Reportagen

TWA 800 – Mysteriöser Absturz vor New York Teil II

Das rekonstruierte Wrack - Foto: NTSB

Im Juli 1996, zwei Tage vor den Olympischen Sommerspielen, stürzte eine Boeing 747 der traditionsreichen amerikanischen Fluglinie Trans World Airlines vor Long Island, New York, nach einer Explosion ins Meer. In Anbetracht dieses zeitlichen Kontextes kamen rasch Vermutungen auf, es könnte sich um einen Terroranschlag gehandelt haben. Doch die Ursache für den Absturz war viel trivialer und erschreckender. Austrian Wings blickt auf die Ereignisse jenes Sommertages vor 20 Jahren zurück und beleuchtet die Konsequenzen, die aus dieser Tragödie gezogen worden sind. Im zweiten Teil unserer Reportage lesen Sie, wie die Ermittler der Unglücksursache auf die Spur kamen.

Die Rekonstruktion des Unglücks
Anhand des aus rund einer Million Einzelteilen rekonstruierten 94 Fuß langen Rumpfstückes der verunglückten Boeing 747, konnten die Ermittler recht bald den Ausgangspunkt der Explosion lokalisieren - den Bereich des zentralen Flügeltanks (CWT).

Nach und nach rekonstruieren sie den Ablauf der Tragödie: um 20:19 Uhr hob TWA 800 vom Flughafen JFK ab und erhielt um 20:25:41 die Anweisung „Climb and maintain FL 190“, also auf 19.000 Fuß zu steigen. Nur 43 Sekunden später wurde die Anweisung abgeändert und lautete nun den Steigflug in 13.000 Fuß zu beenden. Um 20:29:15 bemerkte der Kapitän, dass der „Fuel Flow Indicator“ für Triebwerk Nummer 4 abnormale Werte anzeigte, „verrückt spielte“. Eine Minute später erhielt TWA 800 die Freigabe für 15.000 Fuß, was um 20:30:18 von Cpt. Snyder über Funk bestätigt wurde, während Cpt. Kevorkian „Climb power“ forderte, die um 20:30:35 vom Flugingenieur mit den Worten „Power's set“ bestätigt wurde. Nichts deutete darauf hin, dass TWA 800 nur 37 Sekunden später explodieren sollte.

Um 20:31:12 Sekunden befand sich Flug TWA 800 mit ca. 650 km/h und noch rund 165.000 Pfund Treibstoff an Bord, in etwa 14.000 Fuß Höhe, als sich im CWT eine massive Explosion ereignete, die zu einem Loch in der unteren Rumpfstruktur führte. Sofort bildeten sich rund um die Explosionsstelle weitere Risse, die nach nur vier Sekunden dazu führten, dass sich der Bug - ähnlich wie bei Pan Am 103 über Lockerbie - vom restlichen Rumpf löste und in den Atlantik vor Long Island stürzte, während der Hauptteil der 747 mit den Tragflächen, einen langen Feuerschweif hinter sich herziehend, steil nach oben stieg, bis er etwa 16.000 Fuß Höhe erreicht hatte, bevor die Strömung abriss, das Wrack anschließend in einen steilen Sturzflug überging und schließlich einige Sekunden später 12 Meilen vor Long Island auf der Wasseroberfläche aufschlug, wobei alle 230 Menschen an Bord sofort den Tod fanden.

Nun wussten die Unfallermittler des NTSB zwar genau, was geschehen war, doch die Ursache für die Explosion war nach wie vor die große Unbekannte. Sie standen vor einem Rätsel. Bob Swaine, ein Mitglied des NTSB Teams, stellte schließlich die Theorie auf, dass die Zündquelle bei der Verkabelung innerhalb des Tanks zu finden sein musste. Doch selbst ein fehlerhaftes Kabel alleine konnte eine solche Explosion nicht ausgelöst haben, denn Jet A Fuel ist schwer entflammbar. Außerdem war der Center Wing Fuel Tank mit einem Inhalt von nur rund 300 Pfund (etwa 180 Liter) fast leer - doch sollte etwa genau hier des Rätsels Lösung liegen?

Die Ermittler stellten nämlich in weiteren Tests fest, dass sich in einem weitgehend leeren CWT, ein Treibstoff-Luftgemisch bilden kann, dessen Flammpunkt bei lediglich etwa 35 Grad Celsius liegt. Doch war es überhaupt möglich, dass innerhalb des Tanks diese Temperatur erreicht werden konnte?

