Punktlandung

Air Berlin Märchenstunde? - Vom Öldampf ins Fettnäpfchen...

Mit Nachdruck versucht Air Berlin, sich vom "Billigflieger-Image" zu befreien. Doch ausgerechnet die Behandlung von Zwischenfällen wirkt bei der Airline mehr als billig.

"Fume Event" - ein Begriff in der Luftfahrt, den Fluggesellschaften mitunter fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Es verbirgt sich dahinter das auch als "aerotoxisches Syndrom" bekannte Problem, im Zuge dessen die Atemluft in der Kabine mit giftigen Substanzen kontaminiert wird, was zu Gesundheitsschäden führen kann. Auslöser ist das Eindringen von Triebwerköl via Zapfluft. Bei fast allen Verkehrsflugzeugtypen wird die Luft, welche Passagiere und Crew in der Kabine atmen, direkt bei den Triebwerken angesaugt. Gibt es dort beispielsweise Leckagen an Dichtungssystemen, kann unter Umständen Öl mit in die Kabine gelangen. Und dieses Öl enthält hochgiftige Bestandteile, deren Dämpfe in manchen Fällen zu dramatischer gesundheitlicher Schädigung führen können.

Diese "Fume Events" kommen gar nicht so selten vor. Auch Lufthansa und ihre Tochter Germanwings tauchen immer wieder in den Schlagzeilen rund um derartige Vorkommnisse auf. Bemerkenswert ist, dass die meisten betroffenen Gesellschaften nach entsprechend auffälligen Zwischenfällen entweder überhaupt keine Stellungnahme abgeben, oder aber den Sachverhalt so gut als möglich zu verschleiern versuchen. Üblicherweise wird nicht einmal betroffenen Passagieren nach derartigen potenziell gesundheitsschädlichen Ereignissen angeraten, sich in medizinische Behandlung zu begeben.

Dem Ersten Offizier vom Air Berlin-Flug Las Palmas - Leipzig vom 2. 4. 2016 hätte man wahrscheinlich ohnehin keinen derartigen Ratschlag mehr erteilen müssen. Augenzeugenberichten zu Folge war der Pilot nach einem "Fume Event" offensichtlich derart beeinträchtigt, dass er nach der Zwischenlandung in Nantes das Cockpit nur mit notfallmedizinischer Begleitung verlassen konnte und per Rettungsdienst in ein Krankenhaus verbracht werden musste, wie Passagiere in übereinstimmenden Augenzeugenaussagen bestätigen. Und das, obwohl sowohl er als auch der Kapitän unmittelbar nach Auftreten des Geruchsvorfalls ihre Sauerstoffmasken aufgesetzt hatten, wie aus einem Bericht des renommierten Branchenportals "AV-Herald" hervorgeht. Auch die Airline kam nicht umher, diesen Sachverhalt zu bestätigen.

Air Berlin sieht Piloten nach "Fume Event" nicht handlungseingeschränkt

Folgt man den bisher abgegebenen Erklärungen des Air Berlin Konzerns, gehört es demnach offensichtlich zu den Gepflogenheiten im Routinedienstbetrieb, dass Piloten das Flight Deck nur noch mit Begleitung durch medizinisches Personal verlassen können - denn die Airline führte nach dem Zwischenfall gegenüber Austrian Wings aus: "Beide Piloten waren zu jeder Zeit handlungsfähig."

Air Berlin erachtet den Co-Piloten nach dem "Fume Event" bemerkenswerterweise als voll einsatzfähig. Tatsächlich im Einsatz stand allerdings der Rettungsdienst. - Sujetfoto: Huber / Austrian Wings Media Crew
Air Berlin erachtet den Co-Piloten nach dem "Fume Event" bemerkenswerterweise als voll einsatzfähig. Tatsächlich im Einsatz stand allerdings der Rettungsdienst. - Sujetfoto: Huber / Austrian Wings Media Crew

Dass man gewisse Abenteuer dieser zweifelhaften Art bei Air Berlin vermutlich als nicht weiter bemerkenswerten Bestandteil des Flugbetriebs erachtet, zeigte sich bereits mehrfach in der Vergangenheit, nicht zuletzt im Zusammenhang mit einem Kabinendruckverlust und anschließendem Notsinkflug im Jänner 2014. Das jedenfalls legt die offizielle Konzernkommunikation mit ihren salbungsvollen Stellungnahmen nahe, welche bei derartigen Zwischenfällen allzu gerne einen angeblich reibungslosen, problemfreien Ablauf unterstreichen und jede Unregelmäßigkeit in Abrede zu stellen versuchen.

