Punktlandung

Ferienzeit: Die Charter-Hölle

Treuen Austrian Wings Lesern ist unsere Autorin Uschi Blumenstrauß natürlich längst keine Unbekannte mehr. Vor vielen Jahren flog sie als Flugbegleiterin quer durch die Welt, seit nicht ganz so vielen Jahren arbeitet sie für ein großes österreichisches Luftfahrtunternehmen am Check-In. Bevor sie kommende Woche ihren eigenen wohlverdienten Sommerurlaub antritt, hat sie uns erneut eine humorvolle (nicht immer todernst zu nehmende) Kolumne aus ihrer spitzen Feder zu genau diesem Thema geschickt. Wir wünschen gute Unterhaltung.

Für alle Schulkinder ist es der schönste Tag im Jahr: Die Zeugnisverteilung! Für Flughafenmitarbeiter dagegen ist es der "schrecklichste" Tag im Jahr. Denn die Zeugnisverteilung läutet die Sommerferien ein und damit die sprichwörtliche Charter-Hölle. Zwei Monate Sommerferien für die Einen, zwei Monate extremer Dauerstress für die Anderen.

Pre-Flight

Mit dem Beginn der Sommerferien füllt sich das Flughafen-Terminal schlagartig. Vor lauter Menschen kann man kaum noch den Fußboden erkennen. Ein konstanter Lärmpegel wird hie und da von einer kreischenden Kinderseele übertüncht. Egal ob 5 Uhr Früh oder 22 Uhr am Abend, der Flughafen ist jetzt rund um die Uhr das Zentrum stressgeplagter Familien sowie von Airline-Mitarbeitern am Rande des Nervenzusammenbruchs. Man stelle sich eine 12-Stunden-Schicht vor: Um 03:30 Uhr Morgens aufstehen, kaltes Wasser ins Gesicht, rein in die Uniform und ab zum Flughafen. Um 5 Uhr kämpft man sich gegen die bereits wartende und ungeduldige Menschenmenge und eine Unmenge an Kinderwägen Richtung Check-in-Schalter durch. Von da an heißt es, sich 12 Stunden lang Hunger und Durst zu verkneifen, das sprichwörtliche Gelbe in den Augen zu ignorieren und nicht aufs Ein- und Ausatmen zu vergessen, während man - akuter Personalknappheit und dem von oben verordneten Sparzwang sei Dank - eine Familie nach der anderen möglichst mit einem Lächeln auf den Lippen eincheckt. Es versteht sich von selbst, dass so ziemlich jede Familie im Flugzeug ganz vorne sitzen und mindestens einen, besser aber zwei Fensterplätze hintereinander haben möchte. Wegen der Kinder, damit es keinen Streit gibt. Es liegt wohl an Boeing oder Airbus ein entsprechendes Flugzeug zu entwerfen, wo es keine hinteren Sitzreihen gibt und überwiegend Fensterplätze. Wie auch immer.

Auf die beliebte Frage vor dem Einsteigen, ob man denn wegen der Kinder ein Pre-Boarding machen könne, erwartet man sich auf so einem Charter-Flug mitten in den Sommerferien doch hoffentlich nicht wirklich eine ernstgemeinte Antwort oder? Anscheinend doch: „Nun ja, Sie können gerne ein Pre-Boarding bekommen. Stellen Sie sich doch schon mal gemeinsam mit den anderen 50 Familien samt Kinderwägen vorne an!“ Wenn man dann wenige Minuten vor Abflug noch die letzten Papas samt Kind von der Toilette Richtung Ausgang getrieben hat und auch die letzte stillende Mutti ihre Milchquelle wieder ordentlich verstaut und ihr Baby kunstvoll ins Tragetuch eingewickelt hat, dann hat man es geschafft. Ach nein, da sitzt ja noch ein 7-Jähriger Junge mit einer Umhängetasche auf der „UM“ steht. Dabei handelt es sich um ein so genanntes „unbegleitetes Kind“. Schnell das entsprechende Formular aus der Tasche geholt, geht es mit dem kleinen Kevin-Joel schleunigst runter zum Flieger, wo die Übergabe an die Saftschubse per Unterschrift erfolgt. Es will natürlich strikt dokumentiert sein, wer wann wo für den kleinen Kevin-Joel verantwortlich war, bis er von seinen in Spanien lebenden Großeltern in Empfang genommen wird. Ich warte nur noch, dass die Flugzeugtüre geschlossen wird und ich nach mittlerweile 8 Stunden Dienst endlich meine 30-Minütige Pause antreten darf. Doch da kommt ganz aufgeregt eine der Saftschubsen auf mich zu. Ein kleines Mädchen hat wohl sein aufblasbares Schwimmtier am Gate vergessen und weint jetzt ganz furchtbar. Schnell laufe ich zurück nach oben wo mich schon mit großen Augen eine knallgelbe Quietschente freundlich ansieht. Mit der Ente unterm Arm laufe ich zurück zum Flieger - Sie erkennen jetzt vielleicht warum ich kein Fitness-Center mehr benötige - und übergebe die farbenfrohe Schwimmhilfe der Saftschubse. Wir wollen ja nicht, dass die 4-Jährige Marie-Sol ohne ihre gelbe Quietschente in den Urlaub fliegen muss. Tür zu und Pause.

