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Buchtipp: "Prägung" von Flugingenieur a. D. Dieter Steffen

"Remember when the flight engineer did the outside check? Remember flight engineers ...?" Diese Bildunterschrift bei einem Foto in einer großen Flugzeugbilddatenbank sagt sehr viel aus. Und sie stimmt traurig oder zumindest nachdenklich. Denn die jüngere Generation von Luftfahrtenthusiasten und mitunter auch Piloten weiß gar nicht mehr, dass im Cockpit moderner Verkehrsflugzeuge über viele Jahrzehnte hinweg auch ein dritter Mann an Bord war, ein hochqualifizierter Technikspezialist, der für die Überwachung und Bedienung essentieller Systeme, wie Pneumatik, Hydraulik, Treibstoffversorgung, Druckkabine, etc ... verantwortlich zeichnete und auf Außenstationen bei technischen Problemen sogar kleinere Wartungsaufgaben selbst durchführen durfte. Dieter Steffen, Jahrgang 1935, war einer dieser Männer. Über seine mehr als vier Jahrzehnte dauernde Karriere - beginnend auf der Lockheed Constellation in den 1950er Jahren - hat er nun ein spannendes Buch verfasst. Austrian Wings hatte die Gelegenheit, das Werk als PDF schon vorab zu lesen - und wir finden es einfach fantastisch!

In seinem Buch, in dem Steffen auch seiner Mutter, die ihn nach dem Tod des Vaters, eines Feuerwehrmannes, ab 1943 alleine aufzog, Respekt zollt, schildert er seine Anfänge als Flugingenieur. Als begeisterter Segelflieger hatte er einen technischen Beruf erlernt und arbeitete danach in der Lufthansa-Wartung. Schließlich bewarb er sich als Flugingenieur, bestand die umfangreichen Selektionen und absolvierte danach mit zwölf weiteren Kollegen - darunter auch Funker und Navigatoren -  den theoretischen Flugingenieurslehrgang. Daran schlossen sich zahlreiche Checkflüge unter Aufsicht erfahrener Kollegen an, ehe Steffen schließlich selbst "erster Flugingenieur" wurde - mit drei rot umrandeten goldenen Streifen auf der Uniform. Der Autor nimmt den Leser dabei mit auf seine Reisen rund um die Welt, nach Rio de Janeiro, in die USA nach New York sowie in den Nahen Osten und nach Afrika, das er besonders zu lieben lernte und auch oft mit einer kleinen Cessna erkundete.

Lufthansa Superconstellation über New York: Auf diesem Muster begann Steffen seine Karriere - Foto: Archiv FMG
Lufthansa Superconstellation über New York: Auf diesem Muster begann Steffen seine Karriere - Foto: Archiv FMG

In einem fesselnden Stil beschreibt Steffen Vespa-Touren durch Südamerika mit einem Deutsch-Chilenen (zu dem er bis heute Kontakt hält) während so genannter Turnarounds, die damals wesentlich länger dauerten als heute, ebenso wie den fliegerischen Alltag der Besatzung in einer Zeit, als Fliegen wirklich noch etwas Besonderes war. Man fühlt sich als sechster Mann (neben Kapitän, Co-Pilot, Funker, Navigator und Flugingenieur) im Cockpit der Constellation und blickt Steffen förmlich über die Schulter, wenn er das komplexe Treibstoffsystem der "Connie" bedient oder das Benzin-Luftgemisch in den vier störungsanfälligen Sternmotoren optimiert ... das Lesen dieser Erinnerungen gleicht einer aviatischen Zeitreise.

Nach der Constellation schulte er auf die legendäre 707 um, wenige Jahre später auf die 747. Durch Fleiß und Engagement arbeitete sich der Autor hoch, durfte Abnahmeflüge durchführen, angehende Flugingenieure unterrichten und neue Lernmethoden - die aus heutiger Sicht steinzeitlich anmuten, damals aber hochmodern waren - in deren Einführungsphase erproben. Während eines dieser Abnahmeflüge wurde auch ein Verfahren getestet, bei dem durch Öffnen der Türen im Flug!! die Kabine von Rauch befreit werden sollte - etwas, das beispielsweise die Crew der 1987 verunglückten "Helderberg" ebenfalls versucht haben dürfte.

