Freundlich, verbindlich, ruhig und ausgeglichen wirkt Reinhard Kraxner beim Austrian Wings Besuch auf dem Stützpunkt von Christophorus 9 auf dem alten Flugfeld in Wien Aspern - obwohl er zu diesem Zeitpunkt schon elf Stunden Dienst und einige Einsätze hinter sich hat.
Er erzählt davon, dass er in der Nähe des Flugplatzes Aigen im Einnstal aufgewachsen ist: "Mein Vater war begeisterter Segelflieger und nahm mich immer wieder mit in die Luft." Noch gut erinnert sich der heute 56-Jährige daran, wie er dort die ersten Hubschrauber seines Lebens sah: "Das waren Bell 47 und Alouette II des Bundesheeres."
Mit 15 Jahren absolvierte der naturverbundene Kletterer ("Ich liebe die Berge!") eine Ausbildung zum Segelflugpiloten, die er einem engagierten Lehrer verdankt: "Ich war am Gymnasium Stainach und unser Biologieprofessor hatte eine Neigungsgruppe Segelflug im Unterrichtsministerium durchgebracht."
Bei Reinhard Kraxner wuchs die Begeisterung für die Luftfahrt mit jedem Tag und bald war für ihn klar, dass er Hubschrauberpilot in Aigen werden wollte. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg, wie er schildert: "Im Jahr 1978 rückte ich zunächst einmal als Präsenzdiener in Güssing ein und gab mit dem Ziel einer Pilotenausbildung eine Freiwilligenmeldung ab, mit der ich mich für ein Jahr verpflichtete."
In weiterer Folge ging es zur Offizierswerdung auf die altehrwürdige Militärakademie nach Wiener Neustadt. Kraxner: "Dort bestand ich die positive Selektion für den Flugdienst. Das war ein dreitägiger psychologischer Test, gefolgt von einer einwöchigen medizinischen Untersuchung im Heeresspital in Wien, die es in sich hatte." Großen Wert legten die Mediziner auf die "Schleudersitztauglichkeit" der Bewerber. "Das bedeutet, dass man keine verkrümmte Wirbelsäule haben durfte. Denn wir konnten uns grundsätzlich nicht aussuchen, ob uns das Heer für Flächenflugzeuge oder Drehflügler ausbilden würde."
Die Grundausbildung
Im dritten Jahr an der Militärakademie war es schließlich soweit. "Im Zuge der ,waffeneigenen Ausbildung' ging es 1982 für uns an die Fliegerschule nach Zeltweg." Noch immer war aber nicht klar, ob sich der Traum vom Hubschrauberpiloten für den ehrgeizigen jungen Offizier erfüllen würde. Zunächst einmal schulten Kraxner und seine Kameraden nämlich auf der legendären Saab Safir. "Wir nannten diese Flugzeuge ihrer gelben Farbe wegen scherzhaft den ,Eierspeisbomber'", erinnert sich der heutige Flugrettungschef schmunzelnd zurück.
"Fliegerisch hat uns die Saab Safir einiges abverlangt. Das Fahrwerk mussten wir manuell einfahren. Dafür war sehr viel Kraft erforderlich und unsere Fluglehrer drillten uns darauf, dass wir die Maschine dabei trotzdem gerade hielten und ja nicht mit den Flächen wackelten."
Nach rund 40 Flugstunden, in denen die Schüler "in etwa PPL-Niveau" erreicht hatten, entschieden die Vorgesetzten über die weitere Verwendung der Pilotenanwärter.
"Ursprünglich wollte man meinen Lehrgang für den Saab Draken haben, doch von sechs Soldaten kamen zwei zu den Hubschraubern - ich war einer davon. Hier kam mir meine alpine Vorbildung zugute, denn ein Bezug zu den Bergen war bei den Hubschrauberleuten seitens der Führung ausdrücklich gewünscht."
Dem großen Ziel näher gekommen
Im Sommer 1982 erfolgte seine Versetzung nach Tulln-Langenlebarn, wo die Grundschulung damals auf Bell 206A Jet Ranger durchgeführt wurde. "Die Ausbildung war sehr gut, denn wir lernten die Fliegerei an der Leistungsgrenze, da das Allison 250 - C 18-Triebwerk mit 318 PS relativ schwach war." Nach gut einem Jahr legte Kraxner die Militärhubschrauberpilotenprüfung ab. "Die entsprach von den Anforderungen her etwa dem zivilen CPL (H)."
Zur weiteren Ausbildung wurde der begeisterte Alpinist und Flieger Anfang Mai 1983 nach Aigen versetzt: "Endlich war ich dort, wo ich schon als Jugendlicher hin wollte. Für mich ging damit ein großer Traum in Erfüllung, auf den ich sehr hart hingearbeitet hatte."
