Folgende Punkte sprechen die Mitarbeiter und Autoren des offenen Briefes an: die Bezahlung, die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit in der Luftfahrt. Die vorgebrachte Kritik in dem offenen Brief ist dem vida-Fachbereich Luftfahrt bekannt und wird als ernsthaftes Problem angesehen. Für den Kunden der Eurowings stehen wohl die Vorwürfe zur Sicherheit des Flugbetriebs im Vordergrund. „Aus vielen persönlichen Gesprächen mit Beschäftigten der Eurowings wissen wir, dass der größte Motivator, der in dem Unternehmen eingesetzt wird, die Angst vor disziplinären Maßnahmen ist. Das ist in jedem Unternehmen verwerflich. In einem Unternehmen wie einer Airline aber brandgefährlich“, warnt Schwarcz. Die Sicherheit in der Luftfahrt wird insbesondere durch eine gelebte Fehlerkultur getragen. Diese kann aber nicht funktionieren, wenn man zum Beispiel Probleme bei einem Flug im offiziellen (behördlich vorgeschriebenen) Reportingsystem lieber nicht schriftlich vorbringt, da unklar ist, was die Folge davon sein wird, betont die Gewerkschaft vida in einer Aussendung.
Die Geschäftsführung der Eurowings Europe nutzt laut der Gewerkschaft die Unterschiede und Lücken in den unterschiedlichen Gesetzgebungen der Stationierungsländer bis ins kleinste Detail aus, um den Profit auf Kosten der Beschäftigten noch weiter zu steigern. Fakt ist, dass sich das Unternehmen derzeit kaum an Sozialgesetzgebungen halten muss. Für das Gehaltsniveau gibt es keinen Kollektivvertrag. Für die Arbeitszeiten auch nicht, so Schwarcz: „Viel schlimmer macht diese Situation noch, dass für das fliegende Personal auch das österreichische Arbeitszeitgesetz nicht zur Anwendung kommt. Anstatt dessen gilt eine EU-Verordnung, die zwar einen sicheren Flugbetrieb regelt, jedoch ausdrücklich ausblendet, wie ein soziales oder familiäres Leben im Einklang mit den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens organisiert werden kann.“
Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen am Existenzminimum leben, für das Kabinenpersonal gilt ein Brutto-Grundgehalt für Vollzeit von 1.200 Euro, kritisiert man bei vida. Die Branche kennt keine einheitlichen Mindeststandards. Unternehmen wie Eurowings Europe agieren daher gänzlich ohne Standards, so die Gewerkschaft. Die Gehälter der Flugbegleiter sind so niedrig, dass die Eurowings Europe in Sofia und Bukarest "Flugbegleitercastings" durchführt, um Personal zu Dumpingpreisen für Österreich zu finden und das Lohnniveau so noch weiter nach unten zu drücken, finden die Hüter der Arbeitnehmerechte scharfe Worte.
Wirtschaftskammer muss endlich aufwachen
Sehr fragwürdig hält Schwarcz in diesem Zusammenhang die Rolle der Berufsgruppe Luftfahrt in der Wirtschaftskammer: „Unser eigentlicher Verhandlungspartner schaut permanent weg und begnügt sich mit einer Beobachterrolle. Die Entscheidungen werden statt in der Wirtschaftskammer in den Eurowings- bzw. Lufthansa-Unternehmenszentralen in Köln und Frankfurt auf Zuruf getroffen. Leichtfertig wird so eine florierende Standortentwicklung in Österreich über Bord geworfen.“
Kein Weg führt an Branchen-KV vorbei
Die Branche braucht einen Branchenkollektivvertrag, so wie es die österreichische Arbeitsverfassung vorsieht.
Ein Kollektivvertrag soll folgende Funktionen erfüllen: Arbeitnehmer-Schutzfunktion: Dabei sollen die Mindestarbeitsbedingungen für die Branche festgelegt werden, um Sozialwettbewerb nach unten zu vermeiden. Ausgleichsfunktion: Durch die Einigung auf Mindeststandards (z.B. bei der Bezahlung) sollen größere soziale Konflikte zwischen den Vertragsparteien verhindert werden.
