Punktlandung

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Der Mythos liegt in Trümmern

Jahrzehntelang galt die Lufthansa als Inbegriff der sprichwörtlichen deutschen Qualität. Sie stand für Pünktlichkeit, Präzision und Sicherheit, mit weltbesten Piloten. Doch dieses Bild der AUA-Konzernmutter wurde am 24. März 2015 jäh zerstört. Denn an diesem Tag ließ - nach allem, was bisher bekannt ist - der Erste Offizier von Flug 9525 der Lufthansa-Tochter Germanwings die Maschine absichtlich in den Alpen abstürzen und tötete dabei außer sich selbst auch noch 149 weitere an Bord befindliche Menschen, darunter zwei Babys. Schon bald nach dem Unglück waren es deutsche Medien, die aufdeckten, dass dieser Mann, Andreas Lubitz (27), seit Jahren psychisch krank und womöglich deshalb eine tickende Zeitbombe war, während die Behörden schwiegen. Erst am 30. März bestätigten schließlich auch die deutschen Behörden offiziell, dass Lubitz bereits vor Jahren wegen "suizidaler Tendenzen"psychiatrisch behandelt wurde und bis zum Todestag "medizinisch betreut" wurde, wobei die Ermittler ausdrücklich festhielten, dass es keinerlei Anzeichen auf eine "organische Erkrankung" gebe. Im Klartext: Lubitz war in psychologischer bzw. psychiatrischer Behandlung, und darüber hinaus - so viel ist ebenfalls gesichert - am Absturztag krank geschrieben. Dies hatte der Pilot seinem Arbeitgeber aber vorenthalten und war zum Dienst erschienen, den er aufgrund medizinisch attestierter Fluguntauglichkeit gar nicht hätte antreten dürfen.

Kann denn ein so vielgepriesenes Qualitätssystem wie bei Lufthansa derart versagen?

Die Kranich rühmt sich, nur gefestigte Persönlichkeiten in seine Cockpits zu lassen, nach strengen Selektionen. Aber wie um Himmels Willen konnte ein Psychiatriepatient mit Selbstmordtendenzen überhaupt für flugtauglich befunden werden?

Der gute Ruf der Lufthansa ist durch das Unglück angeknackst, hier eine 737, Symbolbild - Foto:  - Foto: Christian Zeilinger / Austrian Wings Media Crew
Der gute Ruf der Lufthansa ist durch das Unglück angeknackst, hier eine 737, Symbolbild - Foto: - Foto: Christian Zeilinger / Austrian Wings Media Crew

Auf Anfrage von Austrian Wings erklärte die Lufthansa-Pressestelle dazu, dass man vom Fliegerarzt nur ein "tauglich" oder "nicht tauglich" betreffend die Pilotenanwärter mitgeteilt bekomme. Der Rest unterliege der ärztlichen Schweigepflicht. Unglaublich aber wahr: Ein Mann, der jahrelang wegen Selbstmordtendenzen in psychiatrischer Behandlung war und dies dem Fliegerarzt womöglich nicht mitteilte, konnte somit problemlos Menschen durch die Luft fliegen, sofern er sich nur gut genug zu verstellen vermochte.

Und die New York Times spricht aus, was viele Menschen denken: "Einige geben Lufthansa oder der Luftfahrtbehörde die Schuld, dass Sicherheitsmaßnahmen fehlen, die verhindern, dass ein depressiver Pilot ein Flugzeug fliegt." Dem ist nichts hinzuzufügen.

Die Luftfahrt gilt deshalb so sicher, weil stets aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen versucht wurde. Und genau deshalb muss auch jetzt das System weiter verbessert werden. Es müssen verpflichtende Interaktionen zwischen zuständigen Medizinern eingeführt, Ausnahmen von der ärztlichen Schweigepflicht geschaffen werden, jedenfalls wenn es um die Kommunikation von Medizinern untereinander geht. Egal, ob sich auch abschließend die Theorie von Lubitz' erweitertem Selbstmord bestätigt oder nicht: Nie wieder darf es vorkommen, dass ein derart psychisch schwerkranker Mensch in die Kanzel eines Verkehrsfluges als Pilot gelangt. Behörden, medizinische Institutionen und die Lufthansa müssen handeln. Es ist fünf nach zwölf.

Text: HP
Titelbild: Pilot bei der Arbeit im A320, Symbolbild aus dem Flugsimulator - Foto: AustrianWings Media Crew

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.