Explosives Benzin-Luftgemisch im CWT & beschädigte Kabel
Um dies herauszufinden, wurde im Juli 1997 eine Boeing 747-121 von Evergreen mit Testsensoren im CWT bestückt und dieser mit exakt der gleichen Menge Treibstoff befüllt wie der CWT von TWA 800 am Unglückstag. An einem heißen Tag, ähnlich dem 17. Juli 1996, parkte diese Maschine mit laufenden Klimaanlagen, deren Aggregate sich direkt unterhalb des CWT befinden, 2 Stunden und 45 Minuten auf dem Vorfeld, ehe sie startete. Nach 12 Minuten und in einer Höhe von 14.000 Fuß, jener Höhe also, in der TWA 800 explodiert war, stellten die Experten mit Entsetzen fest, dass die Temperatur im zentralen Rumpftank bei 53 Grad Celsius (127 Grad Fahrenheit) und damit sogar 18 Grad Celsius über dem Flammpunkt des Benzin-Luftgemisches lag!

Diese Grafik zeigt die Anordnung der Air Conditioning Packs unterhalb des CWT - Grafik: NTSB

Damit war zwar der wissenschaftliche Beweis über die Möglichkeit der Bildung eines explosiven Gases im CWT erbracht, allerdings gab es nach wie vor keinen zuverlässigen Hinweis auf eine mögliche Zündquelle. Zwar verlaufen im CWT der Boeing 747 elektrische Leitungen für die Treibstoffanzeigen, doch sind diese einerseits isoliert und führen andererseits nur eine niedrige elektrische Spannung, die selbst bei beschädigter Isolierung nicht in der Lage wäre, das explosive Gemisch zu zünden.

Dennoch waren die Unfalluntersucher überzeugt, auf der richtigen Fährte zu sein, und sie sollten recht behalten. Denn außerhalb des Treibstofftanks verlaufen exakt diese Kabel in gemeinsamen Kabelsträngen u. a. mit Leitungen für die Kabinenbeleuchtung, die weitaus höhere Spannungen transportieren.

Die Unfallermittler rekonstruierten genau, welche Menge Kraftstoff sich in welchen Tanks befand - Grafik: NTSB
 

An und für sich wäre auch dies unproblematisch, solange die Isolierungen intakt sind. Doch im Falle beschädigter Kabel könnten Kurzschlüsse ausgelöst werden und dadurch höhere Spannungen in den CWT gelangen, die dort zur Explosion des Treibstoff-Luftgemisches führen könnten, so die Theorie der Experten. Tatsächlich wurden auch in den Überresten von Flug TWA 800 beschädigte Kabel gefunden, doch nicht in ausreichender Menge um diese Theorie beweisen zu können. Deshalb nahm man andere 747 ähnlichen Alters unter die Lupe und entdecke massenweise Kabel, deren Isolierungen beschädigt waren. Ein weiteres Indiz - bereits im Jahr 1989 hatte vermutlich ein Kurzschluss dazu geführt, dass sich während des Fluges die rechte vordere Frachtraumtüre einer 747-122 der United Airlines öffnete - 9 Menschen starben, als dadurch Teile des Rumpfes und mehrere Passagiersitze herausgerissen und in den Pazifik geschleudert wurden.

Dies alles untermauerte die Theorie des NTSB, dass sich an Bord von TWA 800 im elektrischen System ein Kurzschluss ereignet haben musste, der dann wiederum dazu geführt hatte, dass eine hohe elektrische Spannung in den CWT gelangen und dort das hochexplosive Jet A Treibstoff-Luftgemisch entzünden konnte. Um herauszufinden, ob eine solche Explosion überhaupt genügend Energie hat um die Zwischenwände des CWT und die Außenhaut der 747 zu zerstören, wurden ein 1:1 Modell des CWT der 747 nachgebaut und die erhitzten Treibstoffdämpfe darin zur Explosion gebracht - mit verheerender Wirkung. Damit schien der Fall gelöst, wenngleich die exakte Zündquelle aufgrund des Zerstörungsgrades der Unglücksmaschine nicht mehr festgestellt werden konnte.