All das wischt die Berufsgruppe Luftfahrt in der Wirtschaftskammer nach Meinung der Gewerkschaft vom Tisch. Gebetsmühlenartig wiederholt sie, dass sie keinen Branchenkollektivvertrag braucht, da die Unternehmen zu unterschiedlich sind. Eine Argumentation, die der vida-Gewerkschafter aber nicht gelten lässt: „In kaum einer anderen Branche sind die Arbeitsplätze so stark standardisiert wie beim fliegenden Personal für Flugzeuge ab 19 Sitzplätzen. Die größten Unterschiede gibt es in der Preispolitik der Unternehmen. Die Berufsgruppe Luftfahrt pfeift offensichtlich auf die Funktionen von Kollektivverträgen.“ Es ist zu befürchten, dass durch das passive Verhalten der Wirtschaftskammer, die deutsche Lufthansamentalität in die österreichische Sozialpartnerschaft Einzug halten könnte. Am Verhandlungstisch wird den ArbeitnehmervertreterInnen erst nach der zweiten oder dritten Streikrunde auf gleicher Augenhöhe begegnet. Das ist und war jedoch nie der österreichische Weg.
Die Schutzfunktion wird am offensichtlichsten verletzt. Flugbegleiter der Eurowings, die ihre Einkommenssituation und Arbeitsbedingungen etwas verbessern wollen, bewerben sich bei der Austrian. Hier gibt es jedoch die Absprache, dass diese erst nach vorheriger Kündigung zum Bewerbungsprozess zugelassen werden. „Das führt zu verzerrten Gehältern am Arbeitsmarkt. Die Unternehmen unterbieten sich auf Kosten der Arbeitnehmer und spielen diese gegeneinander aus“, so der vida-Gewerkschafter.
Zwei unmittelbare Maßnahmen
Schwarcz betont, dass „der Abbruch der KV-Verhandlungen für uns kein einfacher Schritt war. Jedoch fühlten wir uns zu diesem Schritt sowohl vom Unternehmen als auch von der Berufsgruppe Luftfahrt in der Wirtschaftskammer gezwungen. Ausgestattet mit vernünftigen Angeboten steht der Weg zum Verhandlungstisch den Vertretern der Wirtschaftskammer aber nach wie vor offen. Alles was es dazu braucht, ist ein ernsthaftes Interesse, den Wirtschaftsstandort in Österreich aktiv mitzugestalten.“ Das Vakuum, das die Wirtschaftskammer in der österreichischen Luftfahrt und in der Kollektivvertragslandschaft hinterlässt, versucht die Gewerkschaft vida durch einen Satzungsantrag des maßgeblichen Kollektivvertrags für das fliegende Personal in Österreich auszugleichen, d.h. der AUA-KV für das fliegende Personal soll für allgemein verbindlich erklärt werden. „Zudem bemühen wir uns die innerbetriebliche Mitbestimmung wieder durch eine demokratische Betriebsratswahl aufzubauen und werden diese mit all unseren Kräften unterstützen“, sagt Schwarcz.
Hilfeschrei ernst nehmen und reagieren
Der vida-Gewerkschafter unterstreicht, dass es jetzt alleine in den Händen der Berufsgruppe Luftfahrt in der Wirtschaftskammer liegt, ob und welche weiteren gewerkschaftlichen Maßnahmen ergriffen werden müssen: „Sie muss ihre Verantwortung wahrnehmen oder die Konsequenzen aus ihrem Rückzug auf eine reine Beobachterrolle tragen. Österreich braucht eine lebendige Sozialpartnerschaft. Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl muss die Kompetenzen wieder nach Österreich holen und für eine faire Branchenlösung in der Airline-Welt sorgen. Das fordern wir ein!“ Schwarcz betont erneut, dass „wir uns mit den Autoren des Briefes, den Beschäftigten und den einzelnen Gruppen, die sich in der Eurowings Europe organisiert haben, solidarisch zeigen. Das Unternehmen würde gut daran tun, diesen Brief als einen Hilferuf ihrer MitarbeiterInnen zu verstehen und nicht, als erste und einzige Reaktion, gleich mit einer rechtlichen Prüfung und rechtlichen Schritten zu drohen!“
Lufthansa wies Vorwürfe zunächst zurück
Die Eurowings-Konzernmutter Lufthansa wies gegenüber Austrian Wings bereits gestern in einer kurzen Stellungnahme die Vorwürfe grundsätzlich zurück. Der offene Brief - von dem man nicht wisse, ob er tatsächlich von Eurowings-Persona stamme - enthalte "viele Unwahrheiten". Lufthansa selbst versprach, eine detaillierte Stellungnahme, in der auf die einzelnen Vorwürfe eingegangen wird, nachzureichen.