Punktlandung

"Go around!" Durchstarten als Ausdruck einer hohen Sicherheitskultur

Moskau, 09. Juli 2015: Flug OS 601, ein Airbus A320 der Austrian Airlines befindet sich im Landeanflug auf den Flughafen Moskau Domodedowo. Der zweistrahlige Jet wird durch starke Windböen heftig durchgeschüttelt, etliche Passagiere blicken angespannt durch die Kabine, halten sich verkrampft an ihren Sitzlehnen fest. Dann heulen plötzlich die Triebwerke auf und die Nase des Flugzeuges geht nach oben. Reisende sehen sich bange und fragend an. Die Crew positioniert sich indes für einen zweiten Anflug. Doch kurz vor der Landung schieben die Piloten die Schubregler erneut nach vorne und gehen wieder in den Steigflug über. Die Blicke der Reisenden werden jetzt noch skeptischer. Erst beim dritten Anflug klappt die Landung schließlich. Was für die Passagiere zweifelsohne unangenehm und spektakulär anmutete, war für die Piloten ein - wenngleich anspruchsvolles - immer wieder trainiertes Standardmanöver. Und es war Ausdruck eines enorm hohen Verantwortungsbewusstseins und einer vorbildlichen Sicherheitskultur im Cockpit.

"Vielen Passagieren ist auf Wienerisch gesagt 'der Reis gegangen', mir auch", schildert ein Passagier dieses Fluges gegenüber Austrian Wings, um der Crew gleich darauf Rosen zu streuen. "Obwohl die Arbeitsbelastung im Cockpit sicherlich sehr hoch war, haben uns die Piloten vorbildlich informiert und so maßgeblich zur Beruhigung beigetragen. Da haben wir uns dann gleich wieder etwas wohler gefühlt."

Warum aber kam es überhaupt zu diesem Manöver und das auch noch gleich zweimal hintereinander? Die Antwort darauf gibt Flugkapitän Ulrich Ogrisek, der an diesem Tag Kommandant von Flug OS 601 war: "Durch die starke Gewittertätigkeit im Großraum Moskau war der Wind im Anflug sehr turbulent, jedoch noch unterhalb des Seitenwindlimits. Kurz vor dem Aufsetzen trat eine starke Windscherung auf, das bedeutet dass der Wind innerhalb kurzer Zeit Stärke und/oder Richtung ändert."

Durch diesen Scherwind war eine sichere Landung nicht mehr gewährleistet, weshalb sich die Piloten zum Durchstartmanöver, in der Fachsprache auch "Go around" genannt, entschlossen. Doch auch beim zweiten Versuch war die sichere Landung nicht gewährleistet, so folgte ein weiterer Go around.

Ogrisek: "Erst beim dritten Anflug waren die Windverhältnisse ausreichend für eine sichere Landung."

Diese verantwortungsbewusste Vorgehensweise der Piloten kostete die AUA Zeit und tausende Euro, doch niemand bei der rot-weiß-roten Fluglinie, deren Qualitätsstandards bei der Pilotenausbildung weltweit als Maßstab gelten, würde die Piloten dafür maßregeln oder ihr Vorgehen in Frage stellen. "Wir haben bei so etwas absolute Entscheidungsfreiheit und keinerlei Druck von oben", betont ein anderer Pilot im Gespräch mit Austrian Wings.

Dies scheint unglücklicherweise nicht bei allen Fluglinien der Fall zu sein. Die Unfallstatistiken sind voll mit Flügen, die verunglückten, weil die Piloten keine oder eine zu späte Entscheidung zum Durchstarten trafen, wie es etwa bei Asiana Flug 214 der Fall war. In anderen Fällen kam es sogar schon vor, dass Copiloten die Gefahr erkannten, es aber nicht wagten ihre Kommandanten darauf hinzuweisen, geschweige denn "Go around" auszurufen und die Kontrolle zu übernehmen. Stattdessen flogen sie sehenden Auges in den Tod - so geschehen beispielsweise beim Unfall mit Flug Air India Express 812 vor etwas mehr als fünf Jahren. Dreimal forderte der Erste Offizier den Kapitän während des aus dem Ruder gelaufenen instabilen Anfluges zum Durchstarten auf, was der Kommandant jedoch ignorierte. Das Resultat dieses höchst unprofessionellen Verhaltens der Flugzeugführer: Minuten später waren 158 Menschen tot und bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, darunter auch die beiden Piloten.

Und ein ganz besonders gravierender Fall ist der Absturz einer Boeing 737-500 von Tatarstan Airlines im Jahr 2013: Eine auf dem Papier theoretisch qualifizierte Crew war nicht in der Lage, den Landeanflug korrekt auszuführen und stürzte danach beim ebenfalls völlig verpfuschten Durchtstartmanöver ab - alle 50 Menschen an Bord starben.

Qualitätsfluglinien erkennt man unter anderem daran, dass sie ihre Besatzungen - wie bereits in einer früheren Punktlandung berichtet - weit über das gesetzliche Minimum hinaus qualifizieren und auch laufend in CRM schulen.

Ein AUA-Pilot: "Jeder qualifizierte Flugzeugführer ist bei uns berechtigt und sogar verpflichtet, einen Go around auszurufen, wenn er der Meinung ist, dass dies erforderlich ist. Dann wird das Manöver sofort durchgeführt und erst später besprochen. In diesem Moment gibt es aber keine Diskussion darüber, denn mitunter entscheiden Sekunden über Leben und Tod."

AUA Austrian Airlines myAustrian OE-LBC_6 Foto Huber Austrian Wings Media Crew

Zurücklehnen, entspannen, genießen
Ein Durchstartmanöver, so ungewohnt es sich für den Magen des Passagiers im ersten Moment vielleicht anfühlen mag, ist also nichts Spektakuläres oder etwas, vor dem man Angst haben müsste. Ganz im Gegenteil: Es zeigt nämlich,  dass die Piloten einer Fluggesellschaft hochqualifiziert (re-) agieren  und verantwortungsbewusst mit den ihnen anvertrauten Menschen und Maschinen umgehen. Und das ist doch ein gutes Gefühl.

Text: Patrick Huber, www.der-rasende-reporter.info

Titelbild: Piloten bei der Arbeit im Cockpit, Symbolbild

Alle Fotos: Austrian Wings Media Crew

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.