Reportagen

‚Multi-Role Reisetipp‘ Lombardei: „Für alle Sinne"

Vielen der geschätzten Leserschaft muß man zur Region Gardasee wohl nichts Grundsätzliches zu Landschaft, Küche oder Historie vermitteln. Aber in einer der lieblichsten Ecken südlich der Alpen hat unser Autor Georg Mader kürzlich einen exklusiven Geheimtipp entdeckt, den er hier gern weitergeben möchte.

Eigentlich ist das „Agriturismo L’Unicorno“ ein Kulminationspunkt, sowohl im - unverhofften - Zugang zum Fliegen aber auch was Wohlfühlen, Küche und Technikgeschichte betrifft. Das alte Palazzo-artige Landgut befindet sich inmitten von drei Hektaren Weinbergen, Kräutergärten Obst- und Olivenbäumen in der sog. ‚Valtenesi‘, nur wenige Kilometer vom Südwestufer des Gardasees entfernt. Erbaut im Jahre 1654 ist es das älteste Gebäude des Orteils Macesina in der Gemeinde Bedizzole (Provinz Brescia). Es gehört der Familie Becchetti, welche in dieser Region seit 1475 heimisch ist. Corrado und Gabriella Becchetti haben das Anwesen seit 2008 restauriert und nach mehr als sieben Jahren erstrahlt das Haus und seine Nebengebäude in seiner alten Pracht. Heute bietet der Agriturismo rund 10 Themenzimmer an, diese sind von ‚Maestro‘ Corrado mit viel Charme und mit einem Bezug zur näheren Umgebung und Geschichte entstanden.

So z.B. ein Zimmer gewidmet dem italienischen Fliegerpionier und -helden Gabriele D'Annunzio (zu ihm noch später) mit Propellern und Nieten-Möbel aus Flugzeug-Duraluminium. Oder eines den Macchi-Rennflugzeugen des ‚Schneider-Cups‘ der 30er-Jahre gewidmet, die auf dem Gardasee getestet wurden. Eines auch zur Homage an die klassichen Riva-Holzmotorboote die am See gebaut wurden, auf denen sich – auch am Wörthersee - die Bikinischönheiten der 60er-Jahre räkelten. Und dann noch eines in Erinnerung an das legendäre Straßenrennen ‚Mille Miglia‘, das bis 1957 zwischen Brescia und Rom stattfand. Kein Wunder, sammelt Corrado doch auch Oldtimer, von Fiat über Porsche und Austin-Healey bis Moretti-Rennwagen usw.

Georg Mader Reisebericht Italien_007
Georg Mader Reisebericht Italien_006
Georg Mader Reisebericht Italien_005

Im April machte gerade die Fa. Wallbusch im Park des L’Unicorno Katalogfotos mit ‚exklusiver Herrenbekleidung‘ mit Corrado’s Autos. Wen also Oldtimer interessieren, Corrado ist sowohl als Fahrer als auch in der Organisation Teil der Re-Animierung der ‚Mille Miglia‘ die seit einigen Jahren als Oldtimer-Rallye wieder aufgelegt wurde. Stoff genug für lange Fachsimpeleien – die Bechettis sprechen Deutsch und Englisch, Gabi ist zudem Schweizerin… Ah, Du willste fliegen? Si, no problemo…!

Georg Mader Reisebericht Italien_019
Georg Mader Reisebericht Italien_017
Georg Mader Reisebericht Italien_016
Georg Mader Reisebericht Italien_015

Beim Fachsimpeln über alte Macchi-Flugzeuge ist es dann auch nicht lang hin gewesen, dass der ‚Maestro‘ des ‚Einhornhofes‘ auf seinen alten Freund Franco hinweist. Ein Telefonat – und es geht nach Wetterabklärung hinter Corrado’s Jeep gerade mal 2 Kilometer zum kleinen Flugplatz von Bedizzole, nur ca. 6 km landeinwärts vom Seeort Padenghe, das wiederum liegt 5 km nördlich von Desenzano, einem Ort an der Autobahn Venedig-Mailand. Der Platz mit 600 Meter langer Graspiste (Beiname ‚Volare sul Garda‘) war lange Zeit nur für ULs zugelassen. Anfang 2011 kam dann endlich die Absegnung als ‚Aviosuperficie‘ und damit die Zulassung auch für Motorflugzeuge. Wer hinfliegen will, dieser Flugplatz (E 10° 27.00' N 045° 31.13') ist nicht in der AIP und auch nicht im Jeppesen enthalten. Detaillierte Infos wie Koordinaten, etc. entnimmt man dem Avioportolano (avioportolano.it) oder ulm.it.

