Punktlandung

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Norwegian: Schlecht qualifizierte Cockpitcrews zum Dumpingpreis?

Symbolbild Norwegian - die Vereinigung Cockpit sah die Sicherheit bei dem norwegischen Billigflieger schon im Februar 2014 in Gefahr; jetzt ereignete sich ein Zwischenfall, der von Insidern durchaus als gefährlich eingstuft wird - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew

Am 4. November dieses Jahres ereignete sich an Bord einer Norwegian-Maschine (operated by "Go2Sky", ein Unternehmen mit Sitz in der Slowakei)ein Zwischenfall, der auf eine offensichtlich nicht korrekt arbeitende und scheinbar völlig überforderte slowakische Cockpitcrew zurückzuführen war - aufgedeckt wurde der Skandal durch den Branchendienst "Aviation Herald". Könnte das ein Vorgeschmack darauf sein, was Passagieren blüht, wenn prekären Beschäftigungsverhältnissen bei Billigfliegern nicht endlich nachhaltig vom Gesetzgeber Einhalt geboten wird? Eine Punktlandung aus gegebenem Anlass.

Am 4. November 2016 sollte eine Boeing 737-800 (LN-NII) als Flug DY 277 von Kristiansand nach Oslo fliegen. Während die Kabinenbesatzung aus Norwegern bestand, saßen im Cockpit zwei slowakische Piloten, die von Norwegian offenbar über das ebenfalls slowakische Unternehmen Go2Sky angemietet worden waren - ebenso wie das Flugzeug selbst (Wetlease). Eine Kombination, die schon verdächtig danach aussieht, als ginge es dem Unternehmen darum, Kosten zu senken und gleichzeitig Druck auf die Stammbelegschaft aufzubauen - insbesondere, da die Norwegian-Piloten in der Vergangenheit bereits für faire und bessere Arbeitsbedingungen gestreikt hatten.

Nachdem die 737 Piste 04 eingebogen war, beschleunigten die Männer im Cockpit den Jet - um den Startlauf nach wenigen Sekunden wieder abzubrechen, da sie eine "Take Off Configuration-Warning" erhielten. Sofern es sich nicht um einen Fehlalarm gehandelt hat, bedeutet ein solcher Alarm, dass die Piloten schwerwiegende Fehler bei der Konfiguration des Flugzeuges gemacht haben, die bei korrekter Abarbeitung der Checklisten nicht passieren hätten dürfen. Klassischerweise wurden in so einem Fall nämlich die Landeklappen nicht ausgefahren. In diesem Fall hatte die Crew "nur" auf die Parkbremse vergessen, wie die Airline gegenüber Austrian Wings einräumte. Ein Fehler, der einer gewissenhaften Crew eigentlich nicht passieren sollte.

Der Startabbruch als Reaktion auf die Warnung war zwar die grundsätzlich richtige Entscheidung, was dann folgte, allerdings ein Trauerspiel: Die Crew stoppte die Maschine mitten auf der Piste, der Erste Offizier schaltete beide Triebwerke ab - mit dem Ergebnis, dass der Strom in der Kabine ausfiel. Die Insassen an Bord fanden sich plötzlich im Dunkeln wieder. Die Flugbegleiter erhielten keinerlei Information aus dem Cockpit und beruhigten die verunsicherten Passagiere. Währenddessen ließen die slowakischen Piloten die beiden Turbinen wieder an und setzten Startleistung, ohne die noch in der Kabine stehenden Flugbegleiter darüber zu informieren.

Während des Steigfluges war im vorderen Kabinenbereich deutlich ein aus dem Cockpit kommendes Warnsignal zu vernehmen, doch wiederum erfolgte seitens der Piloten keinerlei Information an Flugbegleiter oder Passagiere. Da die Cabin Crew Probleme mit dem Kabinendruck bemerkte, legte sie selbstständig ihre Sauerstoffmasken an. Der Flug nach Oslo wurde in 15.000 Fuß (anstatt der üblichen 30.000 Fuß) fortgesetzt. Nach der Landung bestanden die Flugbegleiter darauf, dass es nun eine Information für die Passagiere geben müsse, doch seitens der slowakischen Flugzeugführer wurde lediglich eine kaum verständliche Ansage in schlechtem Englisch gemacht, in der von einem "falschen Schalter" die Rede war, so der "Aviation Herald". Eine Meldung dieses Vorfalls an die norwegische Luftfahrtbehörde dürfte seitens des Billigfliegers nicht erfolgt sein, jedenfalls hieß es auf Nachfrage des "Aviation Herald" vom 23. November, dass der Fall nicht bekannt sei. Erst später fühlte man sich bei Norwegian offenbar bemüßigt, diesen gefährlichen Vorfall zur Anzeige zu bringen.

