Alle im Zweiten Weltkrieg in Erscheinung getretenen entstandenen Konstruktionsbüros waren zu diesem Zeitpunkt der Geschichte bereits in ihrer eigenen Nische angekommen. MiG und Sukhoi waren weiter maßgeblich im Militärbereich tätig, Ilyushin baute gerade am IL-18 Mittelstreckenflugzeug und konstruierte die IL-62 für die Langstrecke. Antonov baute Frachter und bastelte schon an kleinen Regionalprops (neben dem Allrounder AN-2) und Tupolev war mit der TU-104, TU-114, TU-124 und der TU-134 das technologische Zugpferd. Nun machte sich Yakovlev als letztes bekanntes Büro an die zivile Luftfahrt heran, wobei die vorhergegangenen Projekte, wie die Yak-16 (in Auslegung der Vickers Viking ähnlich), scheiterten. Ziel des erneuten Anlaufs war es, ein Flugzeug zu entwickeln, welches von unbefestigten Plätzen Zubringerdienste übernehmen konnte und durch den Einsatz modernster Technologie ältere Typen (wie die LI-2, die IL-12 und später auch die IL-14) obsolet machte.
Das neue Regionalflugzeug sollte möglichst universell einsetzbar sein, und unter modernsten Gesichtspunkten konstruiert werden. Nachdem man viele zur damaligen Zeit „modischen“ Aspekte wie senkrecht starten beziehungsweise landen dann doch wieder wegen der damit einhergehenden Komplexität und Unwirtschaftlichkeit ausschloss, einigte man sich auf eine konservative Auslegung des Flugwerks unter Miteinbeziehung modernster Antriebs- sowie Steuertechnologie. Zum Einsatz sollten die neuen AI-25 Bypass - Triebwerke kommen. Diese sind in ihrer Auslegung frühe Versionen eines Mantelstromtriebwerkes, jedoch weit weniger effizient. Aufgrund der Anforderungen an das Flugzeug entschied man sich kurzerhand drei statt der ursprünglich in Erwägung gezogenen zwei Triebwerke einzubauen, damit der Einsatz von exponierten Flugplätzen problemlos möglich wäre. Der Dreistrahler sollte um die 30 Passagiere befördern können, und dabei möglichst unabhängig von Bodengerät sein.
Ende 1966 war es dann soweit, der Prototyp der Yak-40 erhob sich in die Lüfte. Der kleine Jet hatte nun einen Rumpf mit 2,4 m Durchmesser und war mit einer Spannweite von 25 m nur knapp über 20 m lang. Die ungepfeilten Tragflächen verfügen über Wölbklappen als Auftriebshilfe. Slats sind bei der großen Profiltiefe und dem sehr hohen Auftrieb bei niedrigen Geschwindigkeiten nicht nötig. Über eine im Heck eingebaute Stiege können je nach Auslegung bis zu 32 Passagiere im Salon Platz nehmen. Gepäck wird dabei im Heck verstaut und kann von den Passagieren bei Bedarf in den dafür vorgesehen Ablagen selbst verladen werden. Eine Toilette befindet sich im hinteren Teil der Kabine auf der rechten Seite, gegenüber liegt die entsprechend kleine Galley. Je nach Einsatzprofil ist die Yak-40 entweder mit einer 2-1 oder einer 2-2 Bestuhlung ausgestattet. Mit einer Reisegeschwindigkeit um die 550 km/h erreicht die Yak-40 bis zu 8.000 m Flughöhe und kann an die 1.400 km weit fliegen. Mit diesen durchaus respektablen Leistungen ging die kleine Yak in die Serienproduktion im Flugzeugwerk Saratov (an der Wolga). Das Einziehfahrwerk ist im Übrigen jeweils mit einem Niederdruckreifen bestückt, wobei die Dimensionen der Reifen am Hauptfahrwerk in Relation zum Flugzeug enorm sind. Ganz klar, die Yak-40 ist ein Design welches man kaum zerstören kann.
Mit 1.011 produzierten Einheiten in unzähligen Versionen ist die Yak-40 gemessen an ihrer Zeit ein unglaublich erfolgreiches Flugzeug und eines der wenigen sowjetischen Designs, welches auch in den Westen exportiert wurde. Mit General Air fand man sogar aus der Bundesrepublik Deutschland einen Abnehmer, der aber nur mäßig erfolgreich im Umgang mit der kleinen Yak war. AeroLigure war ein italienischer Betreiber. Nach dem Zerfall der Sowjetunion flog und fliegt die Yak-40 in den Nachfolgerepubliken, sowie vereinzelt in anderen Nationen. In den ehemaligen sozialistischen Bruderstaaten findet man die Yak-40 so gut wie nicht mehr, (z.B. Vietnam oder Kuba). Ein Grund für den wenig erfolgreichen Betrieb der YK4 (Drei- Letter- Code) bei General Air in der BRD waren die Restriktionen im Betrieb sowie die technische Ausführung der Flugzeuge (vieles musste nachgerüstet werden). War man in der Sowjetunion in der einen oder anderen Frage kompromissbereit, so neigte die deutsche Flugsicherungsbehörde nicht zu dieser Art von Flexibilität, vor allem wenn man Menschen in eine Röhre mit 3 Triebwerken setzt und diese mit 550km/h durch die Luft fliegt. Um den Kerosinverbrauch zu senken und die Reichweite zu steigern wurde bei Aeroflot einfach das Triebwerk Nummer 2 im Reiseflug abgeschaltet, um es dann für die Landung wieder in Betrieb zu nehmen. In diesem Punkt war mit den deutschen Behörden nicht zu verhandeln, daher ein ökonomischer Reiseflug mit nur zwei Triebwerken bei General Air unmöglich. Das mittlere Triebwerk war zudem das einzige mit einer Schubumkehr. Die Ur- Version der YK4 verfügte nicht über diese Bremsvorrichtung, erst spätere Serienmaschinen konnten darauf zurückgreifen. Dann auch gleich während des Endanfluges in wenigen Metern über Grund, wie es zum Beispiel auch bei der IL-62 Standardprozedur ist.
