Die österreichische Lufthansa-Tochter Austrian Airlines (AUA) als größte heimische Fluglinie gilt als Airline mit hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandards in Cockpit und Kabine. Doch der Druck von Management und Vorgesetzten auf das Personal werde immer größer und nehme teils auch Ausmaße ein, die im Sinne einer offenen Sicherheitskultur bedenklich seien, beklagen mehrere aktive und ehemalige Flugbegleiter gegenüber Austrian Wings.
Der sicherlich schwerwiegendste Vorwurf betrifft die Nichtverlängerung von Verträgen bei Krankenständen. Im Jahr 2012 führte die AUA erstmals regulär auf drei Jahre befristete Arbeitsverträge für Flugbegleiter ein. Kritiker warnten schon damals, dass damit Lohndumping Tür und Tor geöffnet werde und Mitarbeiter mit der subtilen Drohung der Nichtverlängerung ihrer Verträge unter Druck gesetzt werden könnten. Kürzlich änderte die österreichische Lufthansa-Tochter diese Praxis. Neue Flugbegleiter erhalten jetzt auf acht Monate befristete Verträge, die – bei Übernahme – danach unbefristet verlängert werden. Dennoch sei der Druck in den vergangenen sechs bis neun Monaten „massiv gestiegen“, heißt es.
„Es gibt Vorgesetzte, die sagen ohne Genierer, dass bei ihnen im Team niemand mehr als 20 Krankenstandstage pro Jahr haben darf“, schildern Flugbegleiter. Wer diese Grenze überschreite, dessen befristeter Vertrag werde nicht verlängert, egal, wie gut die Personalakte sonst ist.
Offiziell würden dann jedoch andere beziehungsweise gar keine Gründe für die Nichtverlängerung genannt. Ein Sprecher der Airline wies diese Darstellung auf Anfrage zurück: „Unsere Führungskräfte handeln im Sinne eines verantwortungsvollen Gesundheitsmanagements, welches bei uns 2014 eingeführt wurde. Jeder neue Mitarbeiter wird im Basiskurs darauf aufmerksam gemacht, sich im Krankheitsfall auch tatsächlich krank zu melden. Uns ist das wichtig, weil wir gegenüber Mitarbeitern und unseren Kunden eine Verantwortung tragen. Nur gesunde Mitarbeiter können unsere Gäste optimal betreuen.“
Dennoch liegen Austrian Wings voneinander unabhängige und durchaus glaubhafte Schilderungen von mehreren Flugbegleitern vor, dass die 20-Tage-Regel gelebte Praxis sei, obwohl – wie auch von der AUA-Pressestelle betont – in den Kursen stets angemerkt werde: „Wenn ihr krank seid, meldet euch auch krank.“
Der durchschnittliche Arbeitnehmer in Österreich war im Vorjahr 13 Tage im Krankenstand. Bei fliegenden Besatzungen liegt das Risiko, zu erkranken oder sich an Bord zu verletzten, jedoch deutlich höher. Einerseits spielen hier Turbulenzen eine Rolle, die regelmäßig zu Arbeitsunfällen führen, andererseits wird durch die trockene Kabinenluft das Immunsystem eines Menschen geschwächt. Dazu kommt der Umstand, dass vor allem die Flugbegleiter tagtäglich Kontakt mit bis zu 800 Passagieren haben (bei vier Legs auf einem A321 beispielsweise) und besonders im Herbst und Winter einem entsprechend höheren Risiko ausgesetzt sind, an grippalen Infekten zu erkranken. Anders als bei einem Bürojob bedeutet jedoch ein solcher Infekt fast immer Fluguntauglichkeit, denn jeder, der schon einmal mit einer simplen Erkältung als Passagier geflogen ist, weiß, wie schmerzhaft das vor allem bei Start und Landung ist.
Zudem liegt der Stressfaktor bei Piloten und Flugbegleitern im Regelfall wesentlich höher als bei Menschen, die von Montag bis Freitag von 8 bis 17 Uhr im Büro sitzen. Sechs bis sieben Tage durchgehender Flugdienst mit 55 Arbeitsstunden, in wechselnden Klima- und Zeitzonen (Stichwort Jetlag) sind die Regel. In Ausnahmefällen wird auch acht Tage hintereinander ohne einen freien Tag geflogen.
„Ich habe zwar keine handfesten Beweise dafür, dass Verträge von Mitarbeitern, die mehr als 20 Tage im Jahr krank sind, nicht verlängert werden, aber derartige Erzählungen sind mir wiederholt schon zu Ohren gekommen“, meinte AUA-Bordbetriebsratschef Cpt. Rainer Stratberger zu den Vorwürfen.
