Martijn Karssemeijer betrachtet die Aufzeichnung seiner Flugroute. Überall auf der Strecke von Teheran nach Frankfurt finden sich Punkte. Sind sie weiß, war die Luft ruhig. Grüne Punkte zeigen dem Senior First Officer auf der Boeing 747 leichte vertikale Luftbewegungen an. Wären gelbe oder orangefarbene Punkte zu sehen, bedeutete dies: Turbulenzen.
Turbulenzen kommen manchmal buchstäblich aus heiterem Himmel. Erst ein leichtes Ruckeln, dann ein Absacken – und schon leuchten die Anschnallzeichen auf. Meist gehen sie so schnell vorüber, wie sie gekommen sind. „Noch gibt es keine flächendeckenden Vorhersagen, die eine ausreichende Genauigkeit und Verlässlichkeit aufweisen“, sagt der 43-Jährige. Bisher erhalten Piloten beim Briefing einen Wetterbericht, der lediglich Flugabschnitte von mehreren Hundert Kilometern kennzeichnet, in denen es „bumpy“ werden kann – aber nicht muss. „Das hilft uns nur bedingt“, sagt A380-Copilot Oliver Matz.
Doch bald könnte es möglich sein, dass Lufthansa-Piloten genauer wissen, wo sie Turbulenzen erwarten müssen und wie stark diese sind. Modellvorhersagen sollen Turbulenzen auf der Navigationskarte im Cockpit anzeigen. Zur Überprüfung der Vorhersage wird die Messmethode der Eddy Dissipation Rate (EDR) auf dem Electronic Flight Bag (EFB) im Cockpit eingesetzt, die eine Spur von weißen, grünen, gelben und orangefarbenen Punkten erzeugt. Mit der EDR wird ermittelt, wie sich die Energiemenge in der Atmosphäre zerstreut – unabhängig von Größe, Gewicht und Geschwindigkeit des Flugzeugs.
Durchfliegt ein Flugzeug eine Turbulenz, registriert das System automatisch die Stärke der Erschütterung auf einer Skala zwischen null (ruhig) und eins (extreme Turbulenz). Zukünftig könnte das Flugzeug diesen Wert zusammen mit den Koordinaten in Echtzeit über einen Server am Boden zu anderen Flugzeugen senden. Piloten könnten nun auf eine andere Flughöhe ausweichen – oder zumindest Flugbegleiter und Passagiere frühzeitig vorwarnen, sagt Karssemeijer. Außerdem könnten die Dispatcher so ihre Flugpläne noch genauer errechnen.
Karssemeijer, der nicht nur Pilot, sondern auch Projektmanager bei Lufthansa ist, war für die Implementierung der EDR-Messmethode auf dem EFB zuständig. „Dazu nutzten wir unterschiedliche Avionikdaten und die verschiedenen Konzepte der In-flight Connectivity‘“, erläutert Matz. Zusammen mit Karssemeijer testete er das neue System erfolgreich auf zwei Flügen nach Frankfurt.
Derzeit werden die Ergebnisse genutzt, um exemplarisch die Qualität der Modellvorhersagen zu überprüfen. Damit wird die Grundlage geschaffen, um für die Airlines der Lufthansa Group ein System zur Vorhersage von Turbulenzen bereitzustellen. Die beiden Piloten sind überzeugt: „Dies macht Flüge für Passagiere und Crews sicherer und angenehmer.“
(red / LH)