War Mitte der 1970er Jahre Treibstoff kein wesentlicher Kostenfaktor, so sah dies in den 2000ern ganz anders aus. Mit einem enormen Verbrauch von um die 1,5 Tonnen pro Stunde ist der kleine Trijet sogar für russische Verhältnisse unglaublich durstig. Da halfen auch keine Modernisierungsprojekte mehr. Mit steigendem Spritpreis wurde die Yak-40 obsolet. In Russland nennt man die kleine Yak im Scherz „Spritvernichter“. Unter Piloten war und ist der Jet dennoch sehr beliebt. Eingesetzt wurde der kleine Alleskönner auf unterschiedlichsten Strecken mit unterschiedlichsten Aufgaben. Ob sie nun als VIP Flieger operiert oder im Hochgebirge nach Khorog (Stadt im Pamir, heute Tadschikistan), die Yak-40 ist für alles zu haben. Man fand sie auch als Insel Hüpfer auf den Philippinen oder als „Paradiesvogel“ auf Kuba. Mit 2014 ist sie aber beinahe verschwunden.
Die mittlerweile auch in Russland teuren Rohstoffe machen den kleinen Jet in nahezu allen erdenklichen Einsatzlagen unwirtschaftlich. Das sehr enge Dreimann - Cockpit trägt seinen Teil dazu bei. Da hilft es auch nicht, dass man üblicherweise nur mit einer Flugbegleiterin als Kabinenbesatzung fliegt. Die Yak wurde in Russland vor allem in den letzten 3 Jahren unfassbar rasch von anderen Fliegern ersetzt. Hauptsächlich übernahm der klassische 50-sitzige CRJ von Bombardier die üblichen Yak - Strecken. Der CRJ ist etwas günstiger im Betrieb, kann aber 20 Passagiere mehr fassen. Vereinzelt ist die Yak aber noch anzutreffen, wie lange noch, das bleibt offen. Will man auf ihr fliegen, so empfehlen sich einige Strecken im fernen Osten Russlands (Khabarovsk), oder aber unter Umständen nach Velikij Ustjug (dort wohnt „Väterchen Frost“).
Auch setzten dem kleinen Airliner die alten, massenhaft verfügbaren An-24 Regionalprops zu. Diese sind nicht wesentlich langsamer als die Yak, fassen aber mehr Personen und brauchen exakt halb so viel Sprit. Wenn also Piloten mit einem Typerating für eine An-24 verfügbar sind, so wird oft dieser Typ anstelle der Yak-40 eingesetzt. Komfortabler ist die Antonov auch, denn der Yakovlev Trijet ist mit einer 2-2 Auslegung sehr klein. Auf der Yak-40 zu fliegen ist dennoch etwas Einzigartiges. Sie hat ja im Prinzip alles was auch „echte“ Flieger haben, aber alles ist mindestens eine Konfektionsgröße kleiner. Die Armlehnen sind winzig, auch die Fenster sind nicht sehr groß. Ein Highlight ist sicher der Besuch der Toilette. Hat jemand Schuhgröße 43 oder mehr, so ist die verfügbare Bodenfläche komplett aufgebraucht. Überhaupt kommt das „Kindchenschema“ bei diesem Flieger voll zur Geltung. Irgendwie fühlt sich der kleine Jet wie ein Modellflieger an.
Was die Sicherheit der Maschine betrifft, so sind deren Werte, egal nach welcher Methode auch gerechnet wird, sehr schlecht. Die Statistik weist für alle Jetairliner früherer Generationen schlechte Werte aus (hier vor allem für sowjetische Muster), doch auch hier sticht die Yak-40 negativ hervor. Nimmt man sich aber die Mühe und liest sich in die Kurzzusammenfassungen aller Abstürze ein, so wird schnell klar, dass nicht die Konstruktion des Flugzeuges, oder aber dessen schwierige Handhabung für Abstürze verantwortlich sind. Neben vielen Kollisionen mit Gebirgen und Zusammenstößen mit anderen Fliegern wurden Yaks abgeschossen, entführt, gerieten in Stürme oder schwere Turbulenzen. Beinahe alle Abstürze sind auf schwierige Einsatzbedingungen und / oder menschliches Versagen zurückzuführen. Schwerwiegende Fehlkonstruktionen die zu mehreren tödlichen Abstürzen führte, wie zum Beispiel bei der B737 (Seitenruderaktivator), findet man bei russischen Modellen generell nicht.
Ein eher unerwartetes Revival erfuhr der kleine Jet mit dem Umbruch zur Marktwirtschaft. Als kleiner, günstiger und leicht verfügbarer Flieger wurde der eine oder andere Jet mit einem VIP- Salon ausgerüstet. In ihrer Rolle als Business- Jet ist die Yak-40 eher ein Sonderling. Zwar ist das Format ideal für Geschäftsreisende, aber der Durst und die geringe Reichweite der Maschine sind sehr große Schwächen im Vergleich zu modernen westlichen Mustern.
In erster Linie wurden die Yaks durch die Nachfrage neureicher Russen umgebaut. Und da keine westlichen Muster importiert werden durften oder schlichtweg nicht verfügbar waren, polierte man die kleinen Yaks auf. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, zählt doch in Russland in erster Linie der oberflächliche Eindruck, und weniger der tiefere Hintergrund. So neigen Russen auch dazu, sich von großen Autos beeindrucken zu lassen. Marke, Baujahr, und Qualität sind da eher egal. Erst seit kurzem bildet sich ein Markenbewusstsein, welches zwischen „Porsche“ und „Great Wall“ zu unterscheiden beginnt. Selbiges findet man in der Welt der Bizjets. So verwundert es nicht, dass viele der Maschinen auch schon wieder ausgemustert werden. Der nach Prestige lechzende Oligarch fliegt lieber auf einer Falcon oder gleich mit einer umgebauten B767.
Die wahrscheinlich schönste Inneneinrichtung haben jedoch die Yak-40 der Syrian Arab Airlines. Ob diese aber angesichts der derzeitigen Katastrophe in diesem Land überhaupt noch fliegen, ist unbekannt.
Einige Yak-40 halten sich noch recht gut als Regierungsmaschinen. In wieweit Polen seine Yak-40 Flotte noch aktiv hält, ist nicht zu 100% klar. Man muss aber nicht gleich nach Polen, Bulgarien oder Russland für solche Maschinen. Die Regierungsstaffel der Slowakei betreibt noch die Yak-40 und die Tu-154M aktiv in ihrem Bestand. Die wahrscheinlich schnellste, nächste und kostengünstigste Möglichkeit eine Yak-40 zu besuchen findet man in Ungarn. Ohne es an die große Glocke hängen zu wollen, man könnte wohl die im Budapester Luftfahrtmuseum ausgestellte Yak-40 einfach anstarten und davonfliegen. Diese ist wohl in einem besseren Zustand als so manche noch aktive Maschine.