Eine langjährige Flugbegleiterin: „Ich kenne junge Kolleginnen, die stopfen sich im Ernstfall einfach die Pillen rein und fliegen krank, bis sie die Verlängerung fix in der Tasche haben. Ich verstehe das menschlich voll und ganz, denn jeder von uns muss seine Miete zahlen. Aber ich finde es erschreckend, dass unser Management zulässt, dass die Mitarbeiter von bestimmten Vorgesetzten so unter Druck gesetzt werden.“
Flugbegleiter (und auch Piloten) kritisieren weiters einen allgemeinen Personalmangel, der dazu führe, dass die für die Dienstplanung zuständige Abteilung „Crew Control“ einen regelrechten „Telefonterror“ ausübe und Dienstpläne mitunter nachträglich verlängere oder abändere, ohne die Zustimmung des betroffenen Crewmitgliedes einzuholen. Das jedoch wäre, laut geltendem Kollektivvertrag, aber verpflichtend.
„Wir beschäftigen rund 2.600 Flugbegleiter und haben dieses Jahr rund 300 neue Flugbegleiter eingestellt – viele von ihnen sind ein Aufbau aufgrund unseres Wachstums. Die Fluktuation ist unterm Branchenschnitt, weil wir als guter Arbeitgeber gelten. Für kurzfristige Ausfälle haben wir für unsere Flüge Flugbegleiter im vereinbarten Bereitschaftsdienst. Manchmal, das ist aber die Ausnahme, rufen wir Flugbegleiter auch außerhalb des Bereitschaftsdienstes an. Viele Flugbegleiter bieten 'ein Einspringen' auch freiwillig an. Sie erhalten diese Mehrleistung natürlich bezahlt. Während eines Urlaubs versuchen wir die Kollegen nur in Ausnahmefällen anzurufen“, heißt es dazu von der AUA.
Dieser Darstellung widerspricht Bordbetriebsratschef Stratberger entschieden: „Es ist eher die Regel, denn die Ausnahme, dass man an freien Tagen angerufen wird. Mitarbeiter berichten mir laufend davon, auch bei mir selbst hat schon mal an einem freien Sonntag um 6 Uhr in der Früh das Telefon geklingelt.“
In eine ähnliche Kerbe schlagen aktive und ehemalige Flugbegleiter. In persönlichen Gesprächen berichteten sie davon, dass Anrufe an freien Tagen und selbst im Urlaub „so gut wie immer“ vorkämen. Wer nicht sofort reagiere, der erhalte eine Rückrufaufforderung auf die Mailbox gesprochen oder eine SMS. Gerade die neuen Kollegen mit befristeten Verträgen fühlten sich dadurch „massiv unter Druck“ gesetzt und eingeschüchtert.
Gleiches gelte für Standby-Dienste: „Wenn wir zum Beispiel an einem Tag ab 6 Uhr Standby haben, müssen wir logischerweise ab diesem Zeitpunkt erreichbar sein. Unser so genanntes Aktivierungsfenster beträgt 90 Minuten, das heißt unser frühester Dienstbeginn ist 7:30 Uhr. Oft werden wir schon am freien Vorabend telefonisch bedrängt, oder der Anruf kommt um Punkt 6 mit der Anweisung 'Dienstbeginn 6:45 oder 7 Uhr', was gar nicht zulässig ist. Noch bevor man etwas sagen kann, legt 'Crew Control' einfach auf“, weiß ein erfahrener Kollege zu berichten und legt Wert darauf, dass wir seinen Namen nicht schreiben, denn: „Da könnte ich mir gleich einen neuen Job suchen.“
Für manche Kollegen sei eine solcherart KV-widrig unterschrittene Aktivierungszeit aufgrund der Entfernung des Wohnortes zum Flughafen nicht zu schaffen. Auch hier seien es einmal mehr junge, noch nicht unbefristet übernommene Mitarbeiter, die keinen Widerspruch wagen. „Ich hätte auf der 'Tangente' einmal fast einen Unfall gebaut, weil die Aktivierungszeit kürzer als erlaubt war und ich trotzdem unbedingt pünktlich dort sein wollte. Der Druck ist enorm, denn subtil schwingt immer mit, auch von Vorgesetztenseite, dass man aufpassen solle, man sei ja noch nicht verlängert“, so eine Flugbegleiterin, deren Vertrag noch nicht in einen unbefristeten umgewandelt wurde.
