Reportagen

Aus der kleinen DDR in die große Welt: Linientreu auf Linie

Tu-134 der Interflug - Foto: Wikipedia / CC BY 3.0

Am 18. September 1958 wurde in Ost-Berlin die INTERFLUG als staatliche Fluggesellschaft der DDR offiziell gegründet. Zweiunddreissig Jahre und fast fünf Monate später, am 7. Februar 1991, fand der letzte Linienflug von ihrer Basis in Berlin-Schönefeld nach Wien statt. Dann hörte sie von einem auf den anderen Tag auf zu existieren. Eine Ära des internationalen Luftverkehrs war damit beendet. Eine Beitrag von Ted Wende.

Zugegeben: Von Aussen betrachtet erschien die kleine DDR als ein hermetisch abgeschottetes Land, deren Bürger wie in einem großen Käfig gehalten wurden. Die regierende Staatspartei wachte über das Leben der Menschen. Und schon von Kindesbeinen an war dieses mehr oder weniger stark durchgeplant und reglementiert. Abweichungen von der sozialistischen Norm erregten deshalb leicht Verdacht, und ein allzu kritisches Hinterfragen des Bestehenden war generell nicht erwünscht. So blieb oft nur die Flucht in Parallelwelten, um dem grauen Alltag zu entfliehen. Wie etwa der Traum vom Reisen zu anderen Kontinenten und Kulturen. Am Alexanderplatz in Ostberlin stand dafür auch eigens das Haus des Reisens bereit. Allerdings: Gehegte Sehnsüchte des Einzelnen nach Sphären jenseits des Eisernen Vorhangs mussten in den allermeisten Fällen unerfüllte Phantasien bleiben, waren doch für das Gros der Bevölkerung nur ganz wenige, sorgfältig ausgewählte Länder des ehemaligen Ostblocks real überhaupt erreichbar. Dennoch – und das mutet in der Rückschau fast schon paradox an - gab es in der DDR mit der INTERFLUG eine Fluggesellschaft, deren breitgefächertes Liniennetz von keiner Mauer beschränkt war und das sich in seiner Gesamtheit weit über ideologische Grenzen hinaus und in alle vier Himmelsrichtungen erstreckte. Denn rein theoretisch konnte man mit der INTERFLUG nach Kairo oder Kopenhagen ebenso unproblematisch reisen wie etwa nach Helsinki oder Havanna. Sie verband die DDR mit dem Rest der Welt. Und ihre Heimatbasis in Berlin-Schönefeld versprühte bei einem Besuch sogar ein gewisses internationales Flair.

IL-14 auf dem im Bau befindlichen Flughafen Berlin Schönefeld - Foto: Bundesarchiv

Ein Traum, nur ein Traum
Tatsächlich aber kamen dann nur die wenigsten der Menschen zwischen Ostsee und Erzgebirge auch in den Genuss eines Fluges mit einem der Mittel- und Langstreckenjets aus sowjetischer Produktion. Im Alltag der Großstadtbewohner, auf Plakaten und überdimensionalen Werbebannern an markanten Orten wie großen Plätzen oder Überführungen, bot die INTERFLUG zwar Jedermann ihre Dienste an – doch tatsächlich in Anspruch nehmen konnten diese nur wenige Ausgewählte: Künstler etwa, die beruflich ins Ausland reisten, hohe Parteikader oder aber Besatzungen von Hochseefrachtern – und Frischtrawlern, die turnusgemäß auf dem Luftweg ausgetauscht wurden. Hauptsächlich waren es vielmehr zahlungskräftige Passagiere aus dem westlichen Ausland, denen dieses Privileg vorbehalten blieb und die so das Hauptkontingent der Sitzplätze füllten. Verglichen mit den Tarifen etwa der LUFTHANSA oder anderer westlicher Mitkonkurrenten waren die Flugtickets der ostdeutschen Staatslinie nämlich in der Regel unschlagbar günstig. Dafür nahm man es als Passagier dann auch billigend in Kauf, zuerst eine gut gesicherte Grenze passieren zu müssen, um überhaupt erst den Flughafen Berlin-Schönefeld auf der anderen Seite der Berliner Mauer zu erreichen. Passenderweise hatte die INTERFLUG zu ihrer Basis auch eigens eine Busverbindung aus Westberlin eingerichtet, deren Fahrzeuge bei der Kontrolle selbstverständlich bevorzugt abgefertigt wurden. Unter dem Strich profitierte die stets devisenklamme DDR in erheblichem Maße von diesem Buhlen um westliches Klientel. Denn das Geld, welches aus den Taschen dieser Menschen in die Kassen von INTERFLUG floss, half am Ende auch, die staatlichen Devisenreserven aufzufrischen. Und darauf kam es am Ende an.

