Reportagen

Tsunamikatastrophe 2004: AUA-Mitarbeiter als Helfer in der Not

Es ist ein zunächst völlig normaler Sonntag, jener 26. Dezember des Jahres 2004. Als die AUA-Mitarbeiter auf der Station Wien und im so genannten Customer Service Center im 10. Wiener Gemeindebezirk an jenem Morgen ihren Dienst antreten, können sie nicht wissen, wie dramatisch sich dieser zweite Weihnachtsfeiertag noch entwickeln wird. Austrian Wings blickt zurück auf die tragischen Ereignisse, die 230.000 Menschen das Leben gekostet haben und beleuchtet den teils übermenschlichen Einsatz, den die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der AUA in dieser Zeit leisteten, um vom Tsunami betroffenen Menschen zu helfen.

Das Beben

Um 00:58 Uhr UTC kam es im indischen Ozean zu einem Unterseeerdbeben der Stärke 9,1. Es war das stärkste Beben seit 40 Jahren. Das Epizentrum lag dabei etwa 85 Kilometer vor der Nordwestküste der indonesischen Insel Sumatra. Wenig später trafen mindestens zwei, an einigen Orten bis zu sechs Flutwellen mit steigender Wellenhöhe auf die Küsten und drangen unter teilweise großer Zerstörungswirkung ins Landesinnere vor. Zwischen den Einzelwellen flutete das Wasser zum Meer zurück und entfaltete auch dabei typische Wirkungen durch das Schieben: Mitnehmen von schwimmfähigen Gegenständen und Personen. Die meisten groben Zerstörungen an Häusern wurden allerdings von den vorrückenden Wellen verursacht. Die Straßen in bebauten Gebieten wurden regelrecht zu Kanälen, in denen ein Konglomerat aus Wasser, Autos und Gebäudetrümmern erst landeinwärts und dann wieder Richtung Meer floss.

Insgesamt kamen bei der Katastrophe rund 230.000 Menschen ums Leben, mehr als 110.000 wurden verletzt, 1,7 Millionen verloren ihr Obdach. Betroffen waren die Länder Sri Lanka, Indonesien, Indien, Thailand, Somalia, Myanmar, die Malediven, Malaysia, Tansania, die Seychellen, Bangladesh, Kenia und Diego Garcia. Doch in den ersten Stunden war in Westeuropa von dem Drama, das sich gerade im Fernen Osten abspielte, wenig bekannt.

"Ich kam in den Dienst, fuhr meinen Computer hoch und las wie immer die neusten Nachrichten im Internet", erinnert sich ein ehemaliger AUA-Mitarbeiter. "Dort stand etwas von einem Tsunami in Asien und 2.000 Toten. Verstehen Sie mich nicht falsch, das war schlimm genug, aber Naturkatastrophen in dieser Größenordnung geschehen hin und wieder nun einmal, da ahnten wir noch nicht, was noch kommen würde."

In den kommenden Stunden wurde die Zahl der Opfer aber stetig nach oben revidiert. "Erst war von 10.000 Toten die Rede, dann 30.000 und irgendwann waren wir bei über 100.000 Opfern. Da wurde mir und meinen Kollegen richtig ungut, angesichts dieser Tragödie."

Hilfsoperation läuft an

Parallel dazu liefen im Customer Service Center der Fluglinie schon die Telefone heiß, wie ein weiterer ehemaliger Mitarbeiter in Erinnerung hat: "Ich weiß noch, als wär's gestern gewesen. Zuerst riefen besorgte Angehörige an, schließlich verbrachten viele Österreicher die kalte Jahreszeit in den beliebten Urlaubsregionen Thailand, auf den Malediven oder in Indonesien. Auf die Malediven und nach Thailand hatten wir sogar Direktflüge." Später kamen dann auch die ersten Notrufe von verzweifelten Touristen, die zum Teil alles verloren hatten und nur noch nach Hause wollten. Doch sie besaßen weder Kleidung, noch Reisedokumente. Zudem waren Straßen zerstört, Autos, Busse und Züge konnten vielerorts nicht mehr fahren. In den betroffenen Regionen herrschte Chaos. "Das hat einen schon mitgenommen, wir waren zu dieser Zeit auch eine Art Telefonseelsorger."

