rth.info: Sehr geehrter Herr Lohre, Sie sind einer der beiden Key Note Speaker der Veranstaltung, deren Premiere im Vorjahr über die Region Mittelhessen hinaus gewirkt hatte. Welche Themenschwerpunkte werden in diesem Jahr behandelt und mit wie vielen Teilnehmern rechnen Sie?
Günther Lohre: Auf dem Symposium werden vielfältige Themen, von invasiven Techniken über Kindernotfälle bis hin zu Konflikteinsatzlagen, behandelt. Ein besonderes Highlight sind die Zwischenfallsimulationen im Hubschrauber. Anmeldungen sind über www.kongkret.de noch möglich. Wir erwarten 120-150 Teilnehmer.
rth.info: Die vergangenen anderthalb Jahre waren für die Johanniter Luftrettung, aber auch für Sie persönlich, sicherlich sehr ereignisreich, wenn nicht sogar turbulent. Am 1. April 2016 ging der Sekundärtransport-Standort Marl-Loemühle in Betrieb, Anfang Mai 2016 folgte der Dauerbetrieb des “Air Rescue Nürburgring“, am 1. November 2016 wurde am Standort Marl-Loemühle der 24-Stunden-Betrieb aufgenommen, neue Maschinen wurden in Dienst gestellt, Sie haben sich an einigen EU-weiten Ausschreibungen von Luftrettungsstützpunkten beteiligt, und erst vor wenigen Tagen haben Sie mit der Probelandung des Intensivtransporthubschraubers (ITH) “Christoph Rostock“ auf einer Ostseefähre eine neue Duftmarke gesetzt. Soll es in diesem hohen Tempo so weitergehen? Wie sehen Ihre diesbezüglichen Planungen aus?
Günther Lohre: Die Johanniter gibt es seit über 900 Jahren. Sie entstanden Mitte des 11. Jahrhunderts im Heiligen Land als Hospital für christliche Pilger und wandelten sich in Folge des ersten Kreuzzuges 1096-1099 zu einem geistlichen Ritterorden um. Die Johanniter sind stetig gewachsen und haben ihre vielfältigen Dienste ausgebaut. Auch wir von der Johanniter Luftrettung, die bundesweit für die Aktivitäten der Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. in der Luftrettung zuständig ist, wollen wachsen und unsere Dienste immer weiter ausbauen. Die Johanniter sind seit den frühen 1970er Jahren an der Luftrettung beteiligt und können auch auf eine langjährige Erfahrung im Ambulanzflugdienst mit Hubschraubern und Flächenflugzeugen zurückblicken – hier verweise ich auch auf die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit verschiedenen (Universitäts-)Kliniken. Neben einem weiteren Ausbau liegt uns daher die stetige Weiterentwicklung der Dienstleistung mit den neuesten medizinischen und technischen Standards am Herzen – ein umfassendes Qualitätsmanagement ist ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit.
rth.info: Auch im Saarland verfolgt die Johanniter Luftrettung konkrete Pläne, am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS) in Homburg/Saar einen weiteren ITH zu stationieren. Sie stehen diesbezüglich nicht nur mit dem UKS in Verhandlungen, sondern auch mit den beiden zuständigen Ministerien für Wissenschaft und Inneres. Dies wurde rth.info von Seiten der Pressestellen der beiden Ministerien auf Anfrage bestätigt. Allerdings wurde am Dienstag (22.08.2017) der neue Dachlandeplatz auf dem neuen IMED-Gebäude feierlich in Betrieb genommen und die Johanniter Luftrettung war hierzu nicht eingeladen worden. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?
