Ryanair: Am lebensrettenden Equipment wird gespart
Notfallmediziner kritisieren: Situation auch bei AUA nicht optimal
Bekanntermaßen wird bei Low-Cost-Fliegern an allem gespart, was nicht direkt mit Gewinnmaximierung verbunden sein könnte. Zumindest aber haben viele der Billigfluggesellschaften so viel Anstand, den Rotstift nicht ausgerechnet beim lebensrettenden Equipment anzusetzen. Mit ein bisschen Qualitätsverständnis gehört der Defibrillator, kurz "Defi" oder "AED", also zum fixen Bordzubehör. Und das ist nicht weit hergeholt - denn auch am Boden wird, dank vieler Initiativen, die flächendeckende Vorhaltung dieser kleinen Geräte zügig vorangetrieben. Amtsgebäude, Hotels, Bürohäuser, Einkaufszentren, Polizeifahrzeuge - vielerorts ist der AED bereits so selbstverständlich griffbereit wie ein Feuerlöscher. Nur: Gesetzlich vorgeschrieben ist das, auch in der Luftfahrt, nach europäischer Legislatur nicht.
Und dabei ist die Bedienung kinderleicht und für jeden Laien intuitiv verständlich. Sobald das Gerät eingeschaltet wurde, führt es den Anwender mittels klarer Sprachanweisungen durch den Wiederbelebungsprozess. Ganz automatisch analysiert der Defi dabei die Herzaktion des Patienten. Wird eine Rhythmusstörung detektiert, die mittels Stromstoß durchbrochen werden könnte, erkennt der AED dies unmittelbar und fordert den Ersthelfer auf, diesen Elektroschock mittels Tastendruck auszulösen. Internationale Studien zeigen, dass im Falle einer Reanimation mit rascher Defibrillation durch Ersthelfer die Überlebensraten von Patienten auf bis zu 74 Prozent ansteigen - im drastischen Gegensatz zu lediglich fünf (!) Prozent bei nicht suffizienten Erste-Hilfe-Maßnahmen.
Kreislaufversagen hoch in der Luft
Auch an Bord von Verkehrsflugzeugen kommt es gelegentlich zu einem solch dramatischen Notfall. In jüngerer Vergangenheit beispielsweise bei der 47jährigen Davina T., die mit Ryanair unterwegs war. Als sie auf der Bordtoilette leblos zusammenbrach, waren zwar Ersthelfer zugegen, einen Defibrillator gab es aber an Bord des Billigfliegers nicht. Das Leben der zweifachen Mutter konnte nicht gerettet werden, und obwohl natürlich nicht schlussgefolgert werden kann, inwieweit ein Defi daran etwas ändern hätte können, sind Fachleute sich einig: die statistischen Chancen wären zumindest deutlich besser gestanden.
Ärger und Fassungslosigkeit herrschen bei den Hinterbliebenen seit dem Unglück. Sie fordern nun, dass das Mitführen von Defibrillatoren an Bord von Verkehrsflugzeugen gesetzlich vorgeschrieben wird und haben eine entsprechende Unterschriftenaktion gestartet.
Wie sieht die Situation in Österreich aus?
AUA hat nicht auf allen Flugzeugen Defis dabei
Austrian Airlines führt Defibrillatoren auf ihrer Langstreckenflotte sowie auf den Flugzeugen der A320-Familie mit. Auf den Fokker 70/100 und Q400 fehlt ein solches Gerät jedoch - und damit auf fast der Hälfte der rot-weiß-roten Flotte. Auf Austrian Wings-Anfrage teilte die Airline mit, dass es ihre Flugsicherheits-Experten auf Grund der Platzsituation in den Kurzstreckenmaschinen für "problematisch" halten, Defis an Bord dieser Muster bereitzustellen. Selbiges Manko gilt auch für die beiden derzeit von Estonian angemieteten Embraer-Jets.
Viele Mediziner schütteln ob dieser AUA-Haltung den Kopf. Tatsächlicher Hintergrund für die fehlenden Defibrillatoren dürfte aber weniger eine medizinisch-technische Problematik sein. Vielmehr stammen die "Defi-losen" AUA-Kurzstreckenflieger aus dem ehemaligen Tyrolean-Flottenpark, wo ebenfalls keine Defibrillatoren vorgehalten wurden. Im Zuge der Übernahme als AUA-Maschinen wurde zwar die Lackierung erneuert, nicht aber der Umfang an medizinischer Ausstattung. Und das empfindet die AUA auch weiterhin offensichtlich als überflüssig - ihrer internen Statistik zufolge hätte es in den vergangenen 15 Jahren keinen Fall gegeben, bei dem der Einsatz eines Defibrillators notwendig gewesen wäre, lässt die Airline auf Nachfrage wissen.
Notarzt: "AUA-Argumente sind einfach nur peinlich!"
Auf diese Aussagen der AUA angesprochen, schüttelt der erfahrene Flugmediziner und Notarzt Dr. Joachim Huber fassungslos den Kopf: "All diese Standpunkte entsprechen nicht den nationalen wie internationalen Guidelines und sind daher als Argumente einfach nur peinlich." Zudem stellt Huber in Frage, inwieweit man generell ohne Defi-Einsatz über dessen Effektivität oder Notwendigkeit nachträglich hätte entscheiden wollen: "Es gibt kein einziges haltbares Argument gegen Defis an Bord, auch nicht bei der Fokker 70/100 oder der Bombardier Q400. Das sind alles nichts als Ausreden", so die vernichtende Einschätzung des Wiener Kardiologen.
Dies dürfte man auch bei anderen Airlines, die Fokker-Maschinen beziehungsweise Bombardier Q400 betreiben, ähnlich sehen - bei Air France/KLM sind beispielsweise sämtliche Maschinen, und somit auch die Kurzstrecken-Fokker, mit halbautomatischen Defibrillatoren ausgestattet, wie bereits vor drei Jahren im Zuge einer Medienmitteilung kommuniziert wurde. Und auch hinsichtlich der Q400, die laut AUA-Fachleuten als "Defi-problematisch" gelten sollen, scheinen andere Fluggesellschaften keinerlei derartige Bedenken zu hegen. Air Berlin-Sprecher Heiko Senebald gegenüber Austrian Wings: "Selbstverständlich sind unsere Q400 mit halbautomatischen Defibrillatoren ausgestattet, wie alle übrigen Flugzeuge von Air Berlin übrigens auch."
Mehr noch: In den USA sind Defibrillatoren per Verordnung der Flugsicherheitsbehörde in sämtlichen Maschinen, die über 30 oder mehr Sitzplätze verfügen, zwingend vorgeschrieben. Und selbst Billigflieger Easyjet spart an vielen Ecken und Enden, aber nicht am Defi.
Kurzum: Der AED ist ein von jedermann bedienbares Gerät, das im Ernstfall Leben retten kann - durch einen gezielten Elektroschock. Ausgerechnet dort den Sparstift zu zücken, ist in diesem Fall eher schockierend.
(HP / AG / TUG / Titelbild: Halbautomatischer Defibrillator, Symbolbild - Foto: Austrian Wings Media Crew)
Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.