Die Yak-40 der Severstal Aircompany
Als sich bereits 2010 ein Ende der Yak-40 abzeichnete, war es an der Zeit, mit einer zu reisen. Einige kleinere regionale russische Airlines betrieben noch Flotten, welche ausschließlich aus diesem Typ bestanden. Eine davon war die hauseigene Airline des größten russischen Stahlproduzenten Severstal. Das Werk sowie der Hub der Airline befinden sich am Rybinsker Stausee in der Stadt Cherepovets (Drei Letter Code CEE). Als typische Provinzstadt mit einem Schwerindustrieerbe aus der Sowjetunion ist der Bedarf an schnellen Verbindungen in andere Städte gegeben. Aus diesem Grund wurde die Airline 1998 als Teil des Stahlkombinats gegründet. Heute werden neben Moskau und Sankt Petersburg auch kleinere Städte in Russland angeflogen, sowie international Minsk und Helsinki.
Mit dem Einzug des Kapitalismus wurde Fliegen für die breite Masse der Russen unerschwinglich. Konnte man in der Sowjetunion noch für zirka ein Drittel eines Monatslohns einen Hin und Retour Mittelstreckenflug bei Aeroflot kaufen, so kostet heute ein entsprechendes Ticket mehr als einen Monatslohn. Wobei im kapitalistischen Russland Wohnungsmieten, Versicherungen, Energie und andere Kosten ebenfalls zu marktüblichen Preisen beglichen werden müssen. Russland hatte über Jahre hinweg nicht annähernd das Luftverkehrsaufkommen, das es noch als Sowjetrepublik hatte, mit oftmaliger Stagnation in der Nachfrage und damit einhergehenden Airline Pleiten. In solch einer Situation brachte die Yak-40 gerade die richtige Kapazität mit. Man hatte einen modern anmutenden Jet (und keinen “alten“ Prop) der leicht voll zu bekommen war und Sprit kostete auch nicht die Welt. Für ein Unternehmen von der Größe der Severstal Gruppe war natürlich ein Anschluss an die Hauptstadt auf dem Luftwege unumgänglich. Obgleich es den Anschein hat, dass es sich hier um Werksverkehr handelt, so sind die Tickets einfach frei buchbar. Dies bewirkt natürlich, dass auch Personen außerhalb der Unternehmensgruppe buchen. Vermehrt können sich Familien aus den Regionen Urlaube leisten, was auch von dieser Seite her neue Nachfrage bedeutet.
Severstal unterhielt 2010 zwei tägliche Verbindungen nach Moskau, wobei Vnukovo und Domodedovo jeweils abwechselnd angeflogen wurden. Die Airline hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine sehr umfangreiche Homepage online, die auch sehr professionell gestaltet war. Buchbar waren die Tickets dann aber doch nur über telefonischem Wege oder direkt am Airline Schalter in den angeflogen Airports und den Aviakassy (Büros für den Verkauf von Flugtickets, gibt es in Russland beinahe an jedem Eck). Auch war es möglich, Flugzeuge der Airline für Rundflüge zu chartern. Dies war besonders bei Hochzeiten beliebt und wurde entsprechend auf der Homepage beworben. Damals bestand die gesamte Flotte dieser Airline aus Yak-40 in den unterschiedlichsten Varianten. Neben einer 2-2 Version waren auch eine 2-1 und zwei VIP Flugzeuge im Einsatz. Heute fliegt die Airline fast ausschließlich CRJ, lediglich nach Veliki Ustjug kommen noch die Yaks zum Einsatz. Ein weiteres Kuriosum dieser Zeit waren Flüge von Petrozavodsk (Hauptstadt der im Nordwesten gelegenen Republik Karelien) nach Helsinki. Diesen Flügen zueigen war die Tatsache, dass sie nur im Sommer durchgeführt wurden und ihnen ein Überstellflug aus Cherepovets voranging. Interessanterweise konnte man aber alle diese einzelnen Flüge buchen und so von Moskau aus über Cherepovets nach Petrozavodsk und weiter nach Helsinki fliegen. Der Preis hielt sich mit knapp 200 EUR für die Strecke auch von Moskau über Cherepovets nach Petrozavodsk in Grenzen, der Flug von Karelien nach Finnland sollte da mit knapp 550 EUR für eine Strecke schon etwas teurer ausfallen. Klar, der Luftverkehr aus Petrozavodsk (Drei- Letter- Code PES) befand sich zu dieser Zeit gerade im Aufbau, von Petersburg aus wurde drei Mal die Woche nach PES mit einer AN-28 „geflogen“ (mehr dazu in einem anderen Bericht!), Moskau direkt wurde wenn überhaupt, dann nur einmal in der Woche mit einer EMB-120 verbunden, alles wie bereits erwähnt nur im Sommer. Im Winter konnte man immer noch auf die Bahn ausweichen, in der man traditionell die Kabinentemperatur wesentlich wärmer ist und das Kollektiv bedeutend alkoholisierter.
Die Cherepovets - Moskau Strecken wurden von Severstal üblicherweise mit der dichteren 2-2 Bestuhlung geflogen, der Leg nach Finnland eher mit einer 2-1 Auslegung, da hier die Nachfrage geringer und bei den Preisen etwas mehr Platz durchaus angemessen war. Doch wie bei allen russischen Fliegern ist auch die Bestuhlung der Yak sehr flexibel: Armlehnen können hochgeklappt und die Rücklehnen des vorderen Sitzes umgelegt werden. Hier kann man mit etwas Übung wahre Betten schaffen, wenn die Auslastung gering ist. Auch wurde ganz nach Ryan- Air- Manier bei voller Maschine „Free Seating“ angewandt, also die freie Sitzwahl der Passagiere. Bei Übergepäck wurden rigoros Zusatzgebühren eingehoben, die sich aber mit 50 Cent pro Kilo sehr in Grenzen hielten.
Von Moskau über Cherepovez nach Petrozavodsk
Angesichts der in Russland oft abenteuerlichen Bedingungen bei Umsteigeflügen war es interessant zu sehen, wie sich die kleine Airline aus Cherepovets schlagen würde. Mit einer Umsteigezeit von gerade einmal 20 Minuten ergibt dies einen sehr knappen Anschlussflug. Auch legte es den Verdacht nahe, dass die Maschine von Moskau aus gleich nach Petrozavodsk weitergeführt werden würde. Die vorab reservierten, bestätigten und bezahlten Tickets konnte man problemlos beim Airline- Schalter im damals noch in Verwendung befindlichen alten Inlandsterminal in Vnukovo abholen. Ein Einchecken wäre auch ohne diesen Ausdruck möglich gewesen, denn schon 2010 hatte Severstal E-Tickets ausgestellt. Um natürlich einen möglichst guten Sitzplatz zu bekommen, war frühes „Registrieren“ für den Flug (in Russland spricht man beim Check- In von der Registraziya) das Gebot der Stunde. Wie sich am Schalter bereits abzeichnete, war der Flug sehr gut gebucht.