Im Abschlussbericht des NTSB heißt es zur Theorie der Ermittler wörtlich:

The source of ignition energy for the explosion could not be determined with certainty, but, of the sources evaluated by the investigation, the most likely was a short circuit outside of the CWT that allowed excessive voltage to enter it through electrical wiring associated with the fuel quantity indication system.

Dieses Ergebnis der Ermittlungen war alles andere als beruhigend, denn über 1.200 Boeing 747 waren zu dieser Zeit weltweit im Einsatz, und in jeder einzelnen konnte es - theoretisch - jederzeit zu einer Explosion im Center Wing Fuel Tank kommen.

Die Konsequenzen
Als Konsequenz aus dem Absturz von TWA 800 gab die amerikanische Luftaufsichtsbehörde FAA zahlreiche Direktiven heraus, in denen die Betreiber der Muster 747-100/200/300 aufgefordert wurden, die elektrischen Leitungen ihrer Maschinen auf Beschädigungen zu kontrollieren, insbesondere im Bereich und innerhalb des CWT. Außerdem sollten die Flughandbücher dahingehend überarbeitet werden, dass die Besatzungen auf die Möglichkeit der Erhitzung des CWT hingewiesen werden. Es wurde gefordert, dass d
ie Generatoren für die Klimaanlage durch zusätzliche Isolierungen so abgeschirmt werden, dass eine Wärmeabstrahlung auf den CWT unterbunden wird. Generell stellte das NTSB fest, dass die „bisherigen Standards beim Einbau der Verkablungen keinen ausreichenden Schutz vor Kurzschlüssen bieten.“

Deshalb wurde als weitere Maßnahme die Einführung eines Systems gefordert, mit dessen Hilfe der CWT mit Stickstoff aufgefüllt werden kann, sofern sich kein oder nur sehr wenig Treibstoff darin befindet, um die Bildung explosiver Dämpfe zu verhindern. Doch dieses System ist selbst heute, 20 Jahre nach dem Unglück, noch immer nicht eingeführt worden. Insgesamt gab es seitens der FAA rund 70 Empfehlungen zur Verbesserung der Flugsicherheit nach dem Absturz.

All diesen Erkenntnissen und Vorschriften zum Trotz halten sich nach wie vor Verschwörungstheorien, TWA 800 sei von einer Rakete abgeschossen worden. Handfeste Beweise für ihre Thesen bleiben die Betreiber entsprechender Webseiten allerdings schuldig.

Die Überreste des Wracks befinden sich heute in einer NTSB-Einrichtung in  Ashburn, Loudoun County, Virginia und dienen zur Aus- und Fortbildung von Flugunfallermittlern.

Deutlich sind auf dieser Aufnahme mehr als drei Fensteröffnungen im Oberdeck zu erkennen. Da die Unglücksmaschine dort jedoch auf jeder Seite nur über drei Fenster verfügte, behaupten Verschwörungstheoretiker gerne, dass es sich dabei gar nicht um das originale Wrack handelt - Foto: NTSB
Bei näherer Betrachtung ergibt sich jedoch des Rätsels Lösung: Die 747-100/200 waren wahlweise mit 3 oder 10 Fenstern pro Seite im Oberdeck erhältlich. TWA entschied sich für die Version mit 3 Fenstern, während die übrigen 7 Fenster mit Metallblenden verschlossen wurden. Sie sind auf dieser Aufnahme deutlich zu erkennen. Durch die Explosion und den Aufprall wurden sowohl die Fensterscheiben als auch die Metallblenden aus ihren Halterungen gerissen - Foto: Jon Proctor via Wikipeda Commons GFDL 1.2.
Auf dieser Nahaufnahme ist gut zu erkennen, dass die Metallblende der vordersten Fensteröffnung noch vorhanden ist - Foto: NTSB

Auch, wenn es für die Hinterbliebenen nur ein schwacher Trost sein mag, der auch durch die langen Übergangsfristen noch getrübt wird - durch die schlussendlich vom NTSB als Konsequenz aus dem Absturz empfohlenen und  (zumindet teilweise) umgesetzten Verbesserungen, haben die 230 Opfer von Flug TWA 800 nachträglich dazu beigetragen, die Luftfahrt wieder ein Stück sicherer zu machen. Und seit 2004 haben die Hinterbliebenen zudem die Möglichkeit bei dem im Smith Point County Park in Shirley, New York, errichteten Memorial ihrer viel zu Früh verstorbenen Lieben zu gedenken.

(red CvD)