russischen Flugbesatzung aus dem Staub, nicht jedoch, ohne mich samt Organ vorher auch aus dem Vorbereich der Sicherheitsschranke zu entfernen, sodass ich nun allein mit dem Organ buchstäblich auf der Straße stand – und das ohne die Möglichkeit, Kontakt mit dem Security-Team aufzunehmen, denn die saßen inzwischen alle im warmen Pausenraum. Ein anderer, sehr freundlicher Security-Mitarbeiter hatte allerdings offensichtlich Mitleid und holte mich nach ein paar Minuten ebenfalls ins Warme.
Dort stellte ich fest, dass die Security-Leute gleichzeitig und ziemlich durcheinander mit verschiedensten Stellen telefonierten. Offensichtlich war, dass niemand auch nur die geringste Ahnung hatte, wie mit dem nun doch eher ungeduldigen Piloten und seiner Fracht zu verfahren sei. Es bot sich das Bild vollkommener Plan- und Hilflosigkeit.
Die wortführende (offenbar namenlose) Security-Mitarbeiterin mit der Vorliebe für Zahlen betonte auch auf meinen Einwand, dass es hier um Menschenleben gehe, immer wieder, sie müsse „nach Vorschrift“ handeln.
Der geneigte Leser mag sich vorstellen, welche Gedanken über die Zeitlosigkeit dieser wunderbaren Ausrede dem Autor in diesem Moment durch den Kopf schossen. Ich biss mir jedoch auf die Zunge, wohl wissend, dass nicht Recht behalten, sondern ausschließlich der schnellstmögliche Durchgang des Organs hier meine Aufgabe war.
Alle Erklärungsversuche, auch durch unsere sehr hilfsbereite Einsatzzentrale, dass es sich hier um einen eiligen Organtransport handelt und schlussendlich um Menschenleben geht, fruchteten nicht. „Es geht hier auch um meinen Job, wenn ich Sie einfach so durchlasse“, erklärte die namenlose Dame.
Von „einfach so durchlassen“ konnte jedoch gar keine Rede sein. Unser Transport war lange vorher angekündigt worden. Das bestätigten sowohl die Security-Mitarbeiter wie auch der Crew-Bus-Fahrer. Ich hatte mich klar mit Lizenz und Crewcard als Pilot ausgewiesen, das mitgeführte Organ hatte alle erforderlichen Begleitpapiere und Siegel. Zudem hatte ich nur Minuten zuvor und unter ständiger Begleitung eines Vorfeld-Mitarbeiters den Sicherheitsbereich verlassen, auf den ich nun zurückkehren wollte. Über 20 Minuten vergingen, in denen die Mitarbeiter am Tor ergebnislos herumtelefonierten und sich nicht entschließen konnten, das Organ freizugeben. Auch der Crew-Bus-Fahrer konnte oder wollte nichts tun.
Es war schließlich der Entschlusskraft und Zivilcourage der auf der anderen Seite der Schranke wartenden Follow-me-Fahrerin zu verdanken, die mich nach kurzer Rücksprache mit einem Vorgesetzten „auf ihre Verantwortung“ einfach durch das Tor schleuste, dass das Organ doch noch zum Flugzeug und somit zum wartenden Empfänger gelangte, wenn auch mit einer vollkommen unnötigen Verspätung.
Fazit
Die aus dem Security-Delay resultierende Verzögerung belief sich auf rund 28 Minuten. Bemerkenswert dabei ist, dass alle Beteiligten (Crew-Bus-Fahrer und Security-Mitarbeiter am Tor 112) nach eigener Aussage lange vorher über unser Kommen und die Details des Organtransports informiert waren. Dies führte aber offenbar nicht zu einer entsprechenden Vorbereitung der nötigen Abläufe. Hier haben wir ans Management der Fraport AG einige Fragen gestellt, auf deren Beantwortung wir sehr gespannt sind.