Was die Frage nach dem perfekten Sitz in der kleinen Yak angeht, so ist diese nur sehr schwer zu beantworten. Wer einen Blick auf die Triebwerke möchte, der wird enttäuscht werden, diese sind vom Salon aus nicht einzusehen. Über Slats verfügt der Flieger auch nicht, somit sind das höchste der Gefühle die Landeklappen, die man doch ganz gut sehen kann. Dazu sollte man aber nicht in der letzten Reise sitzen, da diese nicht über ein Fenster verfügt. Überhaupt sind die Tragflächen dermaßen weit nach hinten versetzt, dass das hinterste Fenster auf Höhe der Mitte der Flächen ist. Wer Beinfreiheit sucht, sollte sowieso lieber mit der Bahn fahren, wenn er als Alternative nur einen Yak- Flug hat. Zwei Notausgänge befinden sich jeweils links und rechts, bieten aber deshalb nicht mehr Abstand zur Reihe davor. Die vorletzte Reihe ist wohl die erste Wahl für den Aviatiker, wobei man aus den ersten beiden hin und wieder einen guten Blick ins Cockpit werfen kann.
Leider bot Vnukovo schon damals kaum Möglichkeiten, vom Terminal aus gut zu spotten. Mit dem damals schon im Bau befindlichen neuen Terminal war gut die Hälfte des Vorfeldes unbrauchbar geworden, was bedeutete dass die meisten Flieger zudem weit weg geparkt wurden. Aufgrund der Überlastung machte es aber Sinn, sich möglichst schnell zum Sicherheitscheck zu begeben, denn wenn man eine gute halbe Stunde warten muss, kann es durchaus knapp werden. Im Terminalbereich gab es damals neben der Lounge auch das eine oder andere Restaurant und kleinere Shops, die aber allesamt teurer waren als in der Check- In- Halle. Hin und wieder konnte man durch die Fenster bei den Gates, speziell bei den Stiegenhäusern, welche zu den Bussen führten, einen guten Blick auf das Vorfeld werfen. Wenn man dort entgegen oftmaliger Zurechtweisung durch Sicherheitsbeamte hartnäckig das eine oder andere Foto machte, konnte man sogar verhaftet werden. Wie so oft vermiesten schon dazumal die Security - Mitarbeiter den Spaß an der Freude. Was man in Russland wenigstens hin und wieder wohlwollend zur Kenntnis nehmen konnte war, dass westlicher Irrsinn oft nicht nachgemacht wurde. Was aber die Flüssigkeitsverordnung angeht, so wurde diese auch in Russland umgesetzt, obwohl hinlänglich bekannt ist, dass das mitgebrachte Getränk keine Gefahr für das Flugzeug ist, sondern für die überteuerten Restaurants und Geschäfte am Flughafen, die den Passagier so mit der Hilfe des Gesetzes „melken“ können! Da schmeckte der Schluck aus der mitgeschmuggelten Wasserflasche gleich doppelt so gut.
Das Boarding in den Autobus war sehr schnell abgeschlossen. Die Fahrt zum Flugzeug war damals in Vnukovo noch ein echtes Highlight im Leben eines Fliegerenthusiasten. Der Bus fuhr vorbei an IL-86, TU-134, TU-154, vielen Antonovs, den neuen TU-204 und der einen oder anderen Yak-40 und 42. Doch schon damals machten sich die ersten Boeings breit, worüber man aber angesichts der vielen russischen Flieger leicht hinwegsah. Damals hätte selbst der größte Pessimist nicht annähernd angenommen, dass nur ein paar Jahre danach kaum mehr russische Flieger erhalten sein würden. Nach ein paar Minuten tollster Autobusfahrt war die Yak-40 erreicht. Die hintere Passagiertreppe war bereits geöffnet, die Besatzung wartete schon auf die Passagiere. Das Einsteigen in den Flieger, vorbei am zuvor verladenen Gepäck, dauerte kaum 5 Minuten.
Nachdem auf dem Flug nach Cherepovets zwar Sitze zugeteilt wurden, dies aber in weiterer Folge keine Rolle spielte, konnte man sich als erster im Flieger den vermeintlich besten Platz aussuchen. Russen sind generell wenig wählerisch was den Sitz angeht, Komfort zählt in erster Linie, und so verteilten sich die Reisenden recht gleichmäßig über den Flieger, in der Hoffnung, alleine sitzen zu können. Nachdem alle Platz genommen hatten und die hintere Passagiertreppe hochgefahren wurde, wurde auch die Türe zum hinteren Druckschott geschlossen. Die Bordstiege liegt nämlich außerhalb der Druckkabine.
Bis sich die Yak in Bewegung setzte verging, im Vergleich zu anderen Regionaljets, relativ viel Zeit. Der Startup der drei Triebwerke war eine spannende Angelegenheit. Die Kabinenbelüftung, überhaupt alles was Lärm verursachte verstummte, um dann in ein immer lauter werdendes Heulen der Triebwerke überzugehen. Erst nachdem alle drei Motoren liefen, gab es für die Kabine wieder Frischluft. Die Leistung der drei Ivchenko Triebwerke wurde zum Abrollen leicht erhöht. Während des Taxi Richtung Piste wurde klar, wie weich das Fahrwerk des Fliegers konzipiert ist. Unebenheiten gleicht der kleine Trijet einfach aus, ein bisschen fühlt es sich an, als würde der Flieger schwimmen.
Der Moment der Wahrheit: Take Off auf der Yak-40
Der Moment des Take-offs ist wie immer ein ganz besonderer, so auch bei diesem Flug. Nachdem die Triebwerke hochgedreht hatten zeigte sich, dass diese nicht besonders laut sind. Mit wenigen Ausnahmen sind alle russischen Flieger, zumindest in der Kabine, sehr leise. Manchmal ist dieser Eindruck jedoch ein Trugschluss wie bei der TU - 134. Langsam setzte sich die Yak in Bewegung, mit relativ geringer Beschleunigung. Diese sollte bis zum Zeitpunkt des Abhebens auch nicht wirklich stärker werden. Vielmehr war es eine konstante Geschwindigkeitszunahme. Gemächlich rollte die YK4 über die Piste, um dann relativ rasch und ganz langsam vom Boden abzuheben. Was mit „langsam“ gemeint ist, wird erst klar, wenn man sich das begleitende Video zu Gemüte führt. Die Yak hatte am Ende der Piste kaum an Höhe gewonnen, die Steigrate nahm erst mit zunehmender Geschwindigkeit zu. Neben der IL-18 ist die Yak-40 wohl eines der am „flachsten“ abhebenden Flugzeuge überhaupt. Einmal in der Luft machten sich die gepfeilten Tragflächen bemerkbar. Die Maschine lag ruhig in der Luft, durch die niedrige Flächenbelastung und die sehr weiche Konstruktion des Tragwerks waren Turbulenzen im der Kabine nicht wirklich unangenehm. Gemächlich brachten die Piloten die Maschine auf ihre Reiseflughöhe.