IL-18 auf dem Flughafen Erfurt - Foto: Bundesarchiv

Ein Hauch von Luxus
Losgelöst von möglichen ökonomischen Überlegungen war die Fluggesellschaft stets auch ein internationales Aushängeschild der kleinen DDR. Es lag dabei in den Händen einer hauseigenen Werbeabteilung, das Bild einer zeitlos modernen und attraktiven Fluggesellschaft zu entwickeln und stetig auszubauen. Letztere präsentierte sich so, als ob sie den Vergleich mit anderen Mitbewerbern am Himmel keineswegs zu scheuen bräuchte. So zeigen Prospekte und Broschüren der INTERFLUG über die Jahre hinweg immer wieder glückliche und sorglose Passagiere, denen es an nichts zu fehlen scheint. Vielleicht auch deswegen, weil sie stets von adretten und aufmerksamen Stewardessen umsorgt werden. Beflissenen Gastgeberinnen allesamt, welche ihren Gästen in der Kabine offensichtlich jeden Wunsch von den Augen ablesen und ihnen so auch auf Dienstgipfelhöhe stets ein Gefühl von Heimat und Behaglichkeit zu verschaffen wissen. Das ist ja nun an sich nichts Besonderes, waren und sind solcherlei Qualitäten doch seit jeher eine der Grundvoraussetzungen für den Beruf der Stewardess. Überall und auf der ganzen Welt. Und ganz gleich, bei welcher Fluglinie. Was diese Relikte aus einem untergegangenen und damit bereits so fernen Land aber so besonders macht, das ist der für die DDR sonst so untypische nonchalante Luxus, der an Bord von INTERFLUG-Maschinen einfach dazuzugehören scheint. Natürlich und wie selbstverständlich gab es an Bord ausländische Parfums, erlesene Süßwaren und exotische Früchte wie Bananen und Orangen für alle. Güter also, für die der gemeine DDR-Bürger oft über Stunden hinweg in quälend langen Schlangen anstehen oder sich gar in teure und Westgeld erfordernde Intershops begeben musste. Doch diese Utopie des Überflusses inmitten einer durchorganisierten sozialistischen Plan- und Mangelwirtschaft hat nicht viel mit den seinerzeit herrschenden Realitäten gemein. Denn letztere waren viel komplexer und mitnichten monochrom. Ja, es lebten in der DDR auch Leute, die ständig Westpakete bekamen und die sich vor exotischen Früchten kaum retten konnten. Gleichzeitig aber existieren auch Augenzeugenberichte von INTERFLUG-Stewardessen, sie hätten ihren Gästen an Bord einen Sommer über nur Rhabarbersaft anbieten können - weil es eben keinen Apfelsaft gab. Solche Geschichten mag man heute kaum mehr glauben.

Für Langstrecken nutzte Interflug die IL62M, erst kurz vor der Wende beschaffte sie einige A310, die nach dem Ende der DDR von der Flugbereitschaft der Bundeswehr übernommen wurden - Foto: Felix O via Wikipedia CC BY SA 2.0

Annäherungen an das Gewesene
Die Frage, wie es denn nun wirklich war als Fluggast bei der staatlichen Fluggesellschaft der DDR, die kann pauschal wohl wirklich nie mehr beantwortet werden - wenn dies denn überhaupt jemals möglich war ... Jeder, der einmal mit der INTERFLUG geflogen ist, verbindet heute mit dieser Reise gewiss ganz unterschiedliche Erlebnisse und Erinnerungen. Und die INTERFLUG selbst? Sie hat schon lange aufgehört, zu existieren. Das Land, in dem sie einst gegründet wurde und von wo aus sie auf Linie ging, überlebte sie nur kurz. Und ihre Flugzeuge sind größtenteils verschrottet. Die Umstände aber, welche ihre Auflösung im Frühjahr 1991 begleiteten, sind bis heute Gegenstand teilweise hitziger Diskussionen. Irgendwann jedenfalls war Linientreue nicht mehr wichtig, und es galten plötzlich andere (ökonomische) Gesetze. Viele von denen, die damals direkt betroffen waren, blicken immer noch mit Wut oder Traurigkeit auf die Ereignisse jener Tage zurück. Manche von ihnen blieben der Fliegerei an anderer Stelle auch weiterhin treu. Andere aber waren dazu gezwungen, sich komplett umzuorientieren. Dinge, so wie sie sich einmal zugetragen haben, zu ergründen, das ist heute nur noch in Annäherungen möglich. Und doch wird es am Ende niemals so sein, als ob man selbst dabei gewesen wäre.