Das Verhalten des Security-Teams am Tor 112 grenzt für mich an unterlassene Hilfeleistung:
§ 323c StGB
Unterlassene Hilfeleistung
Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
Die Vorgänge vom 18. Februar wären also eigentlich ein Fall für den Staatsanwalt. Zumindest aber sollte ein Flughafen, der in seinem Mitarbeiter-Verhaltenskodex ausführt:
"Wir erwarten, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verantwortungsbewusst im Sinne des Verhaltenskodexes handeln. Wir fördern einen offenen Umgang im Sinne einer Vertrauenskultur zwischen Beschäftigten und den jeweiligen Führungskräften [...]"
in der Lage sein, drei absolute Kernaufgaben eines Airports zu erledigen:
- Der Flughafenbetreiber sollte sicherstellen, dass auch bei geschlossenen GAT-Ausgängen eine Möglichkeit besteht, entweder das Organ allein zum Flugzeug oder die Crew zum Organ und dann auch wieder zurück zum Flugzeug zu bringen!
- Die Crew-Bus-Fahrer sollten dahingehend informiert werden, dass sie On-Duty-Besatzungsmitglieder keinesfalls in eine Security-technische Sackgasse fahren.
- Security-Mitarbeiter an Toren oder Eingängen, die Besatzungsmitglieder einlassen, müssen entsprechend geschult werden und nicht erst bei Auftauchen der lange avisierten Crew beginnen, das entsprechende Verfahren zu recherchieren. Ferner sind Diskussionen nach dem Motto „Aber eine Flugnummer muss auch Zahlen beinhalten“ nicht nur sinnlos, sondern kosten auch unnötig Zeit und Nerven.
Und natürlich hat der Autor auch selber einen neuen Eintrag im „Lessons Learned“-Buch zu machen: Niemals, wirklich niemals sollte man sich bei geschlossenem GAT als On-Duty-Besatzungsmitglied für den Organ-Pickup aus dem Sicherheitsbereich fahren lassen. Egal, was der Fahrer sagt. Das nächste Mal springe ich lieber aus dem fahrenden Crew-Bus!
Kommentar
Der Trainings-, Zertifizierungs- und Standardisierungswahn in der Luftfahrt hat – wie Sie als aktive Piloten wissen – jedes Maß veloren. Ganz besonders in der gewerblichen Luftfahrt. Wir müssen Handbücher schreiben, Qualitäts- und Safety-Management-Systeme aufbauen und als Piloten unzählige CRM-Lehrgänge, Standardisierungen sowie Dangerous-Goods- und Fire-Fighting-Kurse besuchen.
Sogar einen Erste-Hilfe-Kurs müssen wir als Ambulanzpiloten absolvieren, obwohl unsere Passagiere fast ausschließlich ausgebildete und hochkarätige Mediziner sind. Sicherlich müssen diese dann bald auch noch lernen, wie man ein Flugzeug fliegt – just to be safe!
Alles ist standardisiert, trainiert und für jede noch so unwahrscheinliche Eventualität wird in der Fliegerei von der Aufsichtsbehörde ein Kurs oder ein Management-Programm vorgeschrieben. Nur wenn der so aufgepumpte Pilot dann mit dem Boden in Kontakt kommt, sind offenbar alle Wetten offen.
Das gilt für unnütze Handling-Agenten an spanischen Airports, die Probleme generieren, um sie dann selber und kostenpflichtig zu lösen, genauso wie für den großen Vorbild-Airport in Frankfurt. Selbst die einfachsten Verfahren werden dort nicht mehr beherrscht.
Vollkommen unzureichend geschulte Security-Leute entscheiden dann über das Gelingen einer Organtransplantation, für die Dutzende Ärzte, Helfer, Piloten, Planer, Fahrer, Lotsen und Feuerwehr-Crews sich die Nacht um die Ohren geschlagen haben. Statt den vorhersehbaren Ablauf vorzubereiten, diskutiert man lieber, ob eine Flugnummer nun Zahlen beinhalten muss oder nicht. Und anstatt bei Unklarheiten und ggf. neuen Abläufen rechtzeitig den Vorgesetzten zu kontaktieren, beruft man sich auf eine Vorschrift.
Ergebnis: Nachts einen lange vorher angemeldeten Piloten samt Transplantationsorgan zum Flugzeug zu bringen ist ein Ding der Unmöglichkeit und es hängt am Ende an der Zivilcourage und am schlichten Hausverstand einer Follow-me-Fahrerin, dass ein Empfänger sein lange ersehntes und lebensrettendes Spenderorgan auch unverschimmelt bekommt.
Wir leben im Plem-Plem-Land!
Text (kursiv): Jan Brill
(red CvD, NE / Titelbild: Symbolbild - Foto: PA / Austrian Wings Media Crew)