Der Heimflug im Dezember 1984 war für den Oldtimer, Baujahr 1936, ein fliegerischer Kraftakt. Während ein moderner Airbus die Strecke von Miami nach Deutschland in zehneinhalb Stunden fliegt, brauchte die betagte Tante Ju für den Überführungsflug 1984 von Titusville in Florida nach Hamburg den halben Dezember – 16 Tage mit etlichen Zwischenstopps an der Ostküste der USA, in Kanada, Grönland, Island, Schottland und England.
Bei der Lufthansa Technik in Hamburg schenkte man dem lange vermissten Veteran mit einer gründlichen Verjüngungskur ein „zweites Leben“. Unter der auf Hochglanz gebrachten silberglänzenden Wellblechhaut verbirgt sich nun ein modernisiertes Cockpit, und die drei Neunzylinder-Sternmotoren von Pratt & Whitney arbeiten wesentlich leiser und zuverlässiger als die Motoren von 1936. Bis zu 16 Passagiere können in dem „Großraumflugzeug der 30er Jahre“ das Reisen im Stil der Anfangszeit der Passagierluftfahrt erleben – stilecht mit Gardinen und Gepäcknetz. Jahr für Jahr begeistert die „alte Tante Ju“ bei hunderten Strecken- und Rundflügen Luftfahrtbegeisterte und Oldtimerfreunde. In der abgelaufenen Flugsaison absolvierte das mit großem Abstand älteste und kleinste Flugzeug der Lufthansa 580 Flüge und ermöglichte es dabei mehr als 8.600 Fluggästen, die Welt aus wenigen hundert Metern Flughöhe zu sehen. Dabei demonstriert die Ju 52 die schöne Tugend der „Entschleunigung“, wenn sie mit sonorem Brummen in einem gemächlichen Tempo ihre Kreise zieht.
Bei den Passagieren ist das Oldtimer-Flugzeug ebenso beliebt wie bei ihrer Stammbesatzung, zu der 25 Piloten, 15 Flugingenieure und 23 Flugbegleiter und Flugbegleiterinnen gehören. Es sind erfahrene Lufthansa-Crews mit tausenden Stunden Flugerfahrung, die normalerweise ihren Dienst an Bord moderner Jets bis hin zum Superjumbo Boeing 747-8 oder dem Riesen-Airbus A380 versehen.
Flug-Odysse von Norwegen bis Ecuador
Die Lufthansa Ju 52 mit der Registrierung D-AQUI ist ein Flugzeug mit sehr bewegter Geschichte. Schon bald nach ihrer Fertigstellung 1936 in den Dessauer Junkers-Werken und ihrer Auslieferung an die damalige Lufthansa kam sie nach Norwegen, wo sie – zeitweise mit Schwimmern statt Rädern ausgestattet – teils zivil, teils militärisch für Flugeinsätze zwischen den Fjorden eingesetzt wurde. 1957 wurde die Ju 52 nach Ecuador verkauft, wo sie für die Fluggesellschaft „Transportes Aéreos Orientales“ Passagiere und Fracht im Amazonasgebiet beförderte. Acht Jahre lang stand die alte Propellermaschine ungenutzt und vergessen am Rande des Flughafens von Quito, ehe ein Oldtimer-Fan sie 1970 kaufte und in die USA brachte. Dort wechselte sie noch einmal den Besitzer und tingelte etliche Jahre als „Iron Annie“ von einer Flugshow zur nächsten.
Anfang der achtziger Jahre entdeckten Lufthansa Piloten die „verlorene Tochter“ zufällig in recht bemitleidenswertem Zustand auf einem Flugfeld im Süden der USA und überzeugten die Unternehmensführung, die Ju 52 zu kaufen und nach Deutschland zurückzuholen. In fast zweijähriger freiwilliger Handarbeit wurde sie von Lufthansa Technikern in Hamburg liebevoll restauriert.
Den offiziellen Start in ihr „zweites Leben“ mit Erstflug über Hamburg und feierlicher Taufe auf den Namen ihres einstigen Heimatflughafens „Berlin-Tempelhof“ erlebte die „Tante Ju“ – äußerlich im alten Gewand, aber mit neuen Motoren und moderner Technik und Elektronik ausgestattet – im April 1986. Seither avancierte die alte Dame zu einem wahren Star unter den Oldtimer-Flugzeugen. Die Wintermonate verbringt die Ju 52 stets in einem der Hangars der Lufthansa Technik in Hamburg. Dort wird sie Jahr für Jahr von Spezialisten auseinander-genommen, auf Herz und Nieren geprüft, generalüberholt und für die nächste Saison fit gemacht. Nur ein Facelifting bekommt die „alte Tante Ju“ nie: Ihre würdevollen, charakteristischen Wellblechfalten sind unveränderlich.
Die Erinnerungen an einige der 10.000 Flugstunden aus den vergangenen 27 Jahren haben sich besonders tief eingegraben im Gedächtnis von Heinz-Dieter Bonsmann, dem langjährigen Chefpiloten der Ju52. Zu den fliegerischen Highlights, die der mittlerweile pensionierte Kapitän Bonsmann am Steuerhorn der Ju 52 erleben durfte, zählte die erste Landung in Tempelhof am 20. Juni 1991. Den 31. Oktober 2008, kurz vor Mitternacht, als nach dem historischen letzten Start der D-AQUI auf dem alten Berliner Zentralflughafen für immer die Runway-Lichter erloschen, würde er hingegen am liebsten aus seinem Gedächtnis streichen.
Auf ein Neues im kommenden Frühjahr
Keiner kennt die Ju 52 mit all ihren Einzelteilen so gut wie Gerhard Stelling (62). Der Triebwerksmechaniker der Lufthansa Technik hat das „zweite Leben“ der alten Dame seit ihrer Landung am 28. Dezember 1984 in Hamburg mit möglich gemacht und begleitet. Jahrzehntelang war er Werkstattleiter des Instandhaltungsbetriebs der Deutsche Lufthansa Berlin-Stiftung (DLBS), der das Oldtimer-Flugzeug gehört. Jetzt heißt es für ihn Abschied nehmen wie von einer sehr guten alten Freundin: Gerhard Stelling geht zum Jahresende nach drei Jahrzehnten bei der Lufthansa Technik in Rente. Nicht so sein Schützling: Für die „Tante Ju“ beginnt im Frühjahr 2015 „in alter Frische“ die nächste Flugsaison – und für tausende Fluggäste eine faszinierende, nostalgische Zeitreise. Für Bernhard Conrad, den Vorsitzenden der DLBS, steht sogar fest: „Dank der vielen fleißigen Hände bei Lufthansa wird die heute 78 Jahre junge Ju 52 ganz sicher fliegend hundert Jahre alt!“
(red / Lufthansa / Titelbild: Die D-AQUI im Landeanflug, Symbolbild - Foto: Austrian Wings Media Crew)