Hier lernte Kraxner in den folgenden 20 Monaten auf der Alouette III das Handwerk eines Heeres-Einsatzpiloten. "Es gab nichts, was wir nicht flogen. Wir trainierten Außenlandungen, den Verbandsflug, das Fliegen im Hochgebirge, Tiefflug, Außenlastflüge, Windenbergungen, und, und, und ..."
Zwar hatte die Alouette III mit ihrem 570 PS starken Turbomeca Artouste III B1 Triebwerk deutlich mehr Leistung als der in Grundschulung verwendete Jet Ranger, doch war sie auch anspruchsvoller im Handling. "Bei der Alouette war es beispielsweise bei der Landung ganz besonders wichtig, immer unter Leistung am besten gegen den Wind anzufliegen, sonst konnte man eine unangenehme Überraschung erleben." Die Fliegerei in Aigen war für den heute 56-jährigen Manager "eine verdammt gute Schule", wie er sagt.
Ab September 1986 flog eine Alouette III des Bundesheeres von Aigen aus im Assistenzeinsatz für das Innenministerium Rettungsmissionen. "Das war der Moment, wo ich das erste Mal in meinem Leben mit der Rettungsfliegerei in Kontakt gekommen bin", erinnert sich Kraxner. "Da habe ich für mich persönlich erkannt, dass mich dieser Bereich, der damals noch in den Kinderschuhen steckte, enorm interessiert. Ich empfand es als Herausforderung, an der weiteren Entwicklungen mitzuarbeiten. Schließlich konnte ich so meine Begeisterung für die Fliegerei und die Liebe zu den Bergen verbinden, und dabei auch noch Menschen helfen."
Wechsel ins Zivilleben
In dieser Zeit bekam Kraxner über Kameraden, die bereits als Freelancer bei der HeliAir für den ÖAMTC flogen, Kontakt zur Christophorus Flugrettung. Er erwarb die Typenberechtigung für die AS350 B2 in Frankreich und war ab Herbst 1990 selbst neben seiner Tätigkeit als Heerespilot auch als Einsatzpilot auf Christophorus 1 in Innsbruck aktiv.
Eine Herausforderung für ihn war dabei die Umstellung von der Rettungswinde der Alouette III auf das Fixtausystem der Ecureuil. "Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile, ich würde nicht sagen, dass das eine besser und das andere schlechter ist", mein Kraxner auf die Frage, welche Variante er präferiert habe.
1992 stellte der Flieger aus Leidenschaft dann die Weichen für seinen weiteren Lebensweg. "Obwohl ich beim Militär durchaus Karriere machen hätte können, entschied ich mich zu einem Wechsel in den zivilen Bereich." Maßgeblichen Anteil an dieser Entscheidung hatte sein alter Heereskamerad Gilbert Habringer, der zu dieser Zeit für die Christophorus-Flugrettung flog. "Gilbert sagte mir klipp und klar, dass er mich im Team haben wollte, und ich war einverstanden."
Neben der Rettungsfliegerei standen für die Piloten der HeliAir (heute fungiert das Unternehmen als Wartungsbetrieb für die ÖAMTC-Flugrettung) damals auch noch Hüttenversorgungen, Außenlastflüge, Baustellentransporte und Ähnliches auf dem Programm.
Vom Stützpunkt- zum Flugbetriebsleiter
Im August des gleichen Jahres wirkte ausgerechnet ein tragisches Unglück als Katalysator für Kraxners weitere Karriere. Christophorus 5 stürzte nach der Kollision mit einem nicht gekennzeichneten Heuseil ab. Dabei kam die Notärtzin Dr. Ursula Schillfahrt ums Leben, der Pilot - Stützpunktleiter von Landeck - überlebte schwer verletzt, der Flugretter befand sich zum Unglückszeitpunkt nicht an Bord, sondern an der Zwischenlandestelle, wo das Rettungstau montiert worden war.
Kraxner übernahm daraufhin die Funktion des Stützpunktleiters in Landeck: "Dieser Unfall war gewissermaßen der Startschuss für die Erstellung einer österreichweiten Hindernisdatei. Denn manche Seile und Stromleitungen kann man aus der Luft wirklich kaum erkennen. Sie sind nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle."
Mittlerweile ist dieses Meldesystem so ausgereift, dass Hindernisse (Kräne, Seile, Hochspannungsleitungen, etc ...) jeden Morgen bei Dienstbeginn durch ein Update automatisch in die Moving Map Systeme der Helikopter eingespeist werden.
Sieben Jahre lang übte der Steirer seine Funktion als Stützpunktleiter in Landeck aus, bis ihn seine Vorgesetzten fragten, ob er nicht Flugbetriebsleiter der Christophorus-Flugrettung werden wolle. "Damals hatten wir fünf ganzjährig betriebene Standorte und einen im Winter in Zell am See beziehungsweise Bischofshofen. Ich habe mir das kurz überlegt und sagte dann zu."