In-Flight

Die Maschine nimmt Kurs Spanien. PMI. Palma de Mallorca. Malle. Eine beliebte Ferieninsel die in den Sommermonaten unzählige Sonnenhungrige anzieht. Als ehemalige Saftschubse, äh Flugbegleiterin, weiß ich natürlich wie sich so ein Flug abspielt. Noch im Steigflug hört man schon "Klack, Klack". Die ersten Passagiere öffnen ungeduldig ihre Sitzgurte. Warum eigentlich? Das wird wohl ihr ewiges Geheimnis bleiben ...

Sitzgurte sollten grundsätzlich während des gesamten Fluges geschlossen bleiben - zur Sicherheit der Fluggäste.
Sitzgurte sollten grundsätzlich während des gesamten Fluges geschlossen bleiben - zur Sicherheit der Fluggäste.

Von der ersten bis zur letzten Reihe hört man zwei Babys lautstark schreien, es scheint wie ein Schreiwettbewerb zwischen den Kleinen zu sein. Auf 3A übergibt sich gerade eine 5-Jährige - immerhin in die dafür vorgesehene Kotztüte. Die Anschnallzeichen gehen aus und meine Kolleginnen und ich bereiten hinter geschlossenen Vorhängen die Trolleys mit den Snacks und Getränken vor.

Erloschene Anschnallzeichen, dennoch sollte der Gurt locker geschlossen bleiben.
Auch, wenn die Anschnallzeichen erloschen sind, empfiehlt es sich wegen möglicher Turbulenzen den Gurt stets locker geschlossen zu halten.
Flugbegleiter bei der Arbeit im neuen Boeing Dreamliner von LOT - Foto: Austrian Wings Media Crew
Flugbegleiter beim Bordservice, Symbolbild

Schon jetzt bildet sich eine kleine Schlange vor der Toilette, was in der ohnehin winzigen Galley natürlich für Platzprobleme sorgt.

Um die Kinder bei Laune zu halten, verteilt eine Kollegin schon mal diverses Werbematerial, pardon, Spielzeug der Airline. Als sie zurückkommt hat sie bereits 8 Essens- und Getränkebestellungen mitbekommen. Und eine Dame auf 10C klagt über Reiseübelkeit. Gut dass wir auch eine Reiseapotheke an Bord haben. Schleunigst beginnen wir mit dem Bordservice. „Ein Käse- oder Schinkensandwich für Sie?“ „Haum Sie ka Schnitzerl?“ „Nein leider, auf diesem Flug werden nur kalte Sandwiches serviert!“ „Oiso friaha homa ollaweu a Schnitzerl griagt. Owa Hauptsoch deis Fliagn wiad imma teira! Des is a Wahnsinn!“ Im Eiltempo verteilen wir die Sandwiches an die scheinbar ausgehungerten Passagiere.

Symbolbild Snack im Flugzeug - Foto: Aig / Austrian Wings Media Crew
Symbolbild Snack im Flugzeug - Foto: Aig / Austrian Wings Media Crew