Mehrere Flugbegleiter äußerten zudem Kritik daran, dass sie in der Ausbildung weder über Flugdienstzeitregelungen noch die geltenden Kollektivvertragsbestimmungen aufgeklärt würden: „Wir erfahren praktisch nichts darüber und haben den Eindruck, dass das System hat, damit wir unbewusst auch solche Dienste akzeptieren, die laut KV und/oder Betriebsvereinbarungen gar nicht zulässig sind. Offiziell ist das dann natürlich 'freiwillig' passiert.“
Die AUA lässt das so nicht gelten: „Selbstverständlich werden die neuen Kolleginnen und Kollegen in den Kursen umgehend in diese Richtung aufgeklärt.“
Mit dieser Aussage der Pressestelle konfrontiert, meint eine Flugbegleiterin: „Das stimmt nach meiner Erfahrung definitiv nicht. Wenn ich nicht selbst aktiv bei Arbeiterkammer, Gewerkschaft und Betriebsrat nachgefragt hätte, wüsste ich über dieses Thema überhaupt nicht Bescheid.“ Ein Gewerkschafter, der namentlich nicht genannt werden möchte und Wert darauf legt, als Privatperson zu sprechen, sagt dazu: "Sehen Sie es doch mal aus Sicht des Unternehmens. Hätten Sie Interesse daran, dass Ihre Mitarbeiter alle Rechte auf Punkt und Beistrich kennen?"
Mehrfach kolportiert wurde auch, dass es Absprachen zwischen der Kabinenleitung bei AUA und Eurowings gebe. Von der AUA nicht verlängerte oder gekündigte Flugbegleiter hätten keine Chance, wenn sie sich etwa bei Eurowings Europe bewerben – und umgekehrt, wie Eurowings Europe Flugbegleiter schilderten. Sogar davon, dass AUA-Flugbegleiter Selektionen für Eurowings durchführen, wurde berichtet. „Das stimmt nicht“, heißt es dazu lapidar von der AUA-Pressestelle. Doch Gerüchte über derartige Absprachen sind auch Betriebsratschef Rainer Stratberger zu Ohren gekommen: „Ja, davon habe ich gehört, ein schriftlicher Beweis liegt mir aber leider nicht vor.“ Ähnliche Aussagen sind ebenfalls von der Gewerkschaft vida zu vernehmen.
Generell werde, so drückten es jene Flugbegleiter, die an unsere Redaktion herangetreten sind aus, zunehmend ein „Klima der Angst, des Misstrauens und der gegenseitigen Bespitzelung in der Kabine“ von einigen Vorgesetzten gefördert: "Man weiß überhaupt nicht mehr, wem man noch trauen kann und wer einen wegen eines nach acht Stunden Dienst vielleicht nicht mehr auf den Zentimeter genau sitzenden Halstuches beim zuständigen 'Head' meldet."
Das wollte Stratberger so zwar nicht bestätigen, räumt aber generell ein, dass es „bei einigen Vorgesetzten in dem Bereich durchaus Verbesserungsbedarf“ gebe.
In AUA-internen Papieren, die Austrian Wings vorliegen, klingt das allerdings noch viel deutlicher. Darin ist zu lesen, dass einige Führungskräfte offenbar „Kontrolle“ mit „Führung“ verwechseln. Die Problematik scheint also im OS-Headoffice auf dem Airport durchaus bekannt.
So berichten Flugbegleiter immer wieder von schikanösen Aktionen ihrer Vorgesetzten: „Gewisse 'Heads' lauern uns beim Betreten des Briefingraumes auf und schnauzen uns im Befehlston an, endlich roten Lippenstift aufzutragen. Dabei ist der laut Manual gar nicht vorgeschrieben, sondern kann auf freiwilliger Basis getragen werden.“ Auch hier schwinge immer die subtile Drohung des Jobverlustes mit. „Gezielte Einschüchterung“ werde auch in anderen Bereichen von einigen als „Heads“ bezeichneten Vorgesetzten betrieben.
Personalvertreter Stratberger lehnte es jedoch ab, sich zu Vorwürfen gegen einzelne (der Austrian Wings Redaktion namentlich bekannte) Vorgesetzte des Kabinenpersonals konkret zu äußern, meinte zu der gesamten Thematik jedoch ganz allgemein: „Leider können wir die vorgebrachten Vorwürfe teilweise bestätigen. Natürlich sind wir als Betriebsrat erschüttert über diese negativen Veränderungen in der Beziehung Arbeitgeber-Arbeitnehmer bei Austrian Airlines. Seit Monaten sind wir mit Austrian Airlines bezüglicher einiger Punkte in Gesprächen, um eine zügige Verbesserung herbeizuführen. Leider konnten wir zum jetzigen Zeitpunkt wenig Interesse auf Seiten Austrian Airlines feststellen, diese massiven Problemfelder zu beheben!"
Auch bei der Gewerkschaft vida seien einige der geschilderten Mitarbeiter-Beschwerden bekannt: „Wir beobachten mit Sorge das de-facto-Monopol der Lufthansa auf dem österreichischen Airlinemarkt.“ Denn dadurch steige auch der Druck auf die Mitarbeiter, die mangels anderer Arbeitgeber bei der Jobsuche in der Branche keine Alternativen haben.
(red HP, TuG)