Schon nach wenigen Flugminuten wurde klar warum der kleine Jet für die zivile Luftfahrt in der Sowjetunion einen enormen Schritt nach vorne bedeutete. Im Prinzip gibt es ja an Bord alles was man von großen Flugzeugen kennt. Dazu kommt der ruhige Jetflug, der von Passagieren gegenüber brummenden Kolbenantrieben bevorzugt wird. Kurzum, die Yak-40 ist ein Vollblutjet im Spielzeugformat. Und ein Jet ist eben ein Jet, und kein Propellerflugzeug à la Antonov, ATR oder Dash. Setzt man den Jet auch noch in Relation zur Zeit in der er gebaut und massenhaft betrieben wurde, so versteht man auch, dass über 1.000 Maschinen dieses Typs das Werk in Saratov verlassen haben. Und bei den Piloten ist der Flieger obendrein beliebt. Zwar sind Flugzeugführer schnell mit Gunstbezeugungen dem selbst pilotierten Fluggerät gegenüber, doch auch zwischen den Zeilen hört man über die Yak-40 nichts Schlechtes. Spricht man zum Beispiel mit MD-11 Piloten, so ist der Unterton ein anderer!
Nach ein paar Minuten im Reiseflug wurden Erfrischungen gereicht, auf so kurzen Flügen wie dem nach Cherepovets erhält man selten mehr Verpflegung als Kekse und Tee. Mehr macht aber bei kurzen Flügen auch nicht Sinn. Von oben fiel es schwer, die Flughöhe einzuschätzen. Dass die Yak-40 nicht so hoch wie andere Jets fliegt, merkte man auf Reiseflughöhe nicht. Auch die niedrigere Geschwindigkeit konnte man während des Fluges nicht abschätzen. Die Sicht aus den Fenstern ist trotz deren geringer Größe sehr gut. Alles steht und fällt ja bekanntlich mit den zusätzlichen „Plastiklagen“ nach innen hin. Hier sind manche russische Konstruktionen sehr im Sinne des Fotografen konzipiert, mit nur einer, sehr eng an das eigentliche Fenster anliegenden, zweiten Schicht. Die kleine Yak ermöglicht eine gute Sicht. Im Vergleich bietet aber die beste Sicht ganz ohne Zweifel die An-24. Ein krasses Gegenstück zu deren Ausführung ist im A380 realisiert, in der zwischen äußerem Fenster und innerer Kunststoffschicht mehr als 10cm liegen.
Der Flug führte entlang zahlreicher künstlicher Kanäle, die alle samt der Binnenschifffahrt dienen, und Moskau mit anderen, wirtschaftlich relevanten Gebieten verbindet. Nach zirka 45 Minuten war von weitem der Rybinsker Stausee zu sehen. Die Yak begann ihren Sinkflug in Richtung Cherepovets. Dieser ist aber kaum spürbar. Überhaupt sind die Manöver der Yak-40 aufgrund der Auslegung des Flugwerks etwas anders als zum Beispiel in der Tu-154. Hohe Anstellwinkel und „gerissene“ kurven sind in der YK4 unmöglich. Der Flieger liegt eher wie ein Segelflugzeug in der Luft. Die Triebwerke waren mit abnehmender Höhe beinahe verstummt. Lediglich im hinteren Kabinenabschnitt, dort wo das WC und die Küche untergebracht sind, konnte man sie, auch im Leerlauf, gut hören. Das Anschnallzeichen, es gibt nur eines für den gesamten Salon, war wieder beleuchtet und ein Zeichen dafür, dass der Flieger sein Ziel bald erreichen sollte.
Schrittweise wurde die Yak in Landekonfiguration gebracht. Dies ist relativ unspektakulär und leise. Man merkte aber deutlich den ansteigenden Auftrieb je weiter die Landeklappen ausgefahren wurden. Nun kurvte die Yak zum Endanflug ein, unter dem Flieger waren weit und breit nur Wald und Wiesen. Auf der linken Seite sah man Cherepovets am Ufer des Rybinsker Stausees. Dann waren auch wieder die Triebwerke zu hören, hin und wieder heulten sie auf. Es kann sein, dass die Sinne täuschten, aber im Endanflug schienen nur die beiden äußeren Triebwerke mit erhöhter Leistung zu arbeiten. Dies war aufgrund der nun voll ausgefahrenen Landeklappen nötig, da dem zusätzlichen Widerstand (welcher in diesem Fall Auftrieb bedeutete) entgegengewirkt werden musste. Dann plötzlich verstummten die Turbinen und die Schwelle der Piste wurde, sehr flach, in ca. 20m überflogen.
Nach einem wunderbaren Flug über Westrussland ging es wieder Richtung Boden. Bei genauem Hinhören kann man die in der Luft aktivierte Schubumkehr vernehmen.
Dann begann die Yak, noch in der Luft, sehr stakt abzubremsen. Die Schubumkehr im mittleren Triebwerk wurde aktiviert. Dies ist auf vielen russischen Fliegern möglich und erlaubt eine Reduktion der benötigten Landestrecke. Wahrscheinlich würden „normale“ Passagiere dies gar nicht realisieren, Aviatiker hingegen kann man mit einer dezenten Bremsung in 20m über der Piste ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Im Prinzip gibt die Schubumkehr im Flug ein saugendes Geräusch von sich, welches sich radikal vom üblichen Geräuschspektrum unterscheidet. Erst als die Räder den Boden berührten verzögerte die Yak noch stärker, bis sie zum Stillstand kam. Die Maschine war nun in ihrem Hub Cherepovets angekommen.
