Üblicherweise hat das kanadische Format „Mayday“, auch bekannt als „Air Crash Investigation“, den Ruf, Unfälle, deren Ursachen und die daraus gewonnen Erkenntnisse penibel nachzuzeichnen.
Unglücklicherweise haben die Macher im Fall des "Mozart“-Absturzes dabei kläglich versagt. In dem mittlerweile auch auf YouTube verfügbaren Beitrag - Ausstrahlung heute Abend im Fernsehen auf National Geographic - wird die Geschichte des Laua Air Fluges NG 004 vom 26. Mai 1991 geschildert. Die Boeing 767-300ER startete in Bangkok mit Ziel Wien und stürzte kurz nach dem Start aufgrund einer Aktivierung der Schubumkehr ab. Soweit die Fakten, die in der Dokumentation korrekt geschildert werden. Allerdings wird der damalige Airlinebesitzer Niki Lauda darin auch als treibende Kraft zur Aufklärung dieser Tragödie dargestellt. Breiten Raum nimmt dabei Laudas unwidersprochene Selbstdarstellung ein, sekundiert wird er dabei von Herbert Volker, seinem persönlichen Biographen.
Diese Episode von "Mayday“ versucht, dem Zuseher weiszumachen, dass bei Lauda Air alles absolut in Ordnung gewesen sei und das Unglück nur dank der Hartnäckigkeit Niki Laudas überhaupt aufgeklärt werden konnte. Er, Lauda, habe alles getan, um Transparenz zu schaffen. Etliche Brancheninsider und so mancher Angehöriger der 223 Opfer dürften dies allerdings als sprichwörtlichen Schlag ins Gesicht empfinden.
Ermittler rügten Wartungsmängel bei Lauda Air
Denn der Umstand, dass Niki Lauda beziehungsweise seine (wirtschaftlich im übrigen wenig erfolgreiche, siehe auch "Links" am Ende dieser Punktlandung) Fluggesellschaft Lauda Air von der Verantwortung für das Unglück juristisch freigesprochen wurde, ist trotzdem alles andere als ein Persilschein für den ehemaligen Formel 1-Weltmeister.
Schließlich heißt es selbst im offiziellen Untersuchungsbericht der thailändischen Behörden, dass der Grund für das Ausfahren der Schubumkehr nicht mehr festgestellt werden konnte. Zudem hielten die Ermittler fest, dass Lauda Air Wartungsarbeiten "nicht immer in Einklang mit den Vorschriften des Herstellers Boeing” durchgeführt habe.
Denn bereits in den Monaten vor dem Absturz gab es offenbar immer wieder die gleiche Fehlermeldung im Bordcomputer der "Mozart“, ohne, dass die Techniker der Lauda Air den Hersteller Boeing darüber informiert hatten - obwohl sogar am Flughafen Wien ein eigener Boeing-Vertreter stationiert war!
Schwere Vorwürfe in seit mehr als 20 Jahren unter Verschluss gehaltenem Gutachten
Und als ob dies alles noch nicht erschütternd genug wäre, gab es 1994 auch noch ein brisantes Gutachten des österreichischen Experten Professor DDipl. Ing. Dr. Ernst Zeibig in dem es unter anderem heißt, dass der Gutachter "einige dringend benötigte Unterlagen nur mit gerichtlicher Hilfe, unter Androhung einer Hausdurchsuchung” überhaupt von Lauda Air erhalten habe.
Doch auch bei der offiziellen thailändischen Untersuchung seien wichtige Unterlagen zehn Tage lang ungesichert bei Lauda Air verblieben, ehe sie beschlagnahmt werden konnten. Der deutsche Luftfahrtjournalist Tim van Beveren zitiert in diesem Zusammenhang mit Johann Rausch einen ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Zivilluftfahrt: "Internationale Gepflogenheit ist es, sofort alle Unterlagen sicherzustellen. Dass es hier zehn Tage gedauert hat, dazu gebe ich keinen Kommentar.” Günther Raicher, Chef der Flugunfallbehörde, sagte dem Nachrichtenmagazin "profil” (Ausgabe 48/1992, Seite 24) zufolge: "Ich hatte schon die Absicht, das Papier zu holen, aber keine gesetzliche Handhabe. Bei Lauda wurde uns damals gesagt, dass man zur Herausgabe nur gegenüber der internationalen Kommission verpflichtet und bereit wäre.”
Sieht es so aus, wenn Herr Niki Lauda alles unternimmt, um einen Unfall wie die "Mozart"-Tragödie rasch aufzuklären? Diese Frage wird sich nicht nur manchem Leser förmlich aufdrängen.