Franco flog einst F-104 ‚Starfighter‘ in der AMI – jetzt setzt er sich mit dem Gast in ein drei Jahre altes UL ‚Effektor-97‘ aus dem tschechischen Kunovice, eigentlich fast schon ein ‚ausgewachsenes‘ Flugzeug mit Sprechfunk und Fallschirm-Rettungsystem. Er ruft beim Brescia-Tower rein und los geht’s über den spektakulären Gardasee – ein optischer und fotografischer Traum.

Der Autor (rechts) mit dem ehemaligen Starfighter-Piloten im UL.
Der Autor (rechts) mit dem ehemaligen Starfighter-Piloten im UL.

Der alte Haudegen erklärt alle Monte-XY Berggipfel, zeigt hinunter auf Saló wo Mussolini noch bis 1945 eine pro-deutsche Nationalrepublik führte und erinnert den Österreicher an die alten Frontlinien am nördlichen Ende des nun immer schmaler werdenden, 52 km langen Gewässers. Man solle nach Rovereto fahren, in der Festung sei das offizielle Museum über Italiens Gebirgskrieg mit Österreich-Ungarn, da hänge eine Nieuport und etliche andere fliegerische Zeugnisse (- haben wir gemacht). Franco fliegt natürlich noch eine zweite Runde mit Frau Gemahlin - und was hat der Spaß gekostet? Für Freunde von Corrado – speziell wenn sie darüber weitererzählen - eine Umarmung, Mozartkugeln und Fliegerzeitschriften. Der Mann hat dort übrigens im Hangar einen 2-Mann Eigenbau-Doppeldecker - vor der Zulassung.

Georg Mader Reisebericht Italien_008

Gott wohnt in Frankreich. Aber zum Schlemmen fährt er nach Italien, genauer in die Lombardei. Das behaupten sie südlich des Sees. Denn gerade dort hat die italienische Küche viel mehr zu bieten hat als 08/15-Pizza oder Spaghetti Carbonara. In der Region widmet man sich seit Jahrtausenden mit Leidenschaft der Herstellung der denkbar besten Lebensmittel, auf der Suche nach Perfektion bzw. den einfachen Nahrungsmitteln durch Veredelung mehr Wert zu verleihen. Noch im kleinsten Tortellino – gefüllt mit Ricotta, Kürbis, Schweine- und Rindfleisch oder Wild – stecken Erfahrung und Geduld. Die Käsekocher der Po-Ebene bieten hier am Valtenesi z.B. den würzig-körnigen lombardischen Grana Padano - nicht nur gerieben über Pasta, sondern auch als kleiner Imbiss bröckchenweise ein Genuss. Gehört zu Italien wie Eis und Amore. Und auf dem ‚Einhorn‘-Landgut stehen die Bechettis nicht zurück und erzeugen und verkaufen Olivenöl, Gropello-Weine, Marmelade, Chutneys und vieles mehr, alles aus Eigenproduktion und sehr hochwertig. Und – wenn ein solches gewünscht ist – serviert Corrado selbst das Fünfgang-Dinner, auch wenn man der einzige Gast ist…

Ein Ausflugstipp mit auch fliegerischem Österreich-Bezug

Nur ein paar Kilometer nördlich von Padenghe bzw. eine halbe Stunde Autofahrt von Corrado’s Paradies befindet sich in Gardone Riviera ein bemerkenswertes Museum. Jener Dichter und Flieger Gabriele D'Annunzio liegt dort in einem Sakropharg an der Spitze eines Mausoleums, oberhalb von seinem Palast, welcher heute das exzentrische Museum „Vittoriale degli Italiani“ beherbergt. D'Annunzio wurde Nationalheld – und ist es bis heute – weil er ab Juli 1915 Propagandaflüge nach Triest, Trient und Zara durchgeführt hatte (Italien hatte mit der dreimotorigen Caproni Ca-1 bereits ab Kriegsbeginn ein damals taugliches Langstreckenflugzeug), besonders aber weil er im August 1918 11 unbewaffnete Flugzeuge bis über Wien führte und über der Residenzhauptstadt 300.000 Propaganda-Flugblätter gegen Habsburg abwarf. Und das auch noch schön fotografierte.

Abwurf von Flugblättern ...
Abwurf von Flugblättern ...

