Alles sah nach einem Routineflug aus an diesem 26. Mai 1991. Kapitän Thomas Welch, ein erfahrener Eastern Airlines Veteran, und der Burgenländer Josef Thurner bereiteten in Bangkok den Abflug der OE-LAV nach Wien vor. An Bord befanden sich 213 Passagiere und 10 Crewmitglieder. Etwa 15 Minuten nach dem Start meldete Thurner seinem Kommandanten, dass die Schubumkehr des linken Triebwerks aufgefahren war. Der Jet kippte sofort nach links in die Tiefe und zerbrach noch in der Luft. Die Menschen an Bord hatten keine Chance, das Unglück zu überleben.
Airline-Gründer Niki Lauda (zu diesem Zeitpunkt selbst im Besitz eines Typeratings für die 767) erklärte nach Bekanntwerden der Ursache öffentlich: "Kein Pilot der Welt kann eine Maschine in einer solchen Situation noch abfangen. Das ist, wie wenn du 300 km/h mit dem Auto fährst und plötzlich auf einer Seite bremst - nur, dass auf ein Flugzeug noch viel größere Kräfte einwirken." Am heutigen Jahrestag verwies unter anderem der ORF auf Laudas damaliges Zitat.
Diese Aussage ist grundsätzlich nicht so falsch - und dennoch hätte nach Ansicht zahlreicher Fachleute, Piloten und Brancheninsider das Unglück verhindert worden können, denn der Absturz stand am Ende einer langen Kette von katastrophal anmutender Ignoranz und Schlamperei, womöglich gepaart mit einem enormen Druck, der dem Vernehmen nach seitens des Unternehmens auf den Piloten lastete.
Es begann damit, dass es - wie berichtet - allein im Monat vor dem Absturz mehr als 60 Fehlermeldungen im Bordcomputer der "Mozart" gab, die allesamt auf ein Problem mit der Schubumkehr am linken Triebwerk hindeuteten. Doch Lauda Air hat in diesem Zusammenhang Fehlermeldungen "ohne Ursachenanalyse einfach wieder gelöscht, Wartungsmaßnahmen nicht wie vorgeschrieben im technischen Logbuch verzeichnet, angefangene Fehlerbehebungsmaßnahmen nicht zu Ende geführt, Messergebnisse, obwohl sie außerhalb des zulässigen Bereichs lagen, als in Ordnung befunden und sogar unsinnige Wartungsmaßnahmen durchgeführt, die vom Hersteller Boeing gar nicht vorgesehen sind", wie in einem von der österreichischen Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenem Gutachten nachzulesen ist.
Dazu kamen zahlreiche Fehlermeldungen, das Schubumkehrsystem betreffend, in den letzten sechs Monaten vor dem Unglücksflug! Als die "Mozart" schließlich zu ihrer letzten Reise startete, hätte sie nach Ansicht des Gutachters Professor DDipl. Ing. Dr. Ernst Zeibig gar nicht mehr abheben dürfen. Für den technischen Zustand, in dem sich die Unglücksmaschine zum Zeitpunkt des Absturzes befand, trug ausschließlich das Luftfahrtunternehmen Lauda Air die Verantwortung. Austrian Wings liegt in diesem Zusammenhang ein Schriftstück vor, worin ein ehemaliger Lauda Air Techniker erklärt, dass er seiner eigenen Familie - noch vor dem Absturz der "Mozart"! - verboten habe, mit Maschinen des Unternehmens zu fliegen, weil er deren technischen Zustand für gefährlich hielt.
Doch selbst, als die "Mozart" in Bangkok gestartet war, hätte es noch eine Möglichkeit gegeben, das Unglück zu verhindern. Dann nämlich, wenn die Piloten beim Auftreten der ersten Warnungen im Bordcomputer, die Hinweise auf ein Problem mit der Schubumkehr gaben, so reagiert hätten, wie es ein erfahrener Flugzeugführer gegenüber Austrian Wings erläutert: "Es stimmt, dass Boeing seinerzeit davon ausgegangen ist, dass ein Auffahren der Schubumkehr im Flug grundsätzlich beherrschbar ist. Ein Fehler, wie wir heute wissen, keine Frage. Aber jedem Piloten muss trotzdem absolut klar gewesen sein, dass ein Inflight-Deployment des Reversers eine extrem unangenehme und kritische Sache sein würde. Persönlich kenne ich niemanden, der einfach so mit dem Risiko, dass sich die Schubumkehr öffnet, weitergeflogen wäre. Ich hätte das betreffende Triebwerk beim Aufleuchten der ersten Warnung, dass die Schubumkehr möglicherweise auffahren kann, sofort auf Leerlauf geschaltet, wäre nach Bangkok zurück gekehrt und hätte auf eine eingehende technische Untersuchung bestanden. Weshalb die Kollegen das in jener schicksalhaften Nacht nicht getan haben, darüber kann man nur spekulieren."
Es sei jedoch ein offenes Geheimnis gewesen, dass das Personal bei Lauda Air von Unternehmensseite unter extremem Druck stand. "Im Zweifelsfall flog eine Maschine, denn jeder fürchtete den langen Arm des Chefs", zitierte schon der deutsche Journalist Tim van Beveren in seinem 1997 erschienenen Buch "Runter kommen sie immer" einen Lauda Air Insider.
Und so diskutierten auch die Unglückspiloten Welch und Thurner minutenlang lediglich über die flackernde Warnung das Absperrventil der Schubumkehr betreffend und flogen weiter. Als kurz darauf die Schubumkehr des linken Triebwerkes tatsächlich auffuhr, gab es keine Rettung mehr für die 223 Menschen an Bord der "Mozart". Spätere Versuche ergaben zwar, dass es Testpiloten wahrscheinlich möglich gewesen wäre, die Maschine aus einem solchen Zustand abzufangen, doch für Verkehrspiloten ohne entsprechende Zusatzqualifikation war die Situation schlichtweg nicht beherrschbar, befanden Experten.
Weshalb die Schubumkehr sich damals übrigens tatsächlich aktivierte, konnte aufgrund des großen Zerstörungsgrades des Wracks nicht mehr eruiert werden, wie die offizielle thailändische Untersuchungskommission feststelle. Der österreichische Gutachter Professor Zeibig geht davon aus, dass ein Kurzschluss infolge durchgescheuerter Kabel (ein bei der 767 damals durchaus bekanntes Problem) die Katastrophe ausgelöst hatte - allerdings hatten die Techniker von Lauda Air bis dato darauf verzichtet, diese Kabelstränge zu untersuchen und gegebenenfalls auszutauschen - mit möglicherweise tödlichen Konsequenzen für 223 Menschen.
Text: KJ
Foto: Die Trümmer der "Mozart" im Dschungel von Thailand - Foto: Screenshot YouTube
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