Günther Lohre: Wir sind weiter an einem Standort im Saarland interessiert. Aktuell stehen wir in Verhandlungen und können daher zurzeit keine konkreten Aussagen machen.
rth.info: In Rostock kooperieren Sie mit der Firma Rotorflug aus dem hessischen Friedrichsdorf, an den Standorten Adenau/Nürburgring, Gießen, Marl-Loemühle und Reichelsheim mit der Firma Heli-Flight aus Reichelsheim (Wetterau), die jeweils ihre Piloten und Einsatzmaschinen vom Typ AS 365 N2 (Rotorflug)/N3 (Heli-Flight) “Dauphin“ in das seit vielen Jahren bestehende Kooperationsprojekt einbringen. Diese Konstruktion führte und führt immer wieder zu Benachteiligungen bei Ausschreibungen, siehe zuletzt die Ausschreibung der Sekundärluftrettung für Sachsen-Anhalt am Standort Halle-Oppin, wo Sie erst durch anwaltliche Intervention bei der zuständigen Vergabekammer erwirken konnten, dass auch Bietergemeinschaften zugelassen wurden. Wie wollen Sie in Zukunft diese Probleme umgehen? Ist etwa daran gedacht, als Johanniter Luftrettung bzw. als Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. ein eigenes AOC (Air Operator Certificate - zu deutsch: Luftverkehrsbetreiberzeugnis) zu beantragen?
Günther Lohre: Zurzeit wird der medizinische Bereich von uns als Hilfsorganisation und der Flugbetrieb von unseren Kooperationspartnern abgedeckt. Wir sehen hierin kein Ausschlusskriterium im Rahmen einer Ausschreibung. Dies wurde uns bisher auch schon zwei Mal von den jeweiligen Vergabekammern bestätigt. Es ist allerdings vorstellbar, dass die Johanniter zukünftig auch ein eigenes AOC mit eigenem Flugbetrieb einrichten wird.
rth.info: Der im Mai 2016 aufgenommene Regelbetrieb des ITH-Standortes am Nürburgring zeichnet sich durch eine wohl einzigartige Besonderheit aus: Stationsleitung und stellvertretende Stationsleitung haben Mitarbeiter vom Kreisverband Ahrweiler des Deutschen Roten Kreuzes inne, das auch für die sanitäts- und rettungsdienstliche Absicherung von Veranstaltungen auf dem Nürburgring zuständig ist. Gab es innerverbandlich Probleme, dies so zu bewerkstelligen? Welche positiven Schlüsse ziehen Sie aus dieser Kooperation zwischen Johanniter-Unfall-Hilfe und Deutschem Roten Kreuz?
Günther Lohre: Bereits in den 1980er Jahren wurde erfolgreich unter der Führung der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. der Ambulanzflugdienst Köln von mehreren Hilfsorganisationen und der Feuerwehr Köln gegründet und betrieben. Daher sehe ich so eine Kooperation am Nürburgring und Rheinland-Pfalz als zukunftsweisend an. Wir haben nicht nur in der Luftrettung partnerschaftliche Kooperationen mit anderen Hilfsorganisationen.
rth.info: Ist am Standort Adenau/Nürburgring die Einrichtung einer eigenen Infrastruktur geplant? Zurzeit steht der ITH “Air Rescue Nürburgring“ auf dem Sonderlandeplatz vor dem Medical Center, bei Nacht und schlechtem Wetter wenig geschützt. Wie ist der aktuelle Sachstand?
Günther Lohre: Geplant ist der Bau eines Luftrettungszentrums wie an unseren anderen Standorten. Hierbei sind an diesem speziellen Ort natürlich die besonderen Gegebenheiten zu berücksichtigen, was zu einer längeren Planungs- und Genehmigungsphase führt.
rth.info: Einerseits steht die Maschine in Adenau für den Werksrettungsdienst der Capricorn Nürburgring GmbH unter Vertrag, andererseits wird sie sowohl für Primär- und Sekundäreinsätze außerhalb dieser Aufgabe eingesetzt. Kritiker sehen hier ein Spannungsverhältnis. Über eine entsprechende Kleine Anfrage eines rheinland-pfälzischen CDU-Landtagsabgeordneten, der zugleich als Reserveoffizier und Mediziner am Bundeswehr-Zentralkrankenhaus Koblenz tätig war, und die Antwort des zuständigen Mainzer Innenministeriums hatte rth.info im Vorjahr berichtet. Wie positionieren Sie sich dazu?