Laut van Beveren untersuchte die offizielle thailändische Kommission die Wartungsunterlagen und Logbücher der "Mozart" gerade einmal acht Stunden lang - vier Stunden am 19. Juni 1991 und nochmals vier Stunden am 23. Juni, während sich der österreichische Gutachter über ein Jahr lang mit der gesamten Materie befasste.
Fehlende Unterlagen, eine laut Expertem nicht flugtaugliche Maschine und 61 Fehlermeldungen bis zum Absturz
So fehlten 25 Seiten des technischen Logbuches der "Mozart" vom Zeitraum 27. Mai bis 8. Juni 1990 und eine Arbeitskarte in den Dokumentationsunterlagen des C-Checks. Van Beveren schreibt, dass die betreffende Arbeitskarte „offenbar am 31. Mai 1991, also nach dem Absturz entnommen wurde.”
Die Auswertung des unbeschädigten EEC-Speichers (einer Art Bordcomputer, wo aufgetretene Fehler ausgelesen werden können, ähnlich wie bei modernen Autos) der linken Turbine ergab zudem, dass es zwischen dem 27. April 1991 und dem 26. Mai 1991 insgesamt 61 Fehlermeldungen, die Schubumkehr betreffend gab!
Lauda Air habe in diesem Zusammenhang beispielsweise Fehlermeldungen ohne Ursachenanalyse einfach wieder gelöscht, Wartungsmaßnahmen nicht wie vorgeschrieben im technischen Logbuch verzeichnet, angefangene Fehlerbehebungsmaßnahmen nicht zu Ende geführt, Messergebnisse, obwohl sie außerhalb des zulässigen Bereichs lagen, als in Ordnung befunden und sogar unsinnige Wartungsmaßnahmen durchgeführt, die vom Hersteller Boeing gar nicht vorgesehen sind, lauten die schwerwiegenden Vorwürfe des Experten.
Der österreichische Gutachter Zeibig kam jedenfalls zu dem Schluss, dass die "Mozart”, so wie sie am 26. Mai 1991 von Bangkok nach Wien gestartet ist, gar nicht mehr hätte fliegen dürfen.
Man wird doch noch fragen dürfen, wie sich diese Vorwürfe mit dem so sorgsam gepflegten Saubermann-Image eines Herrn Lauda vertragen. Ja, für Journalisten – und als solche sind auch die kanadischen Kollegen, die "Mayday“ produzieren anzusehen – wäre diese Fragestellung geradezu verpflichtend, wenn sie denn ihren Job ernst nehmen. Doch "Mayday“ geht mit keinem Wort auf diese Punkte ein; es wird noch nicht einmal erwähnt, dass ein solches Gutachten überhaupt existiert.
Ebenfalls nicht thematisiert wird der Umstand, dass die österreichischen Behörden dieses Gutachten auch 20 Jahre nach dem Unglück noch immer unter Verschluss halten. Als unsere Redaktion 2011 beim Gutachter um ein Exemplar anfragte, wurde dieses Ansinnen negativ beschieden. Die Behörde habe es so verfügt, hieß es. Da könnte sich förmlich die Frage aufdrängen, ob die Behörden hier etwas zu verschleiern versuchen? Und: Sollten die Behauptungen in dem Gutachten nicht zutreffen, wieso hat Lauda Air niemals dagegen geklagt?
Letztlich gab es da auch noch Ungereimtheiten mit den Lizenzen der beiden Piloten. Überflüssig zu sagen, dass auch darauf jeder Hinweis in der so genannten Dokumentation fehlt - ebenso wie auf die Kritik der Angehörigen, dass sich Lauda Air nach dem Absturz nicht um sie gekümmert habe.
Alles in allem muss die "Mayday“-Episode zum Absturz der "Mozart“ daher schlichtweg als "mies“ bezeichnet werden, jedenfalls in punkto Recherche. Für die gibt’s nämlich ein klares "Nicht genügend“. Die Opfer und ihre Angehörigen jedenfalls hätten sich mehr Respekt und journalistische Sorgfalt verdient. Es ist beschämend, dass diese Chance nicht genutzt wurde.
Allen Lesern, die sich ein umfassendes Bild, abseits von verblödendem "Infotainment" machen wollen, empfehlen wir jedenfalls unsere Reportage "Der Todesflug der Mozart", die den Opfern dieser Tragödie respektvoll gewidmet ist. Mögen ihre Seelen den Frieden gefunden haben, den sie verdienen.
Text: E. Szeles
Titelbild: Die verunglückte Lauda Air Boeing 767-300ER OE-LVA "Mozart" - Foto Werner Fischdick
Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.