+++ Lesen Sie auch unsere Rezension von "Der Jude mit dem Hakenkreuz"+++
Einer dieser Piloten der ersten Stunde war Wilhelm Frankl, der 1913 – also ein Jahr vor Kriegsausbruch – bei Meli Beese privat den Pilotenschein in Berlin Johannisthal erwarb und sich 1914 freiwillig zur Fliegertruppe meldet. Dort wurde er bei den Feldfliegerabteilungen 1 und 40 als Aufklärungs-, Artillerie- und Bombenflieger eingesetzt.
Am 10. Mai 1915 gelang ihm sein erster Luftsieg, als er als Beobachter in einem Zweisitzer eine französische Voisin mit einem fünfschüssigen Karabiner vom Himmel holte, obwohl sein Gegner mit einem Maschinengewehr bewaffnet war! Eigentlich ein chancenloser Kampf, den Frankl und sein Pilot mit Mut und Tapferkeit für sich entschieden. Bei seinen Kameraden war Frankl beliebt und wurde aufgrund seiner Tapferkeit wiederholt ausgezeichnet sowie schließlich zum Vizefeldwebel befördert. Zwei Jahre nach Kriegsausbruch schulte er als Pilot auf einsitzige Jagdflugzeuge um. Die Beförderung zum Offizier blieb ihm als Jude allerdings verwehrt. Erst als er sich christlich taufen ließ, ernannte man ihn zum Leutnant. Nach seinem achten Abschuss erhielt Frankl als neunter Jagdflieger den Orden Pour le Mérite, im Volksmund wegen seiner Farbe auch „blauer Max“ genannt. Am 2. April 1917 gelang Frank als erstem Piloten der Luftfahrtgeschichte ein dokumentierter Luftsieg bei Nacht.
Am 8. April 1917 ereilte das Schicksal diesen außergewöhnlichen Piloten – er fiel am Steuer seiner Albatros D.III bei Vitry-en-Artois im Alter von 23 Jahren. Mit 19 bestätigten Luftsiegen wird Frankl von Luftfahrthistorikern heute in einem Atemzug mit anderen Assen wie Oswald Bölcke oder Erich Böhme genannt. Die Nationalsozialisten, die ansonsten einen geradezu pseudo-religiösen Kult um die Flieger des Ersten Weltkrieges pflegten, schwiegen Frankl aufgrund seiner jüdischen Herkunft tot.
Erst 1973 erhielt Frankl von der Bundesrepublik Deutschland die entsprechende Anerkennung seiner Person, als auf Initiative einer engagierten Gruppe von Feldwebeln die Luftwaffenkaserne in Neuburg an der Donau in „Wilhelm-Frankl-Kaserne“ umbenannt wurde. Beschämend: Zwölf Jahre lang hatte die deutsche Bürokratie diese Umbenennung zuvor verzögert.
Das Leben des Fritz Beckhardt
Ein anderer bedeutender jüdischer Flieger des Ersten Weltkrieges war einer der Mitbegründer der Kaufhauskette Edeka, Fritz Beckhardt. Geboren 1889 in Wallertheim, trat er am 3. August 1914 als Freiwilliger in die 12. Kompanie des Infanterie-Regiments „Graf Bose“ ein und erhielt bis zum Jahr 1916 wegen seiner Tapferkeit das Eiserne Kreuz erster und zweiter Klasse. Im dritten Kriegsjahr, 1917, wurde er zur Fliegertruppe abkommandiert und zum Piloten ausgebildet.
Am 17. Februar 1918 wurde er der Jagdstaffel 26 zugeteilt und wechselte kurz darauf zum JG 3, wo er unter dem Kommando von Bruno Lörzer flog. Einer seiner Geschwaderkameraden war der spätere NS-Kriegsverbrecher Hermann Göring. Ironie der Geschichte: Beckhardt hatte auf sein Flugzeug ein Hakenkreuz aufgemalt – als Glücksbringer. Dieses damals noch nicht von den Nationalsozialisten vereinnahmte Symbol stammt ursprünglich aus Asien, wo es mitunter noch heute als Talisman verwendet wird.