In dieser neuen Funktion war der frühere Bundesheerflieger nun Ansprechpartner für die Behörde, für die Erstellung von Betriebsverfahren, die Dienstpläne und die Selektion neuer Piloten verantwortlich. Kraxner: "Eine spannende Aufgabe, die mir sehr viel Freude bereitet hat."
Doch ein halbes Jahr später kam dann - wie er sagt - "der große Hammer", als das Innenministerium die Flugrettung auslagerte. Denn laut EU-Vorschrift durften in der zivilen Luftrettung keine einmotorigen Maschinen mehr über dicht bebautem Gebiet operieren und die Flugpolizei wollte nicht von heute auf morgen auf ausschließlich zweiturbinige Muster umstellen.
"Innerhalb eines halben Jahres war die Anzahl unserer Stützpunkte rechnerisch von 5,5 auf 14 angestiegen. Das war der helle Wahnsinn, denn wir mussten neue Fluggeräte beschaffen, Piloten selektieren sowie einschulen und das alles im Sinne der Sicherheit auf einem wirklich hohen Level."
Aufstieg ins Management
Bis 2007 blieb Kraxner Flugbetriebsleiter und zeichnete damit für den Betrieb von 17 Ganzjahres-Standorten (inklusive des ITH in Wiener Neustadt) und sechs temporären Stützpunkten (im Winter) verantwortlich. Dann wurde der Steirer als operativer Geschäftsführer in den Vorstand der Christophorus-Flugrettung berufen. Auf die Frage, wie er diese herausfordernden Aufgaben als Entscheidungsträger ohne einschlägiges Fachstudium neben dem Flugdienst bewältigen kann, lächelt Kraxner bescheiden und streut seinen Ausbildern auf der Militärakademie Rosen: "Ich habe immer von der Führungskräfteausbildung auf der MilaK gezehrt. Leadership und Organisation waren die Hauptthemen dort. Von dieser unglaublich wertvollen Zeit profitiere ich noch heute."
Als operativer Geschäftsführer zeichnet der 56-jährige Bergsportler seither unter anderem für den Kontakt zu politischen Entscheidungsträgern, Auftraggebern und den Einsatzorganisationen verantwortlich.
"2007 / 2008 war finanziell eine wirklich kritische Phase für die Christophorus-Flugrettung. Der ÖAMTC musste jährlich 4,7 Millionen Euro zuschießen und dieser Zustand war auf Dauer nicht tragbar." Es folgten Verhandlungen mit Bund und Ländern, welche in einer langfristigen finanziellen Absicherung der Flugrettung mündeten. Doch es dauerte bis 2015, ehe auch mit dem Hauptverband der Sozialversicherungen eine laut ÖAMTC "zufriedenstellende Lösung" gefunden werden konnte, die nun für "alle Betreiber von HEMS-Hubschraubern in Österreich gilt".
Hinzu kommt, dass die Indikation für einen Notarzteinsatz in Österreich durchwegs niederschwellig angesetzt ist, die Anwesenheit eines Mediziners an der Einsatzstelle also verhältnismäßig häufig erforderlich wird. Dies ist nicht zuletzt dem hierzulande vergleichsweise gering angesiedelten Ausbildungs- und damit Kompetenzumfang des Rettungsdienstpersonals geschuldet. Der überwiegende Teil der heimischen Sanitäter verfügt nämlich nur über eine lediglich 260 Stunden umfassende Schulung ("Rettungssanitäter"), die beispielsweise keinerlei Medikamentengabe erlaubt. Das macht demzufolge selbst bei nicht lebensbedrohlich erkrankten Patienten häufig die Anwesenheit eines Notarztes für Routinemaßnahmen erforderlich, und der kommt nötigenfalls eben auch per (teurem) Hubschraubereinsatz - siehe hierzu auch die wissenschaftliche Arbeit des österreichischen Notfallsanitäters (NKI) Armin Reisinger.
Anders zeigt sich die Situation beispielsweise bei unseren Schweizer Nachbarn: Dort sind die verantwortlichen Rettungssanitäter erst nach drei Jahren Vollzeitausbildung im Diplomberuf, die weit über 5.600 Stunden Schulung umfasst, zur Notfallversorgung von Patienten qualifiziert, inklusive erforderlichen Regelkompetenzen. Notarzt- und Hubschraubereinsätze erfolgen bei den Eidgenossen daher ausschließlich bei drohender Lebensgefahr eines Patienten sowie für besondere logistische Aufgaben, etwa im alpinen Raum oder für Langstreckentransporte.