Das Verhalten der Piloten im Cockpit lässt jeden wahren Professionisten in diesem Beruf sprichwörtlich die Haare zu Berge stehen. Die Kommunikation war unter jeder Kritik und die fachliche Arbeitsleistung (Flugzeug nicht für den Start konfigurieren, nach einem Startabbruch beide Triebwerke abschalten, Gefährdung der Kabinenbesatzung durch nicht vorhandene Kommunikation ...) ebenfalls derart katastrophal, dass dem Verfasser angst und bange bei der Vorstellung wird, wie sich derartige "Spezialisten" wohl bei einem Notfall, etwa einem Triebwerksbrand, in der Luft mit anschließender Notlandung verhalten hätten. Ähnlich sahen das wohl auch die Flugbegleiter: Sie weigerten sich nach diesem Vorfall, weiter mit diesen Piloten zu fliegen und beendeten ihren Dienst.

Arbeitsbedingungen bei Norwegian im Kreuzfeuer der Kritik
Die Arbeitsbedingungen bei Norwegian stehen schon länger in der Kritik - so recherchierte etwa der "Berufsverband Cockpitpersonal Swiss" vor rund einem Jahr folgende Informationen: Im Juli 2015 liefert eine Umfrage der Norwegian Pilot Group erschreckende Ergebnisse: die Hälfte der Piloten der Norwegian ist unzufrieden, darüber hinaus sehen sich 50% der Piloten langfristig nicht mehr in diesem Unternehmen. Ein Drittel der Befragten suchen schon aktiv nach einer neuen Anstellung, in der Hoffnung dort bessere Arbeitsbedingungen vorzufinden. Während lediglich 2% der Beschäftigten von der Airline direkt angestellt sind, sind mit 94% der Piloten eine erdrückende Mehrheit lediglich über Tochterfirmen und Broker-Firmen beschäftigt.

Dass die Qualifikation einiger Piloten als Verkehrsflugzeugführer offenbar nur auf dem Papier besteht, wird angesichts dieses gerade noch einmal glimpflich ausgegangenen Vorfalls deutlich. Ein altes Sprichwort besagt: "If you pay peanuts, you'll get monkeys." Das scheint auch hier zuzutreffen. Sicherlich sind nicht alle Piloten bei Norwegian ein potentielles Sicherheitsrisiko, doch wie Umfragen ergeben haben, versucht eine hohe Anzahl, den Carrier rasch wieder zu verlassen. Und das wohl nicht ohne guten Grund. Schließlich hat auch die Vereinigung Cockpit bereits 2014 Sicherheitsbedenken hinsichtlich Norwegian angemeldet. Ein hoher Druck auf die Piloten, schlechtes Betriebsklima und unsichere Beschäftigungsverhältnisse sind generell ein fruchtbarer Nährboden für Zwischen- und Unfälle und unglücklicherweise verhältnismäßig oft bei Billigfliegern anzutreffen.

Kunden in der Verantwortung
Unglücklicherweise sind die Passagiere zum Teil selbst schuld an dieser äußerst bedenklichen Entwicklung, die nicht nur auf Norwegian beschränkt ist. So lange Reisende nämlich ohne schlechtes Gewissen Flugtickets kaufen, die günstiger angeboten werden, als die Taxifahrt zum Flughafen und dabei noch nicht einmal auf die Idee kommen, dass sie sich damit selbst in Gefahr begeben, weil die Qualität der Cockpitcrews nicht mehr durchgehend gewährleistet werden kann, so lange wird das Geschäft der Billigflieger florieren - und damit werden auch große Netzwerkcarrier, die ihre Piloten streng selektieren und für viel Geld bis weit über das gesetzliche Mindestmaß hinaus qualifizieren, unter Druck gesetzt. Früher oder später werden auch sie gezwungen sein, ihre Qualitätsstandards abzusenken, wenn sie mit den Preistreibern mithalten wollen. Doch ist das wirklich erstrebenswert? Sicherlich nicht.

Im Sinne der Flugsicherheit und zum Schutz der der "Geiz-ist-geil-Mentalität" verfallenen Passagiere vor sich selbst, wären die europäischen Gesetzgeber daher gut beraten, prekäre Arbeitsbedingungen wie bei Norwegian, Ryanair und Co endlich dauerhaft und nachhaltig zu unterbinden. Anderenfalls wird der Wahn der Manager, die Kosten um jeden Preis auf Kosten der Qualität zu drücken, irgendwann zu Unfällen mit Todesopfern führen. Dann aber bitte möge niemand sagen, er sei nicht rechtzeitig gewarnt gewesen.

Text: HP

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.