Der Besorgnis erregende Fall trug sich am 25. Juli 2014 auf dem Flug HG 3253 von Palma de Mallorca nach Wien-Schwechat zu. Karin M., die an Zuckerkrankheit leidet und Insulin spritzen muss, bemerkte kurz vor der Landung eindeutige Anzeichen eines rapide absinkenden Blutzuckerspiegels. "Mir wurde immer schlechter", erinnert sich sie 42jährige Niederösterreicherin im Gespräch mit Austrian Wings. Sie nahm infolgedessen eine Messung ihres Zuckerwerts vor, welcher bei 38 mg/dl lag. Ein bereits kritisch niedriger Wert, wie Mediziner gegenüber unserer Redaktion einstimmig bestätigen.
Frau M. konsumierte daraufhin sofort ein stark zuckerhältiges Getränk, das sie für derartige Situationen stets mitführt. Doch auch diese Maßnahme brachte nicht die erwartete Besserung, der Zustand der Patientin verschlechterte sich zusehends. "Mir war schwindlig, übel, ich hatte einen Tunnelblick und hörte kaum noch etwas", beschreibt sie ihre einsetzenden Kreislaufprobleme. "Und da bekam ich Angst."
NIKI-Flugbegleiterin: "Was soll ein zuckerhältiges Getränk bringen?"
Zwischenzeitlich hatte die Maschine bereits in Wien-Schwechat aufgesetzt und die Landebahn verlassen. Karin M. bat ihre mitreisende elfjährige Tochter, zu einem NIKI-Crewmitglied zu laufen und auf die Akutsituation aufmerksam zu machen. Das Mädchen verließ daraufhin in der noch langsam rollenden Maschine seinen Sitz und wandte sich mit den Worten, "Wir haben einen Notfall - meine Mama ist Diabetikerin, hat Unterzucker und braucht dringend ein zuckerhältiges Getränk!" an eine NIKI-Flugbegleiterin. Deren süffisante Reaktion gegenüber dem Kind: "Ich möchte gerne wissen, was ein zuckerhältiges Getränk jetzt bringen würde." Und weiter harsch: "Setz dich nieder und schnall dich an." Nachschau nach dem erkrankten Fluggast oder weiterführende Hilfeleistung unterblieben gänzlich.
Nach Erreichen der Parkposition versuchte die zwischenzeitlich enorm geschwächte Diabetikerin, das Flugzeug so rasch als möglich zu verlassen, um auf dem Flughafen Hilfe zu organisieren. Dabei habe, wie Mitreisende übereinstimmend ausführen, eine Flugbegleiterin sogar noch gehässige und allgemein wahrnehmbare Kommentare fallen lassen: Frau M. würde demnach ihre Krankheit nur als Vorwand benützen, und solle sich "nicht so aufführen, nur weil sie Diabetikerin ist".
Noch vor wenigen Monaten betonte Stefan Magiera, Sprecher des NIKI-Mutterkonzerns Air Berlin, im Austrian Wings-Interview, man sehe sich nicht als Low-Cost-Gesellschaft im Sinne niedriger Servicestandards. "Wir sind eine Full-Service-Fluggesellschaft, wir bieten unseren Gästen vollen Service an - sowohl an Bord, als auch am Boden", tönte der Air Berlin Vice President Corporate Sales damals. Eine Darstellung, die Frau M. und mitreisende Augenzeugen mittlerweile in Zweifel ziehen.
Notarzt: "Wer so etwas ignoriert, ist als Flugbegleiterin ungeeignet!"
MR Dr. Joachim Huber, ein erfahrener Internist, Notarzt und Mitbegründer der österreichischen Initiative "Doc On Board" zeigt sich angesichts des Zwischenfalls bestürzt: "Wenn eine Flugbegleiterin in einer solchen Situation nicht hilft, ist sie für diesen Beruf auf ganzer Linie ungeeignet", so der Mediziner im Gespräch mit Austrian Wings. Bleibt eine Unterzuckerung unbehandelt, kann dies rapide zu einem absolut lebensbedrohlichen Zustand führen - Krampfanfälle, Bewusstlosigkeit und Schock drohen. So lange ein Patient noch bei Bewusstsein ist, kann durch die Gabe von ausreichend Kohlenhydraten wie zuckerhältigen Getränken oder Traubenzucker gegengesteuert werden.