Anhand der Rollgeschwindigkeit war klar, der Pilot hatte es sehr eilig, war doch der Flieger schon etwas spät dran und der Anschlussflug nach Petrozavodsk sollte bereits in wenigen Minuten abfliegen. An der Parkposition angekommen wurden die Triebwerke sofort abgestellt und die Türen geöffnet. Die Infrastruktur am Airport ist entsprechend rudimentär, da die Yak-40 alles was man zur Abfertigung braucht selbst mitbringt. Das Bild entsprach einem typischen russischen Provinzflughafen. Einige kleinere Yak-12 Sportflugzeuge standen abseits, viele davon nicht mehr flugfähig. Neben drei einsatzbereiten YK4 der Severstal waren auch noch ein paar „verbrauchte“ in einem Eck des Vorfelds entsorgt. Sie dienten offensichtlich der Ersatzteilgewinnung. Zwar wirken die so platzierten Flugzeugleichen immer etwas rustikal, aber diese Art der Teilegewinnung ist auch im Westen üblich, wenngleich die aeronautischen Überbleibsel nicht einfach so „in ein lauschiges Platzerl am Flughafen weggeworfen“ werden.
Die ersten Passagiere verließen die Maschine. Als Transferpassagier wurde man am Vorfeld bereits erwartet, und zum Glück stand eine andere Maschine für den Flug nach Petrozavodsk bereit. Als, wie sich noch herausstellen sollte, einziger Passagier fühlte man sich angesichts der vielen Mitarbeiter sehr umhegt. Auf ein Einchecken für den Weiterflug wurde aus Zeitmangel und wohl auch aufgrund der Auslastung verzichtet, die Kontrolle des Reisepasses reichte völlig. Doch wer denkt, man könne einfach so zur anderen Maschine gehen und diese boarden, der irrt. Damals wurde man vom Ladepersonal darauf hingewiesen, sein Gepäck aus der einen Yak selbstständig in die andere zu laden. Das somit vorab (günstig) bezahlte (Über-)Gepäck durfte dann eigenhändig in die andere Maschine verladen werden. Wenn auch der gemeine Passagier wahrscheinlich nicht sehr glücklich über diesen Service ist, so freut sich der Spotter über einen solchen Moment, ist es doch eine lustige Geschichte, die man gleichgesinnten erzählen kann.
Das Einsteigen in den Anschlussflug verlief trotz der wenig verbleibenden Zeit völlig stressfrei. Die Yak musste nur noch die Triebwerke starten und ab ging die Post. Wie bereits erwähnt handelte es sich bei dieser Verbindung eigentlich um einen Überstellflug. Die Verwunderung der Besatzung über den einzigen Gast an Bord bestätigte die Annahme über die eher schlechte Auslastung auf dieser Verbindung. Diesmal war die Yak-40 in den Grundfarben des Vorbesitzers, der sibirischen Yamal, gehalten. War der Salon der Maschine am Flug aus Moskau noch grau mit blauen Sitzen, so präsentierte sich dieses Exemplar innen in all seiner sozialistischen Farbenpracht. Das gefällige blaue Muster ist für Nostalgiker ein wahrer Traum. Auch diese Yak war mit einer 2-2 Bestuhlung kein Platzwunder, aber wenn man eine YK4 ganz für sich alleine hat, spielt das auch keine Rolle.
Spaziergang durch die Kabine
Nachdem die Türen verschlossen und die Triebwerke auf Touren gebracht wurden, ging es an den Start für den Weiterflug. Diesmal waren zumindest fürs Filmen die Rahmenbedingungen ideal. Mit der Sonne von einer Seite war es möglich beim Abheben den eigenen Schatten am Boden zu sehen, größeres Glück kann man in dieser Situation nicht haben. Der Start war, wie schon beim vorangegangenen Flug, ein sehr flacher mit wenig aufregender Beschleunigung. Langsam machte sich der kleine Trijet auf den Weg Richtung Nordwesten.
Der Take Off aus Cherepovets. Manchmal hat man Glück und die Sonne steht perfekt für das Video, inklusive eigenem Schatten am Boden.
Nachdem der bereits riesenhaft anmutende Stausee von Rybinsk überflogen war, konnte man in der Ferne nach einiger Zeit den Onega See sehen. Dieser ist nach dem Ladoga See, der nur wenige Kilometer westlich und ebenfalls zur Gänze in Russland liegt, der zweitgrößte See in Europa. Oft sind die Dimensionen in Russland andere als man sie von Mitteleuropa her kennt. Mit seinen über 9.200 km² ist der „Onezhskoe Ozero“ um ein vielfaches größer als der Bodensee mit 536 km². Entsprechend beeindruckend ist das Gewässer von oben. Auf dem Flug nach Petrozavodsk waren die letzten 20 Minuten und der gesamte Sinkflug ein Flug über Wasser. Dank der Flughöhe von über 6000m waren die Ufer des Sees gut zu erkennen. Die Tatsache, dass man beinahe 20 Minuten über ein Binnengewässer hinweg fliegt, ist schwer vorstellbar. Über dem Wasser waren die Luftschichten sehr ruhig, der Tag bot einfach herrlichstes Flugwetter.
Der Flug wäre eigentlich ohne jegliche Art von Bordverpflegung gedacht gewesen, aber wohl aus Mitleid wurde seitens der Flugbegleiterin zumindest ein Tee und Schokolade gereicht. Das geladene Catering war ausschließlich für den nachfolgenden Flug nach Helsinki gedacht. Bei einem so persönlichen Flug durfte man natürlich auch einen Blick ins Cockpit werfen, wobei fotografieren oder gar filmen nicht gestattet war. Aber im Flugzeug konnte man tun und lassen was man wollte. Irgendwie sind natürlich die Besatzungen stolz darauf, wenn man sich für deren Beruf und das Fluggerät interessiert, dies ist wohl allen Besatzungen auf diesem Planeten gemein. Kurz vor der Landung hieß es dann wieder Platz nehmen.
Die kleine Yak in der Luft, ein Gefühl wie in einem Segelflugzeug
Mit etwas Glück kann man bei der Landung in Petrozavodsk am Flughafen Su-27 Luftüberlegenheitsjäger stehen sehen. Die Alarmrotte ist ohne Ausnahme an der Pistenschwelle immer in Startbereitschaft. Fliegt die Maschine aber von der anderen Seite an, so sieht man rein gar nichts. Der Anflug auf Petrozavodsk erlaubte einen guten Blick auf die vielen Seen in der Umgebung, an denen man begleitend von tief fliegenden Militärmaschinen herrlich angeln kann. Nach einem sehr flachen Anflug war kurz vor dem Aufsetzen das Vorfeld des sonst nicht zugänglichen Militärbereichs des Flugplatzes zu sehen. Dort standen einige Su-27. Das Quieken der Reifen beim Aufsetzen verriet, dass die Maschine festen Boden unter den Rädern hatte. Diesmal aber wurde nicht allzu stark gebremst, da das Terminal am Ende der Piste lag und der Schwung gleich mitgenommen wurde. Das Russland ein Land der Gegensätze ist, ist wohl jedem hinlänglich bekannt. Dies wird immer wieder bestätigt, so auch beim Dahinrollen zum Terminal, wo man gleich nach den modernen Su-27 Jets Vogelscheuchen, adrett mit Hut gekleidet, aufgestellt sehen konnte. Ob diese ernst gemeint waren, konnte nicht beantwortet werden, möglich aber wäre es!