Bis zum Ende des Krieges erzielte Beckhardt 17 bestätigte Luftsiege. Er war Träger folgender Auszeichnungen:
- Eisernes Kreuz (1914) II. und I. Klasse
- Hessische Tapferkeitsmedaille
- Krieger-Ehrenzeichen in Eisen
- Badisches Kriegsverdienstkreuz
- Verwundetenabzeichen (1918) in Schwarz
- Bayerischer Militärverdienstkreuz III. Klasse
- Preußisches Militär-Flugzeugführer-Abzeichen
- Ehrenbecher für den Sieger im Luftkampf
- Ehrenkreuz für Frontkämpfer
- Inhaberkreuz des Königlichen Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern
Später trat der Flieger in den Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten ein, wo er Mitglied des Vorstandes wurde. Vergeblich versuchte diese Organisation, die Diskriminierung der deutschen Juden durch die Nationalsozialisten ab 1933 zu bekämpfen. Beruflich war er als Kaufmann tätig, musste sein Geschäft aber schließen und übernahm anonym den Laden eines bereits aus Deutschland ausgewanderten jüdischen Geschäftsmannes. Im Jahr 1937 wurde der hochdekorierte Jagdflieger von einer Nachbarin wegen „Rassenschande“ denunziert, nachdem er ein uneheliches Kind mit der Hausangestellten Lina Lahr gezeugt hatte. Das am 14. Dezember 1937 verkündete Urteil lautete 1 Jahr und 9 Monate Gefängnis. In der Urteilsbegründung führten die Richter aus, dass seine „unbestreitbaren außergewöhnlichen Kriegsverdienste“ ein Milderungsgrund gewesen sein.
"Mein Großvater wurde nach Verbüßung seiner Gefängnisstrafe jedoch nicht als freier Mann entlassen, sondern als so genannter Schutzhäftling der Gestapo in das KZ Buchenwald eingeliefert und dort als Jude und verurteilter „Rassenschänder“ in einer Strafkompanie zu besonders schweren Arbeiten eingesetzt", erläutert sein Enkel Lorenz Beckhardt im Gespräch mit dem Autor.
Die Überlebenschancen des einstigen Kriegshelden schienen gering. Doch 1940 kam er überraschend frei.
An seiner Entlassung im März 1940 soll Hermann Göring beteiligt gewesen sein, der sich in einigen Fällen für seine ehemaligen jüdischen Kriegskameraden eingesetzt haben soll, wie Historiker zu berichten wissen. Noch im gleichen Jahr verließ Beckhardt mit seiner Frau Rosa Emma Deutschland und emigrierte im Frühjahr 1941 über Lissabon mit einem Flugzeug der BOAC nach England, zu einem Flughafen nahe Bristol.
"London wurde zu diesem Zeitpunkt nämlich nicht mehr angeflogen, da es in Reichweite der deutschen Bomber lag. In der britischen Hauptstadt lebten bereits seine Kinder Kurt und Hilde, die 1939 mit einem Kindertransport aus Deutschland herausgekommen waren", berichtet Lorenz Beckhardt weiter.
Fünf Jahre nach Kriegsende kehrte Fritz Beckhardt, der sich selbst stets als deutscher Patriot betrachtete mit seiner Frau und Sohn Kurt in die Bundesrepublik zurück, wo er bitter enttäuscht wurde. Denn erst nach langwierigen Prozessen erhielt er einen Teil seines von den Nazis arisierten Eigentums zurück und eröffnete 1955 den ersten Lebensmittel-Selbstbedienungsladen im Großraum Wiesbaden. Seine Tochter Hilde, die sich mittlerweile Hilde-Sue nannte, blieb in Großbritannien.
