In einem Artikel für die Tageszeitung "Die Welt" berichten die Autoren Per Hinrichs und Tim van Beveren nun davon, dass dieser Vorfall "bislang unbekannte, ernsthafte Folgen für drei Flugbegleiterinnen" hatte. Sie zitieren die Flugbegleiterin Barbara Durm (Name geändert) mit den Worten: "Mein erster Gedanke war eigentlich, so fühlt es sich an, wenn man vergast wird, weil nichts mehr funktionierte." Sie und eine weitere Kollegin seien seither dauerhaft krank geschrieben.
Bei Condor sei das Problem aber schon seit Jahren bekannt, denn gerade die Boeing 757 Flotte mit ihren Rolls Royce Triebwerken sei häufig von mutmaßlich durch hochtoxisches Triebwerksöl kontaminierter Kabinenluft betroffen. "Doch nach außen bestreitet das Unternehmen jegliche Gefährdung von Mitarbeitern und Passagieren, so auch bei diesem Vorfall", schreiben Hinrichs und van Beveren weiter.
Die Tageszeitung "Die Welt" veröffentlichte nun auch interne Dokumente von Condor (PDF 1, PDF 2), "aus denen hervorgeht, wie der Vorfall nach außen kommuniziert werden sollte. Am Firmensitz der Condor kommt unmittelbar nach der Meldung der Krisenstab zusammen. Mit am Tisch: Uwe Balser, stellvertretender Geschäftsführer der Condor. Es ist nicht das erste Mal, dass Krisen-PR betrieben werden muss. Bereits 2009 und 2010 hatte die ARD über die Condor berichtet, nachdem von Reportern genommene Wischproben an Bord von Condor-Flugzeugen des Typs Boeing 757 extrem hohe Belastungswerte mit Giftstoffen aus dem Triebwerksöl ergeben hatten."
Versuchte Condor, die Medien zu beeinflussen?
Außerdem wird Condor vorgeworfen, die Berichterstattung zu dem Vorfall beeinflusst zu haben. So heiße es in einem internen Memo der Gesellschaft wörtlich: "Durch proaktive Kommunikation in Form einer Pressemeldung und Distribution durch die dpa konnten die Inhalte der Medienberichterstattung weitgehend gesteuert werden (...). Bis auf einen Passagier, der Details an verschiedene Medien gegeben hat (...) sind alle Medien der Meldung von Condor gefolgt (...)".
Außerdem habe Condor das Ergebnis einer Untersuchung, in welcher laut den Autoren die Belastung mehrere Flugzeuge nachgewiesen werden konnte, und aus der hervorgehe, dass "gesundheitliche Beeinträchtigung für die Passagiere sowie für das Bordpersonal nicht auszuschließen" seien, verheimlicht - "bis heute", wie die Autoren betonen.
Den gesamten Artikel in der "Welt" finden Sie unter diesem Link.
Condor-Presseaussendung: "Weisen Bericht Bericht zurück"
In einer Presseerklärung weist der zum Thomas Cook Konzern gehörende deutsche Ferienflieger die in dem "Welt"-Artikel erhobenen Vorwürfe zurück. Es gebe umfassende Studien zu diesem Thema und "keine Belege für Gesundheitsgefährdung", teilte die Fluglinie mit. Man habe bereits 2009 als "erste deutsche Airline eine Studie zur Qualität der Kabinenluft in ihrer gesamten Flotte in Auftrag. Sie wurde durch das unabhängige Institut Fresenius (SGS) durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass bei keiner der umfangreichen Luftmessungen Belastungen in der Kabinenluft nachgewiesen werden konnten. Lediglich äußerst geringe Spuren von TCP wurden bei den parallel genommenen Wischproben in der Kabine an 19 Prozent der Messpunkte festgestellt."
Diese gefundene Menge liege laut Experten „100 bis 1000-fach unter der Menge, die toxische Symptome verursacht“.
Das Ergebnis dieser Studie habe man unternehmensintern den Personalvertretern mitgeteilt.
Hinweise auf Enteisungsflüssigkeit bei Flug DE 5944
In der "Welt" wird über den Flug DE 5944 von Hamburg nach Las Palmas berichtet. Hier wird ein Zusammenhang mit TCP konstruiert. In keiner der umfassenden Untersuchungen ergaben sich jedoch Anhaltspunkte, dass Triebswerksöl oder Organophosphate in die Kabine gelangt sind, betont Condor in der Aussendung. Die vorläufigen Untersuchungen der spanischen Flugunfalluntersuchung haben ergeben, dass Glykol im Hilfstriebwerk (APU) gefunden wurde. Glykol ist Bestandteil von Enteisungsflüssigkeiten für Flugzeuge. Nach dem Flug kontaktierte Condor die Gäste, um sie aufzuklären und sich nach möglichen Beeinträchtigungen zu erkundigen. Keiner der Passagiere äußerte der Airline gegenüber während oder nach dem Flug Beschwerden. Direkt nach dem Vorfall auf DE 5944 legte Condor vorsorglich ein neues, verpflichtendes Verfahren für die Enteisung fest. Diese Informationen lagen den Autoren der "Welt" vor, wurden jedoch nicht berücksichtigt, behauptet man bei Condor.