Obwohl die Situation eigentlich "kein AUA-Notfall" war, wie Peter Hödl, der Leiter der Emergency Response Organisation der heimischen Fluglinie gegenüber Austrian Wings erläutert, entschloss sich das Management, eine Hilfsaktion zu starten.

Ein Bild des verlassenen AUA-Hauptbüros aus dem Sommer 2011
Im mittlerweile abgerissenen AUA-Hauptbüro in Oberlaa tagte das Krisenteam, das die Entscheidung zum Hilfseinsatz fällte - Foto: Austrian Wings Media Crew

"Ein Räderwerk der Hilfsbereitschaft durch unsere Mitarbeiter lief rasch an", lobt Hödl das Engagement der AUA-Belegschaft noch heute, 10 Jahre später voller Stolz.

"Wir entsendeten sofort zusätzliche Mitarbeiter in die betroffenen Regionen, um die Kollegen auf den Flughäfen vor Ort zu unterstützen, welche den Ansturm der Hilfesuchenden nicht alleine bewältigen konnten", so Hödl.

"Bereits am 27. Dezember hat Austrian Airlines die mit der Bodenabfertigung betraute lokale Gesellschaft in Phuket durch 2 Kollegen aus Bangkok verstärkt. Aus Wien wurden mit dem ersten verfügbaren Flug ebenfalls am 27. Dezember 3 weitere, deutschsprachige Kollegen eingeflogen. Am gleichen Tag wurde auch die Station in Bangkok durch zunächst 2, dann 4 deutschsprachige Mitarbeiter aus Wien verstärkt, da die Lageentwicklung annehmen ließ, dass viele Österreicher den Rückflug über Bangkok antreten mussten. Die Verstärkung der Station Bangkok wurde bis zum 10. Jänner 2005 aufrecht erhalten. Und die Flüge auf die Malediven wurden durch zusätzliches AUA-Abfertigungspersonal während des gesamten Fluges begleitet. Zur Abwicklung des Sonderfluges OS1007/8 wurde zusätzlich ein AUA-Mitarbeiter bereits vorab nach Malé entsendet."

Insgesamt wurden im Zeitraum vom 29. 12. 2004 bis 10. 01. 2005 auf Austrian Airlines Flügen aus der Krisenregion 24 verletzte Personen liegend transportiert. Ab 29.12. waren auf allen Flügen in die Region standardmäßig zwischen 2 und 4 Krankenbetten (so genannte Stretcher) eingebaut, weitere 2 wurden jeweils im Frachtraum für einen kurzfristig erforderlichen Einbau mitgeführt.

"Zum raschen Einbau der Krankenbetten wurde das Technikteam in Bangkok um zwei, in Phuket durch einen Techniker verstärkt. Auf den Flügen aus Colombo und Malé befanden sich Techniker, um den Einbau der Krankenbetten im Bedarfsfall rasch vornehmen zu können", erklärt Hödl. Es war eine logistische Meisterleistung, welche die AUA innerhalb kürzester Zeit dank des Einsatzes ihrer sozial engagierten Belegschaft vollbrachte.

Parallel dazu wurden auch in Wien Mitarbeiter auf freiwilliger Basis aktiviert, die in Zusammenarbeit mit Exekutive und Rettungsdienst die Betreuung der ankommenden, schwer traumatisierten Passagiere übernahmen. "Es war unglaublich belastend, aber auch erfüllend. Wir achteten nicht mehr auf Ruhezeiten, Überstunden, das alles war egal. Es galt zu helfen und wer in die dankbaren Augen der Heimkehrer, die gerade dem Tod entkommen waren, geblickt hat, wird das sein Leben lang nicht mehr vergessen. Zudem herrschte eine unglaubliche Kameradschaft unter den eingesetzten Kollegen, die zum Teil noch heute anhält und aus der Freundschaften entstanden sind", beschreibt ein Passenger Service Agent der AUA diese dramatischen Tage vor 10 Jahren. "Wir hatten Listen, um Abholer und Heimkehrer in einem eigenen Bereich zusammenzuführen. Flughafen, Polizei, Rettungsdienst und wir arbeiteten perfekt und unbürokratisch zusammen. Doch einige Angehörige warteten vergebens, weil ihre Lieben nicht auf dem Flieger, noch immer vermisst oder bereits sicher als tot gemeldet waren. Sie wurden dann von Spezialisten des Kriseninterventionsteams betreut, denn das überstieg unsere Fähigkeiten."