Sieben Jahre später starb jener Mann, der bis kurz vor seinem Tod nicht erkennen wollte oder konnte, dass ihm seitens der deutschen Bevölkerung oftmals eine ablehnende bis offen feindselige Haltung nur aufgrund des Umstandes, dass er Jude war, entgegen schlug – und das obwohl er mehr als 40 Jahre zuvor sein Leben für eben dieses Land eingesetzt hatte. Fritz Beckhardt hat seine letzte Ruhe zusammen mit seiner Frau Rosa Emma auf dem jüdischen Friedhof in Wiesbaden an der Platter Straße gefunden. Über sein Leben ist im Jahr 2007 die Dokumentation "Der Jude mit dem Hakenkreuz" erschienen, die aktuell auch über YouTube aufrufbar ist. Im Oktober 2014 veröffentlichte sein Enkel, der deutsche Journalist Lorenz Salomon Beckhardt, das Buch „Der Jude mit dem Hakenkreuz. Meine deutsche Familie“ im Aufbau-Verlag.
Die Idee zu dem Buch, entstand während der Dreharbeiten für die gleichnamige TV-Dokumentation aus dem Jahr 2007. "Dass ich aber fünf Jahre brauchen würde, habe ich damals nicht geahnt. Das lag an der extrem aufwändigen Recherche, die mich durch die Archive und Bibliotheken Deutschlands getrieben hat. Daneben habe ich über 30 Bücher gelesen, um das 19. und 20. Jahrhundert zu begreifen. Zudem bin ich ja hauptberuflich Redakteur beim Westdeutschen Rundfunk in Köln und konnte nur in längeren Phasen unbezahlten Urlaubs schreiben. Aber der Aufwand hat sich gelohnt, wie die vielen begeisterten Leserreaktionen zeigen", hebt Lorenz Beckhardt hervor.
Er selbst wollte damit "einerseits meine ermordeten Verwandten dem Vergessenwerden entreißen, andererseits das 20. Jahrhundert, vor allem den Nationalsozialismus und den Antisemitismus verstehen", beschreibt Beckhardt.
Für seine Eltern sei das Buch ein Stück weit eine Befreiung von den eigenen traumatischen Erfahrungen der Kindheit. "Ich bin froh, dass ich ihnen, ihren Eltern und Großeltern ein literarisches Denkmal setzen konnte."
Epilog
Die Schicksale von Wilhelm Frankl und Fritz Beckhardt stehen exemplarisch dafür, wie die Treue und Tapferkeit der deutschen und österreichischen Soldaten jüdischen Glaubens zu ihrem Vaterland weniger als zwei Jahrzehnte nach dem Ersten Krieg von den neuen Machthabern – aber auch vielen ihrer ehemaligen Kameraden, Nachbarn und Freunden, die plötzlich zu Denunzianten wurden - verraten wurde.
Der Großteil der Juden aus den Gebieten der einstigen k.u.k. Monarchie und des Deutschen Reiches wurde in der Shoa ermordet, so es ihnen nicht rechtzeitig gelang, sich dem Zugriff der Nazis und ihrer Schergen zu entziehen.
Dieser Bericht ist daher den deutsch-österreichisch-jüdischen Soldaten des Ersten Weltkrieges, ihren Angehörigen sowie allen Opfern der Shoa gewidmet. Mögen sie in Frieden ruhen.
הכתבה מוקדשת לזכר החיילים הגרמנים והאוסטרים היהודים, אשר שירתו במלחמת העולם הראשונה, לבני משפחותיהם ולקורבנות השואה.
יהי זכרם ברוך!
Austrian Wings bedankt sich sehr herzlich bei Lorenz Beckhardt und Elad Gadot für die freundliche Unterstützung bei der Erstellung dieses Berichtes.
(red CvD, HP / Titelbild: Deutsches Jagdflugzeug mit Davidstern - viele jüdische Piloten verzierten ihre Maschinen mit Symbolen ihrer Religion, Symbolbild - Foto: Archiv)