Crew-Trainerin: "Umgang mit Diabetes ist Teil aller Schulungen!"
Barbara Pencik, selbst erfahrene Flugbegleiterin und verantwortlich für den Trainingsbetrieb bei Aircraft Safety Network (A-S-N), erklärt, wie bei einem solchen Zwischenfall seitens der Kabinenbesatzung korrekt verfahren werden sollte: "Der Umgang mit Diabetes ist eines von den behördlich vorgeschriebenen Themen - nicht nur in der Grundausbildung, sondern auch den regelmäßigen Auffrischungen", weiß die Expertin. Abhängig von der Ausstattung einer Fluggesellschaft stehen, neben Blutzuckermessgeräten, für Patienten mit Unterzuckerung spezielle Zuckerpräparate zur Verfügung, doch unabhängig davon befänden sich an Bord "genug andere Süßungsmittel, die bei einem Unterzucker sehr rasch ins Blut übergehen", so die A-S-N-Trainerin gegenüber Austrian Wings.
Auch logistisch kann einiges an Bord getan werden, um in einem Fall wie diesem bestmögliche Bedingungen zu schaffen. So könnten die Flugbegleiter beispielsweise schon frühzeitig abklären, welche Kabinentüren am Zielflughafen geöffnet werden, und einen erkrankten Fluggast zum Zwecke eines beschleunigten Aussteigens rechtzeitig vor der Landung auf einen türnahen Platz umsetzen. Die Kommunikation zwischen Kabinen- und Cockpitcrew ist dabei jedenfalls essentiell, betont Pencik. Aufstehen, während eine Maschine in Bewegung ist - selbst um Hilfe zu holen - hält die Expertin für keine optimale Entscheidung: "Es kommen leider genügend Zwischenfälle mit Verletzungen in Folge von Bremsmanövern beim Rollen vor", gibt sie zu bedenken. Ein Passagier sollte daher seinen Sitzplatz nur verlassen, wenn die Umstände tatsächlich akut oder gar lebensbedrohlich erscheinen. Besser sei es, die Ruftaste zu betätigen: "Die Flugbegleiter kommen dann, sobald es die Situation zulässt", bekräftigt Barbara Pencik - während des Rollens aus Sicherheitsgründen allerdings nur, sofern sie vorab bereits über einen potenziell betreuungspflichtigen Fluggast Kenntnis hatten.
Air Berlin/NIKI: "Crew konnte den Zustand der Patientin nicht erkennen"
Karin M. hatte sich gleich nach dem Zwischenfall per Internet-Kontaktformular an NIKI gewandt. Bekommen hat sie daraufhin lediglich eine Standardantwort: Man bedaure, dass die Betreuung an Bord nicht ihren Vorstellungen entsprochen habe.
In dieses Horn stößt auch die Air Berlin-Pressestelle, bei der Austrian Wings angesichts des Falles nachgefragt hat. "Wir bedauern, dass sich Frau M. nicht gut betreut gefühlt hat", so Sprecherin Kathrin Zirkel. Die Patientin habe nicht den Rufknopf betätigt oder mitreisende Gäste aktiv angesprochen. Es war der Crew daher angeblich "nicht möglich, die Situation zu erfassen und den Gesundheitszustand der Passagierin zu erkennen", behauptet man bei Air Berlin/NIKI - was spätestens angesichts der Bemerkung der Flugbegleiterin bei Frau M.s Aussteigen allerdings mehr als fragwürdig erscheint.
Für Frau M. war dies die erste Flug-Urlaubsreise ihres Lebens - und für längere Zeit wohl auch die letzte. "Die Lust am Fliegen ist mir nach diesem Erlebnis erst einmal vergangen", meint die Niederösterreicherin enttäuscht.
(red Aig / Titelbild, NIKI-Flugzeuge auf dem Flughafen Wien, Symbolbild - Foto: Austrian Wings Media Crew)