Emergency Response Team Leiter Peter Hödl unterstreicht die Arbeit der AUA-Mitarbeiter in Wien mit beeindruckenden Fakten: "Pro ankommenden Flug zwischen 27.12. und 31.12. 2004 waren rund 40 AUA-Mitarbeiter der Station Wien und des Special Assistance Team abgestellt, die gemeinsam mit Vertretern der Polizei, des Österreichischen Roten Kreuzes, des Flughafens Wien und Kriseninterventionsteams die Betreuung nach der Ankunft und während der notwendigen Erfassung der Personalien in einem eigens eingerichteten Ankunftsgate übernahmen. Gleichzeitig betreuten die Station Wien, das Austrian-Special Assistance Team und Kriseninterventionsteams die Familienangehörigen und Abholer der ankommenden Passagiere in einem streng von den Medien abgeschotteten Raum. Ab dem 01. 01. 2015 standen jeweils bei Ankunft von Direktflügen aus der Krisenregion mehrere Austrian Airlines Mitarbeiter direkt beim Flugzeug und in der Ankunftshalle für Information und Betreuung zur Verfügung. Insgesamt waren seitens Austrian Airlines im Zeitraum vom 26.12. bis 31. 1. mehr als 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter involviert, von denen viele selbstverständlich den Weihnachtsurlaub unterbrachen, um zu helfen, wo es nur möglich war."

AUA flog Helfer gratis ins Krisengebiet

Obwohl die AUA ein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen war, erbrachte sie in diesen schwierigen Tagen viele Leistungen kostenlos, wie Hödl weiter ausführt: "In enger und reibungsloser Zusammenarbeit dem Österreichischen Roten Kreuz konnte Austrian Airlines ab dem 27. Dezember auf allen Flügen in die Krisenregion die notfallmedizinische und psychosoziale Betreuung sicherstellen. Insgesamt wurden bis zum 10. Jänner 2005 59 Notfallmediziner und –sanitäter mit psychosozialer Ausbildung kostenlos von Wien in die betroffene Region und retour befördert. Damit wurde eine lückenlose medizinische Versorgung von der Krisenregion bis zur Aufnahme in einem österreichischen Krankenhaus sichergestellt."

Rasch starteten die ersten Boeing 767-300ER um Überlebende in Sicherheit zu bringen - Foto: Austrian Wings Media Crew
Rasch starteten die ersten Boeing 767-300ER um Überlebende in Sicherheit zu bringen - Foto: Austrian Wings Media Crew

Zusätzlich beförderte die AUA auch 31 Mitarbeiter des Außenministeriums, des Bundesheeres und des Einsatzkommandos Cobra kostenlos in das Krisengebiet und wieder zurück.  Hödl: "Es war wichtig, dass diese Spezialisten vor Ort waren, um die Suche nach vermissten Österreichern direkt im Krisengebiet abwickeln zu können und die Einreise- und Identifikationstätigkeiten so rasch, flexibel und unkonventionell wie nur möglich und im Sinne der Betroffenen durchzuführen."

Weiters wurden von 27. Dezember 2004 bis 11. Jänner 2005 circa 130 Tonnen dringend benötigte Hilfsgüter in Abstimmung mit professionellen Hilfsorganisationen - ebenfalls kostenlos - in die Krisenregion befördert. "Austrian Airlines hat damit die zur Verfügung stehenden Frachtkapazitäten voll ausgenützt, teilweise wurden Hilfsgüter auch in der Kabine als so genannte Cabin Load befördert", schildert Hödl.

Und auch eine besonders traurige Aufgabe, welche die Verantwortlichen bei der Fluglinie als moralische Pflicht des Carriers ansahen, übernahm die AUA in diesen Tagen: "Wir betrachten es als selbstverständlich, den Rücktransport von Särgen aus dem Krisengebiet auf unseren planmäßigen Flügen unentgeltlich durchzuführen."