Noch ehe wir ganz hinten angekommen sind, klingelt vorne schon der erste Passagier nach uns. „Können Sie das bitte abräumen? Und ich hätte dann gerne einen Kaffee für mich und noch einen Orangensaft für meine Tochter!“ „Ich bitte noch um ein wenig Geduld, sobald wir mit dem Service durch sind, beginnen wir mit dem Abräumen und im Anschluss gibt es Kaffee und Tee.“ „Na hoffentlich schaffen Sie das noch vor der Landung in Palma.“ Nach einer letzten Diskussion ob wir denn kein Gluten-freies Essen an Bord hätten (Sorry, aber es wäre unmöglich für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, wofür gibt es schließlich die Möglichkeit "Special Meals" vorzubestellen?), haben auch die Reisenden in der letzte Sitzreihe ihre Sandwiches erhalten. Für uns heißt es jetzt schleunigst die Müllberge wieder einzusammeln, wobei man schon mal eine angekackte Windel oder eine sich warm anfühlende Kotztüte in die Hand bekommt. Mir folgend sind schon zwei Kolleginnen mit dem Kaffee-und Tee Trolley unterwegs. Zwischendurch klingelt es immer wieder, weil noch jemand etwas zu trinken möchte. Oder der Service muss unterbrochen werden um mit dem Trolley im engen Mittelgang vor oder zurück zu wandern, damit Passagiere von der Toilette zum Sitzplatz zurückkehren können und umgekehrt. Schwups, auf einmal zieht es mir den Boden unter den Füßen weg und ich kann mich nur im letzten Moment an einer Rückenlehne abfangen um einen Sturz zu vermeiden. Beinahe hätte eine am Boden herumkullernde Schnullerkette zum Unglück geführt. Oder wäre es doch ein Glück gewesen aufgrund eines solchen Unfalles für ein paar Wochen arbeitsunfähig zu sein? Nur so lange bis die Sommerferien wieder vorbei sind? Nein, pfui, so etwas denkt man natürlich nicht. Der letzte Müll wird abgeräumt, die Kabine wird vorm Landeanflug nochmal kontrolliert. Alle Sitzlehnen sind gerade, die Passagiere haben ihre Gurte angelegt und meine Kolleginnen und ich fallen erschöpft in unsere Jumpseats. Der Sinkflug geht voran und wie das Amen im Gebet springt natürlich nochmals ein Passagier auf und läuft auf die Toilette.

Bordtoilette - hier bilden sich vor allem kurz vor der Landung oft noch Schlangen, als hätten die Passagiere während des Fluges keine Zeit gehabt, diesen wichtigen Ort aufzusuchen ... ;)
Bordtoilette - obwohl die Landung unmittelbar bevorsteht, laufen auf fast jedem Flug genau dann noch einige Passagiere nahezu panisch hierher ... ;-)

Schnell greift die Purserin zum Hörer der Bordsprechanlage: „Bitte setzen sich sofort wieder auf Ihren Sitzplatz, wir landen in Kürze!!!!!“ Natürlich wird das wie immer ignoriert, und knapp vor dem Aufsetzen schafft es der „erleichterte“ Passagier noch in seinen Sitzplatz. „Willkommen in Mallorca meine Damen und Herren. Bitte bleiben Sie noch so lange angeschnallt sitzen, bis wir unsere endgültige Parkposition erreicht haben...“ „Klick“ „Klick“ „Klick“ „Klick“, und die Gurte werden geöffnet. Würde der Pilot jetzt eine abrupte Bremsung durchführen müssen, gebe es bei diesen Passagieren wohl ziemlich dumme Gesichter - und die eine oder andere blutige Nase.

Post-Flight

Es ist 17 Uhr. Mein Dienst am Flughafen geht zu Ende. Als ich mich erschöpft und schweißgebadet durchs Terminal schleppe, stehen schon die nächsten Menschenschlangen vor den Check-in Schaltern. Ich freue mich, endlich entspannt auf die Toilette gehen zu können und meine noch fast volle Wasserflasche zu leeren, ehe ich mich auf den Heimweg mache. Ich stemple mich aus, nehme meinen Ausweis ab, setzte meine Sonnenbrille auf und mache mich auf den Weg Richtung Parkplatz. „Tschuidigung wo find i do de Lauda Aaaaiiir?“, tönt es von der Seite. Ich nehme nichts und niemanden mehr wahr, sondern schwebe wie in einer kleinen Seifenblase Richtung Auto. Ich habe Feierabend. Ab morgen 5 Uhr, wenn ich wieder meinen Ausweis umhängen habe, bin ich sehr gerne erneut für Sie da. Und auch MEIN Urlaub lässt nicht mehr lange auf sich warten. Ob ich mir auch so eine knallgelbe Quietschente mitnehmen soll? Mit einem Grinsen im Gesicht verlasse ich die Flughafenausfahrt Richtung Freiheit. Zumindest für 12 Stunden. Schöne Sommerferien!

Text:: Uschi Blumenstrauß
Fotos: Austrian Wings Media Crew
Titelbild: Passagiere am Check-In auf dem Flughafen Wien, Symbolbild

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.