Piloten mit aufgesetzten Sauerstoffmasken bei einem Fume Event, Symbolbild aus dem Simulator - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew
Piloten mit aufgesetzten Sauerstoffmasken bei einem Fume Event, Symbolbild aus dem Simulator - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew

Was ist billig bei Air Berlin?

Es mag schon sein, dass man - in Anlehnung an den Ticketpreis - das Image als "Billigairline" nicht mehr als passend empfindet. Gemessen am allgemeinen Verständnis für professionelle Bearbeitung von Zwischenfällen hat man jedoch zeitweise das Gefühl, die Öffentlichkeit bekommt aus dem "Air Berlin Märchenbuch" vorgelesen. Bedauerlicherweise einem durchaus billig erscheinenden Exemplar...

PR-Experten sind sich einig, dass sich die Professionalität eines Unternehmens besonders nach Unregelmäßigkeiten oder gar Unfällen an ihrer Konzernkommunikation messen lässt. Unbedingt zu vermeidendes Fehlverhalten stellt jedenfalls das Leugnen beziehungsweise das Umdeuten vorliegender Fakten, die Abwehr von Kritik, das Relativieren von Folgen sowie an den Tag gelegte Arroganz oder Ignoranz dar - das betonen die Autoren Zimmermann und Engel in ihrem bereits 2004 publizierten Artikel "Wer erst im Handbuch nachschauen muss, hat in der Krise schon verloren" (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. 10. 2004).

Dass man es in einer Krisensituation auch durchaus professionell angehen kann, beweist ein Fall von Dezember 2010. Eine asiatische Airline, unterwegs nach Wien, musste nach der Warnmeldung "Kabinendruckverlust" in der Ukraine notlanden. Die Pressesprecherin des Unternehmens übermittelte an die Medien sofort vollinhaltlich alle Informationen rund um den Zwischenfall. Diese Transparenz hatte Erfolg, denn sie sorgte für umfassende Aufklärung. Lediglich eine einzige Boulevardzeitung entblödete sich damals nicht, das im Zuge des Notsinkflugs entstandene "Selfie" eines an Bord befindlichen Anwalts samt Sauerstoffmaske zu veröffentlichen und den Passagieren "Todesangst und Angstschweiß" anzudichten. Sämtliche anderen Medien erkannten hingegen, dass der vermeintliche Zwischenfall weit weniger spektakulär war, als man vielleicht zu vermuten versucht war - was sich ja nicht zuletzt dadurch stützt, dass es wohl kaum Personen geben wird, die in tatsächlicher Todesangst noch ein Foto von sich schießen und dieses anschließend in einer Zeitung abdrucken lassen. Mit einem Wort: Aufklärung nach einem Zwischenfall ohne Verdrehung von Fakten für eine ehrliche, transparente Kommunikationslinie. Und auch wenn das Thema kontaminierter Kabinenluft mit Sicherheit ein weitaus sensibleres ist als ein Kabinendruckverlust: auch in diesem Fall haben die Öffentlichkeit, nicht zuletzt aber die betroffenen Passagiere, ein Anrecht auf umfassende Information - vor allem rund um Bemühungen, derartigen Ereignissen nachhaltig auf den Grund zu gehen.

Bei Air Berlin hingegen war ein Co-Pilot, der nach einem Zwischenfall notfallmedizinisch versorgt werden musste, also "voll handlungsfähig". Thema erledigt, Deckel drauf, zurück zur Tagesordnung. Bloß nicht das Klima vergiften. Es reicht ja, wenn es die Kabinenluft ist.

(E. Bisaga / Titelbild, Symbolfoto: Air Berlin - Foto: Austrian Wings Media Crew)

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.