Piloten zweifeln Condor-Darstellung massiv an
Auf telefonische Rückfrage widersprach ein Flugkapitän gegenüber Austrian Wings jedoch der These von Enteisungsmittelflüssigkeit als Ursache des Fume Events. Nach einem mehrstündigen Flug auf die kanarischen Inseln wäre diese längst verdampft gewesen. Zudem rieche sie - anders als Triebewerksöl - nicht nach den "sprichwörtlichen alten Socken". Zudem habe sich Germanwings nach dem Beinahe-Absturz einer Maschine in Köln im Jahr 2010 ähnlich geäußert, damals widersprach jedoch sogar der Pilot selbst der Enteisungsmittel-Theorie. Der Fachmann gegenüber Austrian Wings weiter: "100-prozentig ausschließen kann man es nicht, aber es ist schon sehr sehr unwahrscheinlich, denn Enteisungsmittelflüssigkeit verdampft äußerst rasch und jedes Crewmitglied kennt den Geruch. Außerdem ist mir noch kein Fall bekannt, wo Besatzungsmitglieder aufgrund von Enteisungsmittelflüssigkeit das Bewusstsein verloren haben."
Ein anderer Kapitän mit rund 20 Jahren Berufserfahrung erklärte telefonisch gegenüber unserer Redaktion: "Die Behauptung mit der Enteisungsmittelflüssigkeit ist eine Chuzpe, unglaublich, was sich die Fluglinie erlaubt. In meiner gesamten Berufslaufbahn habe ich noch nie derartige Auswirkungen aufgrund von Enteisungsmittelflüssikgeit erlebt, und im Winter enteisen wir täglich. Die Triebwerke sind dann waschlnass davon. Eine derartige Behauptung halte ich für glatten Blödsinn."
In einer weiteren E-Mail an die Austrian Wings Redaktion am Donnerstagabend reklamierte Condor, dass die Aussage betreffend die gefundenen Enteisungsmittelrückstände nicht von der Fluglinie stamme, sondern dies lediglich die spanischen Behörden bei ihrer Untersuchung festgestellt hätten, wie aus dem öffentlich einsehbaren Zwischenbericht hervorgeht. In der zum Vorfall von Condor selbst veröffentlichten Presseaussendung bezieht sich die Fluggesellschaft jedoch ausdrücklich auf diesen Fund und weist daraufhin hin, dass man "vorsorglich ein neues Verfahren zur Enteisung" festgelegt habe, was wiederum den Schluss zulässt, dass man bei Condor sehr wohl davon ausgeht, dass dies die Ursache für das Fume Event war.
Zudem wurde das Glykol nicht - wie von Condor behauptet "im Hilfstriebwerk" (APU, Anm. der Redaktion) gefunden, sondern lediglich hinter der Verkleidung, außerhalb der Turbine. Fachleute sind sich nach Ansicht von Austrian Wings einig, dass es von dort nicht in die Klimaanlage gelangen konnte.
Auch "Vereinigung Cockpit" kritisiert Condor
Jörg Handwerg, Sprecher der Vereinigung Cockpit, hält die implizite Behauptung von Condor, dass Enteisungsmittelreste für den Geruch verantwortlich gewesen seien, ebenfalls für nicht haltbar. "Dieses Mittel besteht zu 98 bis 99 Prozent aus Glykol, selbst, wenn es in hohen Dosen eingeatmet wird, führt es nach allen bisherigen Erkenntnissen und Erfahrungen nicht zu neurologischen Ausfällen oder Bewusstlosigkeit. Das ist keine Erklärung für das, was den Kolleginnen des betreffenden Condor-Fluges passiert ist", sagte der Flugkapitän am Telefon gegenüber Austrian Wings.
Das bestätigt auch der deutsche Luftfahrt-Journalist Tim van Beveren: "Glykol kann derartige Reaktionen, wie sie bei einer der betroffenen Flugbegleiterinnen im Blut festgestellt wurden nicht auslösen. Und diese Untersuchung wurde von Professor Abou Donia durchgeführt, also dem Verfasser der Westgate-Studie!"
(red / Titelbild: Boeing 757-300 von Condor, Symbolbild - Foto: Austrian Wings Media Crew)