Sieben Maschinen kehrten nach sieben Stunden wieder zurück nach San Pelagio bei Padua. Selbst die konservative Reichspost bezeichnete den ‚Angriff‘ in Folge als „herausragende aviatische Leistung, die nicht aus politischen Gründen heruntergespielt werden sollte!“ D'Annunzio und die anderen sieben Piloten wurden überall begeistert gefeiert. Ihre Aktion war zwar für den kurzen restlichen Kriegsverlauf völlig bedeutungslos, wurde aber propagandistisch weidlich ausgeschlachtet. 1924 wurde D’Annunzio auf Vorschlag der bereits faschistischen Mussolini-Regierung durch König Viktor Emanuel III. sogar geadelt.

Georg Mader Reisebericht Italien_013

Und hier beginnt eine Auffälligkeit, die man auch im Vittoriale Museum auf Schritt und Tritt bemerkt. Oder besser ein Unterschied im Zugang zur faschistischen Vergangenheit bzw. Diktatur. Denn mit breiter Unterstützung Mussolinis konnte sich der bis zu seinem Tod 1938 stets in Uniform abgebildete Fliegerheld des Weltkrieges oberhalb von Gardone ein wahres Männer-Helden-Technik-Disneyland erschaffen. Eines der Flugzeuge vom Wien-Flug (Ansaldo S.V.A 5.) hängt in einem eigenen Dom samt Kinosaal, dann gibt es auf dem Gelände verteilt noch so ein italienisches Motortorpedoboot wie es 1918 den österreichischen Schlachtkreuzer S.M.S. Szent Istvan ‚lanicerte‘, einen halben in den Berg gebauten italienischen Kreuzer ‚Puglia‘ dessen Bug auf den Gardasee hinauszeigt und in dessen Vordersteven sich italienische und deutsche Schiffsmodelle befinden.

Georg Mader Reisebericht Italien_014
Georg Mader Reisebericht Italien_003

Dazu zuhauf Autos, Geschütze, Waffen usw. Es soll ja auch nördlich der Alpen Fliegerhelden des 1. Weltkrieges gegeben haben, die dann vom Faschismus ‚gepusht‘ wurden. Aber weder würden deren ‚Karinhalls‘ und Obelisken sorgsam und mit öffentlichen Geldern erhalten, noch weniger würden jene wohl auf dem Exkursionskalender unserer Schulklassen stehen. In ‚Vittoriale‘ jedoch – es war ein Wochentag – war hunderten lärmenden oder Smartphone-fixierten italienischen GymnasiastInnen kaum zu entgehen…

Georg Mader Reisebericht Italien_010

Deutlich anderer Zugang zur Vergangenheit

Auf die österreichisch begründete Frage schließlich nach dem Warum, meinte übrigens eine der begleitenden Professorinnen - sinngemäß - dasselbe wie Tage zuvor der Marketing-Direktor des Alenia-Aermacchi Werks (seit Mai nun Fa. ‚Leonardo‘ und mit dem M346 Trainer auch für Österreich relevant) bei Varese, angesichts der wunderbar restaurierten und angeblich flugfähigen Macchi MC205 ‚Veltro‘ in voller faschistischer Markierung in der Eingangshalle: „Das ist doch unsere Geschichte, die müssen die Jungen kennen. Außerdem ist es eher ein Zeichen auch der politischen Reife, dass ein Land nicht alle Spuren und Zeugen einer auch negativen Periode der Vergangenheit vernichtet. Deswegen ist das alles ja trotzdem passiert, speziell in der Technikgeschichte. Und diese hat eine gerade Linie, bis ins Heute. Man kann ein Erbe bewahren – und trotzdem davon politisch Abstand nehmen."

Hm. Welchen Flieger sollten wir in eine – hypothetische – Eingangshalle stellen? Die Farbbeutel wären wohl nur eine Frage der Zeit. Interessanter Unterschied jedenfalls, die Italiener sind uns so nah - und doch so fern. Auch ablesbar an den vielen ‚Duce‘-Büstchen und Fridge-Magnets allerorts. Jener für uns vielleicht zu ‚simple‘ Zugang zur Vergangenheit mit deutlich weniger ‚Bewältigung‘ bzw. generell politische Ideologien sollten dennoch bitte Niemanden aufhalten: Verbringt ein paar tolle Tage bei den Bechettis, am Flugplatz Beddizole, über und am See, gebt Euch die neuen Roller-Coasters ‚Raptor‘ und ‚Oblivion‘ im Themenpark ‚Gardaland‘, fahrt zum Turm von San Martino über dem nur eine halbe Stunde entfernten Schlachtfeld bei Solferino von 1859, per Seilbahn auf den Monte Baldo - oder besucht Hrn. D’Annunzio’s Männerwelt! Grazie per l'attenzione.

Text & Fotos: Georg Mader