Die Landung in Petrozavodsk verdeutlicht die landschaftliche Schönheit Kareliens
Auf einem solch erstaunlichen Flugzeug ganz alleine geflogen zu sein, ist ein unglaubliches Glück und wahrscheinlich in dieser Form auch nicht mehr möglich. Die Verbindungen nach Helsinki wurden eine Saison später wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt. Der Flug von
Moskau über Cherepovets nach Petrozavodsk aber bleibt unvergesslich, mit einer phantastischen Landung als Abschluss und dem Verlassen des Airports durch ein Tor am Zaun. Auch das ist in Russland nicht selten.
Unbekanntes Karelien
Petrozavodsk ist die Hauptstadt von Karelien, einem als Republik organisierten Gebiet in Nordwestrussland. Geschichtlich spielte es zwischen Finnland und Russland eine ähnliche Rolle wie das Elsass zwischen Frankreich und Deutschland. Noch viel früher stand es unter schwedischem Einfluss. Nach dem großen Vaterländischen Krieg (wie der 2. Weltkrieg in Russland bezeichnet wird) ist das umkämpfte Land endgültig an Russland gefallen. Zwar wurden Russen in diesem Gebiet angesiedelt, wohl um ethnische Tatsachen zu schaffen, dennoch wurde den Karelen als Minderheit vieles zugestanden. Blickt man in gewisse Regionen in unserer so genannten zivilisierten Heimat, so verwundert es sicher, dass im wilden Russland bereits seit Jahren zweisprachige Ortstafeln, Wegweiser und Beschriftungen in allen Gebieten, in denen Minderheiten leben, Standard sind und keinen Menschen respektive Politiker jucken! Am Bahnhof in Petrozavodsk kann man in riesiger Leuchtschrift Petroskoj lesen, der Name der Stadt auf Schwedisch (oder aber Karelisch, je nach Ansichtssache).
Auch kann die Region ihre starke finnische Prägung nicht leugnen, was angesichts vieler Ortsnamen klar wird. Mit dem Zerfall der Sowjetunion hat diese Region auch wieder ihre Wurzeln entdeckt und ist Finnen sehr offen gegenüber. Was jedoch die Volksgruppe der Karelen angeht, so ist diese in den Jahren der Sowjetunion stark zurückgegangen und vieles an Jahrhunderte alter Kultur ging verloren.
Was aber aufgrund dieser Geschichte geblieben ist, ist die starke militärische Prägung der Region. Neben der Luftwaffe sind auch die Landstreitkräfte entsprechend vertreten. Die exponierte Lage an der Grenze zur EU bedeutet einerseits überdurchschnittlich viel Geld aus dem Verteidigungsbudget, andererseits auch damit einhergehende Verantwortung der Rodina (dem Vaterland) gegenüber. Unvergesslich sind die Emotionen die sich bei einer Truppenverlegung in ein Kriegsgebiet im Kaukasus abspielten.
Neben der Landesverteidigung spielt die Republik auch für die Versorgung der Metropolen Moskau und Sankt Petersburg mit Gestein eine entscheidende Rolle. Viele für die Bauwirtschaft wertvolle Mineralien werden umfangreich abgebaut und sind in dieser Qualität im Umkreis von mehreren hundert Kilometer nicht vorhanden. Und natürlich ist das als unerschöpflich geltende Holz eine wichtige Ressource, die der Region Geld einbringt. Immer bedeutender werden auch Aquafarmen. Aufgrund der hohen Dichte an Seen schießen diese wie Pilze aus dem Boden.
Karelien ist in Russland bekannt für seine intakte Natur, seine weiten Wälder und die vielen Seen. Schon Jelzin hatte seine Datscha dort, in der Nähe des ersten Kurgebiets des Zarenreiches. Wer aber einen Schluck aus der unverdünnten Mineralheilquelle von Marzialnie Vody nimmt, der weiß warum der gute Boris Alkoholiker war! Neben Finnen kommen immer mehr Touristen aus dem Westen in diese Region Russlands, hauptsächlich Jäger und Angler. Aber auch für Kulturinteressierte bieten die vielen Holzkirchen und Klöster, die die Sowjetunion überlebt haben, interessante Ziele. Angesichts der Nähe zur Tourismusmetropole Sankt Petersburg liegt in Karelien enormes Potential, was sich auch in steigenden Flugverbindungen bemerkbar macht. Waren einst nur sporadische Flüge verfügbar, so kann man 2013 beinahe täglich eine Maschine aus Besovets (Name des Flughafens in Petrozaodsk) nehmen.
Petrozavodsk ist mit etwas mehr als 261.000 Einwohnern nur eine Spur kleiner als Graz. Was aber die „Entwicklung“ angeht, so sind die Unterschiede zumindest in Punkto Infrastruktur gewaltig. Der durchschnittliche Verdienst wird zwar mehr, das Leben ist aber ungleich härter als man es von Mitteleuropa kennt.
Mit Severstal nach Helsinki
Man kann den Airport am besten mit einem Wort beschreiben: süß. Er besteht aus einem 50 Quadratmeter großen Aufnahmebereich, in dem eine Check- In Straße verfügbar ist, einem Durchgang, an dem je nach Bedarf die örtliche Polizei die Ausreiseformalitäten erledigt, und einem Wartebereich mit Sicherheitsstraße. Im Prinzip passt der Airport toll zum Yak-40 Feeling. Alles was man für den Flugbetrieb benötigt ist vorhanden. Der Flughafen von Petrozavodsk erlangte durch den dem Absturz des RusAir Fluges 9605, einer Tupolev Tu-134A, im Westen traurige Berühmtheit.
Die Absturzstelle der TU-134 in Petrozavodsk ist heute eine Gedenkstätte. Man kann bis heute sehen, wo der Flieger die Bäume durchschlagen hat, der Boden ist noch immer verkohlt. Ein sehr deprimierendes Gefühl an einem solchen Ort zu sein. Die SU-27 im Hintergrund führten an jenem Tag eine Reihe von Trainingsflügen durch.
