Sehr geehrter Herr (...)!
Ich möchte Ihre 'Interne Mitteilung' vom heutigen Tag nicht unkommentiert stehen lassen. Nein, es ist nicht der heutige Tag, der ein schlechtes Licht auf das Unternehmen wirft. Wie kommen Sie denn auf so eine nicht haltbare Schlussfolgerung?
Ist Ihnen denn entgangen, dass trotz des aufopferungsvollen Einsatzes der Mitarbeiter der Air Berlin das Unternehmen Jahr für Jahr immer weiter in die Verschuldung rutschte? Wissen Sie nicht, dass die Mitarbeiter neben ihrer vertraglich geschuldeten Leistung bereit waren, die viel zitierte Extra-Meile zu gehen; haben Sie verdrängt, dass die Mitarbeiter in vielerlei Hinsicht Verzicht übten, in der Hoffnung auf Besserung; haben Sie schon vergessen, dass die Mitarbeiter bereitwillig unpopuläre Maßnahmen zur Restrukturierung der Airline mittrugen? All das waren die Beschäftigten bereit zu erdulden, weil Ihnen vom Führungspersonal versprochen wurde, dass so die Wende erreicht werden könne.
Die Beschäftigten der Air Berlin haben für ihr (?) Unternehmen gekämpft und großartiges geleistet. Kein vernunftbegabter Mensch hat heute einen Zweifel mehr daran, dass der dunkle Schatten, der sich über die Jahre immer bedrohlicher auf die Air Berlin legte, nicht die Beschäftigten zu verantworten hatten, sondern einzig und allein der unterirdischen Leistung des Managements geschuldet war. Wer jetzt mit dem Finger auf das Cockpitpersonal zeigt, versucht nur vom eigenen Versagen für die gegenwärtige Misere abzulenken!
Ihr Mitgefühl für die belastende Situation, in der sich die Beschäftigten befinden, in allen Ehren. Doch dafür können sich die Beschäftigten nichts kaufen. In den Tagen der Insolvenz habe die Belegschaft die richtige Antwort darauf gegeben, wie man am Besten mit der Situation umgehen könne, so schreiben Sie, und vermeiden eine Antwort darauf, wie sich dieser Einsatz für die Betroffenen auszahlen wird. Ihnen ist es nur wichtig, den Flugbetrieb möglichst reibungslos bis zum Tag X weiterzuführen und ändern so ganz nebenbei den Zuschnitt des Unternehmens. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die Änderung des Zuschnitts in der laufenden Phase mit allen Bietern abgesprochen wurde. Nichts geschieht im Moment aus Zufall. Alles folgt einem Plan.
Man kann erahnen, wer die Fäden in der Hand hält. Streckenrechte, Slots, Flugzeuge, alles scheint für ein geordnetes Verfahren vorbereitet zu sein. Nur die Belegschaft lässt man im Unklaren über ihre wirtschaftliche und berufliche Zukunft. Im Unklaren deshalb, um die Verunsicherung durch das Schüren von Existenzängsten auf ein Maximum zu treiben. Ziel dieser Vorgehensweise ist offensichtlich, sich vertraglicher 'Altlasten' zu entledigen, um auf diese Weise die Bedingungen des gesamten tarifierten Cockpitpersonals in Deutschland in der Nach-Air-Berlin-Ära erheblich unter Druck zu bringen. Ob gewollt oder nicht, Sie machen sich zum Handlanger bei der Demontage eines Berufsstandes, dem Sie selber angehören.
Es scheint, dass in der augenblicklichen Gemengelage die einzigen, die rational mit der Situation umgehen, jene Piloten sind, die in Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die Sicherheit der Passagiere ihren Flugdienst nicht wahrnehmen (können), weil Sie es vorsätzlich oder fahrlässig - versäumt haben, den Beschäftigten Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen.
Der psychische Druck speziell auf die Piloten ist immens. Wie kann unter solchen Umständen ein sicherer Flugbetrieb gewährleistet werden? Wer das bejaht, hat entweder keine Ahnung von den Auswirkungen wirtschaftlicher Existenzängste auf die sichere Flugdurchführung oder verfolgt knallhart Interessen, die der Flugsicherheit übergeordnet werden.
Wenn die nicht nur berechtigte, sondern selbstverständliche Forderung der Beschäftigten nach einem kollektivrechtlichen Übergang als Hemmschuh für die Gewinnung weiterer Interessenten im Bieterwettbewerb angesehen werden, so ist das das wahre Gift für die weitere Betriebsfortführung und im Übrigen einer sozialen Marktwirtschaft nicht würdig!
Ich fordere Sie auf, den Beschäftigten zu erklären, auf welche Weise Sie 'soviel Arbeitsplätze wie möglich' erhalten wollen und mit welchen Perspektiven diese rechnen dürfen. Erst wenn Sie darauf akzeptable Antworten gefunden haben, schaffen Sie die notwendigen Voraussetzungen zur Fortführung eines sicheren Flugbetriebs.
Herr (...), ich schreibe an Sie persönlich, weil Sie in Ihrem Namen die 'Interne Mitteilung' verfasst haben. Der Inhalt dieses Briefes, der ein 'offener Brief' ist, richtet sich jedoch vor allem an den gesamten Vorstand sowie den Generalbevollmächtigten und den Sachverwalter.
Ich hoffe, mit diesen Ausführungen die existentiellen Bedürfnisse der Beschäftigten mehr in den Focus ihrer Überlegungen rücken und Sie zu einem Umdenken hinsichtlich der Prioritäten bei den Verhandlungen mit den potentiellen Erwerbern bewegen zu können.
Mit freundlichen Grüßen
(Name des Kapitäns der Redaktion bekannt)
Indes wächst nicht nur bei potenziellen Investoren die Verunsicherung, auch Passagiere sind alarmiert. Wurde ihnen zuletzt versichert, dass der Flugbetrieb so lückenlos als möglich fortgeführt werde, strandeten allein gestern über 14.000 Air Berlin Passagiere durch die Krankenstandswelle.
In den Reihen der Belegschaft, die sich nicht am "Krankenstands-Arbeitskampf" beteiligt, sowie Vertretern mitbetroffener Einrichtungen wächst zunehmend der Unmut. Viele Kommentare in sozialen Netzwerken wie Facebook reichen hier von enttäuscht bis entsetzt. Man hätte "erwartet, dass [die Piloten] bis zum Schluss zu Air Berlin halten", ist etwa von einer Nutzerin zu lesen, die sich als Mitarbeiterin des Berliner Flughafens Tegel outet. Eine Dame, die sich als Ehefrau eines Kapitäns zu Wort meldet, sieht die Schuld wiederum nicht bei den Piloten, sondern "beim Management".
Auch Auftraggeber, die Air Berlin Flugzeuge und Crews im Wetlease betreiben, sind von den Ausfällen betroffen, so auch gestern Austrian Airlines.
(red)