Insgesamt kamen 86 Österreicher, darunter 7 Kinder, durch den Tsunami ums Leben. 85 Opfer starben in Thailand, eines in Sri Lanka. Das letzte Opfer konnte erst knapp ein Jahr später identifiziert werden. Zwei weitere Österreicher gelten bis heute als vermisst. Laut Schätzungen des Außenministeriums befanden sich zum Zeitpunkt der Tragödie rund 1.500 Österreicher im Katastrophengebiet.

Die Bilanz

Als der primäre Hilfseinsatz schließlich zu Ende war, hatte die AUA mehr als 5.000 Menschen auf Direktflügen aus dem Krisengebiet ausgeflogen. Völlig unbürokratisch, teils ohne Papiere. 27 Hilfs-/Evakuierungs-Flüge wurde mit Boeing 767-300ER durchgeführt, einer mit Boeing 737-800.

Darüber hinaus reisten Betroffene auch über andere Transitflughäfen, wie z. b. mit Austrian Airlines via Kuala Lumpur oder Singapur, aber auch mit anderen Fluggesellschaften über europäische Destinationen in ihre Heimatländer zurück.

"Ich erinnere mich an ein Schweizer Paar, das in kurzen Hosen und T-Shirts mit Tränen in den Augen am Flughafen Wien plötzlich auf mich zukam", berichtet ein AUA-Mitarbeiter. "Sie sagten mir, dass sie eine Schweizer Chartergesellschaft abgewiesen habe, weil sie keine Papiere mehr hatten. Wir hätten sie mitgenommen, ohne nach Dokumenten zu fragen und sie so gerettet. Da musste ich schon schlucken um nicht gleich selbst wie ein Schlosshund loszuheulen. Aber Momente wie diese waren es, die alle Strapazen mit einem Schlag vergessen machten."

Die eingesetzten Mitarbeiter wurden von Austrian Airlines nach dem physisch wie psychisch enorm herausfordernden Einsatz professionell betreut. Hödl: "Es gab so genannte Debriefings, und wer wollte, konnte natürlich auch weiterführende Unterstützung in Anspruch nehmen. Die Kolleginnen und Kollegen hatten zum Teil Übermenschnliches geleistet, da war es selbstverständlich, dass wir uns als Unternehmen nun auch entsprechend um sie kümmern mussten."

Doch die AUA-Mitarbeiter ließen die Menschen in den verwüsteten Regionen auch danach nicht im Stich. "Einzelne Kollegen riefen private Hilfsprojekte ins Leben um vor Ort beim Wiederaufbau zu helfen. Die AUA stellte die Flüge zur Verfügung, unsere Mitarbeiter opferten ihren Urlaub für diesen Einsatz."

Heute 10 Jahre später sind die nach außen hin sichtbaren Auswirkungen der Tsunami-Katastrophe weitgehend beseitigt, doch in die Seelen der Überlebenden hat sie sich unauslöschlich eingebrannt. Und auch die Hunderten Angestellten von Österreichs größter Fluglinie, die damals im Einsatz standen, werden diese Zeit ihres Lebens wohl niemals vergessen. Es war ein Einsatz, der sie an ihre mentalen und physischen Grenzen geführt und daran hat wachsen lassen - und einer, von dem sie wünschten, dass er ihnen erspart geblieben wäre. Trotzdem zögerten sie keine Sekunde, als man sie bat, zu helfen. Es sind solche Mitarbeiter, auf die die AUA zu Recht stolz sein kann und denen sie ihren weltweit ausgezeichneten Ruf als Fluggesellschaft verdankt.

Heute - zum 10. Jahrestag der Tragödie - finden in den betroffenen Staaten Gedenkfeiern für die ums Leben gekommenen Menschen statt.

Screenshot von ORF.at am 26. Dezember 2014
Screenshot von ORF.at am 26. Dezember 2014

Dieser Beitrag ist den Opfern der Tragödie und all jenen, die geholfen haben in dankbarer Erinnerung gewidmet.

(red CvD, HP / Titelbild: Originalaufnahme vom Auftreffen des Tsunamis auf die thailändische Küste - Foto: Wiki Commons)