Günther Lohre: Diese kombinierte Einrichtung trägt erheblich zur Verbesserung der Primärversorgung sowie für den Bereich Sekundär-/Intensivtransporte und somit des öffentlich-rechtlichen Rettungsdienstes in dieser Region bei. Wir sehen uns hier nicht als Konkurrent zu den bisher bestehenden Systemen, sondern als Unterstützung. Unsere nun über einjährige Erfahrung an diesem Standort zeigt uns, dass wir in dieser Region gebraucht werden.
rth.info: Aktuell steht das Thema “Nachtflug“ wieder ganz oben auf der Agenda der Luftrettungsbetreiber, nachdem es zuvor etwas ruhiger geworden war. In Österreich fliegt seit 1. Januar 2017 der in Krems stationierte “Christophorus 2“ rund um die Uhr (mit einer EC 135), der ADAC bildet weiterhin an seinen Standorten “Christoph 26“ in Sande (Niedersachen) und “Christoph 33/71“ in Senftenberg (Brandenburg) bzw. an seiner HEMS Academy in Sankt Augustin Piloten im Nachtflug und mit Night Vision Goggles (NVG/Restlichtverstärkerbrillen [BIV]) aus, und die DRF Luftrettung hat jüngst angekündigt, ab April 2018 auch an ihren beiden österreichischen Standorten “RK1“ in Fresach (Kärnten) und “RK2“ in Reutte (Tirol) in die Nacht hinein fliegen zu wollen. Und auch die Johanniter besitzen seit Längerem NVG. Wie oft werden die NVG eingesetzt? Wie halten sich die Piloten und HEMS TC bzw. Co-Piloten in Übung und wo findet das Training statt?
Günther Lohre: Aktuell befinden wir uns noch in der Testphase und bilden die Crewmitglieder aus.
rth.info: Nochmal zum Nachtflug: Seit 1. November 2016 steht der ITH “Akkon Bochum 89-1“ in Marl-Loemühle auch nachts für Sekundär- und Primäreinsätze zur Verfügung, in Gießen und Rostock ist dies bereits seit einigen Jahren der Fall. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht? Und wie ist die Resonanz der örtlichen Integrierten Leitstellen auf dieses Angebot? Halten Sie Primäreinsätze von Luftrettungsmitteln rund um die Uhr für denkbar? Wobei wir nicht postprimäre Einsätze meinen, sondern primäre Einsätze, bei denen beispielsweise der RTH/ITH als ersteintreffendes (Luft-)Rettungsmittel am Notfallort oder in unmittelbarer Nähe dazu landet.
Günther Lohre: In der Schweiz sind Primäreinsätze seit Jahren nachts kein Thema. Wenn die Wettergegebenheiten sowie die Landemöglichkeiten gegeben sind, sehen wir den Primärnachteinsatz als sinnvoll an. Für solche Einsatzszenarien sind bereits Landeflächen mit entsprechender Ausleuchtung durch die Feuerwehr gegeben. Warum soll ein Patient nachts schlechter versorgt werden als am Tag? Letztlich ist die Landung immer eine Pilotenentscheidung, da die Sicherheit bei uns höchste Priorität hat.
rth.info: Zum Abschluss noch eine ganz persönliche Frage: Herr Lohre, in wenigen Jahren gehen Sie in den Ruhestand. Werfen Sie mal einen Blick in die Zukunft: Wie sieht bei Ihrem Renteneintritt die Luftrettung in Deutschland im Allgemeinen aus und wie positioniert sich die Johanniter Luftrettung dabei?
Günther Lohre: Bedingt durch die Veränderung der Krankenhausstrukturen wird die Luftrettung einen immer wichtigeren Stellenwert einnehmen, so dass es im Bereich der sekundären Intensivtransporte zu einer Ausweitung kommen wird. Hier hat sich die Johanniter Luftrettung in den vergangenen Jahren durch ihre Tätigkeit ihren Platz unter den Luftrettern erarbeitet und wird sich hier weiter etablieren.
rth.info: Wir danken Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.
(red / rth.info)