Boeing 707-430 der Lufthansa im Flug - Foto: LH Bildarchiv
Boeing 707-430 der Lufthansa im Flug - Foto: LH Bildarchiv

Neben technischen Details und interessanten Fakten kommen auch die Anekdoten nicht zu kurz, wenn Steffen etwa darüber berichtet, wie er mit einer Feueraxt einen im WC eingeschlossenen Passagier befreite und der Tür anschließend ein "Unservicable"-Label verpasste oder wie er und ein Copilot einem Kapitän einmal einen Streich spielten.

Kapitän, Erster Offizier und Flugingenieur einer Boeing 747-200 bei der Arbeit (Symbolbild) - Foto: Lufthansa
Das Dreimann-Cockpit einer 747 von Lufthansa: Auf diesem Typ beendete Dieter Steffen seine Karriere als Flugingenieur, Symbolbild - Foto: Archiv Lufthansa

Steffen war auch als Zeuge und Experte in den Prozess um den Absturz des Lufthansa-Jumbos "Hessen" involviert und kannte den - erst kürzlich im Alter von 90 Jahren verstorbenen - Flugingenieur der "Hessen", Rudi Hahn, persönlich.

Überhaupt beschäftigt Steffen das Thema Flugsicherheit sehr - es zieht sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes Werk. Er analysiert den Absturz der "Hessen", ebenso wie den Crash von AF 447 im Jahr 2009, entdeckt interessante Parallelen und spart nicht mit Kritik an Airlines und Herstellern, die häufig erst nachdem sich ein längst vorhersehbares Unglück ereignet hat, reagieren und bekannte Probleme/Schwachstellen zu beheben bereit sein scheinen.

Als letztes Kapitel seiner Karriere beschreibt der Autor die Einflottung der 747-400, an deren Entwicklung Lufthansa und auch er persönlich maßgeblich beteiligt waren - wohlwissend, dass "ich damit half meinen eigenen Arbeitsplatz wegzurationalisieren", wie er offen schreibt.

In modernen Glascockpits wie dem der 747-400 und der 747-8I (Bild) wurde der Flugingenieur wegratioanalisiert - Foto: Austrian Wings Media Crew
In modernen Glascockpits wie dem der 747-400 und der 747-8I (Bild) wurde der Flugingenieur wegrationalisiert - Foto: Austrian Wings Media Crew

Während etliche Flugingenieure zu Piloten umgeschult wurden, zog es Steffen vor, in die Pension zu gehen, wo er weiterhin als Luftfahrtsachverständiger wirkte und als Privatpilot Motor- und Segelflugzeuge (auch als Lehrer) pilotiert. Steffen gab seine Leidenschaft für die Aviatik übrigens auch an seine beiden Kinder weiter, die privat aktive Segelflieger wurden.

Fazit: Dieses Buch sollte unserer Meinung nach in keiner Bibliothek fehlen, gewährt es doch einzigartige Einblicke in eine Zeit der Luftfahrt, die längst vergangen ist - und dennoch nichts von ihrer Faszination verloren hat. We like it!

Hinweis im Sinne der Transparenz: Austrian Wings erhält keinerlei Zuwendung für diese Rezension, sondern hatte lediglich die Gelegenheit, das Buch in elektronischer Form vorab zu lesen.

Informationen zum Buch:

Taschenbuch: 224 Seiten
Verlag: Books on Demand; Auflage: 1 (20. Mai 2015)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3738660275
ISBN-13: 978-3738660272
Größe und/oder Gewicht: 12,7 x 1,3 x 20,3 cm

(red HP / Titelbild: Cockpitbesatzung einer 747 an ihrem Arbeitsplatz; der Flugingenieur sitzt rechts hinter dem Ersten Offizier, Symbolbild - Foto: Roman Maierhofer)