Erfahrener Pilot mit Führungsqualitäten
Trotz seiner Managementfunktionen ist Reinhard Kraxner nach wie vor regelmäßig im Cockpit anzutreffen: "Ich bin sehr stolz darauf, dass ich mir alle Lizenzen sowie Berechtigungen erhalten habe und regelmäßig in ganz Österreich - auch auf den alpinen Stützpunkten - Dienst als Einsatzpilot versehe." Pro Jahr ist der Rettungsprofi etwa 100 Stunden in der Luft und führt dabei rund 700 bis 1.000 Starts und Landungen ("Cycles") sowie 150 Tauflüge durch. "Dadurch erhalte ich mir die für diese anspruchsvolle Fliegerei unbedingt erforderlichen Skills."
Insgesamt hat Kraxner bisher rund 5.800 Stunden sowie 37.000 Starts und Landungen in seinem Flugbuch stehen - eine beachtliche Zahl. Davon entfallen circa 100 Flugstunden während der Ausbildung auf den Jet Ranger, 2.100 auf die Alouette III, 2.000 auf verschiedene Ecureuil-Muster und der Rest auf EC 135 / H135, wobei der letztgenannte Typ sein Lieblingsmuster ist: "Der H135 ist der erste Helikopter in meiner Karriere, der speziell für unseren Dienst in der Flugrettung konzipiert wurde. Er verbindet viele gute Eigenschaften in einem Muster. Er ist klein von den Ausmaßen, dabei leistungsstark und bietet eine gute Sicht. In der Kabine gibt es ausreichend Platz für Patient und Besatzung, die passive Sicherheit ist ausgezeichnet."
Hohe Anforderungen an Rettungspiloten
Um noch einmal zu den Skills zurückzukommen: Wer mit dem Gedanken spielt, Christophorus-Einsatzpilot zu werden, an den werden hohe Anforderungen gestellt, wie der Geschäftsführer der Luftrettung erläutert: "Wir setzen voraus, dass ein Bewerber mindestens 2.000 Flugstunden, davon 1.500 als verantwortlicher Hubschrauberführer im Logbuch stehen hat. Unabdingbar sind außerdem ein Turbinenrating, ein europäischer CHPL, Hochgebirgs- und Außenlasterfahrung sowie ein Nachtflugrating (Night-VFR)."
Wer diese Voraussetzungen erfüllt, wird in einer Selektion anschließend auf Herz und Nieren geprüft - psychisch wie physisch: "Wir brauchen teamfähige Alphatiere", sagt Kraxner mit einem Lächeln. Und er ergänzt: "Diese Leute müssen dann mit den anderen Alphatieren innerhalb der Crews zusammenarbeiten können. Diese Teamfähigkeit ist ein wesentlicher Bestandteil unserer gelebten Flight Safety Kultur."
Neben standardisierten psychologischen und physiologischen Eingangsuntersuchungen stehen für Bewerber daher auch gruppendynamische Aktivitäten auf dem Programm. "Wir gehen mit den Leuten beispielsweise auf einen Klettersteig oder in Hochseilklettergärten um zu sehen, wie sie innerhalb der Gruppe interagieren. Gerade erst haben wir sechs Piloten positiv selektiert."
Zudem sei es wichtig ihm, dass Aspiranten "nicht nur in der Fliegerei leben, sondern eine gute Work-Life-Balance haben."
Bis ein positiv auf all diese Eigenschaften getesteter Bewerber dann jedoch tatsächlich als Rettungspilot eingesetzt wird, können noch einmal ein bis zwei Jahre vergehen. "Wir haben derzeit, mich eingerechnet, 51 Piloten und eine sehr geringe Fluktuation. Die meisten Abgänge sind altersbedingt, wie etwa jener von Paul Brunner." Auch das zeigt, wie begehrt der Job als "gelber Engel" ist.
Durch die bevorstehende Aufnahme des 24-Stunden-Betriebes von Christophorus 2 im kommenden Jahr werden allerdings wieder neue Piloten benötigt.
"Derzeit laufen die Nachtflugausbildungen für unsere Crews auf Hochtouren, denn auch hier steht Sicherheit an oberster Stelle" betont Kraxner.
Wie er denn die Zukunft der Christophorus-Flugrettung sieht, wollen wir zum Abschied noch von ihm wissen. "Wir werden weiterhin bestrebt sein, wichtige Schritte zur Verbesserung der Sicherheit zu setzen. Was immer mit vernünftigen Mitteln erreichbar ist, wollen wir auch machen, um ein größtmögliches Sicherheitspolster für unsere Crews und die Patienten zu generieren."
In diesem Sinne wünscht Austrian Wings Cpt. Kraxner sowie allen Crews der heimischen Flugrettung "always happy landings" - egal ob bei Tag oder Nacht.
Text & Fotos (sofern nicht anders angegeben) - Huber / Austrian Wings Media Crew