Nachdem die Zugverbindung von Petrozavodsk nach Petersburg gute 6 Stunden in Anspruch nimmt, und die damals angebotenen Flüge mit der AN-28 auch nicht sonderlich gute Umsteigemöglichkeiten nach Österreich anboten, konnte man als Alternative auf die Verbindung mit der Yak-40 nach Helsinki zurückgreifen. Und wer als Flugbegeisterter ehrlich zu sich selbst ist, muss sich natürlich eingestehen, dass dies aus vielen Möglichkeiten zu reisen die interessanteste war.
Buchen konnte man die Tickets an jeder beliebigen Aviakassa in Russland (einer Art Fahrkartenschalter), zu dem natürlich auch in Finnland. Wie bereits erwähnt waren die Kosten bei diesem Flug erheblich größer als bei den anderen Verbindungen. Zudem stellte dieser Flug die einzige internationale Verbindung der Severstal Avia zu diesem Zeitpunkt dar.
Die Verbindung an diesem Tag war mit ca. 8 Passagieren nicht sehr gut gebucht. Alleine die Tatsache, dass für diesen Flug ein Luftfahrzeug über 500km überstellt wurde, am Flughafen 2 Personen den Check- In durchführten, 3 Polizisten die Personenkontrollen sowie die Ausreiseformalitäten erledigten, eine Reinigungskraft den Passagieren hinterherwischte und die Person am Infoschalter für Fragen offen stand, zeigte den enormen Aufwand hinter diesem Flug. Dabei musste dieser noch betankt und beladen werden. Dass daher die Tickets nicht sehr günstig waren, war klar. Aber alle anderen Verbindungen nach Helsinki benötigten mindestens 10 Stunden.
Der Check - In unterschied sich nicht von dem auf großen Flughäfen. Das Gepäck wurde kontrolliert und an das Bodenpersonal für die Beladung weitergegeben. Die Bordkarten wurden händisch geschrieben und Sitze wurden wieder zugeteilt. Diese wurden dann auf einem Blatt Papier vermerkt und an die Flugbesatzung übergeben, welche so samt der Beladung den nötigen Trimm berechnen konnte. Dass natürlich in entlegenen Gebieten keine Hochtechnologie zum Einsatz kommt, und Bordkarten - Drucker für täglich 20 Passagiere keinen Sinn machten, war klar. Außerdem würde dies einem Laien gar nicht auffallen. Der gesamte Ablauf war sehr professionell.
Nach wenigen Minuten des Wartens konnte man die Maschine außerhalb des Terminals bereits hören – sie war inzwischen aus Cherepovets eingetroffen. Dann passierte alles eigentlich ganz rasch, denn Passagiere waren keine auf der Maschine. Die Türen zum Vorfeld wurden geöffnet und die Passagiere wurden zum Flugzeug begleitet. Die im Hintergrund stehende AN-12 lieferte zu dieser Zeit regelmäßig neben Lebensmitteln auch Post nach Petrozavodstk. Da es sich bei dem Flughafen um eine Militärbasis handelt, war fotografieren strengstens untersagt.
Der Abflug aus Petrozavodsk. Und ja, manchmal hat man Pech mit dem Wetter…
Das an diesem Tag fliegende Flugzeug war wieder die Yak-40 in den Grundfarben der Yamal. Leider, denn für mich interessanter wäre die Yak-40 mit der 2+1 Bestuhlung gewesen. Doch alleine die Tatsache auf einer Yak-40 fliegen zu dürfen, ist Belohnung genug. Wie so oft im Leben regnet es gerade dann, wenn man es am wenigsten brauchen kann. Mit den damaligen Möglichkeiten zu filmen waren die mit Tropfen übersäten Fenster eine echte Herausforderung. Die kleine Yak präsentierte sich abermals in äußerst reinem Zustand.
Nachdem die Maschine in gewohnter „Yak-40 Manier“ das verregnete Petrozavodsk hinter sich gelassen hatte, wurde nach wenigen Minuten schon das Essen gereicht. Beladen wurde die Maschine mit Catering am Ausgangsflughafen in Cherepovets, und die servierten Speisen waren das, was zu dieser Zeit in Russland ein übliches „Fliegeressen“ war. Aber immerhin, neben der bemühten Kabinenchefin war dies ein sehr angenehmes Plus. Überhaupt waren die Besatzungen auf allen Flügen der Severstal Airlines nicht nur unglaublich engagiert, sie sprachen neben Englisch auch Deutsch als Fremdsprache, und wie zu beobachten war, auch einige Brocken Finnisch. Dass bei einem solchen Flug hauptsächlich ausländische Geschäftsreisende flogen, sollte nicht verwundern.
Anflug und Landung in Helsinki. Schon damals war die kleine Yak ein ganz besonderer Gast in HEL.
Der Anflug auf Helsinki verriet die geographische Verwandtschaft mit Karelien, denn auch um Helsinki herum gibt es Seen ohne Ende. Ein Unterschied war aber augenscheinlich: die Infrastruktur ist in Finnland eine andere, eine der dichteren Bevölkerung entsprechende. Die Landung in Helsinki war unspektakulär und sehr weich, was durchaus der Konstruktion des Flugzeugs geschuldet sei. Nachdem die Yakovlev Yak-40 zu ihrer Parkposition gerollt war und dabei von unzähligen Spottern abgelichtet wurde, wurden die Triebwerke abgeschaltet, und die Türen geöffnet. Diesmal wurde das Gepäck freundlicher Weise vom Bodenpersonal ausgeladen, wobei zuerst die Passagiere den Airliner verließen, und dann das Gepäck über die hintere Stiege ausgeladen wurde.
Mit dem nötigen Mut in der Brust konnte man noch das eine oder andere Foto vom Flieger machen, in Finnland war dies weit weniger tragisch. Ein wunderbarer Flug auf einer sehr exotischen Strecke und einem sehr interessanten Fluggerät ging damit zu Ende. Was leider wie so oft nur bleibt sind die schönen Erinnerungen und ein paar Fotos und Videos. Die Zeiten aber, an denen man so ohne weiteres einen Flug auf einer Yak-40 buchen konnte, die sind längst Geschichte. Für alle die, die auf einer Fliegen wollen wird die Zeit knapp. Gerne aber, wie bei allen Flügen auf exotischem Gerät in anderen Ländern ist Austrian Wings bemüht, Anfragen zu beantworten und Hilfe zu geben!
Auf jeden Fall lädt Sie Austrian Wings auch auf unsere nächste gemeinsame Reise durch Russland ein. Es geht an Bord der TU-134 an den Fluss „Dvina“ im Norden und zu Immanuel Kants Geburtsstadt.
Text, Fotos und Videos (sofern nicht anders angegeben): Roman Maierhofer